Zoogeschichten I – Teil 30

Die Aufgabe

Wir hatten uns für den Abend verabredet, obwohl ich meine Eltern nicht gefragt hatte, ob ich unter der Woche noch weg darf – ich war ja schließlich immer noch siebzehn. Kevin und Corinna fanden mich aber derart süß, dass sie mich unbedingt näher kennen lernen wollten.

Nach dem ich mich küssenderweise von Micha verabschiedet hatte, war ich wieder zurück auf dem Weg zum Bärenhaus, als mir Sabine entgegen kam.

„Halt, kannst gleich wieder kehrt machen“, meinte sie.

„Wohin?“, fragte ich.

„Zum Chef, er wollte etwas mit uns besprechen.“

Mit dieser Familie hatte ich es heute. So folgte ich Sabine zu dem großen alten Gebäude, das am Eingang des Zoos stand. Hier war ich noch nie, weil Trebnitz ja in einem anderen Gebäude untergebracht war.

Wir betraten dieses Haus und schon beim Reingehen fielen mir die vielen Bilder von Tieren auf. Fast auf jedem Bild war auch Herr Kolping abgebildet.

„Komm Dennis, weiter – Jürgen wartet! Die Bilder kannst du dir auch ein andermal anschauen.“

Ich folgte Sabine eine alte geschwungene Steintreppe hinauf, die auf einer Galerie endete. Auch hier jede Menge Bilder, die Kolping mit verschiedenen Tieren zeigte. Sabine klopfte an einer der zahlreichen Türen.

