Margie 74 – Ein Bild von einem Mann

Da ich keinen Schimmer hatte wo ich mich hier befand und noch weniger, wo Sandros Firma, blieb mir nur die Spekulation, wie lange er in der Nacht unterwegs gewesen war. Aber alles schien daraus hinauszulaufen, dass er gar nicht.. dass wir gar nicht.. oh Mann. Wir hatten am Ende überhaupt nichts miteinander, was wiederum meine Annahme von der Unmöglichkeit eines unbemerkten Orgasmus’ bestätigte.

Sandro drückte mir den Einband in die Hand und deutete auf einen der Liegestühle. »Setzt dich doch. Möchtest du noch einen Kaffee? «

Ich nickte und setzte mich. Der Einband war tatsächlich aus Leder und – wie alles hier – offenbar nicht billig und zudem recht schwer. Neugierig schlug ich die erste Seite auf, während Sandro wieder im Haus verschwand.
Bei der zweiten Seite blieb mir dann erstmals die Spucke weg, ganz einfach so. Ich hob das Album an und betrachtete mir die Fotografie genauer. Noch während meine Blicke über diesen nackten, wunderschönen, wahnsinnig ästhetischen Männerkörper wanderten, donnerten so etwa eine Million Gedanken durch meinen Kopf. Sandro.. ja natürlich. Sein Körper war geschaffen für die Öffentlichkeit, den durfte man gar nicht hinter verschlossenen Türen halten. Er war schön, ich hab’s ja schon etliche Mal gesagt, aber die Fotografien verstärkten diese Tatsache ums Tausendfache.

Zugegeben, von Fotos und insbesondere deren Beurteilung hatte ich etwa soviel Ahnung wie eine Kuh vom fliegen, aber was ich da sah reichte mir völlig. Ich blätterte und blätterte, jedes Bild war schöner als das andere. Hochglanzfotos, wie es sie nur in den teuren Magazinen gibt. Und der Fotograf verstand sein Handwerk, da bestand kein Zweifel.
Dass Sandro auf einigen Bildern völlig nackt war, erregte mich sonderbarerweise gar nicht. Oder kaum, um genauer zu sein. Dieses Licht, die zarten Farbtöne.. Fotos, die man sich bestimmt jeden Tag ansehen kann, ohne ihnen überdrüssig zu werden. Das waren nicht diese üblichen Wichsvorlagen, damit hatten die Aufnahmen nicht das geringste zu tun. Ich muss nämlich dazusagen, dass nur Sandro abgebildet war, ganz allein, in den allerschönsten Posen, ohne billig oder ordinär zu wirken. Das war keine Pornografie, das waren Aktaufnahmen allererster Güte.
Natürlich war mir dann auch klar, woher das Geld stammte, mit dem Sandro sein Leben wohl zum größten Teil bestritt. Eigenartig fand ich dann nur, warum er so ein Aufheben daraus machte. Das war doch überhaupt nichts, wofür man sich schämen müsste.
Vielleicht würde er mir ja auch sagen, was er da für ein solches Foto bekam… und plötzlich kam irgend so ein dummes Gefühl in mir auf.

Rasch schlug ich die letzte Seite auf und es war dann, als würde mich der Blitz treffen. Ein schönes, ansprechendes Impressum präsentierte sich dort und meine Herzfrequenz jagte in Schwindel erregende Höhen. In schönen, blauen Lettern stach mir jener Name ins Auge, den ich nie vergessen werde: Sammy Willard. Noch mal und noch mal las ich den geschwungenen Schriftzug, aber der Text änderte sich nicht.
Langsam ließ ich das Album sinken. Das war der Hammer schlechthin. Willard.. und der produzierte ja auch Pornos; das war mein zweiter Gedanke nach der Schrecksekunde.

