Geschenke gibt es jedes Jahr

Langsam ging ich durch die Straßen und ließ die Weihnachtsstimmung auf mich wirken. Obgleich mir gar nicht nach feiern zumute war. Die Leute um mich herum hetzten sich ab, die letzten Geschenke zu besorgen, oder gar die Ersten.

Mir war alles egal!

Kalt war es, so dass mein Atem beinahe zu Eis gefror und meine Hände sich in den warmen Jackentaschen vergruben. Mein Kinn suchte Schutz im dicken Schal, wodurch ich meinen Mantel nicht bis oben schließen konnte.

Vor einem der Schaufenster blieb ich stehen und ließ meine rehbraunen Augen lange über die Dekoration wandern. So oft in den letzten Tagen hatte ich mir mit meinem Freund dieses Fenster angeschaut.

Bei dem Gedanken unterdrückte ich eine Träne und musste hart schlucken.

Dann ging ich weiter durch den Schnee. Dieses Mal etwas schneller, weil ich einfach nur nach Hause wollte.

Ein paar Straßen weiter hatte ich endlich mein Ziel erreicht. Ich schloss die schwere Haustür auf und klopfte mir den Schnee von den Schuhen, um nicht alles ins Treppenhaus zu schleppen. Dann stapfte ich die vielen Stufen bis ganz nach oben hoch.

Die Wohnungstür schloss ich auf, strich mir mit der einen Hand die dunkelbraune Haarsträhne aus dem Gesicht und musste mit ein wenig Nachdruck die Tür öffnen. Drinnen stapelten sich noch jede Menge Umzugskartons, die ich noch nicht ausgepackt hatte.

Eigentlich wusste ich kaum wohin mit den ganzen Sachen, in der neuen, viel kleineren Wohnung.

Nur kurz schenkte ich den Kartons Beachtung, bevor ich meinen Mantel auf einen Stuhl ablegte, da ich die Garderobe noch nicht angebracht hatte. Den warmen Schal ließ ich noch um und auch meine Stiefel behielt ich an.

Suchend schaute ich mich um und bemerkte, dass ich die Balkontür aufgelassen hatte.

Also ging ich hinaus, auf den sehr kleinen Balkon. Der Blick über die Dächer der Stadt war atemberaubend. Alles glitzerte weiß in der Sonne und lud zum Träumen ein.

Erst ein Räuspern von nebenan ließ mich wieder klar denken.

”Carlo?”, fragte ich suchend.

”Ja, der ist mal wieder hier”, hörte ich, die mir mittlerweile bekannte Stimme des Nachbarn.

”Er steht eben auf Cleo!”, versicherte der Nachbar und schaute grinsend über die Absperrung.

Darüber konnte ich nur den Kopf schütteln, denn Carlo war mein Kater und Cleo eine Chihuahua Hündin.

”Tja, wo die Liebe hinfällt”, brachte ich nur trocken rüber.

Bisher hatten wir zwar nur wenige Worte gewechselt, aber der Nachbar war irgendwie niedlich, auch wenn ich erst mal die Nase mehr als voll hatte, von Männern.

Dann hörte ich Carlo auch schon schnurren und er kam zu mir herüber, um mich zu begrüßen. Liebevoll streichelte ich ihn und hatte mal wieder mit den Tränen zu kämpfen.

Nachdem Stefan mit mir Schluss gemacht hatte und ich aus unserer gemeinsamen Wohnung ausgezogen war, blieb mir nur Carlo.

”Bleibst du denn jetzt hier wohnen?”, kam es fragend von drüben.

”Ich denke erst mal schon”, sagte ich feststellend.

”Schön! Ich heiße übrigens Simon”, stellte sich mein Nachbar nun auch mal vor und schaute mich mit seinen Eisblauen Augen über die Absperrung an.

”Hendrik!”, antwortete ich kurz und knapp.

Er war ja nett, aber ich wollte mich irgendwie nur verkriechen.

”Die Feiertage bist du sicher bei der Familie, nicht?”, fragte er dann.

Wieso wollte er sich unbedingt mit mir unterhalten und jetzt auch noch so was wissen?

