Zoogeschichten I – Teil 3

3. Goldiges Baby

„Jetzt lass doch den Jungen in Ruhe!“, hörte ich Sabine mahnend sagen, die mit dem ersten Tablett an unseren Tisch kam.

„Denk du nur dran, wie du dich angestellt hast, als du die ersten Tage hier warst, das reinste Chaos.“

Michael wurde etwas rot im Gesicht, was natürlich eine Lachsalve der Anderen nach sich führte.

„Das Chaos hat einen Namen… Michael!“, sagte einer der anderen Pfleger.

Und schon wurde noch mehr gelacht. Sabine zwinkerte mir zu und ich musste grinsen. Sie stellte meine Essen vor mich hin und setzte sich zu mir. Meinem fragenden Blick kam sie mit einer Antwort zuvor.

„Setz ihn einfach auf den Tisch, lege die Decke darunter.“

Also nahm ich die Decke, breitete sie auf dem Tisch aus und setzte den Kleinen darauf.

„Jetzt kannst du in Ruhe essen, er wird nicht wegrennen.“

Ich nickte und während ich aß, spielte der Kleine mit seinen Tatzen. Aber irgendwann hatte er es auf meine Brotscheibe abgesehen. Im Nu war sie über die ganze Decke verteilt.

„Mann, krümle doch nicht alles voll!“, meinte ich, was den Kleinen nicht beeindruckte.

Inzwischen hatte ich auch fertig gegessen.

„Komm her du… Krümel“, sagte ich und nahm ihn wieder auf den Arm.

„Krümel passt zu ihm“, meinte Sabine und räumte unser Geschirr zusammen.

Anschließend nahm sie die Decke und schüttelte sie über dem Mülleimer aus, bevor sie sie mir wieder gab. Ich wickelte Krümel wieder darin ein und wir verließen die Kantine.

Von Michael war nichts mehr zu hören, er war seit Sabines Erzählung ruhig an seinem Platz gegessen.

„Und wie sieht es aus? Wie gefällt dir dein erster Tag?“

Ich schaute von Krümel zu Sabine.

„Super… besonders mit dem Kleinen hier.“

„Würdest du dir zutrauen, Krümel auch mit nach Hause zu nehmen?“

Mit großen Augen starrte ich sie an.

„Jetzt schon??… ich meine, ich bin doch erst den ersten Tag hier… kann doch nicht gleich ein Tier mit nach Hause nehmen.“

„Dennis, jetzt höre mal zu, ich habe dir mit Absicht den Kleinen aufs Auge gedrückt. Er braucht, wie ich dir schon sagte, viel Zuwendung und ich kann mich, wenn du da bist, besser um die anderen Bären kümmern. Zudem hast du an den Wochenenden frei und ich möchte nicht, dass sich in der Zeit jemand Anderes um Krümel kümmert, deswegen frage ich, ob du dir das zutrauen würdest, ihn über das Wochenende mitzunehmen. Klar, das ist eine große Verantwortung.“

„Ich würde ja schon gern…“

„Aber?“

Ich lächelte.

„Was ist mit Käfig… Nahrung und dem allem?“

„Kein Problem, das kann ich dir alles nach Hause fahren, einschließlich des kleinen Krümels.“

„Also wenn meine Eltern nichts dagegen haben, würde ich das schon gerne machen.“

„Okay, verbleiben wir so – du fragst zu Hause und wenn es geht, bring ich alles zu dir.“

Vor lauter Reden hatte ich gar nicht bemerkt, dass Krümel in meinem Arm eingeschlafen war.

„Er fühlt sich wohl bei dir, das habe ich gleich gemerkt.“

Immer noch lächelte ich… nein ich strahlte förmlich.

*-*-*

Klar waren meine Eltern einverstanden, besser gesagt mein Dad. Für Mum war es doch etwas befremdlich, ein wildes Tier im Haus zu haben. Beim Abendbrot redete ich wie ein Wasserfall.

Meine Eltern lächelten.

„Also ich hätte mir in die Hosen gemacht“, meinte meine Mutter, als ich ihr von der unfreiwilligen Begegnung mit Tamara erzählte.

