Margie 48 – Mandelblütenduft

»Mist«, unterbrach uns Ronald und Angelo schloss den Mund, den er bereits geöffnet hatte um etwas zu sagen, »ich hab in der Eile vergessen, den Wagen abzuschließen. Bin gleich wieder da.«

Noch bevor mir oder Angelo etwas dazu einfiel, war Ronald verschwunden, wir hörten die Wohnungstür.
Nun standen wir beide alleine da. Ich wäre jede Wette eingegangen, dass Ronald nicht plötzlich die Bildfläche verließ. Ob er wirklich nicht abgeschlossen hatte, das wusste ich allerdings nicht. Ich blieb bei meiner felsenfesten Überzeugung, dass er uns alleine lassen wollte.. Ob das nun gut oder schlecht war spielte keine Rolle in dem Moment. Natürlich hatten wir beide nicht damit gerechnet und sahen wir uns erst mal etwas bedeppert an.

Dann riss ich mich zusammen. Es musste gesagt werden, egal welche Konsequenzen das nach sich zog. »Angelo, ich möchte mit dir jetzt kein ernstes Wort reden. Aber ein paar Dinge sollten wir klären, ein für alle mal.« Ich setzte mich auf einen der Stühle und Angelo tat es nach. Scheinbar war er bereit, mir zuzuhören. Immerhin, ein Meilenstein war erreicht.
»Als wir vorhin ankamen, waren Willards Leute vorm Haus. Also, ich denke mal dass sie es gewesen sind. Wichtig ist ja nur – willst du da immer noch mitmachen?«

Angelo fischte sich eine Zigarette aus der Packung auf dem Tisch. »Was heißt, sie waren da?«

»Sie wollten definitiv zu dir. Hundert zu eins würd ich mal wetten, dass sie mit Willard zu tun hatten. Wir, also Ronald und ich, haben sie abgewimmelt. Aber sie werden wiederkommen und wir.. also ich, Ronald, Sebastian und dein Vater, wir.. nun wir finden es nicht gut wenn du bei denen..«

»Hast du nicht gesagt, du würdest mitmachen?«

»Klar, hab ich. Aber nur dass du dort nicht alleine bist.. ich glaub nicht dass mir das wirklich Spaß machen würde.«

»Ach, auf einmal?« Angelo zog tief an der Zigarette. »Und wieso soll ich nicht?«

»Weil es nicht zu dir passt. Du gehörst da nicht hin. Und denk doch mal, wie willst du das überhaupt machen, dein Beruf und die..?«

»Ich denke, das ist mein Problem.«

Ich schnaufte. »Angelo, eben nicht. Wir.. wollen nicht dass du dort untergehst. Sieh mal, Sebastian kümmert sich um dich, deine Karriere. Natürlich ist es deine Sache, du bist alt genug, aber.. tus um meinetwillen nicht. Bitte.« Damit brachte ich den Punkt auf mich. Nicht die anderen waren wichtig, das ging mich in der Tat nichts an.

Angelo lehnte sich zurück und sah an mir vorbei in die Wohnung. »Ich.. muss mir das überlegen..«

Aha. Er hatte anscheinend noch gar keine konkrete Entscheidung getroffen. Schaden konnte es jetzt nicht, nach weiteren Argumenten, die dagegen sprachen, zu suchen. »Angelo.. du gehst mir aus dem Weg.. sag mir bitte, warum?«

»Was ist mit Ronald und dir?« Das klang schon wieder nach ausweichen.

»Was soll sein? Wir haben uns bei Sebastian getroffen, zufällig. Du weißt ja, dass Ronald nicht schwul ist. Von daher.. Er.. es tut ihm wirklich leid was zwischen ihm und dir passiert ist. Übrigens, er war nur geschockt, deshalb hat er so reagiert. Rede mit ihm, er.. « Verdammt, ich war schon wieder dabei, andere vorzuschieben. »Ja also, rede einfach mit ihm.. Aber du hast mir noch nicht auf meine Frage geantwortet.. Angelo, wenn du mich für immer loswerden willst, dann sag das bitte. Jetzt und hier. Ich geh und werd dich in Ruhe lassen.« So einfach wie ich das da runterleierte war es natürlich keinesfalls. Ein Kloß schob sich langsam in meinen Hals und während ich auf eine Antwort wartete, sah ich mir Angelo genauer an. Hatte er sich verändert, seit dem Tag, als wir uns vor dem Theater das erste Mal begegnet waren? Ja, ich fand schon. Er hatte abgenommen, wenn auch nicht viel. Es stand ihm gut, irgendwie. Die Frage war, warum war er dünner geworden?
Ich wartete und wartete. Gut, für die Sache mit mir gab ich ihm noch Zeit. Unter Druck würde das ja auch nichts werden. »Angelo, warum willst du zu diesem Willard? Wegen dem Geld? Oder den Jungs dort, die du zweifellos kennenlernen wirst? Du kannst ehrlich sein, ich hab schon soviel mitgemacht.. da kommt es nun auch nicht mehr drauf an.«

