Traumschiff – Teil 26

Traumschiff Kapitel 27                            Niffnase

Baustellen und mehr

Ole

Der Wecker macht uns früh munter, Frank und mich. Nach einer kurzen Kuschel und Knutscheinlage zum Wachwerden geht Frank zuerst ins Bad, während ich meinen Rechner hochfahre. Ich habe die letzten Tage keine Gelegenheit gehabt, nach E-Mails und Chatnachrichten zu schauen. Das will ich jetzt schnell nach holen.

Wenn ich mit Frank ins Bad gegangen wäre, hätte er wohl den Bus verpasst und Mutsch wäre, weil sie mich ja mitnehmen muss, wohl zur spät zur Arbeit gekommen. Das wollen wir nicht, deshalb geht Frank allein. Morgen stellen wir den Wecker etwas früher, dann können wir zusammen gehen.

Es ist eine E-Mail da von Torsten, sonst ist nix wichtiges da. Torsten schreibt von seinem Treffen am Sonntag mit Jerome und Sergej und das er heute nach Bad Schwartau in die Reha fährt für drei Wochen.

Frank kommt zurück und ich verschwinde im Bad. Nur das Gesicht waschen und die Zähne putzen, geduscht wird heute Abend. Als ich zurück ins Zimmer komme, ist Frank schon fertig angezogen, nur die Schuhe fehlen noch. „Ich spring schon mal runter“, sagt er und wirft mir einen sehnsüchtigen Blick zu.

Er flüchtet vor dem Augenblick, wenn ich die Schlafhose aus und eine Unterhose anziehe, das ist eine zu große Herausforderung, dann nicht die Beherrschung zu verlieren. Ich freue mich, dass er so auf mich abfährt, umgekehrt ist es mindestens genauso.

Als ich fertig bin, auch meine Schuhe stehen unten, fahre ich noch den Rechner runter, bevor ich nach unten laufe, wo Mutsch und Frank schon vor einer Tasse Kaffee am gedeckten Tisch sitzen. Ich mach mir schnell ein Brot, während Mutsch mir gen Kaffee einschüttet.

Frank muss als Erster los, verabschiedet sich von Mutsch und gibt mir einen Kuss, dann nimmt er seinen Rucksack und läuft zur Haltestelle, die in der zweiten Querstraße rechts runter ist. Von dort kann er bis zur Klinik durch fahren, ohne umsteigen zu müssen.

Marie kommt runter, noch ein bisschen schlaftrunken und ich erzähle kurz von Torstens E-Mail. Mutsch drangt zum Aufbruch, sie will nicht zu spät kommen und unterwegs kauft sie ja auch immer noch die Brötchen für den ganzen Remmersclan ein.

Fünf Minuten später stehen wir schon vor der Bäckerei und ich springe schnell rein und hole die vorbestellten Brötchen ab. Bezahlen tut Mutsch immer gleich am Monatsanfang im Voraus, das klappt dann mit den Brötchen auch immer.

Bald darauf fahren wir bei Remmers neben das Haus und parken dort. Da Mama einen Schlüssel hat, sperrt sie auf, gibt mir eine Tüte und sagt:“Bring die zu Frau Gut in die Küche und gib das ab. Sie kann ja dann Martin sagen, dass du da bist. Die Küche ist die zweite Türe links.“

 

Ich mache es wie sie gesagt hat und treffe in der Küche auf Frau Gut, aber auch Natascha ist schon munter und begrüßt mich erfreut. Ich grüße auch und Natascha sagt: „Ich sag Jerome Bescheid, das du da bist, Ole“, und sie greift zum Haustelefon. Es dauert, bis jemand rangeht oben bei Jerome.

 

Offensichtlich ist Sergej dran, denn Natascha sagt: „Sag Jerome, Ole ist hier in der Küche“. Frau Gut bietet mir einen Kaffee an, den ich gerne annehme. Ich setze mich an den Küchentisch und genieße den Kaffee, der von einem sehr teuer aussehenden Automaten einer italienischen Marke jedes Mal Tasse für Tasse frisch gemacht wird, geil. Sowas möchte ich später auch mal haben.

Es dauert so etwa zehn Minuten, bis Sergej runterkommt, mit Kevin im Schlepptau und beide mit Rucksack in der Hand. Frau Gut macht für jeden einen Kaffee und macht dann von den mitgebrachten Brötchen jeweils zwei fertig und steckt diese in eine Brotbox. Die stellt sie vor Kevin und Sergej auf den Tisch, die sich bei ihr dafür bedanken.

Die Beiden haben sich zwischenzeitlich selber ein Brötchen geschmiert und essen, trinken den Kaffee dabei. „Wollt ihr noch jeder eine Banane mit nehmen?“, fragt Frau Gut die Beiden. Als beide nicken, legt sie jeden noch eine zur Brotbox dazu.