Ein >Herein< folgte und Sabine zog die schwere Holztür auf. „Hallo Sabine, oh und wie ich sehe, hast du Dennis auch mitgebracht. Ihn betrifft es ja hauptsächlich.“ „Hallo Jürgen, was ist denn so Tolles, dass du mir das am Telefon nicht sagen wolltest?“, fragte Sabine. „Setzt euch!“, sagte Jürgen und zeigte auf zwei Ledersessel, die vor seinem Schreibtisch standen. Ich nickte und setzte mich neben Sabine. „So - folgendes. Unsere Freunde aus den anderen Zoos haben von dem Erfolg gehört, einen kleinen Malaienbären mit der Flasche großzuziehen“, begann Jürgen. „Na ja Erfolg… uns blieb ja nichts anderes übrig“, sagte Sabine. „Egal, wir haben auf jeden Fall Anfragen von drei Zoos, die uns leihweise ihren Malaienbärennachwuchs bringen würden, die ebenso nicht von ihrer Mutter angenommen wurden.“ „Eine Kinderstation?“, fragte Sabine. Ich schaute die beiden fragend an. „Ja, die Idee war einfach, eine Aufzuchtsstation für Mallaienbabys zu schaffen.“ „Lauter Krümels?“, rutschte mir heraus. „Ja, genau, lauter Krümels, um die ihr euch dann kümmern würdet. Na ja, ich dachte da eher an Dennis, der jetzt schon etwas Erfahrung hat mit den Bären.“ Ich schluckte. „Ich bin doch erst eine Woche hier…“ „Kein Problem, Dennis. Einige deiner Kollegen, insbesondere mein Bruder Volker, haben sich positiv über deinen Umgang mit den Tieren geäußert und ich denke mir, da wir beim Bärenhaus eh unterbesetzt sind, dass du bei den Bären hauptsächlich ausgebildet wirst… und was meint ihr beiden dazu?“ Sabine lächelte neben mir. „Also ich hätte nichts dagegen, Dennis immer an meiner Seite zu haben“, meinte Sabine. „Und was meinst du, Dennis? Würden dir die Bären als Schwerpunkt gefallen?“ „Schon…, aber ich kann mir nicht vorstellen, wie ich das alles schaffen soll. So gut kenne ich mich wirklich nicht mit den Bären aus.“ „Du weißt jetzt schon mehr über Bären, als viele deiner Kollegen im Zoo“, sagte Sabine aufmunternd. „Wenn ihr meint.“ Unsicher war ich allemal, aber auch irgendwie glücklich mit so einer Aufgabe betraut zu werden. Aber in meinem Kopf spann es schon weiter. Eine weitere Frage brannte mir auf der Zunge. „Was ist, Dennis? Du schaust so nachdenklich“, fragte Sabine. „Ja… ich überlege gerade, wo wir die Bärchen unterbringen, die großen Käfige sind wohl nichts für sie, die Gitterstäbe sind zu weit auseinander.“ „Stimmt, Dennis. Gut beobachtet. Deswegen habe ich mich gestern bereits etwas umgeschaut und bin auf einen Raum gestoßen, der eigentlich mehr als Abstellraum genutzt wird. Den könnte man gut umbauen und einen Zugang nach draußen hat er auch mit einem kleinen Gehege.“ „Du meinst sicher den Raum, wo wir früher die Erdmännchen drinnen hatten?“, fragte Sabine. „Ja, genau der. Der müsste ja alles haben, was wir für die Malaien bräuchten.“ „Den habe ich noch gar nicht gesehen“, meinte ich. „Dann gehen wir doch gleich mal gemeinsam hin und schauen uns an, was für Arbeit anfällt und ob ihr zusätzliche Hilfe braucht. Die anderen Zoos drängen nämlich und je schneller wir die Tiere aufnehmen können, desto besser“, sagte Jürgen und stand auf. Sabine und ich taten es ihm nach und so verließen wir Jürgens Büro. *-*-* „Das sind eigentlich alles Sachen, die endlich mal entsorgt gehören“, meinte Sabine und kickte einen Eimer zur Seite. „Gut, dann schau ich, wer Zeit hat und schick sie dann zu euch, damit ihr das nicht alleine machen müsst. Gregor werde ich anweisen, euch einen Container vor das Haus zu stellen, damit es leichter geht“, sagte Jürgen und verschwand mit dem Handy am Ohr. „Na, da haben wir ja eine große Aufgabe vor uns“, meinte Sabine und ließ ihren Blick durch den Raum wandern. „Krümel bekommt Spielgefährten, das finde ich gut.“ „Na ja, Malaien sind wie die anderen Bären eigentlich Einzelgänger, aber im Hinblick darauf, dass sie im Zoo mit anderen auf engerem Raum zusammen leben müssen, ist es sogar vielleicht gut.“ „Dann machen wir uns mal ans Werk“, sagte ich und nahm den ersten Karton in die Hand. „Ich denke, wir sortieren erst einmal vor, was noch zu gebrauchen ist und was wir gleich entsorgen können.“ So machten wir uns an die Arbeit und kämpften uns von einem Stapel zum Anderen. „Sabine?“, rief jemand im Flur. Wir sind hier im alten Erdmännchenkäfig“, rief Sabine. Volker erschien und hatte Fritz und noch zwei Frauen im Schlepptau. „He, hallo, nett dass ihr uns helft“, meinte Sabine, „Dennis, das sind Monika von Aquarium und Susanne von der Huftierabteilung.