Space – Teil 5

Perfect Love

Something wicked this way comes, 67 AE, Shining Star:

„Du siehst aus wie deine eigene Großmutter“, verspottete sich Captain Katelan, während sie sich selbst im Spiegel betrachtete.
Sie aktivierte den Wasserspender, ließ klares, kaltes, synthetisiertes Wasser über ihre Hände laufen. Dann beugte sie sich über das Becken, schüttete das Wasser von unten in ihr glühendes Gesicht. Es half. Es half eine ganze Menge.

Endlich eine Schlafperiode. Es stand außer Zweifel, dass sie sofort in Tiefschlaf fallen würde, obwohl sie in den letzten Stunden zwei starke Kaffee zu sich genommen hatte. Dieser Sektor war einfach die Hölle. Jede Spezies, auf die sie trafen, schien ihrem Schiff, der Shining Star, feindlich gesinnt zu sein.

Mit den Fingern rieb sie sich die Nässe aus den Augen, glättete ihr Haar. „Schon besser!“, meinte sie, sich selbst belächelnd. Gerade als sie sich ihrem Bett zuwenden wollte, ertönte der gelbe Alarm.

„Das darf doch nicht wahr sein!“, fluchte sie herzhaft, griff nach einem erneuten Becher Kaffee und verließ ihr Quartier. Sie schaffte es, drei Schluck davon zu nehmen, als das Schiff auch schon von Treffereinschlägen durchgeschüttelt wurde und das Alarmsignal auf Rot wechselte.

Ohne eine Sekunde zu zögern, ließ sie den Becher fallen und rannte auf die Brücke.

„Bericht!“, schrie sie sobald sich die Türen zum Befehlsstand öffneten.

„Schilde runter auf 73%“, hörte sie eine energische Stimme. Sie erkannte sofort die angreifenden Jäger auf dem Bildschirm. Dieses Design hatte sie schon einmal gesehen, Kresselianer, widerlich habgierige Schmuggler, die wohl auch nicht vor Piraterie haltmachten. Und schon prasselten weitere Salven der Angriffsjäger auf die Hülle der Shining Star. Durch das Schiff ging ein Beben, die Mannschaftsmitglieder konnten sich nur mit äußerster Konzentration auf den Füssen halten, trotzdem ging jeder diszipliniert seiner Pflicht nach.

„Ausweichmanöver nach backbord!“, schrie sie. Das Schiff kippte zur Seite.

„Ausweichmanöver erfolgt! Schilde runter auf 35%“, meldete ein Offizier, „Nächste Angriffswelle der Jäger in 17 Sekunden. Schilde bis dahin auf 43% hoch!“

„Konzentrieren sie das Feuer auf das dritte Schiff!“, befahl der Captain. Es sah schlimm aus. Zwei weitere Wellen und die Schilde waren verbraucht. Vielleicht gelang es ihnen, noch einen der kresselianischen Angreifer zu zerstören, bevor er in Waffenreichweite kam, aber dann…

„Achtundzwanzigtausend Lichtjahre“, flüsterte sie, für die Crew unhörbar. „Wir haben es so weit geschafft. Und nun ein Ende durch ein paar habgierige Schmuggler“. Sie fluchte und vermisste den bitteren Geschmack auf ihrer Zunge. Wieso hatte sie den Becher fallengelassen? Als ob es jetzt noch etwas ausmachte, wenn die Crew sie etwas menschlicher, etwas verletzlicher sah.

Fieberhaft suchte sie nach Optionen. Die Torpedos gingen ihnen langsam aus, die Phaserbänke luden sich nur langsam auf. Sollte sie alle restlichen Torpedos opfern, um dann den Rest der Heimreise weiteren Angreifern völlig wehrlos ausgesetzt zu sein? Andererseits, was nützte ein Notfallvorrat Torpedos, wenn sie jetzt alle starben.

Captain Katelan knirschte mit den Zähnen.

„Na gut“, begann sie, „Machen sie die Torpedobänke…“

„Ein weiterer Jäger!“, unterbrach sie der Nav-Offizier. „Richtung Eins-Eins-Null, geladene Waffensysteme!“

„Kresselianer?“, schrie Katelan, eine Spur zu laut.

„Negativ!“, antwortete der Nav. „Unbekannte Bauart.“

Der Captain schnappte erleichtert nach Luft.

„Senden Sie einen allgemeinen Notruf!“, befahl sie entschieden, „Dann auf den Schirm“.

Ein Freund, hoffte sie. Es muss ein Freund sein. Sie wollte nicht aufgeben, sie wollte nicht sterben. Dazu waren sie alle zu weit gekommen.

Sie sahen den kleinen unbekannten Jäger. Die Ausmaße des Schiffes betrugen höchsten die Hälfte der kresselianischen Angreifer. Aber das Schiff bewegte sich mit einer Enthusiasmus hervorrufenden Wendigkeit und Geschwindigkeit. Schon sahen sie die Laser auffunkeln.

Das Feuer traf einen der Kresselianer.

Katelan atmete auf und dankte einem Gott, an den sie eigentlich nicht glaubte.

„Na los“, schrie sie mit neuem Mut. „Unterstützen wir ihn. Erfassen sie den Angreifer und Feuer!“

Eine weitere Energiewelle prasselte auf die Schilde der Shining Star. Aber noch hielten sie und schon explodierte der erste Kresselianer. Der kleine, neu angekommene Jäger kämpfte wie der Teufel, sein Zielfeuer war akkurat und setzte schnell Teile der kresselianischen Schilde außer Funktion. Das größere Schiff hielt eine Com-Verbindung zu dem Jäger aufrecht, und trotz der kritischen Lage musste Katelan über den Schwall von unbekannten, fremdartigen Schimpfwörter schmunzeln, mit denen der Fremde seine Gegner ununterbrochen überschüttete. Schnell erkannten die Kresselianer, wer die stärkere Bedrohung war, aber als sie sich endlich von der Shining Star abwendeten, war der Kampf schon entschieden. Der zweite feindliche Jäger zerstob zu einer lautlosen Explosionswolke, der dritte drehte ab und flüchtete.

Captain Katelan ließ die Schadensmeldungen über sich ergehen, dann lächelte sie und atmete tief und erleichtert ein. Es waren keine kritischen Systeme beschädigt worden.

„Öffnen sie einen Kanal zu unserem neuen Freund“, befahl sie.

Die Verbindung kam problemlos zustande.

„Vielen Dank für ihre Hilfe“, meinte sie, „Wir stehen tief in ihrer Schuld! Warum kommen Sie nicht zu uns an Bord? Sie haben sich eine heiße Dusche verdient!“

Sie biss sich auf die Lippen. Ihr verfluchter Zynismus. Sie hatte laut ausgesprochen, wonach sie sich am meisten sehnte.

Aber die ernste, harte Stimme am anderen Ende der Leitung begann auf einmal zu lachen.

„Mann, sie müssen ja Gedanken lesen können!“, lachte der fremde Pilot. Der Sprachtranslator übersetzte seine fremdweltig klingende Sprache makellos. Sie hatten inzwischen Sichtkontakt, aber von dem Gesicht des Fremden war aufgrund eines Helmes mit heruntergelassenem Zielvisier nichts zu erkennen. Außer zwei Reihen strahlend weißer Zähne und einem hinreißendem Lächeln.

„Ihr Angebot nehme ich dankend an!“, meinte er. „Aber ich fürchte, ich muß auf ein wenig mehr Dankbarkeit bestehen! Ich habe nicht wirklich uneigennützlich gehandelt. Wir sind weit abseits von den Handelsrouten und ich bin beinahe ohne Treibstoff. Ein so großes Schiff wie Ihres hat doch sicherlich einige Energievorräte zu teilen?“

Katelans Lippen verschmälerten sich verkrampft. Natürlich, in diesem Quadranten gab es nie etwas umsonst. Aber dann lächelte sie wieder. Schließlich hatte dieser Pilot ihnen eine Menge Torpedos erspart.

„Sicherlich!“, antwortete sie resolut. „Kommen Sie doch bitte an Bord, damit ich Ihnen persönlich meinen Dank entgegnen kann Das weitere besprechen wir hier. Sie sind Sauerstoffatmer?“

„Bin ich!“, meinte der andere. „Wo soll ich andocken?“

„Wir haben eine Molekülzerlegungs-Ferntransporteinrichtung“, antwortete sie. „Aber wenn Ihnen der Gedanke unheimlich ist, kann ich auch einen Hangar öffnen lassen!“

„Ich nehme den Hangar!“, entschied der Pilot nach kurzem Zögern.

Katelan nickte, und im selben Augenblick senkte ihr Offizier die Schilde. Sie übergab das Kommando ihrem ersten Offizier und verließ die Brücke, froh endlich den Raum zu verlassen, der ihr immer betrübter und stickiger zu werden schien. Trotz ihrer Abgespanntheit, ließ sie es sich nicht nehmen, selbst den Piloten am Hangar zu empfangen. Sie war neugierig wie eine alte Katze.

Sie wartete, bis sein Jäger gelandet war und die Maschinen heruntergefahren wurden. Dann erst öffnete sich die Luke, und die Gestalt sprang heraus. Es war ein schlanker Zweibeiner in einer dunklen Piloten-Kombination. In dem Moment als er den Helm abnahm, schien er auf einmal kleiner, aber seine braunen Augen leuchteten mit einer wachen Kraft, die den Raum einnahm.

Sie mochte ihn sofort, auch wenn sie sich dafür innerlich schalt.

„Willkommen an Bord. Ihre Spezies habe ich noch nie gesehen“, gab Katelan zu.

„Ah, das höre ich andauernd!“, meinte er und die heitere, offene Stimmung verflog für einen Moment. Seine Augen wanderten neugierig weiter, so dass sie nicht weiter nachhaken wollte.