„Jerome kommt gleich runter“, sagt Sergej, nach dem er mit Essen fertig ist, “ er macht noch schnell eine Skizze, wie er die Fabrik umbauen möchte, das können Martin und du dann mit dem Architekten besprechen, damit der Plan gemacht werden kann. Zu Kevin sagt er:“Wir müssen los, der Zug wartet nicht und Kai wird nicht gern allein im Zug sitzen.“

Kevin wird ein bisschen rot, aber sein Gesichtsausdruck ist eindeutig mit „freudiger Erwartung“ zu bezeichnen, als Sergej Kai erwähnt. Da bahnt sich was an zwischen den beiden.

 

Jerome

Als ich in die Küche komme, sind Kevin und mein Schatz schon fort. Ole sitzt mit Natascha am Tisch und Frau Gut richtet das Frühstück für Papa und Mama und auch für Natascha und mich. Das wird allerdings im Esszimmer eingenommen. Ich setze mich zu Ole, nachdem ich mir am Automat einen Kaffee geholt habe und zeige ihm meine Skizze.

„Schau her“, sag ich“, so möchte ich jeweils zwei Zimmer und ein Bad haben. Ein gemeinsamer Eingang in einen Flur, von dem aus man das Bad und die Zimmer links und rechts davon betreten kann. Wanne und Dusche, ein WC und ein Urinal sowie zwei Wachbecken sollen die Bäder haben.“

„Alles in Weiß, hast du gesagt, oder?“, fragt Ole nach. „Ja, alles weiß und alles dieselben Modelle, jedes Bad gleich, aber das suchen wir ja am Samstag noch aus“, sag ich, „vielleicht zwischendrin ein paar Dekorfliesen zur Auflockerung, das können wir ja alles noch besprechen.“

Martin kommt, begrüßt uns und schaut auch interessiert auf meine Skizze. Ich wiederhole kurz, was ich Ole schon gesagt habe und Martin weiß nun auch, wie es in etwa werden soll. Frau Gut hat Martin auch einen Kaffee hingestellt und Ole und er gucken jetzt gemeinsam über die Skizze.

 

Natascha und ich, wir gehen nun ins Esszimmer, wo wir mit Mama und Papa frühstücken, bevor wir uns, jeder für sich, mit unseren Lehrern auseinander setzen müssen. Papa fragt, ob Martin schon weg ist, der könnte ihn sonst mit nach Bremen nehmen, weil Kai später Oma und Frieda zum Arzt bringen soll.

„Ich sag ihm gerade Bescheid“, sag ich und geh zurück in die Küche und sage Martin, das Papa mit ihm fährt. Martin will den Architekten anrufen und sagen, dass es etwas später wird, weil er Papa noch ins Büro fahren muss. Das Büro liegt ganz woanders in Bremen als die Fabrik, die zur WG werden soll.

Martin und Ole werden mit Papa zwar gleich losfahren, aber um pünktlich um halb Neun auf der Baustelle zu sein, die ja eigentlich noch gar keine ist, reicht es dann nicht mehr. Der Architekt, Knauer heißt der Mann, Ewald Knauer, der ist mit Papa per Du und auch bei Werder engagiert, ist normal immer sehr pünktlich, wenn er sein Kommen zugesagt hat.

Im Esszimmer zurück sage ich Papa, das Martin den Architekten auf eine eventuelle Verspätung hingewiesen hat. Der kann sich ja schon mal den Schlüssel für oben in der Computerfirma unten holen, den haben wir dort erst mal hinterlegt. Martin und Ole sollen noch drei Schlüssel nachmachen lassen.

Später, wenn alles neu ist, auch die Eingangstüre, kommt ein extra Sicherheitsschloss darein und jeder kriegt einen Zugang, wie der aussieht, ob Schlüssel oder Karte oder so was, werden wir später entscheiden.

Papa trinkt seinen Kaffee aus, sagt Tschüss und gibt Mama noch einen Kuss und geht rüber in die Küche. Im Rausgehen sagt er zu mir: „Wenn es irgendwelche für dich nicht lösbaren Probleme gibt, lass es mich wissen.“ Dann geht er mit Martin und Ole raus zum Wagen.

 

Ole

Dass Herr Remmers jetzt auch mit uns nach Bremen fährt, hab ich nicht erwartet. Er geht vor mir auf das Auto zu und steigt zu meiner Verwunderung hinten ein. Ich steige dann einfach mal nach vorn ein zu Martin, denk ich.“ Komm nach hinten zu mir, Ole, „sagt jedoch Jeromes Vater zu mir, also steige ich ebenfalls hinten ein.

Als ich angeschnallt bin, fährt Martin los. Er fährt verhalten, so dass der Motor nur als leises Rauschen zu hören ist. Herr Remmers schaut zu mir rüber und fragt; „Weißt du schon, Ole, was du studieren willst, hast du dich schon entschieden?“ Ich bin ein bisschen erstaunt.