Na also. Dann wusste ich es. Darum war das Schlafzimmer so schlicht eingerichtet, darum die Kondome. Hier, in diesem Haus, wurden Pornos gedreht, das schien mir so sicher wie das Amen in der Kirche. Okay, sowas musste man in der Tat nicht in der Öffentlichkeit breit treten. Immerhin gibt’s genug Gegner dieses Genres und warum sollte man sich seine eigene Geldquelle kaputt machen? Und ich empfand dabei seltsamerweise keinen Ekel, wie das damals bei Angelo der Fall war. Immerhin, dieser Dorfler hatte mir ja auch ein Angebot gemacht und ich hab es einfach ignoriert. Aber im Grunde doch nur wegen Angelo.
Mehr oder weniger interessant fand ich dann diesen Zufall. Oder war’s gar keiner? Eilig versuchte ich, Zusammenhänge zwischen Angelo, Willard und Sandro herzustellen. Was zum Geier ging da eigentlich vor sich?

Ich hörte Tassenklappern neben mir auf dem Tisch und sofort drehte ich mich zu Sandro hin.

»Und, was sagst du zu den Fotos? «, fragte er und setzte sich neben mich.

»Sie sind.. wunderschön. «

»Danke. «

Nun hatten sich aber wirklich dermaßen viel Fragen in meinem Kopf angesammelt, dass ich sie erst mal sortieren musste. »Aber was ist so schlimm daran, dass du nicht darüber reden willst? «, fiel mir als erstes ein.

»Das alleine ist es ja nicht. «

So, jetzt musste die Sache mit den Pornos kommen. »Sondern? «

Sandro fuhr sich mit den Händen über das Gesicht. »Ich denke, du weißt es doch längst. « Er tippte auf das Fotoalbum. »In diesem Geschäft lernt man eine Menge Leute kennen. Und viele von ihnen können sehr wichtig sein, wenn man weiterkommen will. «

Gut, damit wusste ich zwar so einigermaßen Bescheid, aber ganz zufrieden war ich mit der Antwort nicht. Also preschte ich vor, es brannte mir eben unter den Nägeln. »Willard dreht aber auch Pornos.. «

Mit großen Augen sah mich Sandro an. »Woher weißt du das? «

Ich grinste. »Ich kenne den Mann, mehr oder weniger zufällig. «

Sandro rieb sich die Finger. »Echt? Woher? «

»Er war.. oder ist hinter Angelo her. Will den unbedingt haben und wenn ich mir jetzt deine Fotos ansehe, weiß ich auch erst richtig, warum. «

»Puh.. Angelo Kassini? Zufälle gibt’s. Aber keine Bange, ich habe mich für Pornos nie hergegeben, und ich tu es auch künftig nicht. «

»Ähm, Sandro – darf ich fragen, wie alt du bist? « Es war sehr scher, ihn einzuschätzen. Auf den Fotos sah er viel reifer und älter aus als so live vor mir. Und zudem hab ich schon immer Probleme, jemanden vom Aussehen ins richtige Alter zu bringen.

»Ich wird nächsten Monat 23 «, antwortete er ohne Zögern. »Und du? «

»Ich wird 19. Aber das dauert noch ne Weile. «

Vier Jahre. Gut, was machte ich mir da für Sorgen. Wir waren grade mal miteinander bekannt, weit, weit entfernt von etwas, das mit dem Wort Freundschaft zu tun hatte.

Angelo war dann kurzfristig wieder dominant in meinem Kopf, aber ich schob ihn rasch beiseite. Die hatten nichts miteinander zu tun, da war ich mir sicher. Und außerdem – was scherte mich eigentlich noch, ob Angelo mit anderen vor der Kamera herumturnt? Mit mir hatte er sich ja doch reichlich geziert und dann machte es auf einmal Klack. Wie wenn ein Schalter von Aus auf Ein geht. Mir kam der Verdacht auf, dass sich Angelo von mir nur hofieren lassen wollte. Ich bestätigte ihm ja oft, wie gut er aussieht und ließ ihn das auch spüren. Hatte er sich mir gegenüber je in dieser Form geäußert? Wollte er am Ende nur dauernd eine Bestätigung für das, was er tagtäglich im Spiegel sah?
„Du gehst hart mit ihm ins Gericht, Ralf. Er lebt auch für seine Arbeit, für die Musik. Margie ist wie du Teil seines Lebens.“

„So ein ausgemachter Quatsch. Er hat diesen Sebastian geküsst. Ein eingebildeter Schnösel, dem die Starallüren zu Kopf gestiegen sind. Er hat für dich überhaupt nichts übrig.“

Ich ließ meine Stimmen durcheinander reden. Die eine hatte sicher irgendwie Recht, die andere auch. »Dann gehst du nur so mit denen ins Bett? «, fragte ich schnurr geradeaus.

