Engelchen und Teufelchen – Tür 10

tuer-10Peter

Dieses Lächeln! Die blauen Augen strahlten und das Licht, dass durch das Fenster fiel, ließ Rafaels Lockenkopf noch mehr leuchten. Ich war schwul und habe mich in diesen Engel verliebt.

Meine Atmung war ruhiger geworden, es liefen keine Tränen mehr. Zaghaft hob ich die Hand und strich sanft über die Stelle, wo ich ihn geschlagen hatte. Ich konnte mir echt nicht mehr erklären, wieso ich ihn geschlagen hatte.

Das war nicht mein Ding, noch nie war ich irgendwie brutal geworden, noch hätte ich jemand angerührt. Heute hatte ich es am eigenen Leib erfahren, wie es ist, eine gescheuert zu bekommen.

Wobei ich ihn ja mit der Faust getroffen hatte. Die Schwellung war zurück gegangen, aber die Stelle war noch leicht gerötet. Ich zog meine Hand zurück, denn die ganze Zeit, im Gedanken verfallen, strich ich über die Wange.

Er griff nach meiner Hand, immer noch mit diesem Lächeln, und zog sie zu sich. Ich wusste nicht was ich sagen wollte, ich wusste nur, dass dieser Kerl vor mir, dass war, was ich wollte. Ein Freund, einen richtigen Freund.

Die Geborgenheit bekommen, die ich zu Hause nicht bekam. Jemand zu haben, mit dem ich reden konnte.

„Einen Cent für deinen Gedanken“, riss mich Rafael aus meiner Traumwelt.

„Soviel…“

„Du kannst auch laut denken, ich höre gerne zu.“

„Seit wann machst du das mit dem Kinderheim?“

„Seit ungefähr einem Jahr.“

„Mir geht der Kleine nicht mehr aus dem Kopf…, Ulf…, als er mir sein Zimmer zeigte, kam ich mir so mies vor.“

„Wieso das denn? Nur weil du Geld hast und er nicht. Der Kleine versucht aus seiner Situation das Beste zu machen.“

„Ich würde ihn so gerne helfen, aber…“

„Du weißt nicht wie.“

Ich nickte.

„Hast du dir eigentlich schon mal Gedanken gemacht, wie es wäre Geschwister zu haben?“

Dieses Mal schüttelte ich den Kopf.

„Man kann auch jemanden adoptieren…“

„Adoptieren…, da würden meine Eltern nie mitspielen.“

„Bist du dir da ganz sicher?“

„…nein.“

„Bring dieses Thema doch einfach mal auf den Tisch.“

„Nach dem was vorgefallen ist? Ich kann mir ein normales Gespräch mit meinen Eltern nicht vorstellen.“

Rafael hielt die ganze Zeit meine Hand.

„He, wenn du etwas nicht probierst, kannst du nicht wissen, wie es ist.“

„Stimmt,… aber irgendwie habe ich Angst davor.“

„Ich würde ja sagen…, ich komme mit, so als seelische Unterstützung.“

„Nein…, da muss ich wohl oder übel alleine durch.“

„Du weißt jetzt wo ich wohne, wenn etwas ist…, ich bin jederzeit für dich da. Eine verschneite Parkbank ist nicht die beste Lösung. Da fällt mir ein, deine Hose müsste trocken sein.“

Rafael ließ meine Hand los und stand auf.

„Ich schau kurz nach“, meinte er und verschwand.

Erst jetzt nahm ich Rafaels Zimmer richtig wahr. Es war nur ein viertel dessen, was ich mein Reich nannte. Ein Schrank, das Bett, ein Schreibtisch. Noch ein paar Regale, die vollgestopft an den Wänden hingen.

Keine Poster, dafür drei wunderschöne Bilder von Stränden. Ich stand auf und ging zu einem der Regale. Die Bücher waren ausschließlich Krimis. Er lass also gerne. Ein paar Sachbücher für die Schule und sonst nichts.

Die Tür ging hinter mir auf und Rafael kam zurück. Er blieb kurz stehen, schaute durch sein Zimmer.

„Ich hoffe, dich stört die Unordnung nicht, ich hab ja nicht gewusst, dass heute Besuch haben werde.“

Unordnung? Ich fand es recht sauber hier. Er hielt mir meine Hose entgegen.

„Sie ist trocken“, meinte er und setzte sich wieder auf sein Bett. Auf einmal genierte ich mich. Vorhin hatte ich im Tran mich meiner Hose entledigt, doch jetzt. Ich drehte mich etwas weg, zog die Trainingshose aus und schlüpfte in meine Jeans, die schön warm, dank Trockner, auf meiner Haut anfühlte.

„Soll ich die Trainingshose reinigen lassen?“

„Quatsch, du hattest sie ja nur kurz an.“

Ich hing die Hose über den Stuhl vor seinem Schreibtisch und setzte mich wieder zu ihm. Sofort nahm Rafael wieder meine Hand.

„…ähm Peter…, was ganze anderes. Am Samstag…, der Weihnachtsmarkt. Möchtest du wieder als Teufel mitgehen, oder soll ich Torsten fragen?“

Ich atmete tief durch.

„Nein… ich geh wieder mit. Das letzte Mal habe ich es versiebt und unseren Text hat sicher niemand ernst genommen…, wegen dem was danach folgte.“

Rafael schaute auf die Uhr.

