Engelchen und Teufelchen – Tür 20

tuer-20„Der gewünschte Gesprächspartner ist zurzeit nicht erreichbar“, hörte ich.

Ich drückte das Gespräch weg und ließ das Handy auf meinen Bauch gleiten. Sollte ich ihn besuchen? Sollte ich Torsten anrufen und fragen was genau passiert war? Fragen über Fragen schossen in meinen Kopf.

*-*-*

Peter

„Da hast du aber ganz schön was abbekommen…, das könnte jetzt etwas brennen…“, meinte Nadine und tupfte etwas auf meine aufgeplatzte Lippe.

Ich war schon geneigt meinen Kopf zurück zu ziehen, aber Nadine unsere Küchenfrau war schneller. Wie vorausgesagt brannte es kurz, so zuckte ich nur zusammen.

„Hat es sich denn gelohnt“, sprach Nadine weiter.

„Lohnt es sich denn überhaupt, sich mit jemand zu prügeln?“

Das war die Stimme meines Vaters, der unerwartet plötzlich in der Küche stand.

„Um seinen Standpunkt zu vertreten…“, meinte Nadine und zog sich lächelnd an ihr Küchenboard zurück.

Ich schaute auf, konnte aber weder ein enttäuschtes oder gar ein ärgerliches Gesicht ausmachen. Er setzte sich neben mich und sah mich an.

„Rafael hat mich zum Eislaufen eingeladen…“, begann ich.

„Du kannst eislaufen?“

„Nein…, Rafael wollte es mir beibringen.“

„Nett! Und dann habt ihr euch geprügelt?“

„Nein…, ich würde Rafael…nie…“, ich brach ab, da mir bewusst wurde, dass ich Rafael ebenso schon geschlagen hatte.

„… drei aus meiner Klasse sind aufgetaucht und haben Rafael blöd angemacht.“

„… und du hast Rafael verteidigt?“

„Nicht direkt…, Rafael ist einfach gegangen, ohne etwas zu sagen.“

„Und wie kam es dann zur Prügelei?“

„Sie haben nicht aufgehört, sich weiter über Rafael lustig gemacht, von wegen der soziale Tick meiner Mutter hätte mich angesteckt und ich würde einem Hilfsbedürftigen unter die Arme greifen.“

„Den einzigen Tick deiner Mutter den ich kenne, ist die Sammlung hier Fingerhüte, egal woher.“

Ich musste grinsen, was aber gleich wieder den Schmerz der aufgeplatzten Stelle an meiner Lippe nach sich zog.

„Ich denke, sie haben dich ordentlich provoziert, aber Peter jemand schlagen ist keine Lösung, auch wenn ich dich gut verstehen kann.“

Fragend schaute ich ihn an.

„Ich war auch mal jung und genauso wie du“, lächelte er, „aber etwas anderes… denkst du genauso darüber, der „Tick“ deiner Mutter sei daneben?“

„… früher vielleicht, aber jetzt nicht mehr.“

„Was hat deine Meinung ändern lassen?“, fragte mein Vater, während Nadine ihm eine Tasse Tee hinstellte, „danke Nadine.“

„Seit ich Rafael kennen gelernt habe, hat sich so viel bei mir geändert. Ich musste in kurzer Zeit mir über so vieles klar werden. Dann ist da noch Ulf, ich sehe mein Leben… ich sehe seins…“

„Du redest, als wärst du uralt, aber ich weiß was du meinst. Ich denke wegen Ulf brauchst du dir keine Gedanken mehr machen.“

„Weil er jetzt neue Eltern bekommt?“

„Woher weißt du das?“

„Es waren doch Leute da, die…“

„Die wegen seinem Zimmerkollegen da waren, nicht wegen Ulf.“

„Warum soll ich mir wegen Ulf dann keine Gedanken mehr machen?“

„Ich wollte mir diese Überraschung eigentlich für Weihnachten aufheben, aber ich denke du brauchst jede Aufmunterung die du bekommen kannst.“

Mit großen Augen schaute ich ihn an und merkte nicht, wie mir Nadine ein Eispack vor das Gesicht hielt. Dad nahm ihn entgegen und drückte ihn leicht gegen meine Wange, was mich erneut zusammenzucken ließ.

„Ich habe ein langes Gespräch mit deiner Mutter geführt und wir sind darüber übereingekommen, dass ich mit etwas mehr aus dem Geschäftsleben herausziehe und somit mehr Zeit für die Familie habe.“

„Und was hat das mit Ulf zu tun?“

„Deine Mutter und ich haben das Kinderheim besucht, welches du uns beschrieben hast und haben uns mit Ulf getroffen. Ein wirklich quirliges Kerlchen muss ich sagen, mehr als du uns beschrieben hast.“

„Ihr wart bei Ulf…?“

„Ja und wir haben uns über alles informiert, was es mit einem „vorerst“ Pflegekind zu tun hat.“

„Ihr… ihr wollt…“

„Ja, wir wollen Ulf eine Chance bieten.“

„Und das geht?“

„Langsam Junge. Wir werden erst überprüft, ob wir auch dazu geeignet sind, aber diese Frau… Gerda hieß sie glaube ich…“

