Margie 64 – Eine Vase für die Flucht

Ein Chef gab’s also auch. Zwar brannte ich dann vor Neugier, wer hinter all dem steckte, aber das half ja alles nicht weiter in dem Moment. War’s Liebe zu meinem Angel, das ich dann mutig wurde? Keine Ahnung. Ich grübelte nach, und zwar schwer. Die Zeit begann gegen uns zu arbeiten und eine Lösung musste her. Klar, wir hätten ja da warten können bis die Luft wieder rein war, aber was passierte danach?
Schließlich kam ich zu einem Ergebnis und Angelo schien das gespürt zu haben.

»Was hast du vor?«, fragte er denn auch.

»Ich weiß nicht ob das funktioniert, aber.. lass mich mal machen.«

»Was machen?«

»Wenn es soweit ist, dann wirst du es merken.«

»Wie?«

»Ja, wart es ab. Du bleibst hier. Wenn es soweit ist, komm in die Tiefgarage.«

Damit drückte ich mich an die Wand und lugte mit einem viertel Auge in das Zimmer. Die beiden waren noch sehr mit dem Essen beschäftigt und ohne noch einmal mit der Wimper zu zucken witschte ich mit einem Satz an der Tür vorbei auf die andere Seite. Angelo machte Augen wie eine Nachteule, aber ich hielt nur meinen Zeigefinger an den Mund, damit er ja nicht auf die Idee kam einen Laut von sich zu geben. Da es keine Zeit zu verlieren gab, kletterte ich über die nächste Sichtblende und so weiter, bis ich an unserem Zimmer ankam. Ein erstes Lauschen bestätigte mir, dass sich da scheinbar niemand mehr aufhielt. Die würden alle nach uns suchen, und ganz bestimmt am Römer.

Der Vorteil an meinem Vorhaben lag auch darin, dass ich nicht erst das Stockwerk wechseln musste. Kaum im Gang draußen, sprintete ich ihn entlang- bis zur letzten Tür. Mein Herz klopfte am Hals vor Aufregung, vor allem wäre es jetzt ausgesprochenes Pech gewesen, wenn die da heraus gekommen wären. Oder genauso schlimm, wenn jemand zu ihnen wollte.

Ich holte noch einmal tief Luft, dann nahm ich mich zusammen. Wie viel schief gehen konnte wagte ich mir nicht auszumalen. Schlimmstenfalls würden die mich totschießen, was natürlich nicht gerade zu meiner Begeisterung an der Sache beitrug.

Zuerst wuschelte ich meine Haare ordentlich durcheinander, zog die Klamotten gerade und dann, ganz sachte und mit zitternden Fingern, klopfte ich an die Tür. Jetzt war es ein Glück, dass es keine Spione da dran gab. Angestrengt lauschte ich, aber die Türen in dem Hotel waren nicht aus Sperrholz. Allerdings dauerte es nur wenige Augenblicke, bis ich ein deutliches „Ja“ hinter der Tür vernahm.

»Ali hier«, gab ich zu verstehen.

»Wer?«

Es war die Stimme der Frau. Ich hegte ja schon die ganze Zeit den Verdacht, dass sie die Hosen da drin anhatte.

»Ali.«

»Was wollen Sie?«

»Is wichtig.«

»Was denn?«

»Kannscht mal aufmachen?«

Schweigen. Klar, das war sicher schon sowas wie eine Frechheit, aber in meiner Not fiel mir einfach nichts Besseres ein.

Und tatsächlich, ich hörte Geräusche an der Tür, worauf sie einen Spalt geöffnet wurde.

Die Frau musterte mich und ich setzte mein fröhlichstes, schönstes, liebstes, anziehendes Lächeln auf.

»Was ist denn so wichtig?«

»Is Erich auch da?«

Jetzt änderte sich das Gesicht der Dame in ein einziges Fragezeichen.

»Was verdammt, wollen Sie?«

Mir wurde klar, dass urplötzlich Nervosität aufkam.

»Is Erich auch da? «, wiederholte ich einfach nur. »Cheffe schickt mich.«

Okay, zumindest das löste reichlich Neugier aus. Ich wusste etwas vom Erich und ich wusste, dass es da einen Chef gab, wer immer das auch sein sollte. Aber das wusste die Alte schließlich nicht.