„Ich habe noch keine verbindlichen Studiengänge im Auge, da ich noch keine Endnote Habe. Ich hoffe aber, dass ich alles studieren kann, was ich möchte“, sag ich und schau ihm ins Gesicht. „Hast du denn schon darüber nach gedacht, was du später einmal machen willst, beruflich, meine ich?“, hakt er nach.

„So direkt noch nicht, aber es gibt natürlich auch Studiengänge, die ich nicht machen würde“, sag ich, „Medizin oder Psychologie oder auch Chemie sind nicht das, was ich will.“ „Würde dich Jura interessieren“, fragt er mich. „Das könnte ich mir vorstellen“, sage ich nach kurzem Überlegen, „aber auch Mathe und Deutsch auf Lehramt. Ich bin echt noch unentschlossen.“

 

Ich nehme all meinen Mut zusammen und frage:“ Warum interessiert es sie so, was ich gerne studieren möchte, Herr Remmers?“ „Nun, das ist eine berechtigte Frage“, sagt er, „es ist schon ein Hintergedanke dabei.“

Ich schau nach vorn in den Spiegel sehe Martins Gesicht und der zwinkert gerade mit dem Auge zu mir. „Als ich damals studiert habe, Betriebswirtschaft, hatte ich zwei gute Freunde, die auch an der Uni waren. Einer von beiden hatte auch Betriebswirtschaft, der andre hatte Jura als Studium gewählt.

Als wir fertig waren, habe ich beide gefragt, ob sie in unserer Firma arbeiten wollten und sie haben das dann auch beide getan. Der Betriebswirt ist heute der Personalchef des gesamten Konzerns und der Jurist ist für alle rechtlichen Dinge in der Firma zuständig.

Es war der beste Entschluss damals, die Beiden einzustellen und wir sind bis heute beste Freunde geblieben, obwohl wir in manchen betrieblichen Angelegenheiten oft unterschiedliche Meinungen waren. Letztendlich hat aber unsere Freundschaft dazu geführt, für alle Dinge tragfähige Kompromisse zu finden.

Jerome und Sergej werden wohl Betriebswirtschaft studieren, die Firma irgendwann, nach Durchlaufen bestimmter Posten, führen und könnten natürlich einen guten Juristen, der gleichzeitig auch ihr guter Freund ist, gebrauchen. Ich könnte mir vorstellen und es würde mir auch sehr gefallen, wenn du dieser Jurist wärst.“

Ich muss schlucken, werde ein bisschen rot auf dieses Angebot hin und sage dann, ihn anschauend: „Ihre gute Meinung von mir ehrt mich und ihr Angebot, ein solches ist es ja wohl, auch“, sag ich, „aber ich frage mich auch, warum sie ausgerechnet mir das machen.

Sie kennen mich persönlich erst seit gestern, ansonsten wohl nur aus Gesprächen bei ihnen zu Hause, weil Mama für Ihre Mutter arbeitet. Woher nehmen sie das Vertrauen in mich, obwohl ich ihnen ja eigentlich fremd bin?“.

Er guckt mich an, ein bisschen so, als wollte er lächeln und traut sich nicht. „Ole, du musst wissen“, antwortet er dann, „das wir immer, wenn unsere Kinder mit anderen Jugendlichen Kontakt haben, wir schon genau hingucken, mit wem wir es zu tun haben. Das müssen wir einfach tun, zum Schutz unserer Kinder und zu unserer Sicherheit.

Wir haben bereits, als sich deine Mutter bei Oma und Frieda beworben hat, umfangreich recherchiert und dabei natürlich auch vieles über dich und deine Schwester erfahren und  wissen seit dem, das du sehr begabt bist, fleißig, keine Drogen oder Alkoholprobleme hast und das in eurer Familie auch nach dem tragischen Tod deines Vaters alles gut läuft.

Dein Onkel, Johannes heißt der glaub ich, fährt seit einigen Jahren auf unserer MS Europa und auch über ihn gibt es nur gutes in der Personalakte. Du siehst also schon, dass ich dich eigentlich schon länger und besser kenne, als du es vermuten konntest.

Als Jerome sagte, das du auch mit deinem Freund in die WG einziehen sollst, habe ich nochmal alles, was wir über dich wussten, eingehend studiert und deshalb heute gefragt, ob du dir vorstellen könntest, Jura zu studieren, um später deinem Freund Jerome in der Firma zur Seite zu stehen.

 

Du solltest einfach wissen, dass diese Möglichkeit besteht, da ihr euch ja bald einschreiben müsst an der Uni. Natürlich hat die Tatsache, dass du auch, genau wie mein Sohn, schwul bist, ebenfalls eine Rolle bei meinen Überlegungen gespielt, weil ich davon ausgehe, dass es da niemals Probleme wegen eurer Veranlagung gibt.

Es ist deine Entscheidung, fühl dich bitte nicht in irgendeiner Form genötigt oder unter Druck gesetzt. Sprich mit deiner Mutter, mit deinem Freund Frank darüber, lass dir genügend Zeit zum Nachdenken und wenn du dich entschieden hast, wäre ich dir dankbar, das Ergebnis zu hören. Ich mache aber keinen Hehl daraus, das mich, das uns, eine positive Entscheidung sehr gefallen würde.

