Margie 68 – Kuriose Manöver

Plötzlich horchte Marco auf und ohne Kommentar verschwand er nach draußen. Irgendwie herrschte auf der Stelle eine ziemlich merkwürdige Stimmung, denn uns saß alle noch die Furcht im Nacken. Wir sahen uns fragend an, nur Gotthilf drehte noch immer den Geigenkasten in seinen Händen. Ich hätte wetten können, dass wenn eine Bombe nebenan eingeschlagen wäre, der hätte das nie mitgekriegt.

Nach einigen Minuten stand Marco wieder im Raum. Sein Gesichtsausdruck verhieß absolut kein purer Sonnenschein. »Also, raus könnt ihr nicht.«

Charly plusterte sich auf. »Aha. Und woran liegt das?«

»Nun, das Auto da draußen vor dem Hintereingang gehört niemandem den ich kenne und in der Regel parken dort keine Fahrzeuge. Die Leute haben Angst, dass ihnen nach einer Stunde Abwesenheit die Reifen geklaut werden.«

Charly konterte mit gleichgültigem Schulterzucken. »Na und? Dann kann es ja nur die Polizei sein.. ich mein, die von der Kripo fahren ja zivile Autos.«

Marco setzte ein merkwürdig schiefes Lächeln auf und lehnte sich mit verschränkten Armen lässig an den Türrahmen. »Tja, das Dumme ist nur, ich rieche da eher Ungemach«, und stupste sich demonstrativ die Nase.

Ich für meinen Teil glaubte ihm sofort. Wer hier wohnte oder hauste oder einen Laden hatte, der dürfte in der Tat ganz spezielle Sinne für dergleichen Gesindel entwickeln. Konnte mir auch denken, dass Marco schon öfter Begegnungen der eher unangenehmen Art gemacht hatte. Damit erhob sich zwar die Frage nach der Legitimität dieses Italieners erneut, aber ich hielt den Mund.

Angel saß derweil in dem Sessel und hatte die Augen geschlossen. Müde, ja, das war ich auch, und wie. Aber der Adrenalinspiegel schaukelte sich nach Marcos Feststellung wieder hoch. Sebi hatte da weniger bis gar keine Probleme, der war nämlich echt besoffen und hing im Sessel wie ein falscher Fuffziger.
Also blieben für klare Amtshandlungen Charly und ich. Gut, Marco natürlich auch. Am Ende würden wir eh von dessen Entscheidungen abhängig sein.
Gotthilf war nur körperlich anwesend, seine Gedanken dürften irgendwo im vorigen Jahrhundert angesiedelt gewesen sein. Eben da, wo Margie angeblich das Licht der Welt erblickte und wegen der dieses ganze Affentheater stattfand. Hatte ich schon erwähnt, dass sie mir zu diesem Zeitpunkt so ein ganz kleines bisschen begann, auf den Wecker zu fallen?

Charly rieb sich das Kinn und machte ein ziemlich besorgtes Gesicht. »Und wenn.. ich sage wenn.. das irgendwelche Gestalten sind? «

Mir war diese Frage absolut schleierhaft. Charly und Angst? Unmöglich. Der konnte einen von denen schnappen und die anderen damit herumschlagen. Oder ahnte er vielleicht, dass ihm diese Nummer zu groß werden könnte?

Mich interessierte nur, wer da draußen war und ob uns der- oder diejenigen auflauern wollten. Es war eigentlich unmöglich, dass jemand unseren Standort bei Marco herausgefunden hatte. Gefolgt war zumindest Angelo und mir niemand.
»Also ich glaub nicht, dass die wegen uns hier sind. Es sei denn, jemand von uns trägt ein Sender mit sich herum..«

Charly sah mich plötzlich böse an. »Du glaubst doch nicht, dass uns jemand unbemerkt folgen konnte?«

Seine bissige Reaktion zielte wohl auf meinen Verdacht hin, dass die da draußen hinter Sebi und Charly hergefahren waren. Mitnichten wollte ich sowas aber unterstellen.
»Langsam, das hab ich nicht gesagt. Und bevor wir hier Schuldzuweisungen hin- und her schieben, sollten wir uns Gedanken machen, wie das weitergeht. Ich möchte nämlich nicht zwingend in diesem Raum in Rente gehen. Ähm, Marco, das ist aber nichts persönliches.«

Er grinste. »Schon gut, ich versteh dich ja. Nur..«, dabei nickte er zu Angelo und Sebi hin, »war bestimmt ein anstrengender Tag. Ein bisschen Ruhe könnte euch beiden auch nicht schaden. Womöglich ist ein klarer Kopf nicht so ganz verkehrt. Habt ihr übrigens Hunger? Für euch ist die Küche durchgehend geöffnet.«

Das klang gut, aber ich wankte zwischen vor Müdigkeit tot umzufallen oder einer Pizza zu vernichten. Ich sah Charly an, dessen Wangen mir nun auch schon etwas eingefallen vorkamen.