»Erich? «, rief sie dann ins Zimmer, ohne ihre aufmerksamen Augen von mir zu nehmen. Sie traute nicht, was logisch war und somit öffnete sie auch die Tür nicht weiter.

Dann tauchte so schräg hinter ihr der Erich auf. Zumindest hatte ich die beiden jetzt an der Tür und ganz fest begann ich zu beten, dass Angelo da draußen nicht am pennen war.

»Ah, ich Information von Cheffe, du verschdescht? «

Natürlich verstanden sie nichts, aber genau das war mein Sekunden zuvor ausgeheckter Plan. Verwirren, täuschen, Nebelkerzen werfen.
Dann tat ich so, als würde ich in meinen Taschen kramen und nach etwas suchen.

Erich kam mir leicht erbost vor. »Was will dieser Kerl?«

»Er sagt, der Chef würde ihn schicken.«

»Und warum?«

In diesem Augenblick hörte ich ein Geräusch aus dem Zimmer und wusste zweierlei: Angelo hatte meinen Plan durchschaut und sich Margie gegriffen. Das Zweite: Dabei musste irgendwas schief gegangen sein.

Natürlich entging das den beiden Gestalten da nicht und schon verschwand Erich aus meinem Blickfeld. Die Frau wusste anscheinend nicht, was sie zuerst tun sollte, aber bevor sie mir die Tür vor der Nase zuschlagen konnte, stürzte ich mich mit einem Schrei auf die selbige.

»ERICH!«, brüllte sie und damit hatte ich sie hoffentlich von Angel abgelenkt. Wenn der schnell genug war, würden sie ihn gar nicht mehr sehen.

Der Erich reagierte sofort. Er war wohl auf dem Weg zum Balkon, aber angesichts der Bedrohung, die meinerseits ausgelöst worden war, entsann er sich wohl anders und kehrte auf der Stelle um.

Nachdem ich nun meinen Schatz in Sicherheit wusste, galt es, meine Haut zu retten. Packen durften sie mich nicht, ich war nicht sicher ob ich mich gegen zwei Halbfurien wehren konnte.

Doch in diesem Augenblick gab es mitten im Zimmer einen fürchterlichen Schlag. Es klang nach einer hingeschmissenen Vase oder so, jedenfalls, die beiden wandten sich erschrocken von mir ab und diesen Bruchteil einer Sekunde nutzte ich freilich zur Flucht.
Mit einem Riesensatz war ich draußen auf dem Gang, wobei ich nicht vergaß, die Tür zuzuschlagen. Links in der Ecke des Gangs war das Treppenhaus, was an einem kleinen weißen Männchen auf grünem Grund zu erkennen war.

Ich drehte mich nicht um, wollte gar nicht wissen wo die beiden jetzt waren. Eines könnte aber hingehauen haben – entweder Angelo oder ich. Diese Entscheidung würden sie haben treffen müssen und das war alles kostbare Zeit, die ich für einen rasanten Abgang nutzte.

Wie viel Treppen ich auf einmal nahm, weiß ich gar nicht mehr, aber drei bis fünf dürften es schon gewesen sein. Schade, dass man nicht wie früher auf dem Hosenboden auf dem Geländer nach unten sausen konnte.

Irgendwann sah ich dann einen Buchstaben an der Wand: „ -1 Tiefgarage“ Mein Ziel.

Beherzt stürzte ich die Tür hinaus und vor mir eröffnete sich das große, helle Gewölbe. Tausend Autos oder so standen da herum und nach Angelo zu rufen schien mir irgendwie nicht angebracht. Man konnte schließlich nicht wissen wer und was sich alles hier unten herumtrieb. Was mir blieb, war nach meinem Schatz zu suchen.

Das tat ich, indem ich von einer Betonsäule zur anderen sprintete und dabei mein Umfeld nicht aus den Augen ließ. Doch, wenn Angel das gleicht tat? Dann würden wir uns hier unten Tagelang suchen können. Rasch fummelte ich mein Handy aus der Tasche.

