Welcome Kapstadt – Teil 5

Shaun lief dann wieder voraus die Treppen hoch und zum ersten Mal konnte ich seinen Hintern begutachten – betont durch die engen weißen Hosen musste ich mich beherrschen, nicht da hinzugreifen.
» Ist niemand im Haus? « fragte ich als wir die Treppen nach oben gingen.
» Doch, irgendwo ist immer jemand. Die Küfer sind im Keller und das Personal schwirrt im Haus herum. Aber da fällt mir ein, ich muss nachher noch arbeiten. «
» Arbeiten? «
» Ja. Für heute Mittag hat sich eine Reisegruppe zur Weinprobe angemeldet. Normalerweise führt die mein Onkel durch, aber ich hab mich angeboten. Hab’s auch schon lange nicht mehr gemacht. «
» Und wie lange dauert das? «
» Ungefähr zwei Stunden. Aber vielleicht kannst du mir ja auch helfen. «
» Und wie, bitte? Ich hab von Wein keinen blassen Schimmer. «
Shaun lächelte wieder so lieb. » Macht nichts, du kannst ja die Gläser spülen. Das ist nicht abwertend, aber es würde mich entlasten. «
Gläser spülen, dachte ich. Aber immerhin war ich dadurch in seiner Nähe und musste nicht irgendwo herumgammeln.
» Klar, wenn es dir hilft, gerne. «
Er blieb auf der Treppe stehen und stupste mit seinem Finger auf meine Nasenspitze.
» Das ist lieb von dir. «
Am liebsten hätte ich seine Hand festgehalten und den Finger in den Mund genommen. Es war schon erschreckend, welch abartigen Gedanken ich nachhing wenn Shaun in meiner Nähe war. Und ich spürte nun ganz deutlich, wie ich diesen Körper begehrte.
Ich wollte ihn, komplett. Von den Zehen bis zu den Haarspitzen. In diesem Augenblick, da auf jener Treppe, am helllichten Tag und auch unter Gefahr, dass man uns erwischen könnte.
» Weiß man hier eigentlich über dich Bescheid? Ich meine, dass du.. « fragte ich vorsichtig.
» Ja, weiß man. Meinen Eltern hab ich es gesagt als ich 18 geworden bin. Und einen Tag später hab ich es ein paar Freunden an der Uni erzählt. «
» Und, wie haben sie es aufgefasst? «
» Locker. Irgendwie ahnten sie es alle schon. Ich hatte jedenfalls keinen Stress. Kapstadt ist ja übrigens die Schwulenhochburg in Südafrika. Und bei dir, wer weiß es da? «
» War ein dummer Zufall. Eigentlich hat mich eine Freundin geoutet, sozusagen. War schon lustig, trotz allem. «
Shaun kam mir eine Stufe entgegen und wir waren uns wieder sehr nah. Ich spürte seine Körperwärme, sein Atem streichelte mein Gesicht. Und dann wieder dieser Duft.
Ein wohliger Schauer sauste durch meinen Körper, als Shaun seine Hand um meinen Hals legte und mich zu sich zog.
Nirgendwo diesem Haus konnte man die Klingel des Telefons überhören. Es war fast wie die Glocke eines Feueralarms, die jetzt losging.
» Geh schon mal hoch, ich komm gleich nach « sagte Shaun und hechtete sportlich nach unten zum Telefon.
Ich betrat sein Zimmer. Hier sollte ich bleiben? Mit ihm allein? Ich wusste, dass ich das wollte, dass es gar keine Frage war. Ich legte meinen Rucksack auf den Tisch und sah mich um. Wieso kam es mir vor, als würde ich all das schon ewig kennen? Nichts schien mir fremd. Klar, ich wollte ja nie wieder weg. Unter diesem Aspekt verinnerlicht man seine Umgebung sofort.
Ich ging zum Fenster und sah in die Landschaft. Zu meinem Erstaunen zogen sich über den Bergen dicke Wolken zusammen und begannen sehr schnell die Sonne zu verdunkeln. Sofort wurde mir kühl und gewahr, dass es Herbst war in diesem Land.