Verpflichtet war ich nicht, ihm zu antworten, aber ich wurde höflich erzogen.

”Nein, ich habe Niemanden wo ich hin könnte”, kam es deshalb von mir.

Im Grunde wäre da schon jemand. Nämlich, meine Schwester. Da diese aber weiter weg wohnte und der Kontakt nur rar war, wollte ich da gar nicht erst anfragen.

Nachdem Stefan mit mir Schluss gemacht hatte, brachen auch seine Freunde den Kontakt zu mir ab. Wegen ihm war ich vor Jahren hierher gezogen, aus meiner Heimat. Hatte alles für ihn aufgegeben.

Jetzt stand ich alleine da. So kam es mir jedenfalls vor.

”Dann geht es dir ja genauso wie mir”, sprach Simon, ”Ich hab mich von meiner Frau getrennt vor etwa einem Jahr. Sie hat das Sorgerecht für beide Kinder bekommen und seitdem wohne ich hier. Letztes Jahr habe ich mich verkrochen und Trübsal geblasen. Aber dieses Jahr habe ich ein paar Freunde eingeladen, die genauso wie ich, auch alleine wären, zu den Feiertagen.”

Wieso starrte Simon mich denn jetzt so an?

”Ich würde dich gerne einladen! Denn irgendwie sieht es bei dir sehr traurig aus”, fügte Simon hinzu.

Daraufhin konnte ich nur nicken. Sollte ich diese Einladung wirklich annehmen?

”Mal schauen…”, antwortete ich ihm.

”Warte nicht zu lange mit der Antwort. In ein paar Tagen ist es soweit”, kam es noch von Simon.

Dann musste er rein, weil es bei ihm an der Tür klingelte.

Auch mich zog es rein, auch wenn Carlo nicht wirklich mit wollte. Also ließ ich die Balkontür einen Spalt offen und ging in die Wohnung. Dort zog ich meine Schuhe aus und legte meinen Schal ab.

In der Küche machte ich mir einen Kaffee, wobei ich gekonnt den Abwasch ignorierte. Stattdessen entschied ich mich doch, in einen der vielen Kartons zu schauen. Irgendwo würde ich sicherlich noch ein Plätzchen, für ein paar Sachen finden.

Der Nachmittag verging schnell. Nebenbei schaute ich Fernsehen und packte tatsächlich eineinhalb Kartons aus.

Natürlich überlegte ich, ob ich wirklich heilig Abend rüber gehen sollte zu Simon. Auch die nächsten Tage war ich hin und hergerissen. Ab und an sahen wir uns kurz auf dem Balkon und Simon, der blonde Sonnyboy, ließ einfach nicht locker.

Letztendlich gewann er und ich gab nach. Was hatte ich auch zu verlieren? Alles war besser, als alleine Zuhause zu sitzen.

”Aber keine Geschenke!”, bekam ich noch zur Anweisung von Simon, der sich riesig über meine Zusage freute.

Als es dann heilig Abend war, schlief ich erst mal aus. Anschließend legte ich mich in die Wanne und ließ so die Zeit verstreichen. Gestriegelt und gebügelt stand ich überpünktlich vor Simons Tür, der mir mit einem breiten Grinsen öffnete.

”Hallo, Herr Nachbar. Bist aber ganz schön früh”, bekam ich zur Begrüßung zu hören und mit einer eleganten Handbewegung lud Simon mich in seine Wohnung ein.

Hier standen keine Kartons, so wie bei mir. Es war zwar recht karg eingerichtet, aber trotzdem irgendwie gemütlich.

”Du bist der zweite Gast. Ich muss nochmal kurz in die Küche. Geh ruhig ins Wohnzimmer rein zu Paul”, bekam ich Anweisungen, während ich aus meinen Schuhen schlüpfte, wie ich es gewohnt war.

”Die hättest ruhig anbehalten können. Ich sehe das nicht so eng”, sagte Simon noch, bevor er in die Küche verschwand.

Trotzdem behielt ich die Schuhe aus und lugte in die Stube rein. Simons Wohnung war genauso wie meine, nur Spiegelverkehrt. So war es für mich einfach die Räume zu unterscheiden.

