Wäre ich doch bloß nicht mitgegangen. Mit zwei großen Tüten verließ ich gemeinsam mit Issak den Laden.
„Schau nicht so, jetzt hast du ein Geschenk für deine Eltern und ich versichere dir, es wird ihnen gefallen.“
Ja, meinen Eltern etwas zu schenken war heikel, denn sie hatten eigentlich schon alles was sie wollten.
„Hast ja Recht.“
„Wie immer!“, grinste er mich frech an.
„Bleibt es bei heute Abend“, fragte ich.
„Wenn mir nichts dazwischen kommt, gerne.“
*-*-*
Es hatte sich zwar in den letzten Jahren einiges an Dekomatrial angesammelt, aber so richtig dekoriert hatte ich meine Wohnung nie. Nun standen da vier Karton voll Sachen vor mir auf dem Tisch.
Langsam entnahm ich eins nach dem anderen und betrachtete es mir genau. Meist waren es Dinge, die ich von irgendwem geschenkt bekommen hatte. Ich schaute mich um und überlegte, wo ich was hinstellen könnte, um meine Wohnung etwas weihnachtlicher erscheinen zu lassen.
Zwei Stunden später und drei Karton leerer, war es voll bracht. Ich dachte erst, es würde kitschig wirken, aber nun gefiel es mir. Ich räumte die Kartons mit dem leeren Verpackungsmatrial wieder in den kleinen Abstellraum.
Mein Blick wanderte wieder zur Pinnwand. Zwölf Bilder waren gelöst. Die alte Frage am wieder auf, ob es richtig war, was ich da machte. Auch die berechtigte Frage von Isaak, was machen, wenn er plötzlich dann vor mir steht, dieser Mr. Smith.
Bisher war alles recht sympathisch, was ich von ihm mitbekommen hatte, aber reichte das letztendlich ihn wirklich kennen lernen zu wollen. Ein Spruch meines Vaters fiel mir wieder ein, den er mir vor langer Zeit an den Kopf geworfen hatte.
Das ich nie etwas zu Ende führen würde. Das war kurz nachdem ich meinen Job als Lehrer an den Nagel gehängt hatte um Journalist, mein Traumberuf, zu werden. Eigentlich hatte ich ihn ja vom Gegenteil überzeugt und mein Traum verwirklicht.
Tja, du hast es angefangen, so beende es auch, dachte ich mir. Ich schaute auf die Uhr. Es war langsam Zeit aufzubrechen, weil ich ja Riley vertreten sollte. Nach dem ich alle Lichter ausgemacht hatte, zog ich mich im Flur meine Wintergarderobe an.
Wenig später befand ich mich auf dem Weg zum Covent Garden. Es war immer noch sehr viel los und so drängte mich in das Haus der großen Hallen.
„Mr. Colborn?“
Ich drehte mich um und blickte in das Gesicht eines jungen Mannes.
„Ja?“
Er lächelte mich an.
„Erinnern sie sich nicht mehr an mich?“
Ich überlegte angestrengt. Das Gesicht kam mir bekannt vor, aber ich wusste nicht, wo ich es hinstecken sollte.
„Freddy Anderson…“
Stimmt! Freddy Anderson, einer meiner Schüler aus der letzten Klasse die ich betreute.
„Ah hallo Freddy, schön dich zu treffen.“
„Die Freude liegt ganz auf meiner Seite“, meinte er und schüttelte mir die Hand.
„Du…, müsstest jetzt achtzehn Jahre alt sein, was machst du jetzt?“
„Ich studiere auf der Universität of Modern Art.“
„Ich wusste immer, dass du etwas in der Art machst“, meinte ich und entzog meine Hand wieder seiner, die er nach meiner Auffassung etwas zu lang gehalten hatte.
Es gibt Kleinigkeiten oder winzige Zeichen, die ich immer sofort registrierte. Auch dass vor mir ein gut aussehender junger Mann stand, dessen Gesicht mich gerade anstrahlte.
„Hätten sie Zeit für einen Kaffee?“, fragte Freddy.
„Oh Freddy, da muss ich dich enttäuschen, denn ich bin auf dem Weg um einen Freund auszuhelfen.“
Ich sah die Enttäuschung auf seinem Gesicht. Ich überlegte kurz.
„Weißt du was…, du kannst mitkommen, da gibt es auch Kaffee zu trinken.“
Freddy sah mich fragend an.
„Wirst du gleich sehen.“
*-*-*
Riley hatte sich verabschiedet, während ich etwas hinter der Theke aufräumte. Freddy saß an der Theke und beobachte mich stumm.
„Haben sie diesen Job gegen dem vom Lehrer eingetauscht?“, fragte er plötzlich.
Ich lachte.
„Nein, dass mach ich eigentlich nur so in der Freizeit. Ich bin schon Journalist und schreibe Artikel für eine Zeitschrift in London.“
„Und was schreiben sie?“
Ich trocknete meine Hände ab und trat zu ihm an die Theke.