Sandro lehnte sich zurück, wesentlich entspannter wie mir schien. »Nur so ist gut. Sie zahlen echt nicht schlecht und.. bis jetzt hat es mir auch nicht geschadet. «

»Wenn du so gut verdienst, warum fährst du eigentlich dann irgendwelche Leute in der Gegend herum? «, musste ich dann wissen.

Er lachte. Hatte er Grübchen? Hatte ich die übersehen? Sandro fing langsam an, mich fusselig zu machen.
»Ich bin nicht berühmt, wenn du das meinst. Jedenfalls.. noch nicht. Und ich hab ne Menge Zeit. Was soll ich den ganzen Tag machen? Wenn die Agenturen hier mal Schlange stehen, kann ich den Job immer noch aufgeben. «

Sie würden Schlange stehen, da war ich mir todsicher. Das war schon etwas starker Tobak, aber gut. Es stand mir nicht zu, da herum zu kritisieren. »Darf ich dich mal was ganz persönliches fragen? «

»Nur zu. «

»Sandro, bist du eigentlich richtig schwul oder.. ist das bloß.. dein Geschäft, sozusagen? « Ich fragte das, weil es öfter vorzukommen schien, dass Callboys – obwohl er ja keiner in dem Sinne war – nicht unbedingt auch schwul sind.

Es folgte erneut ein tiefer Blick in meine Augen. »Manchmal wusste ich es selber nicht. Nun ja, bis auf gestern.. «

»Was meinst damit? « Ich musste aufpassen, dass er nicht wieder ins Rätselraten abglitt.

Plötzlich beugte er sich vor und legte eine Hand auf meinen Schenkel. »Bis gestern war’s Geschäft, ja. Und es stimmt, es macht Spaß, ich muss mich zu nichts zwingen, wenn ich mit denen im Bett bin. Und vor allem kann ich es tun wann ich will. «

»Bis gestern? «

Er nahm die Hand wieder weg und ich fand das gar nicht so gut.

»Ja. Bis auf den Moment, wo ich dich gesehen habe. «

Zang. Das hatte gesessen. Noch fehlten mir ein paar genauere Details, was er damit sagen wollte, aber ich hatte da plötzlich so eine Ahnung. Allerdings, so manches passte nicht und ich hasse Lücken, die man mit Spekulationen füllen muss. Also bleib mir nur die Offensive. »Ich verstehe nicht ganz. «

Sandro stand auf und ging an den Rand des Pools. Ich folgte ihm. Gemeinsam sahen wir hinunter in das türkisblaue Wasser.
»Ich auch nicht, Ralf. Ich meine, ich kann sie nicht mehr zählen, all die Männer in meinem Bett. Ich will’s auch gar nicht wissen. Nur eins weiß ich: Da waren schon durchaus attraktive Männer dabei. Ein paar Mal sogar die Söhne.. von den wichtigen Leuten. Ja, das klingt vielleicht utopisch, aber die Alten haben mich richtiggehend an die Jungen vermittelt. « Noch bevor ich Luft holen konnte, fügte er an: »Keine Angst, die waren Volljährig. «

In der Tat, sich das vorzustellen war mehr als schwierig. Aber es gab noch immer keinen Zweifel, ihm all das zu glauben.