Shaun stand plötzlich im Zimmer. Sein Blick war starr und leblos.
» Mein Gott, ist etwas passiert? «
Er starrte mich nur an.
» Shaun, nun rede doch. «
Er schluckte und ich sah, dass er den Tränen nahe war.
Ich ging auf ihn zu und nahm ihn am Arm. » Nun sagt doch endlich. «
Er setzte sich und sah zum Fenster hinaus. Er schien gar nicht hier zu sein. Ich setzte mich neben ihn, legte meinen Arm um seine Schulter und streichelte sanft seinen Arm.
Irgendwann legte er seinen Kopf an meine Brust und begann leise zu schluchzen. Ich sagte nichts, ließ ihn einfach. Er würde mir schon sagen was passiert war.
Er sah mich mit geröteten Augen an und wischte sich eine Träne aus dem Gesicht. Und er drückte mich so fest wie ich es sonst tat.
» Mein Vater… « er begann zu zittern.
» Was ist mit ihm? «
» Er hat gesagt, dass er sich scheiden lassen wird. «
Jetzt brach es durch. Shaun begann zu weinen und er krallte sich in mein Shirt. Ich drückte ihn, küsste ihm aufs Haar und streichelte sein Gesicht.
Ich wusste nicht wie ich mich verhalten sollte. » Ganz ruhig… «
Ich hatte bis dahin ja keine Erfahrung in solchen Sachen. Mir war es bisher zum Glück noch nicht passiert und auch sonst musste ich noch nie jemanden trösten. Was ging jetzt in Shaun vor? Noch schlimmer, seine Mutter wusste von nichts. Ich geriet leicht in Panik.
Ich weiß nicht wie lange wir so dasaßen und wie lange Shaun geweint hatte. Inzwischen hatte es angefangen zu regnen und im Zimmer wurde es empfindlich kühl.
Shaun begann sich dann langsam zu beruhigen.
Ich sah ihn an. » Geht’s wieder? «
Er nickte, stand auf und ging zum Fenster.
Ich fand keine Worte, wusste nicht was ich sagen sollte.
»Wie.. wird es deine Mutter aufnehmen? «
Er drehte sich zu mir um.
»Für sie wird es nicht schlimm. «
Ich sah ihn entgeistert an.
»Weiß sie, dass er das tun will? «
Shaun nickte. » Das war der Grund, warum er so lange in Deutschland ist. Südafrika war nie das Land, in dem er leben wollte. Im Gegensatz zu meiner Mutter, logischerweise. «
»Und du bist nur zu ihm gereist, weil du ihn umstimmen wolltest, stimmt’s? «
»Genau. Ich habe mit Engelszungen auf ihn eingeredet, aber er hat nichts davon wissen wollen. «
»Und warum hasst er dieses Land? «
» Ich weiß es nicht, er hat es nie gesagt. «
» Und wie geht es jetzt weiter? «
Shaun holte tief Luft. » Viel ändern wird sich nicht. Er war je kaum hier. «
» Aber du liebst ihn trotz allem, oder? «
» Er ist immerhin mein Vater. Aber nun, es ist vorbei. Soll er da oben bleiben, ich möchte ihn nicht wiedersehen. «
Viel Traurigkeit lag in seiner Stimme und er würde lange brauchen, um darüber hinwegzukommen.
Shaun kam zu mir und küsste mich auf die Wange.
» Danke, dass du für mich da warst. «
Wollte er mich plötzlich nicht mehr um sich haben? Ich wurde nervös.
» Wieso warst? «
» In dem Moment wo ich einen Freund gebraucht habe, war er da. Du hast viel Gut bei mir. «
» Was redest du da? Erstens bin ich immer noch für dich da, und zweitens existiert eine Freundschaft nicht durch dauernde Wiedergutmachungen. Sicher, ich werde dich auch einmal brauchen.«
Tränen erstickten meine Stimme. Warum musste ich wieder fort? Warum konnten wir nicht einfach zusammenbleiben?