Gotthilf kam aus der Zeitreise zurück. »Nun also, wie vorgeschlagen: Ich würde den Kasten gerne mitnehmen.« Dabei sah er uns nicht mal an. Todsicher, der ahnte nicht das geringste von dem, was da um ihn herum passierte.

Angel schlief, tief und fest. Ihn jetzt wecken wegen diesem blöden Geigenkasten.. ihm konnte es am Ende ja auch recht sein, wenn er Margies Geheimnisse kennen würde. Charly hielt sich ganz offenbar aus dieser Diskussion, Marco sowieso. Also bleib das ganze Manöver an mir hängen. Denn Gotthilf Prommel drängte anscheinend zum Abflug. War mir recht, denn trotz dass er nur körperlich anwesend war und so gut wie keinen Ton von sich gab, begann er mich, wie Margie auch, zu nerven.

»Und wo kriegen wir den Kasten wieder her?«, wollte ich dann auch von ihm wissen.

Gotthilf sah zu Marco hin. »Er weiß, wo ich zu finden bin. Und wie bereits erwähnt: Es ist absolut legitim und hier..«, er fummelte in seiner Jackentasche und legte eine Visitenkarte auf den Glastisch, »für alle Fälle.«

Ich nahm die Karte direkt an mich, denn wenn die einer haben wollte und musste, dann war das mein Angel. Ich wusste in dem Augenblick zwar, dass ich meine Kompetenz in Sachen Margie gewaltig überschritt, aber so ganz langsam begann ich auch, an mich zu denken. Sollte Angel Gotthilf hinterher jagen, wegen mir. Ich wollte nur noch da raus, sonst nichts.

Gotthilf verstand mein Schweigen ganz klar als Zustimmung, er krallte sich das Köfferchen und mit großen, bestimmten Schritten verließ er das Zimmer.

Charly rieb sich die Fingerknochen. »Und jetzt? «

Ich zog die Schultern hoch, denn wenn einer absolut keine Antwort auf diese Frage hatte, dann war ich das.

»Was ist nun? Ich meine wegen etwas zu essen«, hakte Marco unbeeindruckt nach.

Ich sah Charly an. »Also ich schon. Wer weiß schon, was in den nächsten Stunden noch alles so passiert.«

Charly sah auf die Uhr, dann zu Marco, dann wieder zu mir. »Von mir aus.«

Marco verschwand aus dem Raum und ich setzte mich auf die Couch. Irgendwie spürte ich meine Beine nicht mehr und in meinem Kopf begann sich eine gewisse Leere auszubreiten. Ich beneidete Angel, wie er so friedlich da saß und vielleicht sogar einen schönen Traum hatte. Na, ja, von Margie sicherlich. Wie er sie in Händen hielt und vor einem großen, frenetisch applaudierenden Publikum seine Verbeugungen machte. Kommt bestimmt wieder, sagte ich zu mir, dieser Albtraum konnte ja nicht ewig gehen. Das durfte er ganz einfach nicht, meine anderweitigen Verpflichtungen rückten immer näher, der Sonntag war nicht mehr weit. Zudem gelüstete mich nach einem wunderbaren Bett, Angel neben mir.. Ich seufzte.

»Ist was?«, wollte Charly daraufhin wissen.

»Was soll sein? Außer dass wir vielleicht noch ein paar Stunden zu leben haben, hier eingesperrt sind, ich todmüde bin und.. ach, vergiss es.«

Zum ersten Mal lächelte Charly. Ein bisschen wenigstens. »Hey, nicht alles zu schwarz sehen. Ist doch erst mal reine Spekulation, dass wir in akuter Gefahr sind.«

Fehlte noch dass er gesagt hat, „ich bin doch da.“

Irgendwann kam Marco mit zwei stattlichen Pizzen und sehr lange dauerte es nicht, bis nur noch Krümel auf unseren Tellern lagen. Ein bisschen besser ging’s mir dann, nur leider änderte sich nichts an unserer Situation. Marco sah immer mal wieder nach, was sich im Hinterhof abspielte und seinen Berichten nach saßen zwei Typen in dem Schlitten und dösten vor sich hin.