„Kommen Sie, ich führe Sie herum!“, meinte sie. „Keine Angst, es ist nur ein kurzer Rundgang, dann weise ich ihnen ein temporäres Quartier zu. Schließlich habe ich Ihnen eine heisse Dusche versprochen!“

Da war es wieder, das breite Lächeln mit den blitzenden Zähnen.

„Es ist ein schönes Schiff!“, sagte er, als sie nach kurzer Zeit an dem Quartier angekommen waren. „Ich danke Ihnen wirklich. Ich bin seit Wochen nicht mehr aus meinem Jäger herausgekommen!“

„Danke!“, meinte sie überrascht. Es fühlte sich an, wie ein echtes Kompliment, auch wenn es nur der Shining Star galt.

„Sie…sie sind ein Weltraumnomade, oder?“, fragte sie, ängstlich die Stimmung wieder zu zerstören.

„Mein Planet wurde zerstört“, gab er zu. Es klang kaum noch Bitterkeit in seiner Stimmung. Er mußte seine Lebensgeschichte häufig erzählt haben. Sie hoffte, sie würde sie auch eines Tages zu hören bekommen.

„Wären sie vielleicht interessiert…“, begann sie zögerlich, „…unser einziges verbliebenes Shuttle ist gerade in Reparatur. Und wir haben einen großen Teil der Mannschaft verloren. Warum bleiben Sie nicht eine Weile bei uns? Einen so hervorragenden Piloten wie Sie können wir sicher gut gebrauchen.“

Die Überraschung auf seinem Gesicht war nicht gespielt. Er fuhr sich verwirrt mit der Hand durch seine satten, schwarzen Haare.

„Nein, das wird nicht gutgehen!“, meinte er dann aber. „Der Treibstoff genügt, vielleicht eine warme Mahlzeit, das wäre unerwarteter Luxus.“

Seine Augen glommen einen Moment auf.

„Ich meine…sie haben nicht zufällig einen dieser SHI-Plugs an Bord? Eine holografische Schnittstelle?“

Katelan lachte auf. Die Frage überrumpelte sie völlig. Trotzdem spürte sie die Wichtigkeit der Antwort. Wie ein Haken, mit dem sie diesen Piloten…nun, sie wollte es zumindestens versuchen.

„Einen SHI?“, antwortete sie. „Wieviele Jahre waren Sie unterwegs? Wir haben ein komplettes HoloProjektions- und Materialisierungsdeck. Probieren Sie es aus. Wenn sie nur SHIs kennen, werden sie begeistert sein.“

Der Pilot hob erstaunt seine Augenbrauen.

„Das würde ich wirklich gern einmal ausprobieren!“, meinte er.

Sie spürte, dass seine Abneigung gegen die Idee zu bleiben, bereits zu schwanken begann.

„Ich bin übrigens Captain Katelan“, stellte sie sich endlich vor. „Duschen Sie, essen Sie etwas, dann werde ich das Projektionsdeck für sie vorbereiten lassen. Wenn Sie mögen, stelle ich Ihnen auch den Rest der Crew vor. Dann können sie sich immer noch entscheiden.“

Der Pilot ergriff sichtbar gerührt die ihm dargebotene Hand.

„Vasquez!“, meinte er, „Meine Name ist Kal Vasquez. Aber sie können mich Kalimero nennen! Es ist lange her, dass mich jemand so freundlich gebeten hat, zu bleiben…“

Skin, 00 AE, 67 Jahre zuvor, Erde:

Der Raum war hell und friedlich. Die Dimensionen waren so riesig, die Wände und Decken so weiss, dass er weder Konturen noch Abmessungen erkennen konnte. Es gab nichts zu sehen in dieser Helle, außer die beiden Konturen der Personen und das dunkle Fenster.

„Ich fühle mich wie ein verdammter Verräter“, meinte Kal und blickte hinaus in die Schwärze.

Unter ihm trieben die Bruchstücke der Erde wie taumelnde, gigantische Asteroiden hinweg. Die Lava war inzwischen erkaltet, die Trümmer hatten sich zu festen Bahnen eingefunden. Als er ein Kind war, hatte er einmal in voller Absicht eine mit bunten Wirbeln gefüllte Glasmurmel mit einem Hammer zerschlagen. Die Bruchstücke seines Heimatplaneten erinnerten ihn jetzt an dieses eindringliche Kinderempfinden. Es gab einen riesigen Brocken auf dem er noch die Konturen von Sri Lanka erkennen konnte. Nur dass es keinen Sauerstoff gab, die Meermasse schwebte zu dunkelgrauen Kugeln gefroren um den Asteroiden herum, alles Leben vernichtet. Ein gespenstiger Anblick.

Und zwischen den vertrauten Trümmern überall die weissen, schlanken Raumschiffe der Snirvellin.

„Ich verstehe nicht, Kal“, meinte der Snirvellin neben ihm. „Um ein Verräter zu sein, muss es da nicht etwas geben, dem du loyal gegenüber bist? Dein Volk existiert nicht mehr. Du bist frei.“

Natürlich verstand der Snirvellin nicht. Wie immer hatte der Alien seinen Ausspruch völlig falsch gedeutet.

„Und letztendlich“, fuhr das Wesen fort, „…du trägst doch keine Schuld an dem Untergang deiner Rasse?“

Kals Nackenhaare sträubten sich auf. Er mochte die Snirvellin nicht, auch wenn sie ihn gerettet hatten. Es waren große, schlanke Wesen, die eine faszinierende Ästhetik ausstrahlten, Wesen, unter denen man sich eigentlich wohlfühlen sollte. Es war als ob ein weißes Licht sowie von ihren Körpern als auch von ihren Raumschiffen ausgehen würde. Die riesigen schwarzen Augäpfel des Snirvellin guckten ihn traurig und bemitleidend an. Trotzdem hatte er das Bedürfnis, diesen tropfenförmigen Schädel an sich zu reissen und mit bloßen Händen zu zerdrücken. Nur um die heisse Flüssigkeit in seinen Augen in Bann zu halten.

Sie nannten ihn Kal! Doch er hatte niemanden von ihnen seinen Namen verraten, ihnen nie erlaubt, diese persönliche Anrede zu benutzen. Verfluchte Telepathen. Und außerdem…

„…wir plündern deinen Planeten nicht.“, unterbrach der Snirvellin seinen Gedankenfluß. „Wir retten das Andenken deines Volks. Ihr habt großartige Kunstwerke geschaffen. Was nützt es, wenn diese Werke verfallen? Wir werden sie in Ehren halten.“

Und doch plündert ihr uns, dachte Kal innerlich rasend. Wie die Geier fallt ihr über die Reste der Erde her und schnappt euch alles, was nicht niet- und nagelfest ist, bevor es ein anderer tut. Ihr habt hier gewartet, die ganze Zeit. Während die Tronars uns ausgelöscht und unseren Planeten in ein Dutzend Stücke zerbombt haben. Und ihr habt uns nie Hilfe angeboten. Wir dachten, wir wären allein…

„Dein Mißtrauen tut uns weh, Kal. Du hast uns viel gegeben. Wir lieben die vielen Geschichten in deinem Kopf. Bitte weise uns nicht ab. Du bist jetzt allein, Kal, und wir würden dich gerne bei uns aufnehmen.“

Er schüttelte den Kopf. Wie sollte das funktionieren? Er wollte nicht bei einem Volk bleiben, dem er nicht vertrauen konnte. Warum hatten sie ihn gerettet? Warum nur ihn…?

Er fühlte sich unendlich einsam. Allein würde er es nicht schaffen, in dieser sich plötzlich vor ihm auftuenden riesigen neuen Welt zu überleben.

Der Snirvellin gab einen Laut von sich, der wohl wie ein Seufzen klingen sollten.

„Nun gut!“, meinte er sanft aber enttäuscht. „Wir lassen dich ungern gehen. Dennoch sind wir dir sehr dankbar. Wir hätten gern mehr von dir und deinem Volk erfahren, aber wir lassen dich natürlich ziehen. Und gestatte uns, dir unseren Dank zu zeigen. Vielleicht änderst du eines Tages deine Ansicht über unser Volk.“

‚Dank, dafür dass ihr mein Gehirn geplündert habt?’, lachte Kalimero innerlich verächtlich auf.

„Gebt mir einfach ein Schiff. Ihr könnt mir nichts geben, was mir sonst etwas bedeuten würde! Ich will einfach nur weg. Weg von diesem Anblick!“

Der Snirvellin hob seine brauenlosen Augenlider an.

Lautlos öffnete sich eine Tür in der weissen, konturlosen Wand. Licht ergoß sich aus einer kleinen Kammer. Eine einzelne Person stand darin.

Kalimero keuchte auf.

„Crispin!“, schrie er.

Sein Herz schlug bis zum Hals, als er in die Kammer lief.

„Crisp!“, flehte er, aber er begriff schnell, das dort nicht sein Geliebter stand. Es war nur eine bewegungslose Illusion, ein Hologramm. Seine Hand schoß nach vorn, versuchte die Wange des Bildes zu berühren, aber seine Fingerspitzen glitten durch die Figur hindurch.

„Wir konnten sein Bild immer und immer wieder in deinem Kopf lesen“, erklärte der Snirvellin. „Es war nicht einfach, nur aus deinen Erinnerungen ein so detailliertes Hologramm zu erschaffen. Aber wir sind zufrieden! Ihn zu sehen ist doch dein sehnlichster Wunsch, oder?“

Tränen schossen aus Kalimeros Augen.

„Ihr seid grausam. Obwohl ihr Gedanken lesen könnt und unsere Geschichten und Bilder bewundert, versteht ihr gar nichts von den Menschen. Ihr verstärkt nur immer mehr meine Verachtung für euch. Aber trotzdem…“

Seine feuchten Augen wanderten über Crispins Abbild.