„Es hat auch nicht mehr viel dazu gefehlt“, gab ich zu.

Recht früh ging ich ins Bett, denn ich war hundemüde nach diesem ersten Tag. Ich rief noch kurz meine Emails ab, wo ich außer von Brit keine weitere interessante Mail fand. Brit war meine beste Freundin, sie wusste auch als einzige außer meinen Eltern, dass ich schwul war.

Sie hatte alles mitbekommen, war die Erste, der ich mich anvertraut hatte. Sie durchlitt mit mir Höllenqualen, aber auch die schönen Momente. Heute Abend schien sie aber nur einfach an mich zu denken, schickte einen Gruß und gratulierte mir zum ersten Arbeitstag.

Ich schaute mich in meinem Zimmer um. Wo konnte ich einen Käfig hinstellen, denn dass Krümel in mein Zimmer kam, war klar. So stand ich halb nackt in meinem Zimmer und fing an, aufzuräumen.

Ich war eigentlich so müde, aber das wollte ich dann doch machen. Ich stellte einige Pflanzen um, verschob ein Bücherregal und schon hatte ich Platz geschaffen. Wenig später lag ich dann im Bett und war auch ganz schnell weggetreten.

Erbarmungslos begann mein Wecker zu klingen. Ich drückte ihn aus und ließ mich wieder auf mein Bett zurück fallen. Ein neuer Tag… ein neuer Tag im Zoo. Plötzlich war ich richtig wach, ja ich freute mich regelrecht auf den Tag.

Schnell war ich im Bad fertig, packte meine Sachen in den Rucksack und ging nach unten um zu Frühstücken.

„Nanu, schon da?“

Ich lächelte meine Mum an, die im Nachthemd da stand und Brote für meinen Dad schmierte.

Sie zeigte auf die Kaffeemaschine.

„Nimm dir ruhig schon einen, er ist durchgelaufen.“

Ich ging an den Schrank und holte mir eine Tasse heraus. Nachdem ich mir eine Tasse Kaffe eingeschenkt hatte, setzte mich an den Tisch.

„Und schon was Interessantes in Aussicht?“, fragte meine Mum plötzlich.

„Was meinst du?“ fragte ich, der anscheinend immer noch nicht richtig wach war.

„Ob du schon einen süßen Kerl gesehen hast?“

„Mum bitte, ich renn doch nicht laufend durch die Gegend und schau Jungs nach.“

„Das tust du nicht?“, fragte sie gespielt erstaunt.

Ich musste lachen… erwischt.

„Den Einzigen, den ich interessant fand ist dieser Arsch Michael, von dem ich dir gestern erzählt habe.“

„Nana Dennis, urteilst du nicht ein bisschen schnell, du selbst sagst doch immer, erst die Leute kennen lernen.“

„Den will ich gar nicht kennen lernen, so arrogant wie der ist.“

„So kenne ich dich gar nicht.“

„Egal. Ich muss dann los. Sag Papa einen Gruß, ich bin dann weg.“

„Tschüss Dennis.“

„Tschüss Mum.“

*-*-*

Ich war heute früher dran als gestern, es waren auch noch nicht alle da. Ich half Sabine das Gemüse aus dem Kühlhaus zu holen, bevor ich eine Flasche für Krümel machte. Sabine zeigte mir, wie ich genau diese Milch anrühren musste und worauf ich zu achten hatte.

Wenig später öffnete ich die Tür zum Büro.

„Morgen Krümel – und schon wach?“

Ein Rumpeln war aus der Kiste zu hören und ein heißeres Murren. Ich zog den Rollladen hoch und ging an die Kiste.

„So jetzt gibt es Frühstück“, sagte ich und öffnete den Deckel.

Der Kleine war in seiner Decke verknotet und ich musste ihn erst mal befreien, Er leckte mir über den Handrücken, als ich ihn dann heraus nahm.

„Und, hast mich schon vermisst?“

Ich nahm die Flasche und schon hing Krümel an Nuckel. Sabine schien nun auch da zu sein, denn ich hörte draußen bei den Käfigen etwas. Also lief ich mit Krümel im Arm nach draußen wo ich aber nur… Michael vorfand, der irgendetwas räumte.