»Aber pennen tun die nicht, die registrieren jeden Schatten.«

Auch Charly wagte mal nen Blick zu denen, aber er musste bestätigen, dass ihm die beiden unbekannt waren. Nur eins schien auch er sofort bemerkt zu haben: Typische Unterweltler, Gorillas, wie es wohl in diesem Jargon so schön heißt.

Endlich räkelte sich Angelo, die Uhr zeigte mittlerweile halb Vier in der Früh. Ich war ab und an ein bisschen eingenickt, während Charly scheinbar nicht mal ein Auge zugemacht hatte.

Zeitgleich kam auch wieder etwas Bewegung in Sebis Richtung. Seinen Kopf wollte ich allerdings nicht geschenkt haben.

Marco war ebenfalls ab und an verschwunden, aber so gegen Vier füllte sich das Zimmer allmählich mit Leben.

»Es dauert noch eine halbe Stunde, dann wird’s hell draußen «, stellte Marco fest. »Drum wird es Zeit, dass wir handeln.«

»Handeln?« Charly machte echt große Augen.

»Ihr könnt hier nicht bleiben. Da draußen steht schon die Ablösung und die können warten bis zum jüngsten Tag.«

Okay, darauf hatte keiner von uns wirklich Bock, nur war noch niemandem eine gescheite Lösung eingefallen. Nun, bis zu dieser Minute war das meine Meinung gewesen, aber ich hatte mich getäuscht. Irgendwie halt.

»Wo ist Prommel? Wo ist der Geigenkasten? «, kam es noch verschlafen aus Angelos Richtung. Gab’s jetzt erst Mal mächtig Ärger? Ich rechnete zunächst mit allem, Angel konnte immerhin sehr emotional reagieren. Ich scannte seine unmittelbare Umgebung nach leicht werfbaren Gegenständen und einzig Gefahr ging von dem kristallenen Aschenbecher auf dem Tisch aus. Aber den musste er sich – so er ihn mir wirklich hinterher schmeißen wollte – erst einmal greifen. Die Tür zur Flucht war nicht weit und vorsichtshalber stand ich auf.

»Gotthilf hat den Kasten mitgenommen, ich habe es ihm erlaubt. Er kann nur so Margies wahre Herkunft herausfinden. Hier, ich hab seine Adresse, Telefonnummer.. «

Unter Angelos kritischem Blick hielt ich ihm die Visitenkarte hin. Er nahm sie, noch immer ohne eine gefährlich anmutende Reaktion. Er las sie, drehte sie um, las noch mal und sah dann mich an. »Okay. Was machen wir jetzt? Charly, was liegt an?«

Kein Wutsausbruch? Kein Geschrei? Oh Angel, ich hätte ihn küssen können, was sowieso schon längst überfällig war. Zwar hinderte mich hier keine Sau daran, das wirklich zu tun, aber ich wollte an der Stelle nun doch nicht übertreiben.

Bevor unser Bodyguard in die Verlegenheit kam sagen zu müssen, dass er keinen Plan hätte, antwortete Marco statt ihm. »Ich kann euch nur einen Vorschlag machen. Ob ihr den annehmt oder nicht, liegt bei euch.«

Endlich eine Lösung und egal wie sie aussah, ich war so oder so schon dabei.

»Und der wäre?«, argwöhnte Charly, weil er sich darüber wohl die ganze Nacht Gedanken gemacht und keine Lösung gefunden hatte.

»Ihr könnt da hinten nicht raus, vorne erst recht nicht. Bleibt nur der Keller.«

Charly zuckte zusammen. »Wie, nur der Keller?«

»Nun, das ist ein sehr altes Haus, da gab’s früher Kohleheizung.«

»Und was hat das mit uns zu tun? «, hakte Sebi nach, der sich bislang in keiner Weise bemerkbar gemacht hatte.

Marco grinste. »Ziemlich viel, würd ich sagen. Aber jetzt kommt, wir sollten keine Zeit vergeuden.«

Zu meiner Beruhigung gab’s dann auch keine weiteren Diskussionen. Augenscheinlich konnte man sich auf Marco verlassen, was sogar Charly klar geworden sein musste.
Also schlichen wir hinter dem Italiener aus dem Zimmer, hinüber Richtung Gaststube. Ein kurzer Blick hinein, da war alles ruhig. Es roch nach Bier und kaltem Rauch, aber sonst sah es durchaus gemütlich aus. Meine weitere Vorstellung, hier mal mit Angel in Ruhe essen gehen zu können, wurde aber prompt unterbrochen. Marco ging hinter den Tresen und deutete da auf den Fußboden.