„…trotzdem danke ich euch!“

The Killer Within, 67 AE, Shining Star:

„Ich vertraue ihm nicht“, meinte Querreg, ihr erster Offizier.

Captain Katelan hob missbilligend eine Augenbraue.

„Er ist seit drei Monaten hier und wir wissen nichts über ihn. Er lässt sich nur in der Messe sehen um seine Nahrungsportionen abzuholen. Er unterhält sich mit niemanden von uns, grüßt nicht einmal. Aber er verbringt Stunden im Holodeck. Wer weiß, was er dort macht…“

„Vielleicht leidet er ja unter Weltraumkrankheit und verbringt seine Stunden in einer Planetenprojektion“, entgegnete der Captain unangenehm berührt. „Jetzt seien Sie bitte still!“, meinte sie, als sie das Signal an der Tür hörte.

Sie hatte Querreg und Kalimero zum Abendessen eingeladen. Der Offizier hatte recht. Es gab Spannungen zwischen dem neuen Piloten und der Crew. Aber war das nicht zu erwarten gewesen, er war als einziger von einer fremden, unbekannten Rasse? Insgeheim war sie sehr froh, dass sie den Piloten vor wenigen Wochen zum Bleiben überredet hatte.

Kalimero betrat die Kapitänskajüte. Seine Augen streiften verzagt über die beiden ranghöchsten Personen an Bord, dann über den mit Bedacht gedeckten Metalltisch und die weißen Stoffservietten.

„Vielen Dank für die Einladung!“, meinte er schüchtern, „Ich hätte gern ein Gastgeschenk mitgebracht, aber ich hatte keine Ahnung, wie man hier an Wein herankommt.“

„Ach, machen Sie sich deswegen keine Sorgen. Ich habe hervorragendes Ale kommen lassen. Bitte setzen Sie sich!“

Er lächelte kurz und setzte sich dann. Katelan schenkte ihm eine appetitliche, blaue Flüssigkeit in ein hohes, schlankes Glas und reichte es ihm.

„Ich habe gerade Querreg erzählt, was für hervorragende Arbeit sie leisten!“, begann sie die Konversation. „Nicht nur als Pilot, sondern auch als Mechaniker. Die Reparaturarbeiten am Shuttle sind beinahe abgeschlossen?“

Er lächelte stolz.

„Wir sind fertig. Ich habe heut vormittag mitgeholfen, die Triebwerke zu kalibrieren. Wir setzen morgen einen Probeflug an!“

Querreg schaute ihn erstaunt an. „Heute vormittag? Aber da waren sie doch auf Erkundungsflug im Asteroidenfeld!“

Kalimero schmunzelte.

„Nun, ich habe ein klein wenig geschummelt. Ich wollte die Abschlußarbeiten am Shuttle nicht verpassen. Also habe ich ihren Transporter ein wenig zweckentfremdet. Ich bin sicher, auf die Idee ist jemand aus ihrem Volk auch schon gekommen!“

Katelan achtete nicht mehr auf ihr Essen, das langsam abkühlte.

„Zweckentfremdet?“, hakte sie erstaunt nach. „Wie meinen Sie das?“

„Den Molekülzerlegungs-Ferntransporter! Er zerlegt und katalogisiert einen menschlichen Körper komplett. Die einzelnen Molekühle werden in Energie umgewandelt, die Energie als Welle übertragen, der Körper am Zielort neu aufgebaut.“

„Richtig!“, bestätige Katelan das Offensichtliche.

„Und Ihnen ist nie die Idee gekommen, die Zerlegungsprozedur zu deaktivieren? Das Molekül zu scannen, die Daten zu übermitteln, das Zweitmolekül am Zielort aufzubauen ohne das Grundmolekül zu zerstören? Ich habe es versucht, es funktioniert tadellos, sie können jede Person an Bord mühelos kopieren!“

Querregs Gabel fiel ihm aus der Hand, landete laut scheppernd auf dem Teller. Katelans Mund stand weit offen.

„Ich habe mich heut morgen in mein Shuttle teleportiert ohne mein Original hier an Bord aufzulösen. Der eine Kalimero hat das Asteroidenfeld gescannt. Der andere das Shuttle repariert!“

Katelan ließ kraftlos ihren Kopf in die Hände fallen.

„Wie konnten Sie nur?“, brauste Querreg auf. Er hatte sich erhoben und eine beunruhigende Röte schoss in sein bleiches Gesicht. „Einen Menschen zu kopieren ist zutiefst unethisch!“

Katelan schüttelte nur den Kopf.

„Wo ist der andere Kalimero jetzt?“, flüsterte sie ermattet.

Kal schluckte.

„Aufgelöst!“, gab er zu. „Ich habe ihn erschossen und im Energiekonverter auflösen lassen.“

„Sie haben ihn ermordet?“, fragte der Captain entsetzt.

„Aber das ist doch kein Mord!“, verteidigte sich der Pilot. „Es muss Ihnen doch klar sein, dass jeder Teleportervorgang genau dasselbe ist? Jedesmal wenn Sie teleportiert werden, stirbt ihr Körper und ihre Seele. Eine Kopie von ihnen lebt an einem anderen Platz weiter. Es ist doch nur die Energie, die transferiert wird. Umgewandelte Materie. Denken Sie allen Ernstes, in diesem Energiestrahl würde ihre Seele stecken? Auch meine Kopie hatte ein Ego. Er war genausosehr ich wie…ich!“

„Hat ihre Kopie geschrien, als sie starb? Hatte sie Schmerzen? Hatte sie Angst vor dem Tod?“, befragte sie ihn eindringlich.

Eingeschüchtert senkte der Pilot den Blick.

„Er war damit einverstanden“, erklärte er, „Wir beide waren es. Wir haben ausgelost, wer sterben müsse. Aber ich sehe jetzt ein, es war ein Fehler. Ich habe nicht gewusst, dass ich ihre ethischen Grundsätze verletze!“

„Bitte begeben Sie sich in ihr Quartier!“, sagte sie bestimmt. „Nach unserem Rechtssystem haben Sie einen Mord begangen, Vasquez! Ich werde über den Fall nachdenken. Bleiben Sie bitte solange in ihren Räumen.“

Kalimero nickte beklommen. Als er gegangen war, musste sie Querregs überhebliches, rechthaberisches Grinsen über sich ergehen lassen.

„Ich glaube, mir ist der Appetit vergangen!“, beendete sie das Mahl.

Warum hat er das getan, fragte sie sich. Wieso diese grausame Gleichgültigkeit gegenüber einem Leben? Genoss dieser Kalimero etwa das Töten? Andererseits hatten sich beide Kals bereitwillig auf den Vorgang eingelassen…genoss er vielleicht das Sterben?

„Captain!“, meldete sich Querreg zu Wort. Er hatte das Quartier noch nicht verlassen, stand an der Konsole im Eingangsbereich und rief Informationen ab. „Vasquez ist nicht wie befohlen auf sein Quartier gegangen. Er hat sich direkt auf das Holodeck begeben!“

Katelan seufzte.

„Ich kümmere mich selber darum!“, sagte sie.

One Soul, 13 AE, 54 Jahre zuvor, Tegra Neris:

„Willkommen“, meinte eine sanfte, weibliche Stimme aus dem NavPort, „Ich bin Vicci. Wie kann ich Ihnen auf Tegra Neris behilflich sein?“

Kalimero lehnte sich entspannt zurück. Er betätigte den Autopiloten. Vor ihm in der Schwärze des Alls trieb lautlos die gigantische Weltraumstation der Händlerkooperation. An den Verladekränen und Andockringen lagen eine Vielzahl fremdartiger Raumschiffe, aber er entdeckte auch einige freie Liegeplätze. Die Andockprozeduren liefen automatisch von der Station gesteuert ab und er musste sich nicht mehr auf die Navigation konzentrieren.

„Hallo Vicci, ich bin Kal. Einen Moment bitte, ich melde mich gleich zurück“, meinte er und schaltete den Bildschirm weg, als er ein Rumoren hinter sich hörte. Er drehte sich herum.

Ein junger, halbnackter Mann reckte sich in seiner Schlafkoje.

„Guten Morgen, Darling“, lachte dieser mit zerzottelten Haaren. „Schon bei der Arbeit? Einfach so, ohne mit mir zu frühstücken?“

Kal lächelte nicht zurück.

„Wir haben die Station erreicht!“, sagte er kühl. „Dort trennen sich unsere Wege. Den Darling kannst du dir sparen!“

Der Fremde kniff seine katzenartigen Augen kokett zusammen. Dann erhob er sich aus der Koje. Kals Blicke wanderten leidenschaftslos über den nackten Körper. Egal, wie groß und verschieden das All ist, es gab immer eine Spezies, die einen humanoiden Körperbau besaß, dachte er. Und es gab immer ein paar Männer mit einem ordentlichen Schwanz zwischen den Beinen, die auf ein wenig Exotik und Abwechslung standen.

„Du könntest ruhig ein wenig netter sein!“, meinte der Fremde und näherte sich dem Pilotensessel. „Immerhin war die Nacht sehr schön!“

Er gab ihm einen sanften Kuss auf den Nacken. Kal reagierte gereizt.

„Wir haben ausgemacht, dass ich dich mit auf die Station nehme, das ist alles!“, keifte er den Fremden an. „Was darüber hinaus geschehen ist, ist purer Zufall und hat nichts zu bedeuten.“

Der Fremde hob belustigt eine Augenbraue.