Ich hatte mich verliebt in den schönsten und liebsten Boy den es gibt. Ich habe ihm unbewusst Halt gegeben, wie das in Freundschaften sein muss. Wir waren uns vertraut als wären wir schon Jahrelang zusammen.
Ich liebte auch dieses Land und die Leute. Meine Heimat war schon so weit aus meinen Gedanken entrückt, dass ich mich nur noch verschwommen an sie erinnern konnte. Nein, ich würde an seiner Seite bleiben, egal wie.
Doch dann holte mich die eiskalte Realität ein. Nichts würde so bleiben, gar nichts. Eine Episode meines Lebens würde bald vorbei sein. Ich konnte mich nicht beherrschen.
» Klar, ich bin auch für dich da… « sagte Shaun leise.
Er sah meine Tränen.
» Dario, lass uns doch erst Mal die Zeit hier verbringen. Wer weiß was der da oben noch mit uns vorhat « sagte er und zeigte zum Himmel.
» Shaun, ich glaub nicht dran, tut mir leid. Ich denke ich geh jetzt lieber. Wolfgang ist in einer halben Stunde.. «
» Warum willst du weg? « fragte er laut, mit weit aufgerissenen Augen.
» Ich hab dich doch so gern und jede Minute die wir zusammen sind macht es nur noch schlimmer. Ich ertrage den Gedanken nicht, dass wir uns dann nie wieder sehen. «
» Wer sagt denn das? «
» Ich kann nicht jedes Wochenende zu dir, versteh das doch. «
Shaun sah mich an, fast schon verächtlich. Ich tat uns beiden weh, aber ich ertrug es nicht länger. Ich zog ein Ende mit Schrecken vor.
» Dario, ich liebe dich. Du kannst doch jetzt nicht einfach fort. «
» Ich sehe keine andere Lösung. Oder hast du eine? «
Mein Ton bei dieser Frage war wieder völlig daneben, es musste fast wie ein Vorwurf geklungen haben. Dabei wusste ich wie ernst es ihm war.
Er sah an mir vorbei ins Leere und mein Bauch krampfte sich zusammen. Es ist töricht nach einer Lösung zu suchen, wenn man von vornherein weiß dass es keine gibt.
Ich brauchte Zeit. Zeit zum nachdenken, wie ich es ohne Shaun aushalten würde. Ob das überhaupt möglich war.
» Shaun, bist du oben? « rief eine Frauenstimme die Treppen hoch.
Ich zuckte zusammen.
Sein Gesicht verdüsterte sich noch mehr. Erst die Nachricht von seinem Vater, dann ich mit meiner Entscheidung ihn zu verlassen und nun seine Aufgabe, seiner Mutter die Nachricht zu überbringen.
War es Mitleid das ich für ihn empfand? Ich wusste es nicht. Ich wusste in dieser Minute überhaupt nichts. Mein Kopf dröhnte, aber gleichzeitig war er auch völlig leer.
Shaun stand auf und fuhr sich durch die Haare. » Meine Mutter. Sie können bei dem Regen nicht weiterarbeiten. Ich geh zu ihr. Bleib bitte hier und … «
Sein Blick wich meinem aus, er winkte ab und ging zur Tür.
» Shaun, was wolltest du noch sagen? «
Er drehte sich um, seine geröteten Augen sprachen Bände.
» Ruf Wolfgang an. Und dann geh, bitte. Ich möchte dich meiner Mutter nicht vorstellen, das gibt zu viele Fragen. Und ich hab einfach keine Lust… «
So stand ich da. Unfähig eines noch so kleinen vernünftigen Gedankens. Mein Herz war am Hals zu spüren, ich zitterte und Schweiß stand mir auf der Stirn. Ich hatte es kaputtgemacht. Einfach so. Hingeschmissen wie ein altes Hemd.
Ich ließ mich in den Sessel fallen und starrte in den Raum. Ich nahm nichts wahr, nur dass ich völlig verzweifelt war. Es war zu Ende bevor es begonnen hatte und ich war Schuld. Warum war ich nicht einfach bloß still gewesen, lebte mit ihm zwei Wochen hier und bis dahin hätte sich ja vielleicht doch eine Lösung gefunden. Nun war es zu spät. Shaun war verärgert und das zu recht.