Charly musste man solcherlei Gesten scheinbar nicht zweimal deuten, ohne zögern schob er den Teppichläufer auf dem Boden beiseite, wonach eine Klappe im Holzboden sichtbar wurde.
Mir schwante allerdings, dass diese Falltür öfter in Betrieb war als Marco vielleicht zugeben würde. So verschwinden doch zwielichtige Gestalten spurlos, bei einer Razzia zum Beispiel. Oder Bandenkämpfen.. Egal, das war in dem Moment nicht das Thema.

»Mein Kopf «, jammerte mir Sebi ganz dicht ins Ohr und eigentlich bedurfte es beim Anblick keiner Diskussion. Zweifellos war eines der vielen Gläser jener Nacht zuvor schlecht gewesen, so hätte man es wohl auf den Punkt gebracht.

Leise schnarrend zog Charly die Klappe auf, wonach ein seltsamer Geruch nach feuchten Steinen, verschüttetem Wein und Staub herauswehte.
Aber ich wusste es doch: Die Treppen waren in der Mitte frei von Staub, es war noch keine Ewigkeit her, dass hier reger Verkehr herrschte.
Wie auch immer, ich ging jedenfalls felsenfest überzeugt davon aus, dass wir nicht nur das Quartier wechselten. In diesem muffigen Keller würde ich keine Stunde lang bleiben.

Marco knipste, nachdem wir alle unten waren und die Klappe über uns geschlossen war, eine trübe Tranfunsel an der Wand an und da offenbarte sich uns die wahre Unterwelt dieser Gegend. Spinnweben, zentimeterdicker Staub, alte, morsche Regale und.. okay, ich nahm das mit der Flucht vor Razzien zurück. Hier unten war Marcos Weinkeller und auf den ersten Blick lagerten hier keine Flaschen vom Discounter.

Plötzlich, aus völlig bewölktem Himmel, spürte ich zwei Hände um meine Hüfte. Ich kann jetzt überhaupt nicht beschreiben, wie sich das angefühlt hat. Ich bekam eine leichte Gänsehaut und ließ meinen Kopf etwas nach hinten fallen. Ich wusste, irgendwann würde er Angelo treffen.. Und dem war so. Ich spürte seine Schulter und im selben Moment umklammerte ich die Hände auf meinem Bauch. Vermisst? Ob ich das vermisst habe? Oh weh, ich wusste bis zu der Sekunde nicht mal mehr, wie es war, meinen Angelo richtig anzufassen, ihn zu spüren, vor allem dann, als er sein Becken gegen meinen Hintern drückte. Kurzfristig versuchte ich zu spüren, ob er einen Steifen hatte, aber dem war offenbar nicht so.
Damit bekam die ganze Situation eine völlig andere Qualität. Egal was nun passieren würde, ich fühlte mich auf einmal sicher und geborgen.
»Du bist mir nicht böse, wegen der Sache mit Gotthilf? «, fragte ich leise, während wir Marco, Sebi und Charly durch die Katakomben folgten.

»Quatsch. Ich will Margie wiederhaben, der Kasten ist mir schnurz.«

»Du hättest die andere Geige aber mitnehmen sollen. Wegen der Fingerabdrücke zum Beispiel.«

Angelo grinste. »Es ist mir scheißegal, wer die in den Fingern hatte. Sollen die Bullen rausfinden was damit ist. Für mich zählt Margie – und du.«

Ich jubelte. Innerlich natürlich. Klar war noch nichts ausgestanden, aber darüber, dass mich mein Schatz nicht völlig links liegen ließ, war ich schon mehr als heilfroh.

»So, hier sind wir«, sagte Marco am Ende des Gangs und zeigte mit dem Kopf auf einen zwei Meter hohen Schrank, der bestimmt noch älter war als Margie und nie woanders stand als an dieser Stelle. Man wagte es kaum, ihn scharf anzusehen, so baufällig wirkte er.

Aber Marco öffnete die rechte Tür und wider Erwarten ging das ohne knarren und quietschen.
»Also, ihr müsst euch ein bisschen bücken, der Gang dahinter ist eng und nieder. Es gibt kein Licht, aber es geht nur geradeaus.«

»Und dann? Wo führt er hin?«

»Unter der Straße hinüber zur anderen Häuserzeile. Geht einfach die Treppen am Ende des Gangs hoch, alles weitere werdet ihr sehen. Viel Glück – und lasst euch mal wieder sehen.«

Wir sahen uns an, weil, damit wussten wir nicht viel anzufangen.

»Was ist da drüben? «, wollte Charly misstrauisch wissen. Die Sache begann ihm spanisch vorzukommen und uns irgendwie auch.