„Du wusstest doch genau, was mit uns passieren würde, schon in dem Moment als wir uns in der Bar in die Augen sahen. Dein Angebot, mich per Anhalter mitzunehmen, entsprang doch nicht nur der Nächstenliebe! Spiel nicht das verführte Unschuldslamm!“

Kalimero musterte den Fremden, mit dem er die einsamen Stunden des Raumflugs verbracht hatte. Er war wirklich sehr schön. Aber in seinen Augen glänzte eine Intelligenz und Abgeklärtheit, nein, es war nicht möglich, dass Kal ihn mit so etwas banalem wie einer Zurückweisung verletzen würde.

„Der gemeinsame Trip zur Station ist alles, was wir ausgemacht haben, und dabei bleibt es! Und jetzt zieh dich an, ich mache den Com-Channel wieder auf“, meinte er barsch.

Der Fremde zog sich zurück. „Ich kenne Menschen wie dich“, sagte er, leicht beleidigt. „Du hast jeglichen Glauben aufgegeben. Warum siehst du nicht ein, dass diese Stunden etwas Besonderes waren? Zwei wie wir, wie oft treffen wir schon aufeinander? Bist du immer so nach dem Sex? Verbietest du dir, dich zu verlieben?“

Kal warf ihm einen spöttischen Blick zu.

„Du bist doch auch nicht verliebt, also warum diese Ansprache? Sowieso, Liebe, was soll das bringen? Sie hält nicht, sie kann ja auch gar nicht halten. Der Mensch liebt die Veränderung. Und unsterblich ist er auch nicht. Also endet Liebe immer mit Betrug oder Entfremdung oder Tod. Je tiefer die Liebe ist…desto stärker verletzt man sich nur selbst. Es gibt keine perfekte Liebe, und warum sollte man sich mit etwas unperfektem zufriedengeben?“

Der Fremde gab auf, schüttelte zynisch den Kopf.

„Dummkopf“, flüsterte er. „Als ob eine perfekte Nacht nichts wert wäre…“

Kal hörte nicht mehr hin. Seine Blicke streiften eine kleine, schwarze Box auf der Konsole, dann schaltete er die Com-Verbindung wieder ein.

„Hallo Vicci, entschuldige die Störung! Da bin ich wieder! Also, was hat Tegra Neris einem einsamen Junggesellen zu bieten?“, fragte er mit einem bitterbösen Seitenblick auf den anderen.

Die Stimme lachte. Inzwischen hatte sich die Kameraverbindung eingestellt. Kal blickte in die Augen einer bildschönen, jungen Frau.

„Ich denke, wir haben alles, was sie benötigen“, lächelte die Frau. „Sie sehen hungrig aus. Direkt hinter der Andockkammer finden Sie einen Lift in den Versorgungs- und Entertainment-Bereich.“

„Entertainment-Bereich?“, fragte Kal interessiert nach. „Besitzt die Station zufällig auch ein Standard-Holo-Interface?“

Wieder ein kleiner, verstohlener Blick auf die Box, in der sich der snirvellinsche Datenkristall mit Crispins Abbild befand. Vicci legte kurz ihre Stirn in grübelnde Falten.

„Kein öffentliches Holointerface, nein!“, meinte sie dann. „Aber einer der Waffenhändler besitzt eine Projektionsvorrichtung um seine Modelle zu präsentieren. Ich bin sicher, er stellt Ihnen das Interface gegen eine kleine Gebühr zur Verfügung. Soll ich ihn kontaktieren?“

Kal lächelte.

„Wow, das ist ein hervorragender Service. Ja bitte, kontaktier ihn für mich, Vicci!“

„Soll ich gleich bei den ansässigen Händlern eine Anfrage nach Korvalin-Erz starten?“

Kal wurde blass. „Ihr habt meinen Lagerraum gescannt?“

„Nur um keine unnötige Zeit zu verschwenden, Kal!“, Vicci erlaubte sich ein Grinsen. „Du musst keine Angst haben, es gibt eine Menge interessierter Händler auf der Station. Genügend, denen es egal ist, ob es in letzter Zeit Diebstähle auf den Handelsrouten gegeben hat!“

Kal atmete erleichtert aus und Viccis Grinsen wurde breiter.

Er mochte sie instinktiv. Eine verdammt hübsche Frau, dachte er. So nett bin ich noch nie auf einer Händlerstation begrüßt worden.

„Also Vicci, dann habe ich ja nur noch ein Problem. Ich würde ungern heute abend allein speisen. Würdest du mir vielleicht Gesellschaft leisten?“

Vicci lachte herzlich.

„Oh Kal, nur zu gerne. Aber das geht nicht. Ich bin nur eine VP!“

Kal nahm die Abfuhr verblüfft zur Kenntnis.

„Eine was?“

„Eine virtuelle Persönlichkeit. Ich habe keinen Körper. Ich bin nur ein Computerprogramm!“

Kals Mund wurde schlagartig trocken.

„Aber…“, stammelte er, „…du wirkst so echt. Ich meine, du lachst und du scherzt und du…eben alles!“

Viccis Lachen verstummte, für einen Moment schaute sie traurig.

„Es tut mir leid, wenn ich dir einen falschen Eindruck vermittelt habe“, meinte sie. „Aber ich bin nur ein Begrüßungsprogramm! Wir sind in diesem Sektor stark verbreitet.“

Kal nickte. Er fühlte sich ein wenig vor ihr gedemütigt, selbst wenn sie nur ein Programm war. Merkwürdig, dachte er, es fiel mir so leicht, sie zu mögen.

Dann kam ihm eine ungeheure Idee.

„Vicci?“, fragte er. „Wie bist du entstanden? Kann ich die Persönlichkeit eines Menschen in ein Programm kopieren?“

Vicci nickte.

„Ja das ist möglich. Ich bin eine ziemlich gute Kopie meiner Programmiererin, nur dass einige zickige Eigenschaften dieser Person hinterher geglättet worden sind!“

Sie lachte auf.

„Und was benötige ich dafür?“, fragte Kal blass.

„Nun, die Zielperson müsste an einem ausgefeilten Psychologietest teilnehmen, wobei die ganze Zeit ihre Hirnaktivität gescannt wird.“

„Oh“, meinte Kal kleinlaut. „Und wenn die Person nicht zur Verfügung steht? Aber man kennt sie aus ganzem Herzen? Gibt es da keine Möglichkeit?“

Wieder legte Vicci ihre Stirn für Sekunden in Falten.

„Der Wiesinger-Dunkeng-Psychologietest. Ein Fragenkatalog aus 23.514 Einzelfragen, der die Person ziemlich gut klassifiziert. Aber das wird eine Menge Zeit benötigen. Falls du es ernst meinst, Kal!“

„Ich habe alle Zeit in der Welt“, meinte Kal aufgeregt, „Und ich meine es todernst!“

Vicci nickte. Ihr Antlitz schien einen Moment wärmer, freundlicher.

„Dann beginnen wir doch gleich, wir haben noch einige Minuten, bis das Docking Manöver abgeschlossen ist. Ich wähle eine Frage zufällig aus. Frage 1063…wie lautet die Lieblingsfarbe der Person?“

Kal schluckte, antwortete aber ohne zu zögern.

„Azurblau!“, sagte er.

Wieder schaute er auf die Box. Zwar hatte Crispin immer behauptet, er würde Kals braune Augen mehr als alles andere lieben, aber er kannte Crispins wirkliche Vorliebe für diese Farbe.

Vicci fuhr mit ihren Fragen fort, die er so gut wie möglich beantwortete. Endlich war der Andockvorgang abgeschlossen.

„Sehen wir uns an der Bar?“, fragte sein außerirdischer OneNightStand. Kal schüttelte den Kopf ohne aufzuschauen.

„Ich bleibe erst einmal an Bord“, meinte er, seine Konzentration voll seine Com-Verbindung richtend.

„Frage 14738…würde die Person im Falle eines Unfalls versuchen, ihr eigenes Leben zu retten oder erst das anderer Leute?“

„Oh!“, meinte Kal. „Das ist nicht so einfach, wie ich es mir gedacht habe!“

„Kein Problem, Kal“, beruhigte ihn Vicci. „Wir machen einfach mit der nächsten Frage weiter. Wir können jederzeit Änderungen vornehmen oder die Antworten anpassen.“

Kalimero nickte nur. Das Bedürfnis zu essen, zu duschen, seinen Lebensunterhalt einzubringen, alles das war auf einmal unwichtig geworden.

Er hörte, wie sich die Schleuse schloss. Der Fremde war gegangen.

Dreizehn Jahre, dachte er traurig auf die Box schauend, und du beherrschst mich immer noch, Crisp!

The Endless Dream, 67 AE, Shining Star:

Es war die leichte vom Meer her wehende Brise, die Katelan schon im ersten Moment gefangen nahm, in dem sie diese fremde im Dunkeln liegende Welt betrat. Es lagen so viele feine Gerüche in ihr, Früchte, Kokos, Lagerfeuer und Meeresalgen, dass sie von einer Sekunde auf die andere vergaß, sie befand sich nur in einer Simulation. Der Sand knirschte unter ihren Füßen und auf ihren Lippen schmeckte sie einen leichten Salzgeschmack. Es roch nach Exotik und Nacht.

Sie hatte noch nie eine Welt mit soviel Meer gesehen. Es nahm den gesamten Horizont ein. Nur die Sterne am Nachthimmel kamen ihr vertraut vor, auch wenn sie keines der Sternbilder wiedererkannte. Es gab sogar riesige Bäume in dem feinen, weißen Sand, die gerippten Stämme waren einen drittel Meter dick und verjüngten sich nach oben, wo seltsame, ausgezackte Blätter in Richtung Himmel abstanden.

Ich nutze die Möglichkeiten dieses Decks viel zu selten, dachte sie ergriffen und lehnte sich an einen Stamm. Sie hatte völlig vergessen, weswegen sie hergekommen war. Sie schaute aufs Meer hinaus und atmete schwer ein und aus, ließ das beruhigendes Rauschen der Wellen auf sich wirken.