„Freddy, ich bin nicht mehr dein Lehrer, wie wäre es mit du und Jack?“
„Ähm… danke… Jack.“
Wieder strahlte sein Gesicht.
„Ich teste Restaurants, Cafes oder Kneipen und schreibe Artikel über sie, wie sie aus meiner Sicht abschneiden.“
„Sie… ähm du bist J.C.?“
Oh da hatte ich wohl einer der wenigen Leser gefunden, die die Zeitschrift zu Gesicht bekommen haben. Ich nickte.
„Meine Mutter schwört auf sie. Sie probiert mit ihren Freundinnen sämtliche Lokaltäten aus, die sie in, ähm die du in deine Artikel als gut befunden hast.“
„Das ist nett…“, meinte ich etwas verwundert, „und woher kennst du diese Artikel?“
„Meine Mutter präsentiert sie mir ständig, besser gesagt, er liegt immer auf meinem Schreibtisch, wenn ich nach Hause komme. Irgendwann hatte ich sie angefangen zu lesen, weil mir der Schreibstil gut gefiel.“
„Danke! Und was machst du sonst noch so?“
„Neben der Studiererei nicht viel.“
„Keine Freunde?“
„Um ehrlich zu sein, keine Richtigen.“
Ich hörte den traurigen Unterton, bemerkte aber auch wie intensiv er mich immer wieder anschaute.
„Hat das einen bestimmten Grund?“
„Naja…, ich bin eben wahrscheinlich eher ein Einzelgänger.“
„Sicher?“
Er nickte.
„Kann ich mir irgendwie gar nicht vorstellen. Früher auf der Schule warst du immer sehr aufgeweckt, freundlich und wenn ich mich recht erinnere, immer in einer großen Ansammlung von Leuten zu finden.“
„Ja…, das war so… bis ich…“
Oh, da lag anscheinend etwas im Argen.
„Bis du was?“, hinterfragte ich.
Beschämt sah er nach unten.
„Ich glaube…, es war ein blöde Idee sie anzusprechen…, Mr. Colborn, ich gehe glaube wieder.“
Ich griff nach seiner Hand, als er Anstalten machte aufzustehen.
„Wir waren bei Jack und du und du weißt sicher noch von früher, dass man mit mir reden kann, also was ist los?“
Er schluckte und setzte sich unsicher hin. Ich ließ seine Hand los.
„Ich… ich hatte damals gehört, als sie noch mein Lehrer waren…“
„Was?“, fragte ich als er ins Stocken kam.
Er sah auf, mir direkt in die Augen. Sie waren leicht feucht.
„Moment“, meinte ich.
Ich griff nach dem Cognac und füllte ein kleines Gläschen.
„Hier trink!“, sagte ich und stellte es vor ihn.
Er nahm es und trank es in einem Zug aus. Er begann leicht an zu husten.
„Besser?“
Er nickte und sah mich wieder an.
„Stimmt es…, dass sie… du mit einem Mann zusammen lebst?“
Oh, oh, oh… was für eine Frage, das erklärte natürlich seine plötzliche Unsicherheit. Saß da einer, der in der gleichen Liga spielte, wie meiner einer und damit Schwierigkeiten hatte und das Coming Out kurz bevor stand?
„Nein, ich lebe keinem Mann zusammen.“
Er sah mich mit großen verwirrten Augen an. Ich lächelte wissend.
„Aber auch nur, weil ich keinen Freund habe und ja ich bin schwul, falls du das wissen wolltest.“
Anscheinend verblüfft über meine Antwort nickte er fast unscheinbar.
„Kann es sein, dass dir etwas auf der Seele brennt?“
Wieder nickte er. Ich lehnte mich nach vorne, dicht an ihn heran.
„Und das wäre…?“
Er schluckte hart, ich sah, wie sein Adamsapfel weit nach oben wanderte und wieder zurück glitt.
„Ich… ich glaube… ich bin es auch…“
„Ja und?“, fragte ich und richtete mich wieder auf.
Verwirrt und auch ängstlich kam sein Blick herüber.
„Kann es sein, dass du darüber mit noch niemand gesprochen hast?“
Sein Kopf schüttelte sich leicht.
„Warum jetzt gerade mit mir? Nur weil du wusstest, dass ich schwul bin?“
„Das… das habe ich ja nicht gewusst, nur gehört und vermutet…, aber…“
Wieder stockte er. Ich umrundete die Theke, stellte mich zu ihm und legte meine Hand auf seine Schulter.
„Was ist los?“, fragte ich leise.
„Ich… ich habe mich… in dich verliebt… in der Schule… du warst so unnahbar…“
Ich wollte gerade darauf antworten, als die Eingangstür geöffnet wurde. Es war Isaak, der mir freudenstrahlend zuwinkte.
„Hallo Isaak“, rief ich.
Er kam her und begrüßte mich mit einer Umarmung. Ich schaute kurz zu Freddy, der mich traurig anschaute. Er stand auf, drückte sich an uns vorbei und rannte aus dem Laden.