»Keine Zeit für Erklärungen. Geht einfach, es wird euch nichts passieren. Übrigens – den Tunnel haben arme Arbeiter vor ewigen Zeiten gegraben, um auf der anderen Straßenseite Kohle bei einem Händler klauen zu können. Der Überlieferung nach wurden sie nie dabei erwischt.«

Okay, damit stand die Verbindung Kohle-Wir fest. Dann drehte sich Marco spontan um, hob die Hand noch mal und verschwand in dem trüben Licht.

»Also los, worauf warten wir? «

Tja, da griff sich Charly wieder so komisch an die Brust. Jede Wette, da steckte doch ein Schießeisen. Aber es war egal in dem Moment, wir wollten und mussten da raus.

Sebi zog die Schranktür von innen zu und folgte uns dann in den absolut dunklen Tunnel. Nur mit den Händen konnte man sich vorantasten, bis endlich vorn ein Lichtschein zu sehen war. Rauchte Charly? Keine Ahnung, jedenfalls stammte das Lichtchen von einem Feuerzeug.
Angelo ging so dicht hinter mir, dass ich meinte, seine Körperwärme zu spüren, aber nichts war mir in diesen Minuten lieber.

Schweigend krochen wir mehr als wir gingen den Tunnel entlang. Die Angst lief aber auch mit, da gibt’s nichts zu deuteln. Vor allem die Ungewissheit, was denn nun auf der anderen Seite auf uns wartete.

»Bleibt zurück «, befahl Charly dann auch, als das Ende des Tunnels in Sichtweite kam und schweigend gehorchten wir. Vor allem spannten sich sämtliche Sinne an, wobei die Stille da unten schon ein sausen in den Ohren verursachte. Wenn ich je einmal untertauchen müsste, warum und vor wem auch immer, diesen Ort hatte ich mir gemerkt.

»Kommt, und beeilt euch«, hieß es dann plötzlich von vorn und Charlys Stimme klang ziemlich ungeduldig. Besser also, man folgte dieser Anweisung ohne Murren.

Rasch stiegen wir dann eine steinerne, sehr steile Treppe nach oben aus dem Tunnel und standen unvermittelt in einem ziemlich leeren Raum. Geruch und Einfärbungen ließen tatsächlich auf einen sehr frühen Kohlebunker schließen. Aber Zeit, sich umzusehen, ließ man uns nicht.

»Schnell, raus da «, wies Charly weiter an und lotste uns zu einer Tür, die in einen ebenso schmuddligen Hinterhof führte – und da stand ein ziemlich dicker Wagen. Der passte wohl eben grade in die schmale Gasse und wir mussten uns reinzwängen, weil sich wegen der Enge die Türen nur einen Spalt öffnen ließen. Zum Glück passten wir alle durch..

Keiner fragte, wer am Steuer des Pullmann saß, zudem war der Fahrer nicht zu erkennen. Getrennt durch eine getönte Scheibe, wie sie auch den Blick von draußen in den Wagen verhinderten.

Die Tür war noch nicht richtig zu, rollte die Kiste langsam rückwärts. Eine Hofeinfahrt wurde passiert und der Fahrer kroch dabei nicht mit dem Wagen herum. Ein Könner, wie mir schien.
Dann schwenkte der Koloss auf die Straße und fuhr los. Nicht mit kreischenden Reifen, aber die Beschleunigung war zu spüren.

Charly zeigte nach draußen. »Da sind sie «, sagte er leise und in der Tat, da stand ein schwarzer Wagen und die Typen behielten Marcos Kneipe ziemlich scharf im Auge.

Angelo saß neben mir und ich suchte seine Hand. Dass das Charly und Sebi, die uns genau gegenübersaßen, mitbekamen, war mir schnuppe. Es war höchste Eisenbahn, dass wenigstens diese Sache in geordneten Bahnen ablief.
Angel wehrte sich auch gar nicht, er drückte schon ganz fest zu.

Immer wieder drehte sich Sebastian nach dem unsichtbaren Fahrer um. »Wer zum Geier fährt den Wagen und vor allem – wohin?«

»Das wüsste ich auch gerne«, grummelte Charly. Man spürte, dass er sich in keinster Weise wohl fühlte. Die Dinge liefen einfach so ab, zu einfach halt und es stand eben eine gewisse Machtlosigkeit im Raum.

»Hast du den Fahrer nicht gesprochen?«, wollte Sebi von ihm wissen.

»Nein, er saß ja auf der anderen Seite, hatte eine Hand aus dem Fenster auf das Wagendach gelegt und nur gewunken. Mehr habe ich auch nicht gesehen.«

Die Fahrt ging durch die City von Mainhattan.