Er sah mich an. »Was heißt, mitgemacht?«

Ich setzte mich aufrecht auf den Stuhl und steckte mir auch eine Kippe an. »Was das heißt? Schlaflose Nächte zum Beispiel. Ich vernachlässige meine Lehre, hab Theater in der Firma. Und zu Hause wackelt auch der Haussegen.«

»Und, warum das alles?«

Oh, das wusste er. Nur, da musste eine Bestätigung meinerseits her. »Warum? Sieh mal in den Spiegel, dann kennst du den Grund.«

Er wurde leicht rot. »Ich.. das wusste ich nicht.«

»Bitte, sag mir was du bei Willard willst. Ist es.. brauchst du vielleicht.. ein Erfolgserlebnis?«

Er sah auf den Tisch und spielte mit dem brennenden Kippen in seinen Fingern. »Vielleicht.«

Ich räusperte mich. »Hör mal, ich weiß ja nicht was du noch in Erinnerung hast, was uns beide betrifft. Wenn du jetzt hören willst, dass du gut im Bett bist, dann kann ich sagen, ja. Das, was wir beide gemacht haben und das, was ich mit dir erleben durfte, bedarf ansonsten keines Kommentars. Ich bin ehrlich und offen: Du musst dich vor nichts und niemanden verstecken. Angelo, du hast es nicht nötig dich zur Schau zu stellen.«

»Und.. was ist mit diesem Jungen..? «

»Den ich geküsst hab?«

»Ja.«

Ich musste bei der Wahrheit bleiben. Die Chance bekam ich so schnell nicht wieder, wenn überhaupt. »Das war Felix.. ein alter Freund. Ich hab.. dich eifersüchtig machen wollen.«

Jetzt kam Leben in sein Denken, sowas sah ich ihm inzwischen an. »Wieso das?«

»Wieso? Ich wusste nicht was da zwischen Ronald und dir war..«

»Aha. Und dieser Kuss.. hatte nichts weiter zu bedeuten als..?«

»Nein, Angelo, nichts weiter. Du kannst Felix fragen, wenn du mir nicht glaubst«, und um das zu unterstreichen hielt ich ihm mein Handy hin. »Es gibt neben dir niemanden. Bestimmt nicht.«

Rädchen dreht euch. Angelo starrte auf mein Telefon, aber er nahm es nicht. Ich denke, er hatte gar nicht die Absicht das zu tun. Er glaubte mir, da war ich mir ziemlich sicher.

»Und.. jetzt?«, fragte er.

»Ich hab noch immer keine Antwort. Angelo, ich nehm bestimmt kein Urlaub, fahr dir in eine wildfremde Stadt hinterher, übernachte bei irgendwelchen Leuten die ich nicht kenne.. nur weil es mir so ein riesiger Spaß macht.«
Kaum war die eine Kippe aus, folgte die nächste. Ich war auf dem richtigen Gleis, nur musste ich bei den Weichen aufpassen. Schön die Richtung halten. Noch schien mir das alles zu einfach, aber ich hatte nie damit gerechnet, dass es in drei Minuten erledigt sein würde.

Auch Angelo steckte sich die nächste Zigarette an. Nachdenklich blies der den Rauch in die heiße Sommerluft. »Weißt du, was Willard mir geboten hat?«

Ich nickte. »So ungefähr hab ich die Zahl noch im Kopf.« Es ging scheinbar doch nur ums Geld, oder zumindest war es erheblich an seiner Entscheidung beteiligt.

»Es ist.. schau dich mal um, Ralf. Das meiste was du hier siehst gehört nicht mir. Ich mein, schon, aber es sind Dinge, die ich mir nicht leisten kann. Die haben meine Eltern beigesteuert, inklusive die Wohnung. Ich bin immer abhängig gewesen von ihnen. Im Orchester verdienst du dir keine goldene Nase, weißt du. Ich möchte endlich etwas eigenes haben.«

Solang es nur ums liebe Geld ging, war noch nicht alles verloren. »Hör mal, du bist auf dem Weg, ein Solist zu werden. Das kann eine Weile dauern, das weiß du auch. Aber irgendwann hast du keine Hilfe mehr nötig. Willard wird dich binden, durch einen Vertrag. Du kannst dann nicht einfach hergehen und sagen, es reicht, ich geh. Zudem, es gibt bestimmt noch andere Möglichkeiten als ausgerechnet das Pornogeschäft. Ich frag mich nur, warum die so hinter dir her sind. Hast du denn schon.. irgendwas unterschrieben?«

»Nein, aber vielleicht ist es denen deswegen so eilig.«

Die Hintergründe zu erforschen, dazu hatte ich dann allerdings keinen Bock. »Angelo, bitte. Was ist nun.. mit uns beiden? Ich denke, du hattest alle Zeit der Welt, darüber nachzudenken. Ich.. muss es wissen.«

Natürlich war ich nicht so naiv zu glauben, er würde mir jetzt um den Hals fallen und alles wäre Friede, Freude, Eierkuchen. Aber ich würde keine Sekunde lockerlassen. Er musste zu einer Entscheidung kommen.