Auf der Couch saß ein junger, schlanker Mann mit schwarzen recht kurzen Haaren, der mit seinem Handy beschäftigt war. Noch einmal atmete ich tief durch, bevor ich den Raum betrat.

”Hallo, ich bin Hendrik”, stellte ich mich höflich vor.

”Paul!”, kam es kurz und knapp und zwei strahlend grüne Augen nahmen mich in Besitz.

Dabei hatte ich gedacht, dass Simon niedlich war, aber Paul war jede Sünde wert. Eigentlich hatte ich nach Stefan geschworen mich von den Männern fern zu halten, doch Paul war definitiv ein Engel, so toll, wie er aussah.

”Was starrst denn so?”, wollte er etwas muffig wissen und ich zuckte zusammen, weil ich es nicht bemerkt hatte, dass ich ihn anstarrte.

”Paul! Jetzt reiß dich mal zusammen”, hörte ich Simon hinter mir.

”Wie soll ich mich zusammenreißen, wenn er auf keine SMS reagiert und meine Anrufe ignoriert”, schimpfte Paul los.

Skeptisch schaute ich zu Simon rüber, der seufzte.

Daraufhin stand Paul auf und ging hinaus auf den Balkon, immer noch sein Handy in der Hand.

”Du bist doch nicht homophob, oder so?”, fragte mich Simon dann von der Seite und ich schüttelte schnell den Kopf.

Nein, ich doch nicht. Wie denn auch?!

”Gut”, kam es erleichtert von Simon, ”Weißt du, Paul steht auf Männer und er ist seit etwa zwei Monaten mit Jemandem zusammen. Aber es läuft nicht wirklich gut. Sie streiten sich nur und er geht ständig fremd. Also der Freund, nicht Paul. Der ist anständig. Glaube ich zumindest…

Na ja, jedenfalls wollte Paul heute mit seinem Freund hier auftauchen und sein Freund reagiert weder auf Anrufe, noch auf Pauls SMS.”

”Verstehe”, antwortete ich, da ich der Meinung war, dass Simon irgendetwas als Antwort erwartete.

”Ich hatte gehofft, dass wir ihn irgendwie ablenken können”, fügte Simon hinzu und schaute mich komisch an.

”Oder magst du doch keine Schwulen?”, fragte er erneut.

Ein Grinsen konnte ich mir, nun kaum verkneifen.

”Nicht, dass ich auf Männer stände. Bei mir können nur Frauen landen. Aber Paul kenne ich schon lange und er hat sich wegen seines Outings ja nicht geändert. Er ist immer noch der selbe”, plapperte Simon weiter und ließ mir kaum eine Möglichkeit zu Antworten.

Dabei hatte ich geahnt, dass Simon hetero wäre. Jedoch Paul würde mich sowieso mehr interessieren. Obwohl ich ja eigentlich erst mal keinen Mann…

Ach Scheiße! Lassen wir das!

Ich steh total auf Paul und will ihn… ähm… werde ihn auf andere Gedanken bringen.

”Simon!”, gab ich dann von mir, als ich endlich zu Wort kam.

”Hendrik?”, schaute besagter mich skeptisch an.

”Soll ich dir was sagen?”, fragte ich und kam ganz dicht an sein Ohr, um leise den Rest zu flüstern, ”Ich bin auch schwul!”

Dann grinste ich breit wie ein Honigkuchenpferd über die Wangen.

”Ähm… du… okay…”, mehr bekam Simon wohl nicht mehr raus und er wurde etwas rot im Gesicht.

”Woher sollte ich das denn auch wissen”, versuchte er sich zu entschuldigen.

Aber ich winkte alles ab.

”Ist schon gut. Alles okay”, grinste ich noch immer.

”Ich muss nochmal kurz in die Küche, nach dem Essen schauen. Bedien dich doch schon mal und nimm dir etwas zu trinken”, sagte Simon noch und zeigte auf seine Hausbar, bevor er abermals in die Küche verschwand.

