Engelchen und Teufelchen – Tür 14

tuer-14Das große Tor zum Anwesen stand offen. Oben vor dem Haus standen zwei teure Wagen der Luxusklasse. Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Mein Unbehagen dieses Haus zu betreten wurde immer größer.

Gut, ich sollte ehrlich sein. Mich interessierte natürlich brennend, wie Peter lebte. Bisher kannte ich diese Häuser hier nur vom vorbei fahren mit dem Fahrrad. Und wieder ertappte ich mich dabei, wie die Vorurteile von mir Besitz nahmen.

Diese Häuser…, die Leute…, wie sie leben. Als wären sie anders. Sie waren sicher anders, oder? Aber nach dem ich Peters Geschichte gehört hatte. Egal wie viel Geld jemand besaß, es gab überall familiäre Probleme.     

Noch einmal atmete ich tief durch und setzte einen Fuß nach vorne, betrat somit das Grundstück. Noch konnte ich umkehren, telefonisch irgendeine Ausrede finden. Doch die Entscheidung wurde mir abgenommen.

Die große schwere Haustür aus Holz wurde geöffnet und Peter trat heraus. Hatte er auf mich gewartet? So setzte ich mich vollends in Bewegung und lief auf ihn zu. Er hatte eine Jeans an, darauf einen weiten großen Wollpullover.

Ein Lächeln zierte sein Gesicht, verschwunden das traurige Gesicht vom Vortag.

„Hallo…“, meinte er schüchtern.

„Hallo Peter“, gab ich zurück.

Wir standen voreinander und lächelten beide um die Wette. Am liebsten hätte ich ihn jetzt einfach in den Arm genommen und gedrückt, doch mein Mut musste ich irgendwo zwischen der Leipziger Allee und der Bregenzer Straße verloren hatte, wo ich noch von dieser Umarmung träumte.

Die Haustür wurde weiter aufgezogen und eine Frau erschien.

„Wollte ihr nicht herein kommen, es ist doch kalt… hallo du musst Rafael sein.“

„Hallo Frau von Grüneberg“, sagte ich und streckte ihr meine Hand entgegen, die sie kräftig schüttelte.

Sie ließ los und lief rückwärts zur Tür herein, mit einem Wink ihr zu folgen. Mir war nicht entgangen, dass Peter plötzlich eine gesunde Farbe im Gesicht bekam, sprich genauso rot wurde wie ich.

Hatte er etwas über mich erzählt? Ich folgte seiner Mutter und betrat das Haus. Klar musste er etwas über mich erzählt haben, sonst hätte sie mich ja nicht eingeladen. Nur was?

„Gibst du mir deine Jacke?“, fragte sie.

So begann ich mich aus meiner Vermummung zu schälen, sprich, Mütze, Schal und Jacke aus.

„Deine Schuhe kannst du hier herstellen, da trocknen sie besser. Peter hast du die anderen Hausschuhe für Gäste geholt?“

Er nickte und zeigte neben der Kommode auf den Boden. So bückte ich mich, schnürte die Schnürsenkel meiner Stiefel auf und versuchte mühsam, diese von meinen Füßen zu ziehen. Peters Mutter verschwand und ich war mit Peter alleine im Flur.

Ich richtete mich wieder auf und schlüpfte in die Stofflatschen, auf die Peter gezeigt hatte. Dann schaute ich ihm wieder in die Augen. Sie schienen noch mehr zu funkeln, als gestern und ich lief Gefahr mich in ihnen zu verlieren.

„Danke…“, sagte Peter leise.

„Für was?“, flüsterte ich zurück.

„Dass du gekommen bist.“

Ich antwortete mit einem Lächeln.

Peter

Da stand er vor mir. Am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen. Er hatte wieder dieses Lächeln drauf, wo ich dahin schmelzen hätt können. Mein Engel war wirklich gekommen.

„Kommt ihr?“, rief meine Mutter.

Zögernd folgte er mir ins Esszimmer. Neugierig schaute er sich um. Klar, das hier war für ihn eine andere Welt. Alleine das Wohnzimmer, Esszimmer und die Küche zusammen, war so groß wie die Wohnung, in der Peter mit seiner Mutter wohnte.