»Ralf.. ja, klar, ich versteh dich. Aber.. es ist doch auch eine Chance..«

»Eine Chance wofür? Bekannt zu werden in diversen Kinos und auf Videos? Mensch, ist dir klar dass du deinen Körper verkaufst? Etwas anderes ist es nicht. Angelo, ich will im Moment gar nicht wissen, warum du zu Willard willst oder auch warum nicht. Ich will wissen, woran ich bei dir bin. Alles andere ist mir ehrlich gesagt zumindest im Augenblick nicht wichtig.« Ihm Willard auszureden, dazu wäre immer noch Zeit. »Natürlich hab ich mit Felix einen Fehler gemacht, das gebe ich zu. Aber ich wusste mir einfach keinen Ausweg«, ergänzte ich vorsichtshalber. Ich wollte ihm den Weg zu einer Antwort einfach nur leichter machen. »Und was das Gerede im Dorf angeht, gehört seit dem hier«, ich machte eine ausladende Armbewegung, »der Vergangenheit an.«

»Aber.. du wohnst da unten und.. der Weg..«

»Oh, mach dir da mal keine Gedanken. Eine Weltreise hierher ist es auch nicht und meine Güte, es wird sich etwas finden.« Nur ja nicht mit in dieses Gejammer einstimmen. Für alles gab es schließlich eine Lösung, auch für dieses. Tief im Hinterkopf schwang freilich das Wort Wochenendbeziehung herum, aber das mussten andere schon über Jahre durchmachen. Das große Unglück wäre es nicht. Angelo zögerte immer noch und ich war mir sicher, er machte sich viel mehr Gedanken drum herum als nötig.

Bloß.. ich konnte nicht länger warten. »Angelo. Ich geh hier nicht zur Tür raus, bis ich eine Antwort habe. Was ist mit.. uns beiden?« Nun hatte er ganz offiziell die Pistole auf der Brust.
Er kämpfte, das war keine Frage. Nur, warum brauchte er so lange für eine Entscheidung? Okay, Worte schienen nur das eine zu sein. Taten das andere.
Also stand ich folgerichtig auf und umrundete den Tisch. Warum sollte ich nicht vor ihm in die Knie gehen? Ja, ich war soweit: Ich kroch zum Kreuze. Zum Teufel mit dieser Fragerei, die am Ende zu nichts führte.
Und so kniete ich mich hin, zwischen seine Beine. Abgesehen von allem drum herum, da konnte ich mich direkt wohlfühlen. Mit meinem Dackelblick sah ich ihn von unten herauf an. »Angel, ich lieb dich doch. Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen soll.«

Das zog, denn mit dieser Aktion brachte ich ihn scheinbar völlig aus dem Gleichgewicht. Ganz vorsichtig legte er seine Hand auf meine Schulter. Ich hatte ihn, gleich, ein paar Augenblicke noch.

»Du.. musst aber nicht vor mir in die Knie gehen..«

»Doch, das muss ich«, sagte ich leise.

Dann legte er seinen Zeigefinger unter mein Kinn und hob es an. Mein Gott, dieser Blick. Ein leiser Duft nach Mandelblüten, das wohl von seinem Duschzeugs stammte, waberte mir entgegen; diese absolute Nähe..

»Steh auf, das sieht echt blöd aus«, sagte er und grinste, bis über beide Ohren.

Das tat ich dann auch. Ich stützte meine Arme auf den Stuhllehnen ab und nun war ich mit meinem Kopf höher als seiner. Stellungswechsel, sozusagen.
Unsere Augen musterten sich gegenseitig, was für ein Traum.. Angelo wich mir nicht aus. Ein ganz seltsames, aber unheimlich schönes Gefühl machte sich in mir breit. Fielen jetzt alle Schranken, löste sich der Knoten in meiner Brust? War ich endlich am Ziel angelangt? Keine Frage, ich würde Angelo nie wieder loslassen. Gar nicht loslassen können.

»Du.. hast eben Angel gesagt.. «, flüsterte er.

»So, hab ich das? Ja, möglich. Aber für mich trifft es den Punkt, genau im Sinn des Wortes.« Sollte ihm das schmeicheln, würde ich eh nie mehr anders anreden.

Langsam näherte ich mich seinem Gesicht. Erstens war mir danach, diese Lippen endlich wieder zu küssen, zweitens wirkte Angelo wie ein Magnet. Er zog mich förmlich zu sich hinunter und ich legte meine Hände um seinen Hals, der sich heiß und feucht anfühlte. So wie bestimmt jeder andere Körperteil bei dieser Hitze.

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