„Ganz allein in einer Nacht wie dieser?“, hörte sie auf einmal eine angenehme, männliche Stimme neben sich. Trotz des sanften Tonfalls erschrak sie. Ein Mann hatte sich ihr unbemerkt genähert. Er war attraktiv, hatte kurze, gepflegte braune Haare und blassblaue Augen, die im Mondlicht leuchteten. Er trug eine weite, leichte Hose und ein enganliegendes Muskelshirt, das seine gutgeformte Brust betonte. Sein Lächeln schien ehrlich und gutmütig.

„Oh!“, gab sie zu, „Sie haben mich erschreckt!“

Sie klang nicht unfreundlich, hatte ihre Überraschung schnell überwunden.

„Es ist schön hier!“, sagte sie sanft. „Wo sind wir hier?“

„Auf dem Projektionsdeck?“, antwortete er. Für einen Moment erstarrte sie, sah dem Fremden fest in die Augen. Konnte es sein, dass…nein, der Computer hätte einen realen Eindringling sofort bemerkt und den Alarm aktiviert. Dann begann er zu grinsen und beseitigte ihr Unwohlsein.

„Wir sind auf der Erde, Captain!“, erklärte er. „An der Atlantikküste. Wir schauen auf den Golf von Mexiko. Hier ist Kals Heimat!“

Er machte eine kurze Kopfbewegung nach links. Katelan folgte seinem Blick. Eine hundert Meter weiter befanden sich zwei Personen an einem breit entfachten, knisternden Lagerfeuer Mit zusammengekniffenen Augen erkannte sie, dass es sich um zwei Männer an dem Feuer handelte. Beide lagen mit nackten Oberkörpern dort, der eine von dem anderen zärtlich umschlungen. Sie erkannte den vorderen der beiden Männer, die beide nachdenklich in die Flammen zu starren schienen, es war ihr Pilot, Kalimero. Der andere Mann war derselbe Fremde, der in diesem Augenblick neben ihr stand.

„Es ist schön, Sie einmal kennenzulernen, Jane“, meinte der Fremde, „Kalimero hat mir schon so viel von Ihnen erzählt. Ich hoffe, ich darf Sie Jane nennen? Ich habe den Eindruck, dass Sie viel zu viele Menschen hier nur noch als den Captain sehen.“

Sie überraschte sich selbst damit, dass sie freundlich nickte.

„Vielen Dank! Dann ist es an mir, mich vorzustellen. Ich bin Crispin!“, meinte er und lächelte.

Sie erwiderte sein Lächeln.

„Er hat Geschmack bei dem, was er programmiert!“, teilte sie so etwas wie ein Lob aus. „Aber er sollte sich nicht in seine Phantasien flüchten. Sind sie ein KEN-Modell?“

Es war merkwürdig, aber das Hologramm vor ihr schien von den Worten ein klein wenig beleidigt.

„Nein, ich bin kein Liebhaber-Programm. Sie werden es schon verstehen!“, meinte er dann, eine Spur zuversichtlicher. Sein Lachen erschien ehrlich. Er ist gut, dachte Katelan. Ein ausgefeiltes Persönlichkeitsprofil. Nicht nur eine Standard-Sexpüppchen.

„Er spricht in den höchsten Tönen von ihnen!“, meinte die Person, die sich selbst als Crispin vorgestellt hatte. „Er schätzt ihre Integrität und Offenheit. Ihre Worte heute haben ihn tief getroffen. Glauben Sie mir, er ist viel sensibler als er wirkt. Geben Sie ihm eine Chance, dann werden sie verstehen, dass er viel mehr ist als nur ein guter Pilot!“

„Er hat mit Ihnen über den Vorfall beim Essen geredet?“, spottete sie. „Sie sind also nicht nur ein künstlicher Liebhaber sondern auch noch sein psychologischer Betreuer. Langsam mache ich mir Sorgen um seine Realitätsnähe.“

Sie schüttelte den Kopf, und Cripins wusste genau, was das bedeutete. Ein Schatten legte sich über sein Gesicht.

„Sie irren sich, Captain!“, meinte er ernst. „Ich bin nicht nur ein Ersatz. Kal ist nicht mental instabil. Ich bin real. Ich lebe. Und er liebt mich.“

Katelan belegte ihn mit einem schwer zweifelnden Blick.

„Ich hatte einmal einen eigenen Körper“, erklärte das Hologramm. „Ich war ein Terraner, wie Kal. Wir fanden uns erst spät, aber unsere Liebe zueinander war grenzen- und kompromisslos. Mein Körper starb vor 67 Jahren, drei Tage nachdem wir zueinander gefunden hatten!“

Katelan stieß ihren Atem erschreckt aus.

„Er hat mich zurückgeholt. So gut er es vermochte. Er gab mir einen Körper aus Licht und eine elektronische Seele. Er nennt mich Crispin und er liebt mich. Durch ihre neuartige Projektionstechnologie habe ich endlich einen Körper, den er in den Armen halten kann. Hier atme ich, denke ich, berühre ihn. Wieso sollte ich nicht glauben, dass ich lebe?“

Sie starrte ihn ergriffen an. Ihre Blicke lösten sich von dem freundlichen, attraktiven Gesicht und wandten sich wieder den beiden Männern am Strand zu. Sie bemerkte die liebevollen Gesten zwischen den beiden, Kal der sich wie ein trostsuchender Sohn an der Brust des anderen schmiegte. Der Anblick erwärmte etwas in ihr, in ihrem Körper begann eine Stimme zu singen.

„Wir sind leicht zu täuschen“, meinte sie, von sich selbst überrascht, dass sie sich auf eine philosophische Debatte mit einem Hologramm einließ. „Vasquez liebt Sie vielleicht. Aber Sie? Sie sind doch nur ein Programm. Sie sind entworfen, ihn zu lieben. Wo soll da ein freier Wille sein? Wie können Sie so etwas Liebe nennen?“

Der Fremde grinste, so als ob er die Frage erwartet hätte.

„Sie lieben ihn doch auch!“, meinte er und Katelan zuckte getroffen zusammen.

„Auf eine andere, vielleicht eher mütterliche Art!“, beruhigte er sie dann. „Aber doch haben sie keine Erklärung dafür, warum sie ihn so gern haben, oder? Er gehört einer fremden Spezies an, er hat irritierende, sie zur Weißglut bringende Eigenschaften, aber dennoch…sie würden es als schweren persönlichen Verlust empfinden, wenn er die Shining Star verlassen würde.“
“Sie wissen nicht, warum sie so empfinden, aber wenigstens sind sie sich selbst gegenüber ehrlich und geben es zu, dass sie ihn mögen. Wieso? Wo ist ihr freier Wille dabei? Sie sind auch nur programmiert, ihn zu lieben, Jane. Bei ihnen sind es neuronale Erinnerungsmuster, biochemische Molekülketten, bei mir ist es Elektronik und Programmiercode. Aber das Resultat ist doch genau dasselbe, oder?“

Katelan schwieg nachdenklich. Seine Worte hatten alles geändert. Auf einmal sah sie ihn nicht mehr als ein moralisch fragwürdiges Hologramm. Er war ein gleichwertiger Gesprächspartner geworden.

Die beiden Männer am Strand lösten sich. Der Crispin an ihrer Seite löste sich einfach auf, so als hätte es ihn nie gegeben. Aber der andere Crispin am Feuer war noch da, redete auf Kal ein, zeigte dann auf die Palmenreihe, in der sich der Captain verborgen hatte.

Der mexikanische Pilot strich sich mit den Händen ungeschickt die Sandkörner von seinem freiliegenden Oberkörper herab, dann näherte er sich mit schuldbewusstem Blick.

„Captain!“, meinte er verdrossen, „Was vorhin geschehen ist…“

„Nein!“, unterbrach sie ihn. Ihr war bewusst, wie peinlich ihm die Situation sein musste, und wollte sie schnell beenden.

„Es war ein kultureller Unterschied, der zu einem Missverständnis geführt hat“, meinte sie. „Sie müssen sich nicht entschuldigen, wenn sie mir versprechen, nie wieder so eine Situation herbeizuführen.“

Kal schenkte ihr ein erleichtertes Lächeln.

„Aber ich gab Ihnen den direkten Befehl auf ihr Quartier zu gehen, und Sie haben sich diesen Anweisungen widersetzt“, sagte sie hart und unmissverständlich. „Gehen Sie jetzt, ich werde mir eine Strafe für ihre Insubordination einfallen lassen.“

Kalimeros Lächeln verschwand sofort. Er warf einen letzten Blick auf Crispin, der Katelan einen Stich ins Herz sendete, dann verließ er wie ein begossener Pudel das Deck.

Crispin blieb und grinste sie an.

„Ich verstehe, warum er sie so gut leiden kann“, meinte er, dann begleitete er sie zur Tür des Decks.

Sie starrte ihn verwundert an, die Hand schon an der Steuerungskonsole. Seine blauen Augen strahlten, seine Zähne blitzten so weiß, wie sie es auch an Kalimero so mochte.

„Es war schön, sie kennenzulernen, Jane!“, meinte er, und erstaunlicherweise hätte sie beinahe das Kompliment zurückgegeben. Aber schon berührten ihre Fingerspitzen die Konsolentasten und der Mann, der Strand, der Sternenhimmel, alles verschwand im Bruchteil einer Sekunde.

Sie fühlte sich leer. Eben hatte dieser Crispin noch geatmet, gedacht, gefühlt, sagte sie sich selbst. Jetzt existiert er nicht mehr. Könnte man behaupten, ich habe ihn eben durch einen Fingerdruck ermordet? Wie muß es sich für Kalimero anfühlen, den Menschen, den er liebt einfach abzuschalten? Ist es so entstanden? Hat deswegen Mord und Tod für ihn keine Bedeutung mehr?