Sollte ich mich wieder zurückziehen, noch hatte er mich nicht gesehen. Als ich mich gerade umdrehen wollte, schaute er auf.

„Morgen Dennis.“

„Morgen Michael“, antwortete ich tonlos.

„Find ich cool, dass du dich jetzt um den Kleinen kümmerst“, meinte er und räumte weiter.

Aha, man redete also über mich.

„Danke, macht auch Spass, Krümel ist auch lieb.“

„Krümel? Hat der Kleine endlich einen Namen?“

Ich nickte. Sabine kam mit den Futterschüsseln und gemeinsam mit Michael machte sie sich daran, die Bären hereinzulassen. Krümel schmatzte munter vor sich hin.

„Tamara müssen wir später noch mal reinholen, nachher kommt Doktor Reinhard vorbei, um nach ihr zu sehen“, sagte Sabine.

„Ist es nicht besser geworden?“, fragte Michael.

„Nein, sie lahmt immer noch mit dem Fuß.“

„Gut, wenn die fertig mit Fressen sind, mache ich die Käfige sauber, bis der Doktor kommt.“

„Ok, ich richte dann schon mal alles her, falls wir Tamara ins Split schaffen müssen.“

„Split?“, fragte ich, der die Unterhaltung mitgehört hat.

„Ja, so nennen wir Doktor Reinhards kleine Tierklinik,“

Sabines Handy klingelte.

„Christens… okay, ich sage es ihm“, sagte Sabine und drückte das Gespräch weg, „Dennis draußen wartet jemand auf dich.“

„Auf mich?“

„Ja, ein Mädchen steht vor dem Bärenhaus. Nimm den Krümel doch einfach mit, er ist ja noch nicht fertig mit der Flasche.“

Ich nickte. Ein kurzer Blick zu Michael und ich verstand die Welt nicht mehr. Er schaute mich total traurig an. Was sollte das nun jetzt? Ich ging ins Büro und holte für Krümel die Decke, um ihn einzuwickeln.

Ich verließ das Bärenhaus durch den Hinterausgang und umrundete es. Da stand Brit am Gehege und schaute den Bären zu.

„Morgen Brit, wie kommst du hier her?“, rief ich.

Brit drehte sich zu mir und lächelte.

„Heut ist die Schule wegen Lehrerkonferenz ausgefallen und so dachte ich mir, ich besuche… was hast du denn da auf dem Arm??… mein Gott ist der süß!“

Frauen… alles, was für sie niedlich aussieht wird gleich mit einem frohlockendem ‚Süß’ betitelt.

„Das ist Krümel, unser Malaienbärbaby.“

„Oh man, ist das goldig. Aber komm mal her, lass dich mal richtig begrüßen.“

„Der ist schwarz nicht goldig“, grinste ich.

Sie kam von der Seite zu mir und umarmte mich, der obligatorische Kuss auf die Wange fehlte natürlich nicht. Grad in diesem Augenblick bog Michael um die Ecke und schaute finster drein.

Ohne ein Wort zu sagen, lief er an uns vorbei.

„Wer ist das denn?“, fragte Brit

„Michael, ein Pfleger hier.“

„Sieht ja gut aus“, grinste mich Brit an.

„Aber ein arrogantes Arschloch!“

„Dennis, na, wer wird vor kleinen Babys mit solchen Ausdrücken um sich schmeißen?“

Ich hatte ziemlich finster Michael hinterher gesehen, doch als Brit diese Bemerkung machte, musste ich lachen.

„Hast du überhaupt Zeit?“, fragte mich Brit.

„So lange Krümel am Trinken ist sowieso, danach muss er erst Mal ein Verdauungsschläfchen machen. Aber ich kann Sabine fragen, ob du mit ins Bärenhaus darfst, das interessiert dich doch sicherlich auch, oder?“

„Klar, besonders wenn es eine weitere weibliche Person im Leben meines besten Freundes gibt.“

Wieder musste ich lachen.

„Sabine ist Reviertierpflegerin und für die Bären zuständig.“

„Und dieser Michael?“

„Weiß ich nicht“, gab ich tonlos zurück und schaute noch mal in die Richtung, in die Michael verschwunden war.

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