Engelchen und Teufelchen – Tür 8

tuer-08Mein Kopf wanderte nach oben. Das Firmenhauptgebäude war recht groß und ganz dort oben war das Büro meines Vaters. Mittlerweile war ich nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee war, hier aufzutauchen.

Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und betrat das Gebäude. Die Empfangshalle war recht groß, da wirkte die Anmeldung, hinter der zwei Frauen zu Gange waren recht klein.

„Guten Morgen Herr von Grünenberg…, was kann ich für sie tun?“, lächelte mich einer der Dame an, als sie mich bemerkte.

„Ist mein Vater da?“

„Ja…, soll ich sie anmelden?“

„Brauchen sie nicht“, meinte ich und lief zu Fahrstuhl. Sie nickte mir zu. Deutlich spürte ich zwei Augenpaare in meinem Nacken.

Rafael

Die Schwellung war völlig zurück gegangen, trotzdem tat mein Kiefer immer noch weh. Besonders das Kauen spürte ich ordentlich. So beschränkte ich mich in der großen Pause auf das Trinken.

„Becker…, ich habe gehört am Wochenende, dass warst du mit der Schlägerei auf dem Weihnachtsmarkt!, rief jemand laut.

Jochen. Genervt drehte ich mich um.

„Ja und?“

„Cool Mann, hast ihn flach gelegt?“

Ich atmete tief durch und verdrehte die Augen.

„Pass auf, dass er dich nicht flachlegt“, hörte ich Torstens rettende Stimme.

Allgemeines Gelächter folgte. Die Schülertruppe löste sich auf und ich stand alleine mit Torsten da.

„Na, alles klar?“

Ich schüttelte den Kopf.

„… hab schlecht geschlafen.“

„Tut es immer noch so weh?“

„Nein…ja, ach…“

„Man Rafael, du bist ja völlig neben dir.“

Ich schloss die Augen.

„Ist es wegen Peter?“, fragte Torsten ganz leise.

Ich senkte den Kopf und schaute meine Schuhe an.

„Dich hat es wirklich erwischt.“

„Ich weiß nicht mehr was ich denken soll. Einerseits finde ich ihn toll, nett… tolle Augen hat er, aber dann kommen die Gedanken wieder…, er ist reich, was will der schon mit einem wie mir zu tun haben?“

Torsten ließ sich neben mir nieder.

„Kann es sein, dass du von Vorurteilen belastet bist? Klar hat Peter Geld, aber was hat das mit Gefühlen zu tun?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Ich habe dir schon einmal gesagt, lern ihn doch erst einmal kennen.“

Die Pausengong ertönte.

„Komm lass und hinein gehen…“

Peter

„Peter, was ist los, warum bist du nicht in der Schule?“

„Ich wollte mit dir reden.“

„Das hättest du auch zu Hause machen können, du kannst doch nicht einfach von der Schule fern bleiben!“

Ich seufzte.

„Papa…, weißt du überhaupt, wie ich in der Schule stehe, weißt du, was ich in meiner Freizeit mache?“

Mein Vater schaute mich an.

„Was weißt du überhaupt über mich?“

Mir war egal, ob ich vorwurfsvoll klang.

„Aber Peter…, ich verstehe dich nicht…, dir geht es doch gut, du hast alles…“

„Materielle Werte, ja, davon habe mehr als genug…, aber was ist mit Familie? Was habe ich von dir? Wann sind wir das letzte Mal wandern gewesen…, zusammen im Kino, oder wann sind wir das letzte Mal zusammen in Urlaub gewesen?“

„Im Sommer auf den Maledieven, Peter. Hast du das schon vergessen?“

„Da warst du zusammen mit Geschäftsfreunden, aber Zeit für mich…? Verstehst du immer noch nicht was ich meine?“

Mein Vater schaute mich ungläubig an.

„Ich bin dir doch ehrlich gesagt egal, oder?“

„Nicht in dem Ton…!“

„Warum nicht? Wenn ich es nur so schaffe, deine Aufmerksamkeit zu bekommen!“

Aufmerksamkeit, dass wollte ich schon lange. Ich fühlte mich so alleine und einsam, niemand zu dem ich gehen konnte.

„Du gehst besser…, ich werde in der Schule anrufen und dich für heute entschuldigen.“

„Papa bitte…!“

„Nichts Papa…, ich werde mit deiner Mutter reden…, so kann es wirklich nicht weiter gehen. Vielleicht werden wir dich doch auf ein Internat schicken, so wie wir es ursprünglich geplant hatten.“

„Internat? Ihr schiebt mich ab?“, fuhr ich ihn an.

Dann kam etwas, was ich bisher noch nie erlebt hatte. Vater holte aus und wenige Sekunden später spürte ich einen Schmerz an der Wange. Er hatte mir eine herunter gehauen. Entsetzt sah ich ihn an.

Tränen pressten sich hervor. Ich drehte mich um und rannte aus seinem Büro.

„Peter!“

Ich hörte nicht auf sein Rufen, ich wollte nur noch hier heraus.

Rafael

Ich war froh, dass die Schule endlich vorbei war. So richtig konzentrieren konnte ich mich eh nicht. Ich beschloss den Park zu durchqueren, um Zeit zu sparen. Mit dem Bus wollte ich nicht fahren, nachdem Jochen die ganze Zeit meine angebliche Schlägerei breit getreten hatte und ich plötzlich Mittelpunkt der Klasse war.