„Ja Gerda…“

„Sie meinte, sie denkt das würde sicherlich gehen.“

„Ulf kommt zu uns, aber da müssen wir doch …“

„Langsam Peter. Ich weiß selbst, dass wir hier einiges ändern müssen, deswegen ist deine Mutter auch noch nicht zu Hause. Sie trifft sich mit unserem Architekten, wie wir das Zimmer neben deinem Kindergerecht einrichten können.“

„Ihr wollt ihm ein Nobelzimmer einrichten, so wie meins?“

„Das habe ich nicht gesagt und das haben wir nicht vor. Mit Kindergerecht meinte ich ein normales Zimmer.“

„Da kann sich Mum den Architekten sparen, Rafael wäre uns sicherlich gerne behilflich.“

„Der Gedanke kam mir auch schon, deine Mutter ist auch nur wegen der sanitären Einrichtung dort, dein Bad müsste etwas umgebaut werden, damit ein Fünfjähriger es auch nutzen kann. Aber wie mir scheint, gibt es mit dem gewählten Berater Probleme.“

„Weil er weggelaufen ist?“

Dad nickte.

„Moment“, meinte ich und angelte mein Handy aus der Hosentasche.

Entsetzt schaute ich darauf, als ich einen Riss über das ganze Display entdeckte. Der Versuch es einzuschalten misslang.“

„Das ist wohl hinüber…“, meinte ich geknickt, „muss wohl beim Sturz passiert sein, als David mir eine verpasste.“

„David? David von den Möllers?“

Ich nickte.

„Deswegen ist Kollege Möller heute früher gegangen, es sei irgendetwas dringendes Privates zu erledigen.“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Naja, ich werde morgen sicher mehr erfahren. Und wie willst du Rafael nun erreichen, kennst du seine Nummer auswendig?“

Ich lief rot an.

*-*-*

Rafael

Ich war gerade dabei, etwas einzunicken, als mein Handy losdudelte. Die Nummer kannte ich nicht, so meldete ich mit vollem Namen.

„Rafael Becker.“

„Hallo Rafael, hier ist Peter…“

„Das ist nicht deine Handynummer.“

„Nein, das ist das Handy meines Vaters, meins ist zu Bruch gegangen…“

„Als du dich wieder geprügelt hast…“

„Du hast davon gehört…“

„Torsten…“

„Petze…“

„Torsten ist mein bester Freund!“

„… ich… ich“, er atmete tief durch, „Rafael ich brauche deine Hilfe.“

„Um jemand zu verprügeln?“

Ein kurzes Schweigen folgte.

„Das habe ich wohl verdient und es tut mir Leid…“

„Ich hoffe nicht, dass wird zur Dauereinrichtung…, wenn ja bist du mich ganz schnell los!“

„Nein Rafael, so darfst du nicht von mir denken, aber die haben so schlecht über dich und meine Mutter geredet, da bin ich ausgetickt, ich weiß selbst nicht warum ich plötzlich so schnell austicke.“

„Deine Mutter?“

„Ja, wegen ihrem sozialen Tick…“

„Was ist daran auszusetzten?“

„Nichts und deswegen wollte ich dich um Rat bitten.“

„Wegen dem Tick deiner Mutter?“

„Nein…, hast du Zeit vorbei zu kommen, ich möchte das nicht am Telefon besprechen.“

„Ich weiß nicht…“

„Mein Vater würde dich auch abholen.“

„Ja mein Vater, der sitzt neben mir und grinst blöd…aua…“

„Was war das jetzt?“

„Er hat mir eine Kopfnuss gegeben.“

„Recht hat er!“

„He, verschwörst du dich jetzt mit meinem Vater?“

Ich konnte ein lautes Lachen seines Vaters im Hintergrund hören.

„Okay, soll ich mich gleich fertig machen, ich muss nur kurz mit meiner Mum telefonieren und ihr Bescheid geben, dass ich bei dir bin.“

Es entstand eine kurze Pause.

„Mein Vater meinte eine halbe Stunde…, reicht dir das?“

„Ja, locker. Ich werde unten vor dem Haus warten.“

„Danke!“

„Danke für was?“

„Das du mir noch eine Chance gibst.“

„Das habe ich nicht gesagt“, meinte ich grinsend, ich wollte ihn noch etwas zappeln lassen.

„Rafael… bitte.“

„Du ich muss jetzt Schluss machen, wir sehen uns eh gleich bis dann…Tschüss!“

Ich drückte das Gespräch weg und grinste vor mich hin. Okay auf zu Peter.

*-*-*

Peter

Nervös saß ich im Wagen meines Vaters. Es hatte angezogen und es war glatt geworden.

„Wenn wir Rafael abgeholt haben, holen wir noch deine Mutter, ich möchte nicht, dass sie bei dem Wetter fährt.“

Ich nickte. Langsam näherten wir uns dem Wohnblock und ich konnte schon Rafael auf dem Gehsteig erkennen.

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