Ich nahm mein Handy und rief Wolfgang an.
» Hallo, hier ist Dario. Kannst du mich abholen? «
» Moment, ist etwas passiert? «
» Nein, nicht wirklich. Es… es ist nichts. Komm mich einfach holen, Okay? «
» Klar hol ich dich. Aber erst, wenn ich weiß, warum. «
Ich hätte es wissen müssen. So einfach war das nicht und nun hatte ich keine Ausrede parat. Verdammte Sendepause. War ich sonst um Ausreden nie verlegen, diesmal versagte meine Kunst.
» Wolfgang, bitte. «
» Sorry, ich bin da hartnäckig. Also, was ist passiert zwischen euch beiden? «
Ich ahnte dass es keinen Sinn machte.
Plötzlich stand eine Frau in dem Zimmer und starrte mich an.
» Ich ruf noch mal an « sagte ich hastig und legte auf.
Die Frau war um die fünfzig, groß, schlank, braungebrannt, kurze, schwarze und vereinzelt graue Haare, was ihr sehr gut stand. Shaun konnte seine Herkunft nicht verleugnen.
Sie kam auf mich zu.
» Shaun hat gar nicht gesagt dass er Besuch hat. «
» Ich .. ich geh auch schon gleich wieder… «
Sie musterte mich.
» So? Und warum? «
Ich drohte zusammenzubrechen. Erst Wolfgang, nun sie. Shaun war nirgends zu sehen, anscheinend wusste er gar nicht dass seine Mutter hier oben war.
» Wo ist Shaun? « fragte ich deswegen.
» Er ist zum einkaufen nach Stellenbosch gefahren, er braucht noch Verschiedenes für die Weinprobe. Mich wundert dass er Sie nicht mitgenommen hat. «
Sie reichte mir die Hand. » Maureen Schweizer. «
» Dario Monero. «
Sie sah mich nur an, anscheinend erwartete sie dass ich anfing zu reden, aber ich brachte keinen Ton heraus.
» Nun, offenbar haben Sie gar nichts zu erzählen… «
Meine Güte, ich hatte eine Menge zu sagen. Aber nicht jetzt…
» Kommen Sie doch mit in den Garten bis Shaun wieder da ist. «
Nein sagen konnte ich nicht. Die ganze Sache begann mich zu überfordern. Aber auf der anderen Seite.. Vielleicht konnte seine Mutter eine Lösung finden.
Wir gingen durch das Haus und betraten die Rückseite des Gebäudes. Garten hatte sie gesagt. Es war ein Park. So wunderschön wie alles was ich in diesem Land schon gesehen hatte. Wir setzten uns auf eine Sitzgruppe aus Stein, überspannt von einem dichten Mangobaum kam der Regen dort nicht durch. Trotz der Kühle war es irgendwie angenehm. Und ich führte das auch auf diese Frau zurück, die viel Geborgenheit und Wärme ausstrahlte. Shaun in weiblicher Ausführung.
» Nun, wer sind Sie, woher kommen Sie, warum sind Sie alleine hier.. Das ist kein Verhör, aber ich interessiere mich immer für die Freunde meines Sohnes. «
Erst druckste ich herum, dann begann ich zu erzählen. Von Anfang an. Bis zu der Minute, als sie mich in Shauns Zimmer antraf.
Zwischenzeitlich wurde von einem der Bediensteten Rotwein, Obst und Gebäck aufgetischt und mit jeder Minute wurde mir diese Frau vertrauter.
Ich sagte ihr auch, dass ich hier bei Shaun bleiben wollte. Und dass ich ihn wirklich liebte. So wie er mich. Aber dass das eben nicht möglich wäre.
Shauns Mutter hörte nur zu. Sie unterbrach mich nicht, sie wirkte nicht nervös oder angespannt. Sie war meiner Mutter in vielem ähnlich.
Sie stieß mit mir an als ich sagte, das wäre alles was ich zu berichten hatte.