„Wow…, groß“, hörte ich ihn leise sagen.

„Kommt, setzt euch…“, kam es von meiner Mutter.

Sie hatte es wirklich gut gemeint, Der Tisch war herrlich weihnachtlich gedeckt und mit vielen Leckereien bestückt. Wer sollte das alles essen, oder kam noch jemand, von dem ich nichts wusste?

Es standen vier Gedecke drauf, so konnte eigentlich nur noch mein Vater kommen, falls er die Zeit aufbringen konnte. So setzte ich mich wie üblich auf meinen Platz, Rafael, sehr schüchtern neben mich.

„Rafael, was kann ich dir anbieten… einen Kaffee oder vielleicht eine heiße Schokolade…, oder Tee?“

Rafael sah mich etwas hilflos an.

„… eine heiße Schokolade…, wenn es keine Umstände macht.“

„Nein, macht es nicht. Peter du auch?“

Ich nickte.

*-*-*

Eine Stunde und vielen Fragen später war ich mit Rafael auf dem Weg nach oben, in mein Zimmer. Ich spürte seine Unsicherheit, wie er zaghaft mein Zimmer betrat. Er blickte sich um, während ich die Zimmertür schloss.

„Du hattest Recht, du hast wirklich alles, was sich ein Jungenherz wünscht…“

Diese Aussage kam jetzt nicht irgendwie negativ oder neidisch herüber.

„…würdest du da drauf verzichten wollen?“

„Wie meinst du das?“, fragte ich und ließ mich auf mein Bett fallen.

„So wie ich es fragte, würdest du auch dies hier alles aufgeben wollen?“

„Darüber habe ich mir nie Gedanken gemacht.“

„Aber du verstehst, warum der „normale“ Bürger, schnell Vorurteile bekommt, was ich damit meinte.“

„Rafael…, ich habe gesehen wie du lebst, gesehen wie Ulf lebt und das erste Mal in meinem Leben lerne ich eine andere Seite kennen, von der ich bisher nichts wusste. Dass ich hier privilegiert lebe, weiß ich nun selbst.“

Noch immer stand Rafael recht verloren bei der Tür.

„Setz dich doch bitte zu mir…“, meinte ich und zeigte auf mein Bett.

Zögerlich kam er zu mir und setzte sich auf die Bettkante. Wo war die Stärke geblieben, die er bisher zeigte.

„Du fühlst dich nicht wohl…?“

Er schüttelte den Kopf.

„Bin ich es…, oder dieser Ort hier?“

„… ähm… eher dieser Ort.“

Ich griff nach seiner Hand, so wie er es damals bei mir gemacht hatte.

„Es gibt nichts hier, was dich beunruhigen sollte, Rafael. Ich möchte dir danken, dass du mich aus meinem Dornröschenschlaf erweckt hast. Plötzlich gibt es so vieles, was ich erkannt habe, vieles was ich noch lernen möchte. All das habe ich dir zu verdanken.“

„Na ja, da bin ich mir nicht so sicher.“

„Du sagtest…, ich habe die Möglichkeit, etwas daraus zu machen und das will ich tun.“

Er schaute mich mit seinen großen Augen an.

„… und wenn es geht…, möchte ich das mit dir gemeinsam tun…“

Rafael bekam leicht glasige Augen.

*-*-*

Rafael

Ich wusste nicht was ich ihm sagen sollte, ich war so gerührt, dass ich keinen Ton heraus brachte. Seine Hand war warm und sein Daumen strich über meinen Handrücken. Er wollte mit mir zusammen sein, so wie ich mir das insgeheim wünschte.

Doch die Stimmen in meinem Kopf wurden laut, die Vorurteile der anderen schlugen durch und meine Unsicherheit blieb. Peter hob seine Hand und strich mir eine Träne von der Wange, die sich aus meinem Augen unbemerkt gelöst hatte.

„Warum weinst du?“, fragte Peter leise.

„… ich, …ich weiß es nicht. Sie fließen einfach.“

„So taff bist du auch nicht, wie du dich immer gibst.“

Ich schüttelte den Kopf. Er zog mich zu sich und nahm mich einfach in den Arm.

„Müssen Vorurteile immer zwischen uns stehen…?“

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