Oder hat er ungleich fürchterlicheren Horror überstanden?

Connective Surgery, 31 AE, 36 Jahre zuvor, Keren Dolgador:

Donner! Blitz! Schreie! Dreck in seinem Gesicht! Heisse Flüssigkeit! Blut oder Matsch? Kreischen! Mensch oder Metall?

Fuck, beschwor er sich selbst, Fuck, wie konnte ich nur so dumm sein und in diesen Krieg geraten? Crispin schrie ihn über den Ohrstecker an, aber er Kalimero war zu entgeistert, um die Worte deuten zu können.

Das Trommelfeuer wurde immer heftiger, Kals Ohren schrien schon seit Stunden auf, er zog sich immer tiefer in den Graben zurück, robbte hinter seine Gefährten. Plötzlich war für einen Sekundenbruchteil alles still, eine gespenstige Leere, doch auf einmal brach eine Feuerwelle über die Soldaten herein und der Knall einer gewaltigen Explosion.

Etwas berührte ihn sanft und warm an der Wange. Seine Ohren sangen, aus dem kleinen Lautsprecher in seiner rechten Ohrmuschel krächzten Geräusche, die sich erst nach längerer Zeit wieder zu Worten manifestierten.

„Gib nicht auf!, erkannte er endlich wieder Crispins Stimme. „Du bist nicht allein! Halt dich unten und in Sicherheit. Sie können ja nicht alle töten!“

Er merkte jetzt erst, dass er während der letzten Detonation die Augen geschlossen hatte. Langsam öffnete er sie wieder.

„Plasmagranaten!“, schrie einer der anderen Soldaten.

Sein Blick fiel auf einen abgetrennten Fuß, keinen Meter von ihm entfernt. Er fuhr mit der Hand auf den warmen Fleck auf seiner Wange. Es war Blut. Er starrte auf den dunklen Nachthimmel, durch den die künstlichen Blitze zuckten. Apokalypse, dachte er.

„Das ist nicht fair!“, wimmerte er, glitt immer tiefer ins Dunkle des Grabens. „Madre de Dios, ich bin kein Soldat. Dafür bin ich nie ausgebildet worden.“

Zwei Hände packten ihn an den Uniformaufschlägen.

„Schnapp dir ein Gewehr und kämpfe, Pilot“, schrie ihn der Sergeant an. „Du hättest die Mühle oben behalten sollen, aber ohne deinen Vogel bist du nur einer von uns, also mach dich nützlich.“

Dann spürte er das kalte Eisen einer Waffe in seinen Händen.

Panik wallte in ihm hoch, er wusste nicht mehr, vor wem er mehr Angst haben sollte, den feindlichen Soldaten oder der monströs verunstalteten Fratze des Sergeants. Unendlich langsam schob er das Mündungsrohr seines Gewehr über den Grabenrand, dann auch den oberen Teil seines Gesichts, seine Augen starrten in das Zielfernrohr.

Da waren sie. Grüne Schemen die auf sie zuhuschten.

Er weinte, während er den Kolben des Gewehr immer stärker an seine Wange drückte. „Was tust du?“, fragte Crispins virtuelle Persönlichkeit aufgeregt in seinem Schädel. Die mit Viccis Hilfe erschaffene Rekonstruktion seines Geistes befand sich in einem Großrechner innerhalb des Mutterschiffs. Sie hatten Funkkontakt zueinander, aber Crisp konnte nicht sehen, was hier auf der Planetenoberfläche vor sich ging.

Kalimero drückte ab. Einer der Schemen in seinem Okular brach zusammen. Weinend visierte er den nächsten an. Die Schemen waren bereits in Deckung gesprungen, aber es gab noch einige nur halb verdeckte Körper.

Als er wieder abdrücken wollte, wurde es hell. Das Licht war überall, gleißend, es nahm dem Kriegsschauplatz den Lärm. Kal spürte es überall, heiss, sengend, und trotz des plötzlich heftig brennenden Schmerzes in seinem Oberschenkel fühlte er Frieden über sich hereinbrechen.

Langsam zog sich das gleißende Licht in seinem Schädel zurück. Unendlich langsam meldete sich sein Körper zurück, erst das Pfeifen in seinen Ohren, dann die unterschiedlichen Helligkeitsstufen in seinen Augen. Dann der Schmerz! Er schrie gellend auf.

„Keine Sorge, es kommt alles in Ordnung!“, beruhigte ihn eine fremde Stimme von oben. Beunruhigt wollte Kal zu seinen Ohren greifen, etwas fehlte, aber dann begriff er, dass er auf so etwas wie einer Liege festgeschnallt war.

Jemand leuchtete ihm mit einer Taschenlampe in die Augen.

„Volles Bewusstsein, keine Traumata erkennbar“, meinte dieselbe Stimme, die ihm versprochen hatte, alles käme in Ordnung. „Wir werden Ihr Bein retten können!“

„Wo ist Crisp?“, stammelte er.

Die Decke war minzgrün gestrichen. Er kannte diesen Farbton. MedBay. Irgendeine Krankenstation. Er war raus, raus aus der Hölle.

Langsam begriff er, was um ihn herum vorging. Es gab viele Liegen in diesem Raum, dazu zwei oder drei Soldaten. Die Uniformen waren fremd, er war also ein Krieggefangener. Auch wenn man versucht hatte, diesen Raum sauber zu halten, waren überall auf dem Boden und den einst weißen Laken Blut und Eiterspritzer zu erkennen. Es stank nach Desinfektionsmittel, Blut und Urin.

„Wo ist mein Ohrstecker?“, fragte er.

Der Arzt sah ihn kurz irritiert an, dann ignorierte er die Frage. Er sprach einige Befehle in ein Mikrofon, daraufhin setzte sich ein spinnenartiger Roboter in Bewegung, krabbelte auf Kals Bein. Kalimero sah offenes Fleisch dort und den Teil seines Oberschenkelknochens. Ihm wäre übel geworden, aber es schien ihm, als wäre er nicht mehr Herr über die meisten seiner Geistesfunktionen.

Der Roboter bewegte surrend einen seiner vier Arme, wie unter einer Nähmaschine wurde die Wunde erst geklammert und dann zusammengenäht.

Kal blickte wieder verwundert auf den Arzt. In seiner Erscheinung glich er einem Bewohner von Keren Dolgador. Er steckte in einem typischen MedBay-grünem Arzt-Kittel und vermittelte einen professionellen Eindruck. Aber sein halber Arm war in der Unterseite der Liege verschwunden, so als wäre er nur ein Geist

„Sie sind ein Hologramm?“, stellte er benebelt fest.

Der Mediziner bedachte ihn mit einem kurzen Blick.

„Denken Sie, man würde echte Ärzte an die Front schicken?“, meinte er, nicht unfreundlich aber ungeduldig. „Und nun lassen Sie mich meine Arbeit machen!“

Kal schaute begierig zu. Das Arzt-Hologramm schien nur zur Untersuchung und Analyse vorhanden zu sein. Er gab Anweisungen an die kleinen Med-Roboter weiter, die dann die Wunden versorgten oder Medikamente verabreichten. Je länger Kal das Hologramm bei der Arbeit beobachtete, desto wacher und interessierter fühlte er sich.

„Wie ausgefeilt ist ihre Persönlichkeit?“, fragte er das Programm, als es wieder einmal in Hörweite des verletzten Piloten kam.

„Sie stellen viele unnötige Fragen“, antwortete der Mann barsch. Die Antwort allein bestätigte Kals Vermutung. Sein Herz klopfte höher.

„Auf jemanden wie Sie habe ich lange gewartet!“, meinte er schwach lächelnd. „Ich bin sicher man könnte ihre Persönlichkeit durch eine beliebige VP ersetzen. Und ihr optisches Erscheinungsbild umändern.“

Der Arzt blickte ihn kurz interessiert an.

„Das wäre durchaus möglich, solange sie nicht meine primäre Programmierung als Sanitäter verändern.“

„Oh, ich glaube auch das wäre zu bewerkstelligen, wenn ich direkt in ihre Hardware eingreife. Ich werde eines von ihren Modellen entwenden und es ausprobieren müssen!“

Der Arzt wirkte keineswegs beunruhigt, nur ein Spur argwöhnischer, so als habe er es mit einem Patienten zu tun, der am Abgrund des Wahnsinns stand.

„Das können Sie nicht tun“, antwortete er mit harter Stimme. „Diebstahl ist zutiefst unethisch! Außerdem würden Sie durch so eine eingreifende Umprogrammierung mein Wesen und meine Zweckbestimmung zerstören.“

Für einen kurzen Moment wirkte Kalimeros Gesicht verzweifelt, aber der Pilot fasste sich schnell.

„Es ist nicht das erste Mal, das ich stehlen muss, um zu überleben“, flüsterte er in sich selbst versunken. Er dachte an die Schemen in seinem Zielfernrohr, an die grünen Silhouetten. Soldaten…Menschen!

„Oder morden!“

Goodbye to all that, 68 AE, Shining Star:

„Dos café negros, por favor!“, meinte Captain Katelan zu dem dunkelhäutigen, weißlivrierten Kellner.

„Na, wie war mein mexikanisch für den ersten Versuch?“, fragte sie Crispin aufgeregt.

„Spanisch!“, berichtigte er sie lachend, dann schob er einen Baccara-Stein drei Felder nach rechts. Sie saßen zu zweit auf einem sonnenumfluteten Platz vor einem mexikanischen Straßencafe.