»Wo zum Teufel will der mit uns hin? Die nächste U-Bahnstation hätte ja gereicht.«

Charly nickte. »Stimmt, Sebastian, aber so wie es scheint, hat man anderes mit uns vor.«

Mein Handy klingelte, Mutter war dran. Ich holte Luft, räusperte mich und nahm das Gespräch entgegen.
Sie wollte nur wissen, ob alles Okay ist, wann ich denn nun zurückkäme, ob mit Angelo und mir und so weiter.
Ein paar Mal musste ich wirklich schlucken, weil, ich musste sie ja permanent anlügen. Gut, dass zwischen Angel und mir alles paletti war, das stimmte sogar, aber sie wäre vor Angst gestorben, wenn ich auch nur ein Sterbenswörtchen von dem, was wirklich ablief, erzählt hätte. Zu Hause gab es nichts Neues, nur halt wegen Alfons und der Fahrschule und Werner hätte auch schon nach mir gefragt. Schön, das war der Moment, wo ich mich fragen musste, wen ich denn vermisse. Meine Eltern, okay, aber sonst? Felix, ja, den hätte ich da auch gern neben mir gehabt, der würde ob dieses Abenteuers bestimmt dauernd abrasten. Aber gut, dann hatte ich ihm ja wenigstens etwas zu erzählen, sollte ich denn je wieder in heimatliche Gefilde kommen. Allerdings, ich brauchte ihn ja eigentlich nur anzurufen. Aber ich wollte mir das für ein paar einsame Minuten aufheben, die sicher irgendwann einmal fällig wurden. Fraglich blieb, ob Felix mir auch nur ein einziges Wort glauben würde.

Testhalber versuchte Charly dann doch mal, die Tür zu öffnen, an einer roten Ampel. Aber es war fast todsicher, dass das nicht ging. Warum man uns aber an der Flucht hindern wollte.. allmählich wurde die Sache dann doch eher etwas kurios.

Inzwischen beschien die aufgehende Sonne die Wolkenkratzer der Frankfurter Skyline und offenbar ging die Fahrt in westliche Richtung.

»Guten Tag die Herren. Entschuldigen Sie, dass ich mich erst jetzt melde, aber ich musste erst ganz sicher gehen, dass uns niemand folgt «, kam es aus einigen Lautsprechern im Fond des Wagens. Eine junge, angenehme Stimme, aber darauf sollte man natürlich nicht allzu viel geben.
»Mein Name spielt übrigens keine Rolle, sowenig, wie ich Ihre Namen weiß oder wissen möchte. Mein Auftrag lautet nur, Sie vorübergehend in Sicherheit zu bringen. Zu Ihrem eigenen Schutz sollten Sie Ihren Aufenthaltsort aber besser nicht kennen.«

Sprachs und mit diesen Worten fuhren vor die Scheiben schwarze, undurchsichtige Blenden lautlos nach oben. Ein Lichtchen im Wagen ging an und nun saßen wir wirklich fast im Dunkeln. Ich drückte Angelos Hand noch fester, denn da wurde es mir richtig unheimlich. Na ja, die Gesichter der anderen drei sahen auch nicht eben glücklich aus.

»Wo verdammt noch mal, bringen Sie uns hin?«, rief Charly ziemlich erbost in den Raum.

Aber die schöne Stimme blieb völlig ruhig. »In einer halben Stunde sind wir da.«

Charly sah schnell ein, dass alles lamentieren nichts bringen würde. Wir mussten uns regelrecht dem Schicksal hingeben, wobei Sebastian dann doch leicht wütend wurde.

»Was soll das denn alles? Was passiert da grade? Ich glaube langsam nicht, dass das etwas mit Margie zu tun haben kann. Vor allem – da steckt doch viel mehr dahinter.«

Warum mir der Name Willard da im Kopf herumging weiß ich nicht mehr, er war halt plötzlich da. Aber das war Unfug; wenn der wirklich etwas damit zu tun hatte, dann war Angelo das Ziel und sonst keiner. Es kamen in der Tat immer mehr Ungereimtheiten auf, nichts passte oder wollte passen. Ich kam gelegentlich zu dem Schluss, dass dieses ganze Affentheater weiter nichts als eine Verwechslung war. Gut, da waren Erich und diese Kuh, die Gespräche der beiden und bei dem es um diesen unbekannten „Chef“ ging. Namen waren aber nie gefallen, kein einziger. Zufall? Aber wo war dann Margie und woher stammte das Plagiat? Wie war das mit diesem Menschen, der Margies Wert geschätzt hatte? Dahinter vermutete ich den eigentlichen Urheber überhaupt.

