Margie 46 – Gegessen wird zu Hause

Ich ging ein paar Schritte auf ihn zu, zum Teufel mit den Scherben. »Und?«

»Ich komme mit. Es ist eine gute Gelegenheit, mich bei ihm zu entschuldigen.«

Das freute mich, ehrlich. Und auch meine Chancen stiegen dadurch, hoffte ich wenigstens. »Schön. Dann wollen wir dem Kerl mal so richtig den Kopf waschen.« Dabei grinste ich und auch Ronalds Wundwinkel hoben sich leicht. Allerliebst, trotz allem.

»Meinst du.. das ist nötig? Ich mein…«

Nun stand ich direkt vor ihm, ich glaube er hatte das gar nicht richtig registriert.

»Oh ja, bestimmt. Es gibt so einiges, darüber solltest du Bescheid wissen. Aber das können wir nachher noch bereden.«

Sein fragender Blick.. und ich schnappte seinen Geruch auf. Kein Wunder bei der Hitze, aber woher und warum, das war mir egal. Ronald stand eine halbe Armspanne von mir weg und da hätte ich gewettet, er wartet auf etwas. Irgendwas, keine Ahnung. Vielleicht war er noch nie in seinem Leben von einem männlichen Wesen berührt worden und konnte sich darum gar nicht vorstellen, wie das ist. Und vielleicht wollte er das gerade jetzt, an dieser Stelle, wissen. „Felix!“ „Schnauze jetzt.“

Zwar hatte ich damals, zu Hause bei Angelo am Auto, den Eindruck gehabt sie wollten sich küssen, aber das war ja nur Bestandteil meiner Fantasie wie sich herausgestellte. Nur, war es das wirklich? Nein, Heteros küssen keine Schwulen, höchstens im Suff. Und Ronald war nun mal leider nüchtern, was um diese Zeit auch sicher so bleiben würde. Schade, irgendwie passte es jetzt nicht zusammen. Trotzdem, ihn mal anlangen, das konnte so schlimm ja nicht sein. Was konnte er schon machen?
Ich griff nach seiner Schulter. »Kopf hoch. Den kriegen wir schon wieder hin.«

Ronald wich meiner Berührung nicht aus und zudem fixierten mich seine Augen.. Aber wie. Ich spürte nun deutlich, dass ihn ein gewisses Unbehagen beschlich. Er sah sich mir ausgeliefert und dennoch war er scheinbar nicht in der Lage, dem Spuk ein einfaches Ende zu bereiten. Machte mir das Spaß, ihn so zappeln zu lassen? Zum Glück bin ich kein unbeherrschter Rüpel, der aus jeder sich bietenden Situation sein Kapital schlägt. „Du hast versprochen, keinen Mann anzufassen. Außer Angelo.“ Ja, ich konnte es nicht leugnen, das hatte ich wirklich. „Felix sollte doch die große Ausnahme bleiben.“

Während wir uns so schweigend gegenüberstanden, kam ich ins Grübeln. Seit Felix am Felle war mit Angelo nichts in die Gänge gekommen; im Grunde befand ich mich ja noch immer in derselben Situation. Von Angelo war kein Für und kein Wider zu hören gewesen. Alles lag noch in der Schwebe, in grauem, undurchsichtiger Nebel. „Du brichst deinen Eid.“ Gut, den hatte ich mir selber geschworen. Aber konnte ich ihn den nicht kurz unterbrechen? Für ein paar Minuten oder so? „Heuchler. Du musst über Angelo gar nichts sagen. Du bist weitaus schlimmer als er.“ Na und? „Ach? Und nachher trabst du bei ihm an, fällst vor ihn auf die Knie und betest ihm vor, wie sehr du ihn liebst..“

Ich ließ Ronalds Schulter wieder los. Gegen so viele Argumente hatte ich keine Chance. Beinahe hätte ich eine Dummheit gemacht. »Tschuldige..«

Plötzlich legte er seine Hand auf meinen Arm. »Macht nichts.«

Das wurde mir dann doch zu gefährlich. »Hey Ronald, ich denke du weißt dass du ein verdammt hübscher Kerl bist. Menschen wie ich.. oder sogar Sebi, die.. werden dann schnell nervös wenn sie so angeguckt werden.«

Er lachte. Laut und herzlich. Aber er lachte mich nicht aus. »Sowas hab ich aber auch noch nicht gehört..«

Ich grinste mit. »Nein? Mensch Ronny.. sieh doch mal in den Spiegel. Der perfekte Junge. Ich kann dir nur eins sagen.. wenn es Angelo nicht gäbe..«

»Oh, keine Angst. Ich werde nich schwul falls das mit euch nicht klappt.«

»Das ist allerdings furchtbar schade..«, lachte ich weiter. Ich fand das Gespräch einfach amüsant. Und zudem war Ronny keinesfalls jener Typ, der Schwule gar nicht leiden konnte.

So standen wir immer noch da. Ich mit meinem Shirt und der Short, er mit diesem verbotenen Slip. »Ach, noch was.. das was du da anhast ist nicht günstig.. also für mein Seelenleben«, und deutete frech an die Stelle. So nah betrachtet gab der fetzen Stoff ein paar sehr genaue Details wieder.