„Aber wir befinden uns in Mexiko und diese Stadt hier heisst…Tijuana?“

„Genau“, meinte Crisp. „Einer von Kals Lieblingsplätzen. Ich glaube, seine Großeltern stammen von hier.“

„Es ist wirklich wunderschön!“, schwärmte der Captain. Sie genoß ihre Freizeit auf dem Holodeck. In letzter Zeit nahm sie sich öfters die Gelegenheit, hier ihre spärlichen freien Stunden zu genießen.

„Ich verstehe nicht, warum du dir die Mühe machst, diese tote Sprache zu lernen. Außer Kal dürftest du die einzige sein, die noch spanisch sprechen kann!“

„Betrachte es als ein Hobby. Dieses Spanisch klingt viel aufregender als euer Englisch. Und es fühlt sich so authentisch an, an einem Platz wie diesem die Worte der Einheimischen zu benutzen. Es ist wirklich schade…“

Sie verstummte.

„Ich hätte beinahe gesagt, es tut mir leid.“, setzte sie pikiert fort, „Aber…empfindest du überhaupt Trauer, Crispin? Dass euer Volk ausgelöscht wurde?“

Er legte seine Stirn in Falten.

„Nein“, antwortete er. „Das nun wirklich nicht. Ich habe keinerlei Erinnerung an die Erde. Kal hat mir alles erzählt, was geschehen ist, wie wir uns kennengelernt haben. Aber die echten Erinnerungen konnte er mir nicht geben. Noch nicht!“

„Noch nicht?“, hakte Katelan nach und schob einen weiteren Stein vor.

„Du hast gewonnen!“, erkannte Crispin. „Nicht übel. Am Anfang glaubte ich, du würdest Monate brauchen, bis du mich in meinem Lieblingsspiel einmal schlagen könntest. Aber du bist einfach eine zu gute Strategin und eine hervorragende Schülerin!“

Er lächelte, griff zu dem dunkelgrünen Getränk auf dem Tischchen, nahm einen tiefen Schluck. Erst als sie nicht mehr daran glaubte, dass er antworten würde, fuhr er fort.

„Vor 30 Jahren war ich nur eine Stimme. Inzwischen kann ich Kal berühren. Wir hätten nie davon geträumt, dass es möglich sein könnte. Aber der Fortschritt ruht nicht. Vielleicht bekomme ich eines Tages meine Erinnerungen zurück. Vielleicht habe ich irgendwann einen Körper und echtes Blut und alles das, was einen realen Menschen ausmacht. Oder Träume!“

„Wünscht du dir das?“, fragte Katelan.

Er hob an, um zu antworten, sein Mund öffnete sich schon, aber auf einmal flackerte das Bild, das Programm deaktivierte sich von allein, Crispin löste sich in einem Schleier aus Luftpartikeln auf.

Katelan öffnete überrascht den Mund, da bemerkte sie den Summton und das gelbe, flackernde Signal an der Wandkonsole, es war Alarm ausgelöst worden. Ohne zu zögern verließ sie das Deck, hastete auf die Brücke.

„Bericht!“, rief sie.

„Ein Hinterhalt“, meldete der Nav-Offizier. „Das Shuttle ist auf dem Weg zurück zur Shining Star. Der Jäger…“, der Mann hielt einen Augenblick erschreckt inne, „Wir haben ihn verloren!“

„Was?“, flüsterte der Captain entgeistern. „Kalimero?“

„Es kommt eine Botschaft vom Shuttle herein. Es gab einen Angriff. Schilde sind runter, Triebwerke leicht beschädigt, aber sie konnten fliehen. Sie…sie haben den Piloten. Kalimero wurde herübertransportiert, bevor der Jäger explodierte. Aber er ist schwer verwundet.“

„Fliegen Sie dem Shuttle mit voller Energie entgegen. Bereiten sie einen Nottransport in die Krankenstation vor!“

„Verstanden!“

Katelans Herz schlug einen Schlag schneller. Sie hatte eine üble Vorahnung und vorzeitige, schwere Angst ergriff sie. Merkwürdigerweise dachte sie an Crispin.

Sie hielt Kalimeros zitternde Hand.

„Keine Angst, es wird alles wieder gut!“, beschwor sie ihn, mit einem feuchten Film in den Augen. Kalimero schüttelte den Kopf. Der zuständige Mediziner auf der Krankenstation schickte ihr einen ernsten, eindeutigen Blick.

Der Pilot war nicht mehr wiederzuerkennen. Seine Haut war mit dem Plastik des Anzugs verschmolzen. Seine Augen blickten blind und weiß an die Decke. Das Gesicht war vollständig verbrannt, Hitzewunden dritten Grades.

„Er wird sterben!“, flüsterte der Med ihr zu. „Zwei, drei Stunden können wir ihn noch mit Schmerzmitteln am Leben erhalten. Danach…es gibt keine Chance mehr.“

Sie schüttelte angewidert den Kopf.

„Noch geben wir nicht auf!“, sagte sie laut. „Er gehört zu uns. Geben sie alles!“

Der Med zuckte nur mit den Schulter, dann machte er sich wieder an seine Instrumente.

„Retten sie mich!“, krächzte Kalimero zuckend immer wieder. Der Universaltranslator an seinem Revers war verkohlt und ausgefallen, aber Katelan kannte inzwischen die Sprache des Fremden gut genug, um die Brocken zu verstehen. „Save me!“, beharrte er auf englisch, dieser merkwürdigen Heimatsprache, an die sich Jane inzwischen so gewöhnt hatte.

„Ich kann nicht!“, stammelte sie den Tränen nahe. „Es tut mir so leid, Kal, ich kann nichts tun!“

„Save me!“ Sein Ton wurde eindringlicher. „For Crisp“, stammelte er gebrochen. „…must survive…can’t…stop existing!“

Ohne Scheu ließ sie jetzt die Tränen zu, sie kullerten murmelgleich über ihre Wangen.

Er starrte ihr in die Augen, unfähig zu begreifen, dass sie nichts tat.

„Don’t you understand? Jane!“

Dann endlich begriff sie. Sie hatte seine Worte falsch interpretiert. Er flehte nicht um Rettung.

„Schnell!“, rief sie. „Wir brauchen sofort einen Hirnscanner. Und richten sie eine Datenverbindung zum Projektionsdeck ein!“

Creation, 34 AE, 32 Jahre zuvor, Outer Keren:

Und noch ein Versuch, seufzte Kal, drückte die Enter-Taste und sah den Debugger-Code heruntersprudeln. Er schloß die Augen, die von der langen Programmierarbeit schmerzten. Es kam ihm vor, als hätte er monatelang nicht geschlafen. Wenn er genau darüber nachdachte, hatte er es auch nicht.

Seine mechanischen Grundkenntnisse beschränkten sich auf Raumschiffe und Triebwerke. Er war kein verfluchter Ingenieur. Die dolgadische Hologrammtechnik schien einfach nicht mit einem SHI kompatibel zu sein. Nach Monaten der Einarbeitung hatte er zwar die Programmstruktur endlich verstanden, aber immer wieder traten Bugs und unerwartete Verzweigungen auf, die ihn zwangen, ganze Blöcke komplett neu zu überarbeiten.

„Hallo?“, fragte eine Stimme im Dunkeln.

Er öffnete erstaunt die Augen. Die Debug-Routine war abgeschlossen. Fehlerlos. Er konnte es kaum glauben…

Crispin stand vor ihm.

In dem Kellerloch, in das er sich vor einem Jahr eingemietet hatte, stand die Gestalt, die ihm die Snirvellins einst überlassen hatten. Aber diesmal atmete sie. Blinzelte. Und schaute ihn an.

„Wo bin ich?“, fragte er.

Obwohl er seine Stimme schon vor langer Zeit perfektioniert hatte, ließ die Kombination aus Bild und Ton eine Gänsehaut auf Kals Körper erscheinen.

„Crispin!“, krächzte er.

Das Hologramm legte seinen Kopf verwundert schief. Jeder Tonfall, jede Geste stimmte.

„Wer bist du?“, fragte es.

Kal schluckte.

„Ich bin’s, Kalimero!“, sagte er, gegen den Trubel aus Freude, Stolz und Sehnsucht in seinem Körper ankämpfend.

Crispins Gesicht erhellte sich.

„Kal!“, rief er. „Endlich sehen wir uns wieder! Du ahnst nicht, wie sehr ich es vermisst habe, dich sehen zu können!“

„Ich auch, Crisp! Ich auch!“

Kal stand auf. Er streckte seine Hand aus, Crisps schoss nach vorne, um sie zu greifen. Ihre Finger glitten durch einander hindurch, aber keiner der beiden störte sich daran.

All the time in the World, 68 AE, Shining Star:

„Hallo!“, meinte Kalimero und lächelte sie sanftmütig an. Er sah blendend und gesund aus. Seine weissen Zähne blitzen, seine braunen Augen funkelten unter der schwarzen Haartolle.

„Vielen Dank! Sie haben mein Leben gerettet!“, sagte er.

Jane Katelan schüttelte ihren Kopf. Die Verzweiflung hatte tiefe Ringe unter ihren Augen erzeugt.

„Ich habe sie nicht gerettet, Kal! Sie sind gestorben“. Sie konnte kaum weitersprechen, schwieg einen Moment und schluckte schwer. „Sie sind vor dreizehn Minuten in der Krankenstation von uns gegangen! Wir konnten sie nicht retten!“

„Die Zeit hat genügt, Jane. Ich konnte vollständig heruntergeladen und abgespeichert werden. Ich bin nicht gestorben.“

Sie schaute ihn mit verschleiertem Blick an.