Zahlreiche Kurven fuhren wir dann, angehalten hat der Wagen überhaupt nicht. Dem Rollgeräusch nach fuhren wir wohl auch Autobahn, aber diese Wahrnehmungen in so einem Schlitten doch eher subjektiv. Könnte auch Bundes- oder Landstraße gewesen sein.
Am Ende war’s ja auch schnuppe.

Irgendwann stoppte das Gefährt und der Motor wurde ausgemacht. Die Anspannung im Wagen hätte man mit einem Suppenlöffel essen können, denn was dann kam, musste so oder so eine gewisse Überraschung sein.

Die dunklen Scheiben wurden wieder in die Türen und im Heck heruntergefahren, die Sonne grüßte und um uns nichts als Grün. Bäume, Büsche, ein Stück blauer Himmel. Und ein Haus. Auf den ersten Blick ein recht schmuckes sogar. Eher ein Anwesen als nur ein Grundstück.
Die Autotüren wurden entriegelt und ohne irgend etwas abzuwarten, stiegen wir aus. Die Luft war schon recht warm und man spürte den Unterschied zum klimagesteuerten Auto.

Eigentlich gleichzeitig drehten wir uns im Kreis und danach war klar, das dort war Pampa. Tiefste sicherlich und nun galt es nur noch den Grund herauszufinden, warum wir überhaupt hier waren.

Tja, und dann geschah doch etwas merkwürdiges. Der Fahrer stieg zwar nicht aus, aber Charly ging forsch zu ihm hin und plötzlich begannen die zu reden. Was, das verstanden Sebi, Angelo und ich nicht, wir hielten aber irgendwie Distanz. Was immer Charly da trieb, man sollte ihn vielleicht besser nicht darin stören.

Derweil sah ich mich etwas näher um. Das Haus glich wohl einem Jadgsitz einer eher betuchten Person. Groß, schön. Hätte ich mit unserem gern getauscht.

»Ralf, kommst du mal?«

Es gab natürlich nur einen Ralf, trotzdem sah ich mich zunächst um, ob Charly wirklich mich gemeint hatte. Mein Mund trocknete aus. Welche Rolle spielte ich denn bei der ganzen Sache und war etwa ich Gegenstand dieses Gesprächs? Langsam ging ich auf den Wagen zu, umrundete ihn und nun sah ich auch den Fahrer. Kein Anzug und keine Kappe. Ganz normale Klamotten. Ein junger Kerl, in der Tat und nicht mal übel aussehend. Aber das geriet sofort wieder in den Hintergrund. »Um was geht es denn?«

»Ralf, niemand weiß, was hier los ist, warum wir hier sind. Aber eines scheint sicher: Du hast damit absolut nichts zu tun.«

»Und das bedeutet was?«, wollte ich wissen, denn ich hatte echt nicht die geringste Ahnung, was mir Charly damit eigentlich sagen wollte.

»Dieser junge Mann wird dich jetzt nach Hause fahren.«

Hätte mir Charly einen nassen Lappen ins Gesicht geschlagen, wäre die Wirkung diesen Worten absolut gleich gekommen. Ich fuhr dann halt auch gleich hoch.
»Aha. Wäre es nicht höflich gewesen, mich erst einmal zu fragen? Aber wie auch immer, ich diskutiere nicht. Ich werde nirgendwohin gehen und ohne Angelo schon mal erst recht nicht.«

Aber ich sah es Charly an, dessen Entschluss stand felsenfest. Nur, meiner eben auch. »Wer sagt, ich würde nicht mit drinhängen? Der da etwa?«, fragte ich richtig frech und nickte zu dem Fahrer. Nun, um ehrlich zu sein, es tat mir dann sofort leid ihn so angemacht zu haben. Wahrscheinlich wusste der auch nicht mehr wie wir.. also wahrscheinlich.
Der Junge lächelte aber nur und schien mir meinen kleinen Angriff kein bisschen übel zu nehmen. Spielte der den Überlegenen? Oder war er das an Ende auch? Immerhin, er wusste wo wir waren.

»Um was geht es hier?«, fragte Angelo, der inzwischen zu uns gekommen war, gefolgt von Sebastian.