Ronald kniff die Oberschenkel zusammen und legte beide Hände auf sein Teil. »Oh, ich hatte es nicht beabsichtigt.«

Kein Wunder dass er mit Sebi so gut klar kam. Dabei stellte ich mir uns drei auf einem Haufen vor, irgendwo da draußen. Unfug machen wie kleine Kinder..

Irgendwann ließen wir dann die Späßchen. »Was fangen wir bloß an, mit der angebrochnen Nacht?«, wollte ich wissen.

»Du meinst, mit dem angebrochenen Tag«, antwortete Ronald und zeigte zum Küchenfenster. Der Tag kroch in sanften Pastelltönen aus seinem Bett.

»Puh, ja. Da weiß ich allerdings schon was..« Allmählich wurde ich wach, richtig wach. Die paar Stunden Schlaf hatten scheinbar doch gereicht und allmählich begann der Plan dieses Tages Oberhand zu gewinnen. Das richtige Wort. Konnte ich überhaupt gewinnen? Wie oft hatte ich mir vorgenommen, mit Angelo zu reden? Wie oft waren wir durch irgendwelche Umstände nicht dazu gekommen? Wie oft wurde das vereitelt, durch was auch immer? Aber nun, mit Ronald als Rückhand, da konnte es gelingen. Nur ein Wort von Angelo; entweder Ja oder Nein. Ich prüfte mein Gefühl, aber das hatte mich auch schon oft genug betrogen. Jetzt gab es nur noch Fakten.

»Ich mach uns nen Kaffee. Sebi wird ja auch bald auftauchen«, sagte Ronald und entschwand zunächst im Bad. Logischerweise gefolgt von meinen Blicken, denn nicht nur vorne hatte der Junge was zu bieten. Sein Hintern war eine weitere Sünde wert. „Appetit holen kannst dir ja, aber gegessen wird zu Hause.“ Die Frage dazu war allerdings, wie diese Speise aussehen sollte. Wenn sie die Form von Angelo hatte, dann wollte ich gerne Hungern bis dahin. Wenn nicht.. Ronny würde leider untergehen im Tal meiner Tränen. Aber Zuversicht war angesagt. Tief holte ich Luft. Mein endgültiges Ultimatum lief ab, ohne Chance auf einen Stopp.

Ich begab mich auf den Balkon um diesen Tag gebührend zu begrüßen. In allen Orange- und Rottönen krabbelte die Sonne aus ihrem Bett. Wunderschön, dieser Morgen. So schön, dass ich mir eine Zigarette ansteckte und auf einem der Stühle niederließ.
Warum war alles so problematisch? Wär’s nicht furchtbar einfach, alles, ausnahmslos alles hinzuschmeißen? Lohnte mein Kampf überhaupt? Welche Früchte sollte das alles hier bringen? „Immerhin, Sebi und Ronny, die können deine neue Freunde werden. Auch ohne Angelo.“ Ja, da war was dran. Nur, wenn die weiterhin Kontakt zu ihm hielten, dann fand ich das nicht mehr sonderlich lustig. Und Frankfurt lag ja auch nicht grade um die Ecke. Nun gut, wie auch immer. Was ich da schon schätzte, das war die Erfahrung, die ich in all der Zeit sammeln konnte. Bis auf Angelo waren sie durchweg positiv und wegnehmen konnte mir das erlebte auch keiner mehr.
Trotz allem hätte ich es schön gefunden, wenn ich an jenem Abend hätte sagen können, ja, das war’s, es hat sich auf allen Ebenen rentiert, um ihn zu kämpfen. Aber bis dahin war es lang und nichts, aber auch gar nichts sicher.

»Also ich würde jetzt gern was zum Kaffee essen. Sebi sowieso und du?«

Ich nickte. Dagegen war nichts einzuwenden. »Klar. Grundlage schaffen«, lachte ich und rieb mir den Bauch.

»Gut, dann geh ich mal eben zum Bäcker, komm gleich wieder.«

Zack, weg war er. Bäcker.. da fiel mir doch so ne ganze Menge ein.

Sebastian kam auf den Balkon. »Guten Morgen.« Wirklich zerknautscht sah er nicht aus. »Schon so früh auf?«

»Morgen. Hm, eigentlich eher, noch so früh auf.. Ronald ist mal eben zum Bäcker.«

»Sehr gut. Ich bin im Bad.«

Welch Treiben in aller früh. Im vorbeigehen schaltete Sebastian das Radio an. „.. weiterhin sonnig und sehr heiß..“ vernahm ich dann grade so. Ja, keine Wolke am Himmel. Hoffentlich würde das auch auf mein Gemüt zutreffen.. Allmählich bekam ich nämlich sowas wie Lampenfieber. Angelo musste eigentlich zu Hause sein, es war anzunehmen dass er sich um sein Chaos kümmern würde. Zurechtlegen was ich ihm sagen wollte unterließ ich. Zu oft hatte ich mir da schon was zusammengebastelt und nachher konnte ich es in die Tonne treten. Wir mussten reden, er vor allen Dingen.