Dabei trank ich gar keinen Alkohol und Paul hatte sich wohl auch noch nichts genommen. Also beschloss ich, erst mal nach draußen zu gehen und später Simon nach etwas anderem zu Trinken zu fragen.

Vorher zog ich wieder meine Schuhe an… gut, ich hätte sie ja anlassen sollen… wusste nun auch wieso!

Dann ging ich langsam auf den Balkon und musste wieder Grinsen, als ich Carlo um Pauls Beine schnurren sah.

Carlo gefiel Paul wohl auch. Dabei war das meiner! Manno. Kater sollte man sein.

Noch bevor ich etwas sagen konnte, erntete ich einen bösen Blick von Paul, der sich aber direkt lichtete.

”Ich dachte schon Simon kommt nerven”, hörte ich Paul kleinlaut reden.

Dann stellte ich mich neben Paul und bückte mich runter zu Carlo.

”Ist das deiner?”, wollte Paul dann wissen und ich nickte stolz.

Denn Carlo war ein schneeweißer Kater und bildhübsch.

”Ja, er steht total auf Cleo. Deshalb ist er immer hier”, erklärte ich.

”Im Ernst?”, hörte ich Paul auflachen.

Es war wie Musik in meinen Ohren und ich ging wieder hoch, um ihm in die Augen sehen zu können.

Kaum hatte Paul das ausgesprochen, kam auch schon Cleo nach draußen und als müssten die zwei es beweisen, umgarnte Carlo, Cleo.

Wir mussten daraufhin beide lachen, weil es einfach nur komisch aussah – Der kleine Chihuahua und der große weiße Kater Carlo.

Nachdem wir uns beruhigt hatten und die Zwei sich nach drinnen, außer Sichtweite verzogen hatten, schauten wir in die Ferne. Der Ausblick von hier oben war einfach nur atemberaubend schön. Mittlerweile war es dunkel geworden und überall sah man die Weihnachtsbeleuchtung leuchten. Außerdem hatte es wieder angefangen zu schneien und alles hüllte sich in noch mehr weiß, als zuvor.

”Total romantisch, nicht?”, stupste Paul mich von der Seite an.

Doch schaute er mich nicht an, sondern richtete seinen Blick weiter in die Ferne. Sein Handy hatte er endlich weggesteckt und ich überlegte noch, ob ich etwas zu dem Thema sagen sollte, aber da machten sich meine Lippen schon selbstständig.

”Manche Männer sind eben richtige Arschlöcher und es gar nicht wert, dass man ihnen hinterherläuft! Andere Mütter haben auch schöne Söhne.”

Jetzt schaute Paul mich an und grinste.

”Irgendwie wusste ich gleich, dass du auch auf Männer stehst”, flüsterte er.

Plötzlich ging sein Handy los und er schaute aufs Display. Es schien sein Freund zu sein, das konnte ich an seinem Blick sehen.

Drinnen zündete Simon gerade Kerzen an und deckte den Tisch. Er hatte sich richtig Mühe gegeben und es sah total gemütlich aus.

”Willst du gar nicht rangehen?”, fragte ich Paul.

”Sollte ich denn rangehen?”, fragte er zurück.

Nein, natürlich nicht!

Nur das war unnötig, es zu sagen. Weil sich eine angenehme Atmosphäre zwischen uns breit machte und während drinnen schon Weihnachtsmusik lief und irgendwo da unten die Kirchenglocken läuteten, schauten wir uns einfach nur ganz tief in die Augen.

Irgendwie gab es heute wohl doch Geschenke!

Ende

Ich hoffe meinen Leser hat meine Weihnachtsgeschichte gefallen. Denn hiermit möchte ich euch schöne Feiertage wünschen.

Denkt bitte daran, dass Geschenke nicht unbedingt Gegenstände sein müssen, sondern auch ein geben und nehmen sein können.

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2 Kommentare

    • jojo auf 26. Dezember 2013 bei 16:47
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    Sehr sehr schöne Geschichte 🙂

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    • Joachim auf 7. Januar 2014 bei 19:57
    • Antworten

    Tolle Geschiche!
    Warum nicht mal einen Freund zu Weihnachten wünschen. Manchmal werden Wünsche wahr.
    Danke!

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