„Man, schon so spät, ich wollte in einer halben Stunde im Kinderheim sein. Ich habe versprochen, diese Woche noch einmal zu kommen und vorzulesen.“

„Kann ich mit?“

„Klar. Aber willst du nicht doch lieber nach Hause?“

Ich schüttelte den Kopf. Noch nicht, ich war einfach noch nicht bereit dafür.

„Okay, dann lass uns mal warm einpacken, von hier aus ist es gut eine halbe Stunde zu laufen.“

Rafael

Weg waren Zorn und Wut. Torsten hatte recht gehabt. Ich sollte Peter viel besser kennen lernen. Seine Hand zu halten fand ich schön, aber mehr wollte ich noch nicht, weil das dann doch zu schnell ging.

Beim Anziehen stellte ich fest, dass Peter weder Schal noch Mütze dabei hatte. Auch seine Jacke sah nicht sehr wärmend aus.

„Da zieh an“, meinte ich zog einen weiteren Schal und nach längerem Suchen eine Mütze aus der Schublade.

„Aber…“

„Nichts aber, draußen ist scheiße kalt und krank nützt du mir gar nicht.“

„Nützt…?“

„Dann muss ich mich am Samstag doch mit Torsten streiten“, lächelte ich ihm entgegen und hoffte, dass er den Witz verstand.

„Ach so…“

*-*-*

Wir verließen die Wohnung und wie befürchtet schlug mir der kalte Wind entgegen. Der Schneefall hatte sich verstärkt und so sie liefen wir mit gesenktem Kopf nebeneinander her.

„Ulf hat es dir also angetan“, fragte ich, um die Unterhaltung von vorhin fortzuführen.

„Ja, er ist lustig und so schön quirlig.“

„Könntest du dir vorstellen, ihn zum Bruder zu haben, einfach jetzt mal theoretisch gemeint.“

Da er nicht gleich antwortete, dachte er anscheinend angestrengt nach. Nur eine leichte Nebelfahne entwich seinem Gesicht, wenn er ausatmete.

„Ich weiß nicht, wie gesagt, ich habe mir da noch nie darüber Gedanken gemacht.“

„Aber vorstellen könntest du dir das, oder?“

„Ja…, irgendwie.“

„Das hieße aber auch eine Menge Verantwortung.“

„Du kennst dich da anscheinend aus.“

„Etwas. Ich habe in dem Jahr, seit ich dort bin einmal mitbekommen, dass ein Mädchen adoptiert wurde und ich habe eine Gespräche zwischen Gerda und den neuen Eltern mitbekommen. Da kommt ganz schön auf einen was zu.“

„das kann ich mir vorstellen. Der kleine Mann würde ja dann bei uns wohnen und…“, plötzlich verstummte Peter neben mir.

„Was ist?“

„Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee wäre. Meine Eltern haben für mich schon keine Zeit, wie wäre es dann noch mit einem weiteren Kind?“

„Das weiß ich nicht, dazu kenne ich eure Familie nicht genug… eigentlich gar nicht.“

„Nicht? Komisch, ich dachte immer, wir wären in der Stadt bekannt. Eine Adelsfamilie, da redet man doch darüber.“

„Adelsfamilie?“

„Ja. Die von Grünenberg sind ein sehr altes Adelsgeschlecht.“

„Hast du dann auch eine Titel, oder wie man das nennt?“

Peter blieb plötzlich stehen und sah mich an.

„Leider…“

„Wieso leider?“

„Willst du jedes Mal Freiherr Peter Cornelius von Grünenberg gerufen werden.“

Ich konnte nicht anders und fing an zu lachen.

„Ich ziehe es vor Peter Grünenberg genannt zu werden, das reicht völlig.“

„Freiherr… Cornelius…“

Ich musste weiter lachen und lief wieder weiter, weil mir kalt wurde. Peter folgte mir.

„Du lachst mich aus!“

„Nein“, sagte ich und hob abwehrend die Hände, „würde ich nie tun, aber der Name ist irgendwie komisch, wobei Cornelius auch nicht schlecht ist.“

„So hieß mein Großvater…“

„Aber wenn du das nicht magst, ist das gut so. Ich glaube ich hätte Schwierigkeiten, dich mit sie anzureden und mich jedes Mal zu verbeugen.“

Wieder fing ich an zu lachen.

„Arsch…, du lachst mich ja doch aus…“

„… gar nicht!“

Peter schubste mich etwas an der Schulter. Normalerweise hätte das nichts ausgemacht, aber mit dem Neuschnee unter den Schuhen verlor ich meine Sicherheit und segelte in den nächst besten Schneehaufen.

„Heeee“, rief ich.

„Scheiße…, das wollt ich nicht…, Rafael… ehrlich.“

„Glaub ich dir, aber zieh mich bitte heraus!“

Peter griff nach meiner Hand und zog mich aus dem Schnee.

„Ich dachte ihr würdet euch langsam vertragen!“, hörte ich eine Stimme hinter uns.

Torsten.

Wir drehten uns beide um, und sahen ihn wenige Meter von uns entfernt.

„Tun wir doch“, rief ich zurück.

„Das sah aber ganz anders eben aus.“

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