»Ich soll dir von Angelo sagen, dass wir uns bei Marco treffen.«
Schweigen zunächst. Aber dann: »Gut, wir sind in… zehn Minuten da. Und macht keinen Unsinn, hörst du?«
Was immer Sebi auch mit Unsinn meinte, mehr als momentan konnte man doch gar nicht machen. Ich legte auf.
»Komm mit«, sagte Angelo leise und so schlichen wir zunächst noch diese Schmuddelgasse hoch. Es war wirklich wie in einem dieser Chiaco-1940-Mafia-Reißer. Mir war, als müsste uns gleich Edward G. Robinson gegenüberstehen..
»Mach hin«, drohte Angelo, weil er scheinbar eine Trödelei meinerseits vermutete. Dabei war ich ihm sozusagen dicht auf den Fersen.
Nach ein paar Minuten kamen wir an eine Tür. Na ja, was heißt Tür. Ein blickdichter Bretterverschlag hätte es besser getroffen. Angelo sah sich noch mal um, dann klopfte er an diese Tür. Welche Wunder, dass sie dieser Attacke standhielt. Angel klopfte noch Mal.
»Ja?«
Dumpf klang die Stimme und gar nicht freundlich. Entweder wir kamen unpassend oder der Besitzer der Stimme war äußerst schlecht gelaunt. Nun gut, was hätte noch schlimmer kommen können? Lieber einen missmutigen Lebensretter als eine Kugel im Kopf. Komisch, dass ich da genau an sowas dachte.
»Ich bin’s, Angelo.. mach bitte auf.«
Keine Rückfragen so nach dem Motto „Wer“ oder so, irgendwas knarrte an der Tür, dann ging sie nach außen auf. Drinnen, in unsäglichem Dämmerlicht, stand ein Mann. Also, ein Männlein eher, wenn man die Größe in Betracht zog. Der ging mir bis zur Brust, eine Glatze und ein Oberlippenbart. Schwer einzuordnen, vor allem die Nationalität. Aber Marco klang immerhin italienisch oder spanisch, aber das war in dem Moment ja auch egal, irgendwie.
Was nicht egal war – der Blick dieses Gnomen auf meinen Angelo. Ein dahin schmelzendes Lächeln, feurige Augen. Sofort gingen bei mir wieder alle roten Lampen an, dabei war es den Naturgesetzen nach völlig unmöglich, dass sich die beiden näher kannten. Also schon, aber eben nicht so nah wie ich es mir die ersten Sekunden ausmalte. Nee, mit dem hatte mein Schatz nichts, garantiert nicht. Und warum der so herzlich strahlte, das würde ich bestimmt erfahren.
»Was ist los?«, fragte der Türöffner.
»Lass uns bitte rein, wir sind in Schwierigkeiten. Das ist übrigens Ralf, mein bester Freund.«
Das Männlein musterte mich, aber nicht abschätzig was ich vermutet hätte. Nein, der grinste mich genauso an und dann hielt er auch noch seine Hand hin. »Marco. Kommt rein.«
Schwupps waren wir drin. Nach allem, was ich so sehen konnte bei 5 Watt, schienen wir in einer Speisekammer oder sowas ähnlichem zu sein. Es roch nach Moder, Wein, Tomatensoße. Dabei fiel mir ein, dass ich in kurzer Zeit Hungers streben würde, wenn sich nicht bald etwas Essbares zum greifen fand. Aber zunächst eilten wir durch diese Katakomben, ein paar Links- und Rechtskurven, dann kam eine schmale, aber breite Treppe. Ich fragte mich zu Recht, wie der Mensch uns da unten hatte hören können, falls er nicht eh schon an der Tür stand.
»Angelo, wer ist der Mann?«
»Ein Freund. Frag jetzt nicht, ich erklär dir das später.«
Nun gut, ein Freund. Es ist nicht mein Stil, jeden nach seinen Freunden zu fragen oder gar darüber auszuhorchen, aber gespannt war ich schon wie diese Freundschaft zustande gekommen war. In diesem Milieu verkehrten bestenfalls Mitglieder der Unterwelt. Was da alles gedreht wurde wollte ich vielleicht aber gar nicht so genau wissen.
Wichtig war ja auch bloß, dass wir hier nicht vom Regen in die Traufe gerieten. Mir blieb aber erst Mal nichts anderes übrig, als mich meinem Schicksal hinzugeben.
Dann wurde es doch angenehmer, die Küche leuchtete förmlich vor uns auf. Aber statt in die Gaststube zu gehen, steuerten wir eine andere Tür an – die war irgendwie aus poliertem Stahl oder so und nun wurde mir doch wieder mulmig.