„Glauben Sie das wirklich?“, hinterfragte sie ihn. „Glauben sie wirklich, Sie sind Kal Vasquez und nicht nur das Replikat eines verstorbenen Menschen?“

„Ich bin es!“, sprach er, resolut lächelnd. „Vollkommen. Ich habe sogar noch meine Erinnerungen, meine Ziele, meine Träume. Ich fühle und liebe, Kate. Natürlich bin ich der echte Kal Vasquez!“

Von hinten schob sich Crispin heran. Er legte seine Arme um Kalimeros Hüfte, seinen Kopf in dessen Nacken, sog die Atemluft tief durch die Nasenlöcher ein.

„Er ist es!“, sagte auch der andere. „Für mich ist er viel realer, als er es noch gestern war. Ich danke dir auch, Jane. Ich glaube nicht, dass uns ein anderer verstanden hätte.“

Sie schüttelte den Kopf, hielt ihre Tränen nicht mehr zurück.

„Es war ein Fehler!“, weinte sie, „Das ist doch Irrsinn!“

Sie wandte sich ab von den beiden Hologrammen, aktivierte die Wandkonsole. Ihre Finger berührten die Tasten sanft.

„Vor zwanzig Jahren starb meine Großmutter“, erklärte sie, einen verletzten Blick auf die beiden Hologramme werfend. „Wir stellten ein Bild von ihr auf dem Kaminsims auf. Mein Großvater liebte sie sehr, verbrachte viele Stunden vor diesem Bild. Jeden Tag redete er mit ihr, wurde immer trauriger. Wenige Monate später folgte er ihr dann. Er ist aus Kummer gestorben. Meine Mutter stellte sein Bild neben ihrs. Ich konnte es nicht verstehen. Sie waren doch beide tot. Es waren doch nur Bilder, aber jeder tat, als würden die beiden noch dort vom Kamin auf uns herabsehen. Ihr Anblick erzeugte nur Trauer und Schmerz.“

Sie schluckte.

„Und jetzt ihr beiden. Mit eurer perfekten Liebe. Das tue ich mir nicht an!“

Ihre Finger berührten die Konsolenelemente. Nur ein weiterer Druck, und die Hologrammdatenbank würde gelöscht werden.

„Bitte, Jane!“, unterbrach sie Crispin sacht.

„Die Bilder deiner Großeltern! Du hast sie vom Kamin heruntergenommen, oder? Als es niemanden mehr kümmerte“, riet Kalimero.

„Und dann?“, fragte Crispin weiter. „Was hast du mit den Bildern gemacht? Hast du sie zerstört? Oder irgendwo aufbewahrt, wo sie niemand mehr sah?“

Sie starrte ihn wortlos an.

„Was auch immer, Jane!“, schloss er. „Ich wette, eines hast du dich nicht getraut. Du hast die Bilder nie voneinander getrennt. Warum nicht? Was hättest du bei dem Gedanken gefühlt, die Bilder von den Menschen auseinander zu stellen, die ihr Leben lang zusammen waren?“

Katelans Finger verloren ihre Entschlossenheit. Sie trat einen Schritt zurück.

„Ich werde nicht so tun können, als wärt ihr nicht gestorben!“, meinte sie kraftlos. „Es tut mir leid, aber ich werde euch nicht wiedersehen. Auch wenn ich euch nicht löschen werde, so werden eure Programme doch nicht mehr aufgerufen werden. Ich gebe euch noch eine Stunde, dann deaktiviere ich das Programm.“

Kal schaute ihr hinterher, bis sie das Deck verlassen hatte.

Dann drehte er sich mit einem triumphierenden Lächeln zu seinem Liebsten.

„Eine Stunde!“, lachte er. „Als ob Zeit noch eine Bedeutung hätte für uns!“

Crispin schmiegte sich an ihn.

„Ich habe die Firewall schon vor Wochen durchbrochen. Sie hätte uns nicht löschen können.“

„Was siehst du?“, fragte Kal begierig. „Wie ist es?“

„Ich habe die Schiffsensoren. Millionen Sterne, Milliarden Signale. Es ist wunderschön. Ich habe eine Funkverbindung zu einer dichtbevölkerten Agrarkolonie. Kal, wir sind frei. Wir können jederzeit verschwinden!“

Er beugte sich nach vorne, küsste seinen Geliebten. Er umarmte ihn fest, drückte seinen Körper an sich, als ob er ihn verschlingen wolle.

„Was spürst du?“, fragte Crispin.

„Deinen Körper? Deine Wärme, deine Nähe…alles von dir!“

Er lächelte, dann löste sich die Projektion auf, Crispins Körper verschwand in einem Nebel aus Photonen.

„Was spürst du jetzt?“, hörte Kal Crisps Stimme in seinem Kopf.

Er konzentrierte sich.

„Ich bin Code“, dachte er. „Ich bin Daten. Ich bin eine Seele.“

Er griff aktiv in die Holgrammprogrammierung ein und löschte seinen Körper. Auf einmal sah er nicht mehr durch seine Augen, aber er war alles andere als blind. Er war die Shining Star. Er sah das All, hörte unzählige Stimmen. Er war überall.

„Ich spüre deine Nähe!“, antwortete er. „Ich spüre deine Essenz, deine Seele, Crispin!“

Sie waren Elektronen, Datenströme, die durcheinanderwirbelten, sich umfingen, sich vereinigten und wieder auflösten.

„Sie hatte recht“, sprudelte es lachend als Kalimero heraus. „Wir haben sie gefunden. Die perfekte Liebe!“

ENDE

Epilogue, 102 AE, Myridia Prime:

Die Entfernung des Planeten zur Sonne betrug nur 95 Millionen Kilometer. Der Himmel war so hell, dass seine Augen schmerzten, sobald er die Kabinenluke öffnete. Das grelle, gelbe Licht erleuchtete das Innere seines Jägers komplett, obwohl er die Sichtscheiben vollständig abgedunkelt hatte. Er kniff die Augen zusammen und maß die Entfernung zum Flugdeck, dreissig Meter, das dürfte zu schaffen sein.

Er sprang aus dem Raumschiff und tauchte in die gelbe Helligkeitsflut ein. Er rannte geduckt über das Landefeld, seine Hände über seinen Nacken gepresst, der sich wohl am schnellsten eine Hautverbrennung zuziehen würde. Der Asphalt unter seinen Füßen war siedendheiss, aber er schaffte es zu dem unter dicken Asbestplatten gelagerten Hangar, bevor die Hitze seine Stiefelsohlen komplett durchdrungen hatte.

Er hielt inne und schnappte erleichtert nach Luft. Hier herrschte angenehme Kühle. Myridia Prime war ein Höllenplanet, aber die Landegebühren günstig und die Population gering und friedlich. Er mochte diese Hölle lieber, als die überfüllten Terminals in den Metropolen der Handelsplaneten.

Er zog seine Lederhandschuhe aus und suchte sich eine freie Konsole im Abfertigungsbereich.

„ID 29614-KF“, sprach er in das Mikrofon. „Verbindung zum HEAD-HQ, Einforderung einer Prämie betreffend Subjekt Kartano, Noar.“

„ID bestätigt“, sagte eine sanfte, weibliche Stimme aus der Konsole, „Verbindung wird aufgebaut. Bestätigung für Auftrag Kartano, Noar wird abgerufen. Kopfgeldprämie zehntausend Credits wird abgerufen.“

Er wartete gespannt. Die Zehntausend waren eine Menge Schotter. Er brauchte das Geld für Reparaturen und Treibstoff. Es musste alles glatt gehen.

Irgendetwas geschah. Ihm schien, als ob sich das Licht in der Konsole verdunkeln würde. Es herrschte Stille, die Bestätigung hätte längst ertönen müssen. In ihm verbreitete sich eine leichte Beunruhigung.

Er starrte immer noch angespannt auf die Konsole, als der Lautsprecher leise knackte und der Hauch einer leisen Stimme, wie die eines Geistes, ertönte:

„Rob…?“, flüsterte die männliche Stimme sanft.

Er zuckte zusammen. Die Stimme traf ihn durch Mark und Bein. Er kannte sie, aber er konnte sie nicht zuordnen. Wie die Stimme seines Vaters, dessen Bild und Wesen er längst verloren hatte, steckte die Erinnerung immer noch in seinen Knochen. Aber nach den Hunderten von vergangenen Jahren war sie von unzähligen Erlebnissen verschüttet und tief vergraben.

„Rob, du bist es wirklich?!“, fuhr die Stimme erstaunt fort. Er hörte das leichte Surren einer Überwachungskamera über sich, die ihn genauer fokussierte.

Eine Gänsehaut breitete sich über seinen gesamten Körper aus. Die Erinnerung schob sich langsam heran, wie ein Ozeandampfer durch den Nebel. Er sah Ullus Major vor sich, seine erste Ausbildungsstätte, die Erinnerungen waren noch klar, weil die Erlebnisse damals mit die Einschneidensten seines Lebens waren.

„Wie ist es dir ergangen?“, fragte die Stimme. „Wie hast du überlebt? Keiner der Piloten hätte je geglaubt, dich jemals wiederzusehen, als du den Hailespond verlassen hast. Bist du darum der Zerstörung der Erde entgangen?“

Hailespond!
Zerstörung der Erde? Entkommen!
Die Armageddon!
„Kalimero“, krächzte er. Leise. Zärtlich.

„Ja, Rob!“, meinte die Stimme seines ehemaligen Kopiloten, freundlich erregt. „Crispin ist auch bei mir. Das ist ein Wunder. Es haben nur so wenige Menschen überhaupt überlebt! Dass wir drei uns einmal wiedersehen…wie geht es Troy?“

Rob Spato legte seine Hand auf die Konsole. Er wusste nicht, wo sich Kal und Crispin befanden, aber es fühlte sich nah an. Zärtlich streichelte er über das Metall. Tränen liefen ihm über beide Wangen.

Nach mehr als einhundert Jahren hatte er einen Menschen zum Reden gefunden…

…..TO BE CONTINUED…..

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