Jerome weiß bisher nichts von diesem Anliegen, du darfst aber gerne auch mit ihm darüber sprechen, wenn du dich entschieden hast. Ich wollte nicht, das er es vor dir weiß, damit du dich nicht aus reiner Freundschaft verpflichtet fühlst, eine Entscheidung zu treffen, die du eigentlich nicht möchtest.

Wenn du es nicht machen willst, sollte das ganze unter uns bleiben, damit kein Schatten auf eure noch junge Freundschaft fällt, weil ich nicht weiß, ob Jerome dir eine Ablehnung nicht übel nehmen würde.“ Ich weiß im Moment keine Antwort, schaue ihn an, bin mir noch gar nicht richtig bewusst über die Tragweite seines Angebots.

„Um das alles zu entscheiden, brauche ich Bedenkzeit“, sage ich jetzt doch dazu, „bis wann erwarten Sie denn eine Entscheidung von mir, Herr Remmers?“ Er schaut mich an und meint dann: “ Ich möchte, das du mir bis zum Montag, also heute in einer Woche zu oder absagst, ist das für dich OK?

Wir, meine Familie mit Ausnahme von Jerome fahren Freitagnachmittag nach Dresden und kommen am Sonntagabend zurück. Wir besuchen Sergejs Eltern und kaufen bei seinem Opa noch ein Auto für die WG, das bringen wir dann mit.“

Martin ist von der Autobahn abgebogen und fährt im All morgendlichen Berufsverkehr zuerst seinen Chef ins Büro. Ohne noch einmal auf das Thema Studium zu kommen, verabschiedet sich Herr Remmers und steigt aus. Ich steige nach vorn zu Martin um, der jetzt Richtung Baustelle losfährt.

Es ist still, keiner sagt zunächst ein Wort. An der ersten roten Ampel schaut Martin zu mir herüber und sagt: „So ist er, mein Chef, immer für eine Überraschung gut. Dieses Angebot ist schon fast wie eine Aufnahme in die Familie, Ole, es wundert sogar mich, dass er das dir so früh angeboten hat.

Irgendwie muss du ihn sehr stark beeindruckt haben und ich vermute, dass es deine Bereitschaft war, an Stelle von Sergej die Verantwortung auf der Baustelle mit mir zu teilen und während meiner Abwesenheit ganz zu übernehmen.

Er hat auf Grund seiner langjährigen Erfahrung im Konzern ein Gespür für Talente und eine große Menschenkenntnis erworben und irrt sich sehr selten in einem Menschen. Er nutzt natürlich alle Möglichkeiten zur Recherche, aber sein Gespür ist schon sehr gut.

Er hat selber vielleicht fünf echte Freunde, aber von denen tut jeder für den anderen alles. Jerome hatte eigentlich nie Freunde so wie er aber das scheint sich ja jetzt zu ändern und seinen Vater freut das sehr.“

 

Wir haben das Fabrikgelände erreicht und fahren durch das Tor auf das eingezäunte Areal, das etwa einhundert mal fünfzig Meter hat. Das Gebäude steht in etwa mittig, so das rundum viel Fläche ist zum Parken, aber auch um, wie Jerome es beabsichtigt, mehrere Garagen aufzustellen.

Das Gebäude ist mit roten Backsteinen gemauert und macht einen soliden Eindruck. Werbetafeln zwischen den Fenstern weisen auf die Computerfirma hin, die im Unteren Geschoss ihre Räume hat. Wir parken an der linken Kopfseite, wo eine etwas breitere Stahltreppe zu einem Eingang ins obere Geschoss führt.

Dort steht bereits ein VW-SUV, der wohl dem Architekten gehören wird. Martin parkt neben dem Wagen, wir steigen aus und gehen die Treppe hoch. Die Türe aus Stahl ist schwer und ich muss kräftig ziehen, um sie zu öffnen. Wie betreten den großen Raum, der im hinteren Teil von einer Wand mit mehreren Glaselementen unterteilt ist.

Dort, am Durchgang zum anderen Raum steht ein groß gewachsener Mann mit einem Klemmbrett und einer Kamera. Er macht gerade Bilder, als wir herein kommen. Da die Stahltür quietscht, wendet er sich zu uns um und kommt dann auf uns zu.

„Guten Morgen, ich bin Ewald Knauer“, sagt er zu mir, reicht mir die Hand und sagt dann, auch Martin die Hand reichend:“Hallo Martin, schön, sie auch mal wieder zu sehen.“ „Ich bin Ole Jensen und soll mit Martin gucken, das beim Ausbau alles so wird, wie Jerome Remmers es möchte“, sage ich mich ebenfalls vorstellend.