Er drehte sich zu mir um. »Ralf, du hast keine Ahnung was da alles läuft. Ich hab ne ganze Weile gebraucht bis ich das kapiert hatte. Manchmal dachte ich echt, ich bin im falschen Film. Aber nebenbei – ich habe nie etwas Tiefes empfunden, bei keinem. Mir wurde nur schnell klar, dass sie Teil meines Geschäfts sind. Und ich habe bisher vermieden, genauer über das alles nachzudenken. «

»Weil du Angst vor der Wahrheit hattest? Ich mein, es gibt viele Männer die sich nicht sicher sind, was in Sachen Gefühle eigentlich mit ihnen los ist. «

»Ich denke, so kann man es sagen. «

»Dann warst du – noch nie richtig verliebt? «

»Nein, Ralf, nicht wirklich. Ich denke, man kann es allenfalls als eine gewisse Schwärmerei bezeichnen. Aber Liebe.. nein, soweit nicht. «

»Und nun.. ich bin nicht dein Geschäft.«

»Ralf. Als wir da so herumgefahren sind ist mir plötzlich etwas gedämmert. Ich hab es vermisst, im Unterbewusstsein. Ich hab den Menschen vermisst, der Mensch ist und kein Geschäft. Der nicht nur seinen Spaß haben will und das mit ein paar Scheinen auf dem Nachttisch quittiert. Mit dem man reden kann und all die Sachen. «

Damit konnte ich fast annehmen, dass ich mehr als nur eine Schwärmerei für ihn war. Dummerweise gab es da in mir eine Art Sperre. Angelo war immer noch da, wenn auch schwer greifbar. Im wahrsten Sinne des Wortes. Konnte ich mich von einer Liebe so ohne weiteres in die nächste stürzen? Dazu musste ich Sandro besser kennen, auch wenn ich mir in dem Augenblick gar keinen anderen wünschen würde. Ich ließ es bleiben ihn zu fragen, ob er sich in mich verliebt hat. Wenn dem so war, müssten Beweise folgen, auf irgendeine Art und Weise. Denn mit Worten allein war das so eine Sache.

Sandro setzte sich an den Beckenrand und ließ die Füße ins Wasser baumeln. Logisch, dass ich es ihm nachmachte und es war einfach herrlich. Nicht nur das kühle Wasser und die Sonne, die ich endlich wieder ertragen konnte. Auch die Nähe zu dem Jungen trug so einiges dazu bei, dass es mir wieder gut ging. So wohl hatte ich mich übrigens schon ewig nicht mehr gefühlt. Was war dagegen Angelo für eine Strapaze.
»Aber warum hast du vorhin.. so auf meinen Arm reagiert? Ich mein, ich hatte das Gefühl, dass du das nicht magst. «

»Das klingt jetzt vielleicht komisch, ist es aber nicht. Ich hab gewusst, dass ich dir das alles sagen werde, nur nicht wann und nicht wie. Ich wusste nur nicht, wie du reagieren würdest. Es gibt nicht wenige Menschen, die das, was ich tue, abscheulich finden. «

».. und bevor ich dich eklig finden könnte, bist du mir lieber ausgewichen. «

Sandro nickte und das genügte mir. Himmel, was war er ehrlich. »Aber du hast schon gemerkt, dass das nicht der Fall ist? «

Er nickte nochmals, aber ziemlich verlegen.

Nachdem nun endlich etwas Licht ins Dunkel gekommen war, schritt ich zu meiner letzten, aber immer noch wichtigsten Frage. »Sandro, die letzte Nacht.. «

Er seufzte und ließ sich nach hinten umfallen. So lag er vor mir, die Füße im Wasser und sein ganzer, schöner Körper breitete sich vor mir aus. Einen Blick zwischen seine Beine wagte ich nur für wenige Sekunden, die genügten dann auch. So einen Körperbau..

»Du hast wie schon gesagt nach und nach die Bar leer geräumt. Ich hab dich gelassen, weil du richtig fertig warst. Verständlich, nachdem du das mit deinem Freund hast mit ansehen müssen. Ich bin derweil nach deinen Anweisungen gefahren, aber die wurden immer abstruser. Wäre ich so gefahren, säßen wir jetzt wahrscheinlich bei den Pyramiden in Ägypten. Irgendwann hast du dann geschwiegen. Eingeschlafen und mit nichts mehr wach zu kriegen. «

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