» Aha. Und nun habt ihr euch zerstritten. «
» Ja, aber ich bin Schuld. Hätte ich doch bloß mein Mundwerk gehalten.. «
» Nein, mein Junge, du hast keine Schuld. Du hast nur über deine Ängste gesprochen, die ja nicht unerheblich sind. Du hast nichts mit Absicht getan. Shaun hat das schon richtig verstanden und auch er weiß ja, dass es nicht ewig so gehen kann. «
Irgendwie war sie vom Sie weggekommen und nun schien es mir, sie wäre ein Freund als eine eher fremde Frau.
» Und nun wisst ihr beide nicht wie es weitergehen soll. «
» Genauso ist es. Ich mag nicht weg hier, so einen wie Shaun finde ich nie mehr wieder. «
Sie wusste, das alles andere keinen Sinn haben würde. Darum versuchte sie erst gar nicht mir das auszureden.
» Du hast das mit meinem Mann mitbekommen? «
» Ja, Shaun hat es mir erzählt. «
» Du siehst, es ist nicht immer leicht im Leben. Man muss versuchen mit dem klar zu kommen was man hat. «
Nun, damit war mir nicht wirklich geholfen. Shaun konnte jeden Augenblick zurückkommen, und ich wollte ihm nicht mehr in die Augen sehen. Ich konnte es nicht.
» Also, was möchtest du jetzt tun? «
Ich zog mein Handy aus der Tasche. » Mein Schwager soll mich holen. «
Sie legte ihre Hand auf meine. » Meinst du wirklich, das wäre eine Lösung? «
» Die einzige die wir haben. Also, die ich habe. «
» Ich finde sie nicht gut. «
» Wenn Shaun zurückkommt und ich bin noch immer hier wird er bestimmt sauer. «
Sie lächelte wieder. » Du scheinst meinen Sohn noch nicht richtig zu kennen. «
» Das habe ich nie behauptet. «
» Dann lass uns in die Kellerei gehen, wir können ja schon einiges für die Weinprobe vorbereiten. «
» Aber… «
» Kein aber. Komm einfach mit und lass die Dinge auf dich zukommen. «
Was sollte ich machen? Sie ließ mich nicht gehen und Wolfgang brauchte einen Grund. Gegen diese beiden Mächte hatte ich keine Chance.
Ich folgte ihr mehr oder weniger widerwillig in das Haus und wir stiegen die steilen Treppen zu den geheiligten Hallen des Weinguts hinab.
Wie roch es hier? Nach Moder, nach Wein, nach Feuchtigkeit, nach Alkohol.. Diese Mischung war irgendwie betörend.
Wie betraten einen kleinen Raum, in dem ein ovaler Tisch und Stühle drum herum standen.
» Hier, lass uns die Flaschen auf den Tisch stellen. Und die Gläser dort drüben.. «
Ich konnte für einige Zeit meine Sorgen vergessen. Es war gemütlich hier unten und an den Wänden brannten Petroleumlampen. Und es war still, unheimlich still. Kein Laut irgendwelcher Art konnte durch die dicken Mauern nach hier unten durchdringen.
» Kannst du Brot schneiden? « fragte mich Frau Schweizer.
» Ah, schon, aber… «
» Dann lernst du es. «
Sie führte es mir vor und ich tat es ihr nach. War gar nicht so schwer.
Ich hatte Shaun nicht kommen hören.
» Du bist noch da? « fragte er mich, als er plötzlich hinter mir stand.
» Ja, aber nicht eben freiwillig.. «
» Aha, meine Mutter.. «
» Ja. Aber sie ist sehr nett und … «
Ich überlegte ob es Shaun überhaupt interessierte. Eigentlich musste ich gar nichts mehr sagen. Wolfgang. Ich musste hier weg, so schnell wie möglich.
» Mach ihr keinen Vorwurf, ich hätte auch einfach gehen können. «
Shaun musterte mich. In seinem Blick lag etwas was ich nicht deuten konnte. War es Abneigung, Hass, Liebe? Wozu sich darüber Gedanken machen. Ich hatte ihm meinen Standpunkt klargemacht. Er hatte es nicht akzeptiert und nun würde ich nicht ein Leben lang mit Schuldgefühlen herumlaufen. Es hätte nicht sollen sein. Trotzdem verschwamm mein Blick.