„Carl August hat mir schon alles gesagt und auch mit Jerome habe ich kurz gesprochen. Wir, meine Familie und ich sind froh, dass er nach seinem schrecklichen Unfall jetzt wieder voller Tatendrang ist. Wir waren alle sehr geschockt und haben die Nachricht vom geplanten Umbau hier sehr erfreut aufgenommen. Der Plan mit der WG deutet darauf hin, das Jerome die schwere Krise nach dem Unfall überwunden hat.“

Ich habe jetzt mal die Skizze ausgerollt und halte ihm Jeromes Aufzeichnungen hin, erkläre kurz, wie er das haben möchte und überlasse ihm das Blatt. Er schaut sich das genau an, schaut einmal hoch zum Dach, und holt dann aus seiner Aktentasche ein Maßband. Er drückt mir das Ende in die Hand und fragt:“Darf ich noch Du zu dir sagen so wie zu Jerome?“

„Ja gerne“, sag ich grinsend, „sagen sie ruhig Ole zu mir, bei Herr Jensen käme ich mir doch schon sehr alt vor.“ „Gut, danke, Ole“, sagt er zu mir“, dann geh mal mit dem Bandende bis zur Außenwand und halte dort an. Wir messen die Breite des Gebäudes.“

Die ermittelten Maße, wir messen auch die Länge und den zweiten Raum sowie die Anordnung der Türen und Fenster, trägt er in die Skizze ein. Wir reden über die Anordnung der Räume, der Bäder und der Versorgungseinrichtungen, Heizung, Küche und Waschmöglichkeiten und ich teile ihm Jeromes Wünsche mit.

Auch Martin bringt sich mit ein, als es um Dinge wie Heizung, Fussböden und so weiter geht. Die Elektrik wird thematisiert, TV und Internetanschlüsse und noch das ein oder andere Detail zur Beleuchtung und zu Fenster und Türen. Nach eineinhalb Stunden, sind die Themen dann erst mal erschöpft und Herr Knauer entwickelt einen ersten Zeitplan.

Martin weist darauf hin, dass keine langwierigen Ausschreibungen stattfinden sollen. Die Firmen, die auch sonst meistens von Herrn Remmers und dem Konzern beauftragt werden, sollen ein Angebot erstellen, Herr Knauer soll das prüfen und dann den Auftrag erteilen. Ganz wichtig sind klare Zeitvorgaben und auch Überstunden und Wochenendarbeit wird mit den entsprechenden Zuschlägen gezahlt.

Materialien sollten eine gute Qualität haben, aber keinen übertriebenen Luxus soll es geben. Über die Einrichtung werden nach dem nächsten Wochenende weitere detaillierte Angaben geliefert, die dann von der Innenarchitektin umgesetzt werden sollen.

Herr Knauer weist nun darauf hin, dass die Arbeiten zur Außenisolierung bereits aus geschrieben sind und die Angebote bis Mitte nächster Woche vorliegen werden. Auch der Antrag auf Bezuschussung ist soweit vorbereitet, da fehlen nur noch die Summen. Die Isolierung nach oben hin ist zusammen mit der Dachsanierung ebenfalls ausgeschrieben.

Da die Anordnung der Räume jeweils rechts und links an der Fensterseite geplant ist, brauchen wir für den Mittelgang, den Flur praktisch zwischen den Zimmern Licht von oben. Das soll, so sagt Herr Knauer, über Dachfenster nach innen gelangen und den Flur hell machen. Das Wie will er dann mit der Dachdeckerfirma klären.

Nach dem fürs Erste alles besprochen ist, verabschiedet sich Herr Knauer. Bevor er geht, gibt er Martin noch den Schlüssel und bittet darum, diesen wieder bei der Computerfirma zu hinterlegen, damit man bei Bedarf auch rein kommt hier oben. “ Wir lassen noch Schlüssel nach machen“, sag ich, „sie bekommen dann erst mal zwei, einer für die Handwerker, die als Erste kommen“, sag ich.

„Einer ist immer unten hinterlegt und sie müssten eine Liste der Firmen, die hier arbeiten werden, bei der Firma unten hinterlegen, damit die Arbeiter den Schlüssel dort auch abholen können“, sagt Martin. „Ich denke, dass ab nächste Woche hier durchgehend gearbeitet wird“, sagt Herr Knauer, „da sperrt halt der erste, der kommt auf und dann der letzte abends ab.“

Wir, Martin und ich, gehen mit Herr Knauer runter und als er los fährt, gehen Martin und ich zum Eingang der Computerfirma und betreten den großen Verkaufsraum. Hier im Untergeschoss wurden wohl erst vor ein paar Jahren alle Fenster erneuert und auch mit Metallgittern ausgestattet. Auch die Eingangstüre ist sehr massiv, wohl, um eventuelle Einbrecher abzuhalten.

Martin fragt einen der anwesenden Angestellten nachdem Chef und der junge Mann bringt uns zum Büro, wo uns, nachdem wir uns vorgestellt haben, ein freundlicher, etwa dreißig Jahre alter Mann begrüßt. Er bietet uns einen Platz an und fragt, ob wir Kaffee möchten. Als wir bejahen, bittet er den jungen Mann, der uns her gebracht hat, doch Kaffee zu bringen.