»Angelo, was… «
»Bleib ganz ruhig, es ist alles in Ordnung. Hier findet uns niemand. Garantiert nicht.«
Mochte das auch so sein, allmählich begann die Situation über meinen Kopf hinauszuwachsen. Wie lange sollten wir hier bleiben? Was geschah mit meiner Zukunft, die ich mir so schön ausgemalt hatte?
Dann fiel mir der Typ ein, den ich in der Tiefgarage umgenietet hatte. Vielleicht war der ja Schuld, dass mein Leben ab jetzt eine ganz andere Wendung nahm. Eine, die mir selbst in meinen kühnsten Albträumen nicht erschienen wäre.
Marco öffnete die Tür und dahinter wurde es auf einmal richtig wohnlich. Was immer sich da auch sonst abspielte, koscher war das bestimmt nicht und ich dachte an Glücksspiel.. Oder gar Prostitution angesichts der schönen, zum schlafen einladenden Couch.
Aber ich ließ mich dann nur nach einmaliger Bitte auf einem der Sessel nieder. Mir war die Umgebung erst Mal völlig wurscht, ich hätte viel lieber eine Auszeit genommen.
Aber kaum hatte ich etwas Luft geholt, kam der nächste Hammer.
Angelo setzte sich mir gegenüber, während Marco irgendwas zum trinken braute – drüben an der Wand gab’s nämlich ne schnieke Bar.
Mein Schatz öffnete mit zittrigen Fingern Margies Schlafgemach – und dann fielen ihm beinahe die Augen aus dem Kopf.
»Was ist? Ist sie kaputt?«, fragte ich besorgt.
Aber Angelo schien mich gar nicht gehört zu haben. Er starrte nur auf die Geige, die da seelenruhig auf ihrem roten Samt lag.
Irgendwann kehrte er in die hiesige Welt zurück und nun starrte er mich an. »Das ist nicht Margie.«
Es wäre einfach grober Unfug gewesen, ihn nach der Richtigkeit dieser Aussage nochmals nachzufragen. Er kannte seine Margie, mit Sicherheit noch im Stockfinsteren oder an ihrem Geruch und von daher musste ich es glauben.
Zugegeben, es fiel mir aber verdammt schwer. Sekundenlang sah ich das Drama dieses Abends vor meinen Augen, jeden Meter in Lebensgefahr. Und wofür? Für eine Fälschung, ein Plagiat. Jemand war so schlau, das Original keinen Gefahren auszusetzen. Die Frage war jetzt nur: Wer konnte das getan haben? Erich und Co war ganz bestimmt nicht hinter einer gewöhnlichen Geige her, die wussten scheinbar von nichts.
Blieb in erster Runde nur dieser ominöse Chef. Der hatte sie bestimmt an der Nase herumgeführt. Aber auch da wieder, wozu?
»Angelo, bist du sicher dass Margie nichts wert ist? Allmählich habe ich das Gefühl dass du mir entweder etwas verschweigst oder selber nichts Genaues über deine Geige weißt.«
Mein Gott, dieser Blick. Angelo schien entrückt. Gar nicht da. Ich glaube, er war so traurig, dass er nicht mal eine Träne zustande brachte. Abgesehen davon war ich natürlich auch mit meinem Latein am Ende. Margie jetzt noch zu finden, entwich in einer unlösbaren Formel.
»Trinkt erst mal, ihr seid ja völlig durch den Wind«, meinte unser kleiner Gastgeber und der schien ziemlich exakt auf die Belange seiner Gäste eingestimmt zu sein. Mir war denn auch völlig egal, was in dem Glas war, wobei Tod durch Gift am Ende schlimmer war als eine Kugel. Ja, so dachte ich, sei’s drum.
Eklig war das Gebräu nicht und schon nach wenigen Minuten, in denen Angelo noch immer in irgendeiner Sphäre wandelte, wurde mir wohlig besser. Das Hungergefühl schwand, die Aufregung legte sich, mein Herzschlag nahm endlich wieder seinen gewohnten Takt auf.
»Trink, Angelo«, bat ich ihn dann. Wenn das Zeug dieselbe Wirkung bei ihm hatte, war der späte Abend nicht ganz am Arsch. Notfalls musste ich eben nachhelfen, das wär mir aber auch echt egal gewesen.
Zumindest fand ich nun auch etwas mehr Interesse an meinem Umfeld. Der Raum war gar nicht mal so klein, pompös mit Möbeln ausgestattet, ein paar schöne Bilder an den Wänden. Nur gab es kein Fenster, was aber in Anbetracht der Umstände kein Fehler sein konnte.