Ich nahm mein Handy und stellte fest, dass es in diesen dicken Gemäuern kein Empfang gab.
» Ich bin schon weg. Leb wohl, Shaun. «
Ohne ihn anzusehen ging ich an ihm vorbei und stieg die Treppe nach oben. Diese Tränen. Es würden die letzten sein, die ich an ihn vergoss.
Ich setzte mich auf die Treppe am Eingang, der Regen hatte aufgehört und die Sonne schien als wäre nichts gewesen.
» Wolfgang? Komm jetzt bitte. Shaun und ich .. wir passen nicht zusammen. Hat ne Weile gedauert bis wir das gemerkt haben, aber nun ist es halt mal so. «
Eine Weile Schweigen am anderen Ende.
» Soso. Wer, bitte, soll dir das glauben? «
» Wolfgang, ich bitte dich. «
» Schön, ich komme. «
» Danke. «
Ich ging nach oben in Shauns Zimmer und nahm meinen Rucksack. Noch einmal sah ich mich um, fiel mein Blick auf das große Bett, in dem ich uns schon liegen sah. Nun war es eben nichts. Irgendwann würde ich auch Shaun vergessen und dann ging das Leben seinen normalen Lauf.
Als ich nach unten ging stand er auf der Treppe und starrte mich an. » Warum musste das so kommen? « fragte er.
» Weiß ich nicht… «
» Ich schlage vor, ihr macht jetzt endlich mal einen Punkt. Man kann es echt nicht mit ansehen wie ihr euch zermürbt « rief seine Mutter, ziemlich ungehalten wie mir schien.
» Frau Schweizer, sie kennen meinen Standpunkt. Ich kann nicht mehr.. «
» Gut. Ich schlage trotzdem vor, dass ihr beide die Weinprobe durchführt. Die Leute kommen in wenigen Minuten und ich kann hier keine missmutigen Gesichter brauchen. «
» Ich werde aber gleich abgeholt… «
» Naja, bis dahin kannst du dich nützlich machen « antwortete sie mir.
Ich ging mit den beiden in den Keller.
» Hallo Shaun. «
Ohne ihn je gesehen zu haben wusste ich dass das Shauns Onkel war.
Sie nahmen sich in die Arme und drückten sich. Diese Familie war, von Shauns Vater einmal abgesehen, offenbar intakt.
Wenige Minuten später stand mir dieser große und stämmige Mann gegenüber. Er mochte wohl auch so um die Fünfzig gewesen sein, braunes, dichtes Haar, braune Haut und ein offenes, ehrliches Gesicht. Er hielt mir die Hand hin.
» Robert Rustenburg. «
Ich schüttelte seine Hand und stellte mich vor.
» Ich höre, es gibt da so ein paar kleine Probleme? «
Verheimlichen konnte man in diesem Haus anscheinend auch nichts.
» Naja… «
Noch mal meine Geschichte erzählen? Ich hoffte, dass Wolfgang gleich kommen würde.
Plötzlich riss mich Shaun am Arm in eine Nische, beobachtet von seiner Mutter und seinem Onkel.
In Shauns Augen loderte ein Feuer, sein Atem ging schnell und er tat mir weh, so fest packte er meine Arme.
» Was tust.. « protestierte ich.
» Sei einmal einen Moment in deinem Leben still. Einmal nur « fauchte er.
Ich weiß nicht wie ich in dem Augenblick ausgesehen habe. Aber ich hatte schon fast Angst.
Er zog mich weiter fort, noch ein paar Treppen weiter hinunter, dahin, wo die riesigen Weinfässer lagerten. Er schleifte mich durch den Gang und die Atmosphäre da unten jagte mir einen Schauer über den Rücken.
Irgendwo weit hinten, in einer Ecke, hielten wir an.
Shaun schnaufte wie ein kleiner Stier, seine Augen waren groß und blitzten in dem Kerzenlicht, der einzigen Lichtquelle an dieser Stelle.