Wir erklären dem Mann, der sich als Rufus Weiden vorgestellt hat, was in der nächsten Zeit mit dem Gebäude passieren wird und bitten darum, die Schlüsselgeschichte zu übernehmen, sprich, den Handwerkern, die morgens kommen, den Schlüssel aus zu händigen.

 

„Wir öffnen aber erst um neun Uhr“, sagt er gerade, als der junge Mann mit dem Kaffee kommt“, das dürfte ein Problem sein. Die Handwerker kommen ja oft schon um sieben .Bei uns wäre es aber nicht sinnvoll, schon um sieben zu öffnen, da kommen keine Kunden.“

„Das ist natürlich blöd“, sag ich, „da müssen wir was überlegen.“ § Wenn einer ihrer Angestellten bereit wäre, um sieben anzufangen“, sagt Martin jetzt, „würden wir ihm die zwei Stunden täglich extra bezahlen, voraus gesetzt, sie sind damit einverstanden. Natürlich würde dann die Ausstattung oben mit PC-Technik und die Wartung der Anlage durch euch stattfinden.“

„Ich könnte um sieben da sein, jeden Morgen, solange, wie gebaut wird. Ich mache gerade den Führerschein und könnte etwas zusätzliches Geld gut gebrauchen“, sagt jetzt der junge Angestellte“, und in den zwei Stunden könnte ich dann Theorie pauken und Fragebogen machen am Computer.“ Er guckt abwechselnd zu Martin und zu seinem Chef.

„Das ist Marvin Schäfer, er ist im zweiten Ausbildungsjahr und er ist sehr zuverlässig“, sagt Herr Weiden, „ich hätte nichts dagegen, wenn sie mit ihm über die Bedingungen einig sind, das er morgens um sieben hier ist. Wir haben auch am Samstag geöffnet, wenn er also auch am Samstag so früh kommen soll, dann müsst ihr euch mit ihm einigen.“

„Hast du vor, in den nächsten Wochen Urlaub zu machen, Marvin?“, fragt Martin den jungen Mann. „Nein, ich will erst im September Urlaub machen, ab dem vierzehnten, das ist auch mit Herr Weiden so abgesprochen“, antwortet Marvin.

„Ich denke, das ab dem Montag der nächsten Woche, wenn es richtig los geht oben, es gut ist, wenn du dann da bist „, sagt Martin, „bei sechs Tagen in der Woche bekommst du einhundert-zwanzig Euro von uns, Ole hier macht das, das sind zehn Euro pro Stunde auf die Hand. Ist die Bezahlung OK für dich?“

„Ja, das wäre OK, prima“, sagt Marvin und auch sein Chef nickt zustimmend. „Gut“, sagt Martin, „dann brauchen wir ja für die Handwerker gar keine Schlüssel. Dann müssen wir noch drei nachmachen lassen. Einen kriegt der Architekt, einer ist ständig hier und zwei nehmen wir, einer für uns, einer für Jerome.“

Wir reden, nachdem Marvin wieder an seine Arbeit gegangen ist, noch über die neue Wärmeschutzmaßnahme und die vorübergehende Entfernung der Werbeflächen. Außerdem regt Herr Weiden an, zur Auflockerung der großen Fläche draußen vielleicht ein paar Bäume ein zu planen.

Es ist fast halb Zwölf, als wir uns aufmachen, zuerst zum Schlüssel nachmachen und dann zurück zu Remmers zu fahren. Um viertel nach Zwölf sind wir dort, wo gerade die Vorbereitungen fürs Mittagessen laufen. Jeromes Mutter lässt gleich noch zwei Gedecke mehr auflegen und so sitzen wir alle, außer natürlich Jeromes Vater, Sergej und Kevin, beim Mittagstisch.

Martin und ich berichten von unseren Treffen und den getroffenen Absprachen oben und auch die Sache mit Marvin und der Schlüsselregelung. Jerome findet das alles OK und auch seine Mutter äußert sich positiv über unsere Mission. Jerome erzählt, dass er den ganzen Morgen Mathe gemacht hat mit seinem Lehrer und das er nach her noch Aufgaben üben muss, weil er da noch Probleme hat,

„Wie bist du eigentlich in Mathe?“, fragt er mich. Alle Augen ruhen jetzt auf mir. „In Mathe habe ich immer einen Einser schnitt, das liegt mir und da brauch ich auch nie viel zu lernen, aber das habe ich ja so gut wie hinter mir, “ sag ich und grinse freundlich.