Da geriet ich wieder in Rage. »Die wollen, dass ich heimfahre.. ohne dich läuft da aber gar nichts.«

Sapperlot. Statt mir zu helfen, nickte Angelo plötzlich zustimmend. »Das ist eine gute Idee.«

Mir verschlug es die Sprache, denn das klang genauso ehrlich wie Charlys Worte. Man wollte mich loshaben. Zu jung wahrscheinlich, nicht überlebensfähig in der Ödnis hier.
»Ralf, ich finde auch, du solltest hier nicht sein. Wer weiß was da noch alles kommt und..«

»Angelo, das ist nicht dein ernst«, fauchte ich, »ohne dich gehe ich keinen Meter. Oder bin ich dir egal? Dann sag das jetzt bitte. Hier und unter Zeugen.« Ja, so wütend wurde ich von der einen auf die andere Sekunde.

»Ralf, bitte. Das hat doch damit nichts zu tun..«

Er nahm mich am Arm und zog mich ein Stück außer Hörweite der anderen. »Ralfi, du weißt wie ich.. dass ich dich liebe. Daran hat sich nichts geändert und das wird es auch nicht. Aber wenn das hier brenzlig werden sollte.. ich .. möchte einfach nicht, dass dir etwas passiert. Das siehst du doch ein?«

Energisch schüttelte ich den Kopf. »Stell dir einfach vor, ich hätte diese Worte soeben gesagt. Okay?«

»Ralf, bitte, tu mir den Gefallen.«

»Ich tu dir also einen Gefallen, wenn ich von dir weggehe.. könntest du mir bitte genau erklären, wie ich das verstehen soll? «

Aber Angelo sagte nichts mehr. Er drehte sich einfach um und ging zum Wagen.

»Entweder du kommst mit, oder ich bleibe hier!«, rief ich ihm laut hinterher.

»Komm, es wird Zeit «, mischte sich plötzlich auch Sebastian ein. Eine Verschwörung, nichts weiter. Die wollten mich los werden und ganz tief in meinen grauen Windungen braute sich der allmähliche Verdacht, die wussten von Anfang an viel mehr als sie zugaben. Hatte ich am Ende in irgendeiner Form gewisse Pläne durchkreuzt, allein durch meine Anwesenheit? Nun schienen die Dinge aus dem Ruder zu laufen und man musste mich loswerden. Auf welcher Bühne spielten die? Ich wurde jede Sekunde wütender. Aber nichts, absolut nichts hatte ich als Beweis meiner Thesen.

In diesem Wutanfall geschah etwas seltsames: Ich war inzwischen an dem Wagen angekommen und meine tränenfeuchten Augen trafen die des jungen Fahrers, der etwas verträumt am Steuer saß und mich durch das offene Fenster ansah. Oha, welch ein Glitzern und schimmern.. braun war der Bursche auch, wie die Animateure am Strand von Malle. Schneeweiße Zähne, deretwegen man eine Sonnenbrille gebraucht hätte.
„Hehe, aufgewacht, du Dummheini? Angelo ist nicht der einzig hübsche Sohn anderer Eltern. Lass den Geigenfuzzi machen, Margie ist nicht dein Ding. Glaub mir, die macht dich noch alle. Der Boy ist knusprig wie ein frisches Bauernbrot und seine Haut wie ein Glas frischer, kühler Milch. Steig ein, lass die hier abhängen. Außerdem – du kannst nicht ewig hier bleiben.“

Oha, so viel hatte meine innere Stimme noch nie von sich gegeben. Klar, sie versucht es ja immer mal wieder, aber da, da wusste ich nichts entgegenzusetzen. Allerdings zog ich den Schmollmund und sagte nichts mehr. Kein Tschüs, kein gar nichts. Sollten sie eben sehen wie sie klarkommen und Angelo.. okay, man kann einen Menschen bis ans Ende seiner Zeit lieben, auch wenn er gar nicht mehr da ist.

Ich ging um den Wagen herum und stieg unter den Blicken der anderen ein. Sie kamen auf den Wagen zu, aber zum reden hatte ich keinen Bock mehr.

»Fahr bitte die Scheibe hoch«, sagte ich dem Fahrer, weil ich unter den vielen Knöpfen vermutlich nicht schnell genug den richtigen gefunden hätte.

»Bitte?«

»Haben wir’s an den Ohren? Scheibe hoch, sagte ich.«

Der Junge schüttelte grinsend den Kopf und bevor die da draußen auf mich einlabern konnten, war das Fenster geschlossen.

»Abfahrt. Ich denke, du weißt wohin.« Trotz meiner Wut machte es Spaß, den Jungen ein bisschen aufzuziehen.

»Keine Ahnung.«

»Genau. Fahr Richtung keine Ahnung.«

Plötzlich lachte er. »Komischer Vogel.«

Schlagartig ging’s mir besser. »Fahr einfach, ich sage dir den Weg.«

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