» Frag jetzt nichts, sag jetzt nichts, okay? «
Ich nickte.
» Du wirst die zwei Wochen hier bleiben, hier bei mir. Ich will nicht dass du gehst und ich werde dich nicht gehen lassen. Wir haben viel Zeit, die müssen wir nutzen. Ob du heute unter Tränen gehst oder in zwei Wochen – wo ist der Unterschied? Du kannst mich jetzt nicht allein lassen. Dario, ich brauch dich. «
Er stürzte mich in einen Gewissenskonflikt. Natürlich hatte er recht. Tränen konnte ich auch später noch vergießen.
Sein fester Griff ließ nach, sein Blick wandelte sich. Auf einmal konnte ich diesen Augen nicht mehr widerstehen. Seine Hände begannen meine Arme zu streicheln, sein Kopf kam meinem näher. Wieder dieser Duft, sein Atem auf meinem Gesicht. Ich ließ mich gehen. Er konnte alles mit mir anstellen, es war mir egal.
» Lass uns hochgehen, die Leute werden gleich kommen. «
» Shaun… ?«
» Ja? «
Ich zog ihn zu mir und drückte meine Lippen auf seine. Heftig spielten unsere Zungen miteinander und unsre Hände waren überall. Ich strich ihm sanft über seinen strammen Hintern und er tat es mir nach. Und dann wagte ich es. Ich fasste ihn zwischen die Beine. Fest fühlte es sich an und ich knetete das Paket kräftig, so dass sich Shaun keuchend vornüber beugte. Dann spürte ich seine Hand auf meinem kleinen Freund, der nun nicht mehr klein war.
» Seid ihr hier unten? Die Gäste sind da! «
Wir sahen uns an. Was ein Glück, der Streit war vergessen. » Wir sollten hoch, meine Mutter versteht, wenn es ums Geschäft geht, nämlich wenig Spaß. «
» Okay. « Ich holte tief Luft, denn nur fünf Minuten später wäre es passiert gewesen.
Ich rief Wolfgang an.
» Hallo Dario. Tut mir leid, aber du musst noch ein bisschen warten, wir haben überraschend Besuch bekommen. «
Wie viel Glück und Leid konnte man an einem Tag vertragen?
» Du musst nicht kommen, es hat sich erledigt. «
» Aha, dann um so besser. Jetzt macht mal keinen Stress und eigentlich wäre es gut wenn du nicht mehr anrufen würdest – wegen solcher Dinge. «
» Nein, ich ruf nicht mehr an. Grüß mir Nadine. Ciao. «
Es waren alles ältere Leute, die mit einem Bus angekommen waren. Sie standen an den Bistrotischen, schwatzten und probierten den Wein. Shaun mischte sich immer mal wieder unter die Gruppen und gab Auskünfte über den Wein. Schön war er anzusehen.
Einfach nur sein Anblick. Wie er mit den Leuten redete, wie er sich elegant zwischen den Tischen bewegte, wie er lächelte oder mit den Händen gestikulierte wenn er etwas erklärte. Und immer wieder sah er zu mir herüber. Ich spülte indes die Gläser und unterhielt mich abwechselnd mit seiner Mutter oder dem Onkel.
Irgendwie hatte ich dann auch schnell heraus wann wieder Brot fällig war oder neue Gläser hermussten.
» Dario, du machst das sehr gut « sagte Onkel Robert – so durfte ich ihn dann nennen – immer mal wieder. Und auch Shauns Mutter lächelte mich hin und wieder an. Irgendwie dachte ich hier dazu zugehören. Und ich geriet wieder in dieses verdammte Grübeln.
» Dario, kommst du mal? « rief Shaun und riss mich aus den Gedankengängen.
Ich trocknete meine Hände ab und folgte Shaun hinter die Fässer.
Spontan gab er mir einen Kuss. » Hab ich jetzt gebraucht. Nun kann’s weitergehen. «
» Und das war alles? « rief ich ihm nach.
Er kam noch einmal zurück, das gleiche Spiel wiederholte sich.