“ Ich gab beiden die Hand und begrüßte sie mit einem Hallo. „Gregor ist schon unterwegs und bringt den Container“, meinte Fritz. „Gut, dann können wir gleich anfangen, die Sachen hier hinaus zutragen“, kam es von Sabine. Dabei zeigte sie auf den Stoss Sachen, den wir schon vorsortiert hatten. Das Ganze zeigte sich doch schwieriger, als wir gedacht hatten. Alles lag schon längere Zeit herum und schon bald stand der komplette Raum in einer Staubwolke. Hustend verließen wir irgendwann alle den Raum. „Irgendwie müssen wir an die Tür und die Fenster kommen, um sie zu öffnen“, sagte Volker. „Moment, ich versuche mal, nach hinten durch zukommen“, meinte ich und fing an, über die Kisten zu steigen. „Sei vorsichtig Dennis, da ist altes Zeug dabei, könnte schon morsch sein“, sprach Sabine. Und als hätte sie es vorausgeahnt, fing es bei der fünften Kiste an, zu Knirschen. Ich brach ein und alles unter mir gab nach. Mit einem Schrei versank ich im Holz der Kisten, dann war Ruhe. „Dennis, mein Gott ist dir was passiert?“, rief Sabine. „Nein, ist alles klar… bis vielleicht auf ein angeknackstes Ego!“ Bis auf eine dicke Staubwolke war wahrscheinlich nichts mehr von mir zu sehen. „Der ist ja regelrecht auf Tauchstation gegangen“, hörte ich Fritz sagen und ein „Aua“ kam gleich hinter her. „Lass die blöden Sprüche, hilf mir lieber, die Kisten wegzuschaffen“, sagte Sabine. Ich hörte Gepolter und Gehuste und es dauerte etwas, bis ich wieder ein wenig von meiner Umgebung sehen konnte. Volker zog mich hoch, während ich versuchte, meinen Fuß aus der Kiste zu bekommen. „Das ist ja noch mal gut gegangen junger Mann, bitte keine weiteren Leichtsinnigkeiten.“ „Ich werde es versuchen, aber die Tür ist immer noch nicht offen“, antwortete ich. „Mist, dass die nur ein Schloss von innen hat“, meinte Sabine. „Hat sie nicht, dass ist doch kurz vor den Umzug umgetauscht worden“, kam es von Fritz. „Bitte? Das sagst du erst jetzt?“, keifte Sabine. „Na sauber, dann hätte ich mir das ja sparen können“, sagte ich. Fritz zuckte mit der Schulter und zog einen Schlüsselbund hervor. „Der müsste sogar passen, wenn ich mich recht entsinne“, sagte Fritz, als wäre er sich keiner Schuld bewusst und verschwand. Wenige Sekunden später öffnete sich die Tür wie von Zauberhand und frische Luft strömte herein. „Könntet ihr mal nach draußen kommen?“, fragte Fritz. Ich lief mit Sabine, gefolgt von Volker nach draußen. Fritz stand in dem kleinen Gehege, das auch schon mal bessere Tage gesehen hatte. Das Gras stand hoch und alles war zugewuchert mit Büschen, auch der Zaun hatte einige Löcher. „Also wenn ihr nichts dagegen habt, mach ich mich mal hier draußen an die Arbeit“, sprach Fritz weiter, „Dennis, was meinst du, was hättest du gerne im Gehege?“ „Wieso fragst du da mich?“ „Du spielst immer mit Krümel, also weißt du auch, was man braucht.“ „Ach so. Also kleinere Stämme zum Klettern, ein paar Büsche zum Nagen, einen Baum.“ „Mal sehen, was sich unter diesem Dickicht alles versteckt“, meinte Fritz. „Es hilft nichts, wir müssen drinnen weiter machen“, sagte Sabine. Inzwischen stand auch schon der Container da und so machte ich mich daran, alles heraus zu tragen, was Müll war. Es war bereits am Mittag, als die letzte Kiste den Raum verließ. „Ich hole mal den Hochdruckreiniger und spritze alles ab. Dann sehen wir ja, was hier noch erneuert werden müsste“, sagte Volker und verschwand. Draußen glaubte ich, einen Rasenmäher zu hören, also war Fritz auch voll zu Gange. „Hallo, wo seid ihr denn alle?“, hörte ich Michaels Stimme. „Hier hinten“, rief ich zurück. Alle standen leicht keuchend angelehnt an den Wänden und machten Pause. „Etwas zu trinken wäre jetzt gut“, sagte Susanne, „ich habe einen total trockenen Hals. „Hi, was macht ihr denn da?“ Michael erschien im Raum. „Aufräumen, siehst du doch“, meinte Sabine und wischte sich über die Stirn. „Und für was?“, fragte Michael. Sabine erzählte von Jürgens Plänen, was Michael hellauf begeisterte. „He, da bekommst du ja eine richtig tolle Aufgabe“, meinte Michael zu mir und nahm mich kurz in den Arm. Sabines Handy ging los und sie verschwand aus dem Raum. „Könntest du uns mal etwas zu trinken besorgen?“, fragte ich Michael, „wir sind alle am Verdursten. „Klar, kommt sofort, bin gleich wieder da“, meinte Micha und verschwand wieder, während Sabine mit ernster Mine wieder den Raum betrat. „Dennis… kommst du mal bitte…“ Was war denn jetzt? „Dein Vater hat grad angerufen… deine Mutter hatte einen Unfall…“

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