»Angelo?«

»Ja, wo steckst du?«, wollte er wissen.

»Wenn ich das wüsste – jedenfalls in der Tiefgarage. Und du?«

»Auch. Ich bin hinter dem Eingang zu den Fahrstühlen.«

Damit war ich erst Mal in die absolut falsche Richtung getürmt. »Okay, bleib da, ich komme.«

Auf dem Rückweg, den ich genauso vorsichtig antrat, fragte ich mich erneut, was all das Theater zu bedeuten hatte. Wer und vor allem warum, war hinter Margie und damit Angelo her? Dieser Chef.. wenn man herausbekam wer das war konnte man sicher eine Antwort finden. Aber zunächst galt es, hier zu verschwinden, und zwar auf dem schnellstmöglichen Weg.

»Angelo?« Ich musste ihn rufen, denn hinter dem Eingang angekommen sah ich ihn nirgends.

»Hier.«

Ich fuhr herum wie von der Tarantel gestochen. Abgesehen davon, dass mein Herz beinahe stehen geblieben war. »Mann, hast du mich..«

»Pscht«, zische Angel nur. »Ich glaub, da hinten ist wer. « Dabei zeigte er in die Richtung zur Ausfahrt.

Beruhigt stellte ich aber noch schnell fest, dass Angelo seinen Geigenkasten unterm Arm hatte. Zumindest bis zu diesem Zeitpunkt war es also wunderbar gelaufen.

Wir gingen hinter dem nächst besten Auto in die Knie. Wie schön, meinen Schatz wieder ganz in meiner Nähe zu spüren, aber an mehr in dieser Richtung konnte man nun wahrlich nicht denken. Margie war wieder da und nun würde alles gut. Alles? Nun ja, zunächst saßen wir ja noch in dieser wenn auch großen Mausefalle. Fraglich war außerdem, wie die beiden da oben aktiv geworden waren. Ich wagte ja nicht, an eine Organisation zu denken. An Mafioso Machenschaften. Die haben ja bekanntermaßen immer eine Menge Personal und das konnten wir da unten in der Tat nicht gebrauchen.

»Sag mal, was war das für ein Knall da oben?«

Angelo grinste breit. »Von Kunst versteh ich nicht viel, aber es könnte durchaus eine Ming-Vase gewesen sein. Die hat sich gut werfen lassen.. Übrigens, das war ein klasse Plan.«

Oh, ich hätte ihn küssen können. Davon hatte ich eh zu wenig abbekommen, viel zu wenig. Wehe, wenn wir das in Ruhe nachholen konnten.
»Wo steht dein Auto?«, fragte ich nach einigen erholsamen Sekunden.

»Da drüben, andere Seite«, bekam ich als Antwort, während Angelo die Richtung zeigte. Mithin eine ungünstige Position. Wir mussten die halbe Garage durchqueren um dorthin zu gelangen.

Währenddessen wurden Stimmen laut, wo und wer und wie viel konnte man nicht erkennen von unserem Standpunkt aus. Sicher aber schien, dass das mit uns zu tun hatte. Das Letzte was wir brauchen konnten, war eine Blockade der Ausfahrt. Wie auch immer, mir schien ein Vergleich zwischen David und Goliath angebracht und so griff ich erneut zu meinem Handy.

»Sebi? Wo seid ihr?«

Meine Güte, war Sebastian aufgeregt. »WIR? Sag mir lieber, wo IHR euch herumtreibt. Wir suchen schon die halbe Stadt nach euch ab.«

Na ja, auch Sebi neigt gelegentlich zu Übertreibungen. Halb Frankfurt abzusuchen.. aber ich verkniff mir eine Äußerung diesbezüglich. »In der Tiefgarage des Hotels. Angelo hat Margie wieder, aber ich glaub, damit sind ein paar Leute nicht einverstanden.«

Anscheinend hatte Sebi keine weitere Fragen dazu. »Bleibt wo ihr seid, wir kommen so schnell es geht.«

Angelo kauerte neben mir, den Geigenkasten fest unter dem Arm geklemmt. Also wenn ihm den jemand hätte wegnehmen wollen – ich dachte, das würde nur mit einem Beil möglich sein.