Die Sache mit dem Bad wurde dann fliegender Wechsel, ich duschte und zog frische Sachen an. Wäre gut gewesen, sie einen Tag vorher aus dem Rucksack zu nehmen; so haftete mein frisches T-Shirt wieder völlig zerknittert an meinem Leib. Aber egal, bei der Hitze hätte ich sowieso am liebsten gar nichts angezogen.

Ronald brachte die frischen Brötchen, Kaffeedüfte zogen durch die Gänge und kurz darauf saßen wir auf dem Balkon. Sebastian hatte einen Sonnenschirm aufgespannt und so ließ es sich da oben ganz vorzüglich frühstücken. Wobei ich es nur auf ein Brötchen brachte, mein Magen war nämlich schon ziemlich anfüllt mit gewissen Ängsten und Zweifeln.

»So, ihr beiden. Ich fahr dann mal. Und ich drück euch die Daumen. Nehmt Angelo aber nicht auseinander, denn ihr wisst, er wird ab Montag dringend gebraucht.«

Wir hatten vorher darüber gesprochen, dass wir anschließend zusammen zu ihm fahren würden. Sebastian hatte auch weiterhin keinen Tipp und ließ uns kurz darauf allein zurück.

»Okay, dann gehen wir mal«, seufzte Ronald später, wonach ich ihm half den Tisch abzudecken.

»Was kann man bloß machen, dass er wenigstens diesen Willard sausen lässt…«, fragte Ronald, als wir uns im Treppenhaus nach unten begaben.

»Ich hab keinen Schimmer. Bin ja schon froh wenn er nicht trotzt, dann lässt er uns bestimmt nicht mal in seine Wohnung.«

Ich nickte, denn das wäre ihm zuzutrauen. Wichtig war deshalb erst mal, überhaupt zu ihm vorzudringen. Wenn er uns schon an der Sprechanlage stehen ließ, dann hatten wir schlichtweg schlechte Karten. »Er muss uns reinlassen.«

»Hm. Dein Wort in Gottes Ohr.«

Wir stiegen in Ronalds Citroen und mit jedem Meter, den wir uns der Kastanienallee näherten, schlug mein Herz schneller. Täuschung hin oder her, diesmal passierte etwas gravierendes, das spürte ich. Aber das war gut so, dieses Gefühl.
Wir redeten nichts, auf der ganzen Strecke nicht. Ich versuchte, durch beobachten des Verkehrs und der Gegend, unten zu bleiben, aber das gelang mir nur Ansatzweise. Ständig ging mir im Kopf herum was gleich passieren würde. Allerdings, ich war bereit für den letzten Kampf und stolz darauf, Standhaft geblieben zu seiner letzten Nacht. Die Versuchung war wirklich groß und hatte mir einiges abverlangt. Dumm eben nur, dass ich, sollte mich Angelo nun wirklich ein für alle Mal aus seinem Leben verbannen, Ronald nicht um den Hals fallen konnte. Momentan gab’s ja auch überhaupt keinen, an dessen weicher Brust ich mich hätte ausheulen können. Dabei graute mir vor zu Hause. So eine Schmach.. Gut, ich war soweit um in die Arena zu steigen, in wenigen Minuten schon.

Wir bogen in die Straße ein und jetzt musste ich doch erst mal richtig tief Luft holen. „Du lässt dich auf gar nichts mehr ein, hörst du?“ „Nein, schon nicht.“ „Denk dran: Erst wenn er sagt, dass er dich nie wieder sehen will, dann ist’s aus. Vorher nicht.“ Ja, das hatten wir schon mal.

Ronald parkte auf der Straße vor dem Haus, dort war ein Parkplatz frei. Gerade als wir aussteigen wollten, fuhr eine schwarze Limousine an uns vorbei. Sie fiel mir auf, weil sie Schritttempo fuhr und Ronald deswegen nicht gleich aussteigen konnte. Sofort gingen meine roten Lampen an. So ein Wagen hatte hier sicher nichts zu suchen; er passte schlicht nicht in diese Gegend.

»Bleib sitzen.«

Ronald sah mich an. »Wie? Warum?«

»Ich weiß nicht.. warte noch einen Augenblick.«
Ich sah, wie der Wagen oben an der Kreuzung drehte und die Straße erneut herunterfuhr. Egal wer das war, typisches Verhalten jedenfalls wenn man etwas sucht. Leichte Panik kam in mir auf. Zu dumm, dass ich nicht wusste, wie Sammy Willard aussah.

»Ronald, ich fürchte, Willard oder seine Konsorten..« Dabei zeigte ich auf den Wagen, der nun erneut ganz langsam an uns vorbeifuhr. Zwei Männer konnte ich sehen, aber keiner kam mir bekannt vor. Trotzdem, Nummer sicher war jetzt erstes Gebot.

»Meinst du?«

»Was machen sie?«, fragte ich aufgeregt und Ronald sah in den Außenspiegel.

»Sie… eben parken sie ein.«

Das wurde höchstverdächtig. »Ronald, ich fürchte, das sind sie.«

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