Ich wickelte meine Schal noch einmal um den Hals und zog einen Teil davon über meinen Mund. Warum hatte ich nicht meine Mütze mitgenommen? Meine Ohren waren eiskalt, und taten etwas weh.

So blieb ich stehen, wickelte den Schal los, legte die Mitte über den Kopf und band ihn erneut um den Hals. So war es besser. Es hatte leicht angefangen zu schneien und ich wollte mich beeilen nach Hause zu kommen.

Ich schaute über die Wiese und überlegte, den Weg, der hier eine große Kurve machte, zu verlassen, um abzukürzen. Aber der hohe Schnee ließ mich von diesem Gedanken abrücken, Nasse Schuhe und Hosen wollte ich wirklich nicht. So lief ich weiter auf dem geräumten Weg.

Plötzlich fiel mir jemand auf einer Bank auf. Entweder war der gut eingepackt, oder total durch geknallt, bei dieser Kälte auf einer Parkbank zu verweilen. Die Version mit durch geknallt, erschien mir eher zu stimmen, denn der saß da ohne Mütze oder Schal.

Als ich näher kam, beschlich mich das Gefühl, die Person zu kennen. Als ich wusste, wer es war, blieb ich stehen.

*-*-*

Peter

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren rannte ich aus dem Bürogebäude, dass änderte auch nicht das Rufen der Dame am Empfang. Vor der Tür stoppte ich kurz, eisige Luft schlug mir entgegen, was meine glühende Wange noch mehr spüren ließ.

Vater hatte mich noch nie geschlagen. Ich rannte über die Straße, nahm fast das Auto nicht wahr, dass wegen mir scharf bremsen musste. Gegenüber lag ein Park. Ich wusste nicht wohin ich rannte, einfach nur weg.

Irgendwann meldete sich meine Kondition, ich bremste ab und blieb stehen. Schwer atmend, spürte ich, wie die Tränen über die Wangen liefen. Warum hatte er mich geschlagen? Ich ließ mich auf eine Bank fallen.

Egal, ob ich nun im Nassen saß, die Gedanken in meinem Kopf ließen mich das nicht spüren. Eine Welt brach über mich zusammen und warf mich total aus der Bahn. Wenn mein Vater durch mein Aufbegehren schon derart provoziert wurde, was würde passieren, wenn ich ihm sagen würde, dass ich anders fühlte, etwas für einen Jungen empfand?

Knirschende Schritte im Schnee rissen mich aus meinen Gedanken. Es hatte wieder anfangen zu schneien. Plötzlich verstummten die Schritte in meiner Nähe. Ich schaute auf. Ein Junge stand vor mir, vermummt nur die Augen schauten heraus.

Diese Augen kannte ich.

„Rafael…“, sagte ich leise.

Rafael

Es war Peter. Er schaute auf und sein Blickfiel auf mich.

„Rafael…“

„Ja“, meinte ich und legte meinen Mund frei.

Seine Augen waren rot und über seine Wangen liefen Tränen.

„Peter…, was ist passiert?“, fragte ich und wunderte mich über mich selbst, warum ich das jetzt gesagt hatte.

Mir viel auf, dass seine eine Wange knall rot war und regelrecht glühte. Ich streckte meine Hand aus.

„Komm, hier kannst du nicht sitzen bleiben!“, meinte ich zu ihm.

Er schaute auf meine Hand und zögernd griff er nach ihr.

„Wir gehen zu mir, sonst erkältest du dich noch“, bestimmte ich, ohne ihn zu fragen, ob ihm das überhaupt Recht war.

Ich zog ihn an seiner Hand hinter mir her. Er folgte nur widerwillig, aber er kam mit. Eine Viertelstunde später standen wir vor meiner Wohnungstür. Ich schloss sie auf und trat ein.

„Komm!“, sagte ich, weil Peter keine Anstalten machte, mir zu folgen.

„Bitte zieh deine Schuhe aus, du kannst sie da hinstellen. Meine Mutter ist nicht so begeistert, wenn Fußspuren durch die Wohnung führen.“

Er gab kein Ton von sich und zog seine Schuhe aus. Seiner Jacke entledigt folgte er mir Wortlos in mein Zimmer. Mir fiel die dunkle Fläche an seinem Hintern auf.

„Öhm…, du bist völlig nass“, sagte ich leise, aber er nahm das gar nicht wahr, er reagierte auf alle Fälle nicht. Ich sah ihm in die Augen. Sie waren nicht mehr so magisch, wie am ersten Tag als ich Peter kennen lernte.

Traurig und rot schauten sie mir jetzt entgegen.

„Peter…, was ist passiert?“, fragte ich noch mal leise.

Plötzlich zuckte sein ganzer Körper, er fiel mir um den Hals und fing laut zu schluchzen.

„Hallo Rafael, ich bin wieder zu Hause.“

Meine Mutter. Die hatte mir gerade noch gefehlt.

„Rafael…?“

Weniger später ging die Tür auf. Natürlich sah sie mich mit Peter im Arm, aber sie hörte genauso sein Schluchzen. Sie bewegte den Mund und ich wusste genau, sie wollte fragen, was hier los ist.

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