»Und jetzt?«, fragte er mit leiser Stimme.

»Wir müssen warten. Die kommen, aber frage nicht wann. « Dummerweise hatte ich nämlich vergessen zu fragen, in welchem Teil Frankfurts sie sich befanden.

Nun hörte man die Tür, wo es zu den Fahrstühlen ging.

»Jan, wo seid ihr?«, hörte man eine durchaus bekannte Frauenstimme. Ich mutmaßte, dass sie ein Handy am Ohr hatte.

»Also müssen sie noch hier sein«, kam es dann deutlich leiser. Aber es war zu spät, die hatten sich verraten. Es schien tatsächlich so, dass die den Ausgang blockierten.
Allerdings hatte ich so meine Zweifel an einer totalen Sperre. Das Hotel war keine Vorstadtpension, hier herrschte reger Fahrverkehr.

»Gut«, sagte die Freu weiter, »wir suchen hier in dem Bereich. Passt auf, dass sie euch nicht entwischen.«

Aha, damit begann offenbar ein Kesseltreiben. Sicher schien jetzt nur, dass wir an der Stelle nicht bleiben konnten.

Angelo kramte plötzlich in seinen Hosentaschen und dann hielt er mir einen Schlüsselbund hin.

»Was soll ich damit?«, erlaubte ich mir zu fragen.

»Ich lenk sie ab und du holst mein Auto.«

Ich schluckte. »Bitte?«

»Ja, nun mach schon, oder willst du vor die Hunde gehen? «

»Aber.. ich kann noch kein Auto fahren.«

»Schwätz nicht, du erzählst mir nicht, dass du noch nie ein Auto gefahren hast.«

Nein, das konnte ich wirklich nicht. Bedenklich war daran nur, dass mich Werner ab und zu mit unserem Transporter auf der Baustelle herumgurken ließ und das war immerhin keine so eine Hightechschüssel wie Angelo sie fuhr. Nun gut, wichtig war am Anfang sicher nur, den Wagen anzulassen. Alles andere musste sich eben so ergeben.
Unklar war mir dann bloß, wie wir es anstellen wollten, denn ich hatte diesmal keine Idee.

Angelo kam mir eh zuvor. »Ich renne da auf die andere Seite, du zum Auto. Fahr einfach hier lang, du findest mich dann schon.«

Zugegeben, ich hatte keinen Schimmer wie ich ihn finden sollte, aber zu all dem hatte ich keine Zeit zum nachdenken.

Angelo stand auf und schlich sich an den Autos entlang, immer leicht geduckt und schließlich verlor ich ihn aus den Augen. Mit gehörigem Herzklopfen machte ich mich dann auch auf den Weg. Angelos Auto konnte man immerhin kaum verfehlen, die grobe Richtung hatte ich auch.
So lange ich unterwegs war, bleib alles ruhig da unten. Keine Stimmen mehr, kein Rufen, nichts. Waren die überhaupt noch da? Egal, ich blieb vorsichtig und immer wieder machte ich eine kleine Pause, so gebückt zu laufen ist eben kein Zuckerschlecken.
Dann war ich plötzlich da. Angelos Wagen stand praktischerweise rückwärts eingeparkt, was mir die Sache einfacher machte.

Es gibt halt immer wieder Sachen, an die denkt man nicht. Weil sie einfach zu banal sind. Angelos Auto hatte natürlich einen Funkschlüssel und man sollte mit den Dingern an sich kein Problem haben. Hatte ich auch nicht. Bloß – hätte es nicht gereicht, dass die Blinker beim Druck auf den Schlüssel kurz aufleuchten? Nein, denn scheinbar um auch einem Blinden mitzuteilen, dass der Wagen jetzt offen ist, wurde diese Aktion von einem unschön lauten Pfeifgeräusch begleitet.

„Piep, piep“ und ich dachte, ich fall in Ohnmacht.

War ich bis dahin schon nicht lahm, galt es jetzt, so mit Schallgeschwindigkeit zu handeln. Denn das Geräusch war in der ganzen Garage zu hören gewesen – todsicher.

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