» Zufrieden? «
» Ja. «
Nach etwa zwei Stunden – es war inzwischen richtig laut geworden in dem Keller – begann sich die Gesellschaft zu verabschieden.
Ich räumte mit Shaun die Tische ab. Immer wieder fiel mein Blick auf meinen Boy, und ich freundete mich mit dem Gedanken an, viele Tage mit ihm zusammen zu sein. Wenn es das Schicksal wollte, dann würde dieses zuschlagen, wie auch immer.
» So, kommt, es reicht für heute. Wir haben Wein für über 64000 Rand verkauft. Das müssen wir feiern. «
Onkel Robert öffnete mit Getöse eine Sektflasche und schenkte ein. Danach war mir nun auch.
Ich ging zu dem Tresen und griff unter die Haltestange, die in Brusthöhe um den Tresen verlief.
» Wie viel sind 64000 Rand? « fragte ich Onkel Robert.
Er grübelte kurz. » Etwa 8500 Euro. «
Wir stießen an und der Sekt war kühl und nicht so süß. Ich nahm einen großen Schluck und spürte gleich das Brennen in meinem Bauch.
In diesem Augenblick spürte ich einen Stich in meinem Finger.
» Autsch « sagte ich nur kurz und sah mir meinen Finger an. Zwei winzige rote Punkte waren zu sehen und es begann höllisch weh zu tun.
Komischerweise war Shaun sofort bei mir. » Was ist passiert? «
» Weiß nicht, muss jemand Nadeln da versteckt haben. «
Shaun wurde hektisch. » Wo? «
» Na da, unter der Stange. «
Shaun griff sich eilig eine Serviette und fuhr unter dem Rand der Stange entlang.
Etwas Schwarzes fiel zu Boden und jetzt sah ich dass es eine Spinne war.
» Onkel Robert, ruf den Krankenwagen, Dario ist von der Schwarzen Witwe gebissen worden « schrie Shaun, worauf sein Onkel keine Sekunde bis zum Telefonhörer brauchte.
Ich starrte Shaun an. » Was sagst du da? « und betrachtete meinen Finger. Er wurde schnell rot und der Schmerz begann unerträglich zu werden.
» Keine Panik, das ist normalerweise nicht schlimm. Bist du allergisch gegen Insektenstiche? «
» Nee, echt nicht. Aber was soll… «
Shaun hatte sich einen Prospekt der Weinhandlung geschnappt und schlug wie wild auf die flüchtende Spinne ein. Ein Treffer, und nichts als ein Fleck blieb von ihr übrig.
Ich begriff noch immer nicht. » Was ist denn los? «
» Komm, setzt dich her und bewege dich nicht. Vor allem bleib ruhig. «
» Was hat mich gebissen? « fragte ich nach, obwohl ich jedes Wort verstanden hatte.
» Eine Schwarze Witwe. Aber in deinem Alter kann sie dir nichts anhaben. «
» Diese kleine Spinne? Du machst Witze. «
» Diese Spinnen sind nicht groß. Das ist einer der Irrtümer der unwissenden Menschheit. Aber ich erklär’ dir das später. «
» Und wieso muss der Arzt kommen? « Allmählich machte sich Panik in mir breit. Der Finger fühlte sich an als wäre er erst gequetscht worden und anschließend hielt man ihn in ein Feuer.
Ich zog Shaun energisch zu mir. » Sag mir sofort, was los ist. «
Er sah mich an. » Keine Panik jetzt. Es kann sein dass dir schlecht und heiß wird und du starkes Herzklopfen bekommst. Der Arzt wird dir ein Gegenmittel geben und dann ist es das auch schon. «
Ich hatte echt das Gefühl sterben zu müssen und mein Blick fiel auf die zermalmte Spinne dort auf dem Boden. Sie war doch nicht größer als die Spinnen bei uns..
Mir wurde glühend heiß und langsam gehorchten meine Beine nicht mehr. Trotz innerer Gegenwehr legte sich ein schwarzer Schleier vor meine Augen.
» Er wird ohnmächtig « hörte ich Shaun noch schreien.

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