“ Hättest du Lust und Zeit, mir bei meinen Aufgaben über die Schulter zu gucken und wenn ich was nicht verstehe, es zu erklären?“, fragt mich Jerome. Ich schau auf die Uhr, es ist gerade mal viertel vor eins. „Ich wollte eh erst mit Mutsch heimfahren“, sag ich, „also habe ich Zeit und helfe gern, wenn ich kann.“

„Prima, danke“, sagt Jerome, „dann komm mit hoch.“ Wir stehen vom Tisch auf und gehen über die Treppe nach oben. Er geht vor mir und ich schaue bewusst auf seine Füße. Wenn ich nicht um seine Behinderung wüsste, würde mir nichts auffallen, so normal geht er die Treppe hoch.

„Du läufst völlig normal mit diesen Prothesen“, sag ich, „jemand, der nichts weiß von deiner Behinderung, würde auch keine vermuten. Das finde ich echt gut, dass es solche Hilfen heute gibt.“ „Manchmal“, sagt er, „ist mir die Behinderung erst wieder richtig bewusst, wenn ich zum Duschen, Schwimmen oder beim Zu Bett gehen meinen Max und den Moritz wieder ausziehen muss.

Sie sitzen mittlerweile so optimal, dass ich sie gar nicht mehr als fremdes Teil an mir empfinde. Der Dr. Schmelzer ist sehr erstaunt, dass ich so schnell mit den beiden eins geworden bin und so gut laufe damit. Die Erfahrungsberichte gehen von längeren Eingewöhnungszeiten aus, aber ich bin natürlich happy, das es so gut geht“

Oben schiebt er einen zweiten Stuhl an den Schreibtisch und wir setzen uns dort hin. Er hat mehrere Arbeitsblätter daliegen, zwei davon hat er bereits gemacht. Die reicht er mir und bittet mich, die zu kontrollieren und zu schauen, ob alles richtig ist. Ich entdecke bei den insgesamt zehn Aufgaben zwei Fehler, lege aber dann die Blätter zunächst mal zur Seite und lasse ihn am dritten Blatt in Ruhe weiter rechnen.

Als er das dritte Blatt fertig hat, schaue ich auch dieses nach, vorher erkläre ich aber ausführlich, was bei den anderen zwei Aufgaben nicht richtig war. Das dritte Blatt ist Fehler frei und so nimmt er sich das nächste vor.

Ich lass derweil meine Augen durch seine Wohnung wandern, bin schon ein bisschen beeindruckt vom Luxus der Einrichtung, die keine Wünsche offen lässt, die man für Geld kaufen kann. Ich persönlich kann mich aber auch nicht beschweren, habe ich doch auch zu Hause alles, was ich zum Glücklich sein benötige, vor allem jetzt, wo ich Frank, meinen Schatz gefunden habe.

 

Jerome

Ole hat Mathe wirklich drauf und ich überlege gerade, ob ich ihn nicht frage, ob er mir bis zu meiner Prüfung noch das ein oder andere Mal helfen kann, die Dinge zu verstehen, bei denen ich Probleme habe. Er kann alles gut verständlich erklären und es kommt so freundschaftlich und gar nicht lehrerhaft rüber.

Ole wird mir, seit ich ihn kennengelernt habe in der Cafeteria und auch auf der Party, immer sympathischer. Er ist ein ruhiger, sehr angenehmer Mensch, der genau zuhört und sich, wenn er es für richtig hält, sachlich und überlegt äußert.

Ich bin gern mit ihm befreundet und hoffe, dass sich diese ja noch sehr junge Freundschaft richtig gut weiterentwickelt. Auch sein Freund Frank scheint sehr OK zu sein. Mit diesen Beiden in einer WG zu wohnen, stell ich mir sehr angenehm vor, ich jedenfalls freu mich drauf.

Mama und Papa waren jedenfalls mit der Auswahl meiner Freunde zufrieden und Mama hat auch gleich gespürt, dass Kai und Kevin sich offensichtlich aufeinander zubewegen. Als sie mich und Sergej darauf aufmerksam machen wollte, haben wir nur wissend gegrinst und gesagt, das wir das schon im Auge behalten werden und ein bisschen aufpassen wollen.

So, die letzten drei Arbeitsblätter sind fertig und ich reiche sie an Ole weiter. Aus den Augenwinkeln habe ich gesehen, dass er mein Zimmer sehr interessiert gemustert hat. Jetzt wendet er seine Aufmerksamkeit wieder mir und den Arbeitsblättern zu.

Ein Fehler durch die Anwendung einer falschen Formel zeigt er mir und das rechne ich dann nochmal mit der richtigen, dann stimmt auch das Ergebnis. Alles andere ist soweit OK, bei einer Aufgabe zeigt er mir noch eine einfachere Lösungsmöglichkeit, dann ist es geschafft für heute.

Es ist halb zwei und ich habe eine Idee. „Komm, wir fahren in die Klinik“, sag ich zu Ole, „dann sehe ich meinen Schatz und wir können Frank abholen. Kevin kann ich dann ja auch gleich mit her nehmen und wenn deine Mutter heimfährt um halb fünf, können Frank und du mit fahren. Ich sag Martin Bescheid.“

Er findet meine Idee auch gut, also rufe ich Martin an und als wir runterkommen, können wir gleich losfahren. Dann rufe ich Sergej auf dem Handy an und sage, er soll Kevin mit in die Klinik bringen, wir holen ihn heute dort ab. Sergej ist offensichtlich noch immer gut gelaunt.