»Besser?«, fragte Marco und ich hielt ihm statt einer passenden Antwort das Glas hin. »Noch nicht so ganz, aber ich bin auf bestem Weg.«
Er lächelte, nahm mir das Glas ab und trabte erneut zur Bar, blieb aber bei Angelo stehen. »Nun nimm nen Schluck, anders wird’s auch nicht besser.«
Wahre Worte und sie zeigten Wirkung. Angelo nahm das Glas, nippte erst und dann leerte er es mit einem Zug. Fein, ein Anfang schien gemacht.
Kurz darauf ein komisches Piepen im Raum, keine Ahnung woher es kam aber Marco ließ alles liegen und stehen und verschwand durch die Tür.
»Angelo.. das darf jetzt nicht wahr sein, oder?«
Er sah mich an und nickte. »Ist es aber.«
»Okay, dann raus mit der Sprache: Was hat es damit auf sich? Wer kann hinter so einer gewöhnlichen Geige her sein? Gut, Margie ist vielleicht für dich etwas besonderes, aber für andere Leute? Sorry, aber ich versteh das einfach nicht.«
Angelo nahm die Geige aus dem Kasten. »Ich weiß es wirklich nicht.« Er drehte sie vor sich hin und her, sah sie sich ganz genau an. »Das Ding hier kannst du in jedem guten Musikgeschäft kaufen. Maximal ein paar hundert Euro.«
»Angel, das meinte ich nicht. Was ist mit Margie los? Du hast sie von deinem Großvater, richtig?«
»Ja. Mehr weiß ich auch nicht. Ich hab sie schätzen lassen, aber sie ist höchstens Zweitausend Euro wert. Und das nur, weil sie sehr gut gepflegt ist, nicht weil sie von einem großen Meister stammt.«
Okay, was sollte man sonst noch machen? »Und wann war das?«
»Schätzen lassen? Vor ein paar Wochen erst.«
Ja, da klingelten sofort und ohne Ecken oder Kanten meine Alarmglocken. »Ah. Und wo?«
»Ralf, was soll das jetzt? Sie ist es nicht wert, dass man so einen Aufwand treibt.«
»Sagt dieser Schätztyp, oder?«
»Wenn du mir jetzt noch sagst, warum du diese Fragen stellst.. «
»Angelo, kann es nicht sein, dass dich dieser Typ übers Ohr gehauen hat? Dass sie unter Umständen ein richtig seltenes und wertvolles Stück ist? Und der jetzt um jeden Preis da drankommen will? Hat er gefragt, ob du sie verkaufen möchtest?«
»Ähm.. nein, eigentlich nicht.«
»Aber wer du bist, das wusste er schon?«
»Mein Gott Ralf, natürlich weiß er das. Aber du glaubst doch nicht.. «
Ein Poltern und Rumpeln, dann standen sie da, unsere beiden Helden. Mitten im Zimmer. Charly schnaufte wie ein Walross, unersichtlich jedoch von was. Und Sebastian.. na ja, der sah auch nicht besser aus. Man konnte getrost das Wort gestresst benutzen.
Ich machte mich auf das Donnerwetter gefasst, aber Marcos Drink hatte auch da eine sehr positive Wirkung. Es ging damit schon fast in Richtung Gleichgültigkeit.
Aber es gab keine Standpauke, nachdem Angelo als erster verkündete, dass dies nicht Margie sei und keine Sau wusste, wo sie war.
Sebastian ging hinüber zur Bar und da war er ganz bestimmt nicht zum ersten Mal. Gezielt angelte er sich eine der Flaschen und goss in zwei Gläser, fast ganz voll. Eins davon reichte er Charly, das andere stürzte er in Sekunden seine Kehle hinunter.
Angels Schutzengel war auch nicht langsamer und so standen die erst Mal da und starrten auf die falsche Margie.
»Ist ja ein Ding«, entfleuchte es Charly dann als erstes Wort seit er hier war.
Angelo nickte. »Das kann man so sagen, ja.«
Sebastian nahm das Instrument in die Hand und drehte es vor seinem Gesicht, als hätte er Lupen in den Pupillen. »Das hätte sogar ich gemerkt«, stöhnte er daraufhin.
Asche auf mein Haupt, ich hätte es nicht. Ich hatte ja auch noch gar keine Gelegenheit, sie näher kennen zu lernen. Oder besser, da fehlte mir bislang das nötige Interesse. Immerhin war ich ja mit ihrem Besitzer intim und das reichte mir bis dahin völlig.
Intim.. ja, sogar bis dahin reichte Marcos Drink. Noch zwei davon und entweder ich war dann sternhagelvoll oder würde Angelo hier auf der Stelle die Kleider vom Leib reißen. Warum? Weil er so dermaßen süß aussah in seinem Elend. Ja wirklich.