Die halbe Stunde heute Morgen, die ich den Wecker früher gestellt habe, wirkt wohl immer noch nach, kein Wunder, nach einem so lustvollen Start in den Tag. Wir haben uns gegenseitig so richtig wach gemacht, anschließend war jede Müdigkeit einer sehr guten Laune gewichen. Kevin hat wohl gemerkt, dass wir super drauf waren, hat gegrinst und ist ein bisschen rot geworden.

Ole ruft Frank an und sagt ihm, dass er in die Cafeteria kommen soll, wenn er Schluss hat. Der Skoda ist noch nicht auf dem Parkplatz an der Klinik. Es wird auch bestimmt noch ein bisschen dauern, bevor die Sergej und Kevin kommen. Mein Gefühl sagt mir, das eher drei als zwei Personen im Auto sitzen werden.

Ich sage zu Ole: „Ich wette, das Kai auch gleich mit in die Cafeteria kommt. Sergej kann sich denken, das wir ja alle dann noch zu uns fahren, da will Kai bestimmt nicht fehlen. Wer verliert, bezahlt den Kaffee“, Ich halte meine Hand hin zum Einschlagen. „Ich sage, Kai hat noch Vorlesung und kommt nicht“, sagt Ole und schlägt ein. Jetzt kann es nur noch Minuten dauern, bis wir wissen, wer den Kaffee bezahlt.

Die Bedienung, die uns ja nun auch schon etwas besser kennt, hat das Gewünschte gebracht und sagt, dass sie bitte sofort kassieren möchte, weil sie gleich abgelöst wird. Martin sitzt auch bei uns, er soll uns zurück fahren, damit mein Schatz den Skoda hier an der Klinik behalten kann, um nach Schichtende heimfahren zu können.

Ich hole meinen Geldbeutel aus der Tasche, sowas hatte ich vorher nie dabei, wenn ich mit Martin unterwegs war. Ich will unseren Kaffee bezahlen und frage die junge Frau dann, ob Sergej mit ihr schon über Samstag gesprochen hat, wegen der Übernahme seiner Schicht.

Sie sagt, dass er mit ihr gesprochen hat und auch die Chefin ihr OK gegeben hat, wenn auch eher weniger begeistert. Sie übernimmt die Schicht für Sergej, damit der mit uns zu Werder gehen kann.

Ich zahle und gebe ihr einen fünfzig Euroschein und sage: „Der Rest ist mein Dankeschön, für den Samstag, aber sag Sergej nicht unbedingt was davon. Ich freue mich sehr, dass er am Samstag mit uns gehen kann. Danke noch mal.“ Sie bedankt sich ebenfalls sehr und geht dann zurück zur Theke.

Zu Ole sag ich: „Wenn du verlierst, brauchst du nur den Kaffee zu bezahlen, das sind sieben Euro und Fünfzig“. Ole deutet an mir vorbei zum Eingang und sagt grinsend: „Vergiss es.“ Ich schau mich um. Sergej erscheint mit Kevin, von Kai ist allerdings keine Spur.

„Hi, ihr beiden“, sagt Sergej und beugt sich zu mir runter und küsst mich kurz. Auch Kevin grüßt kurz und setzt sich zu uns, während Sergej, nach dem er mir noch einmal liebevoll durchs Haar gewuschelt hat, Richtung Theke davon eilt um seine Kollegin abzulösen.

„War Kai nicht mit euch im Zug?“, frag ich den Kleinen. „Er hat heute Vorlesungen bis um Vier“, sagt Kevin mit einem traurigen Unterton. „Morgen früh siehst du ihn ja wieder“, sag ich und schau ihm in die Augen dabei. „Eben nicht“, sagt er im selben Ton, „ich habe doch um Neun morgen mit deiner Mutter einen Termin wegen der Therapie für mich. Da sehe ich ihn morgen gar nicht.“

„Dann ruf ihn doch heute Abend an und frag ihn, ob er morgen zu uns kommen will, so um halb vier. Er hat doch ein Auto, da dürfte es für ihn kein Problem sein“, sag ich zu Kevin und zu Ole gewandt sag ich:“Frank und du, ihr könnt auch kommen, wir können Sauna machen und Schwimmen:“

„Ich und Frank sind für morgen mit Armin und Denise verabredet“, sagt Ole, „bevor das mit der Baustelle richtig los geht und ich nicht mehr viel Zeit für die beiden habe. Die beiden sind ja nächstes Jahr auch mit der Schule fertig.

Wenn Mike und Dirk nicht in die WG wollen, könntest du ja Denise und Armin fragen, ob sie einziehen wollen, für den Fall, dass sie in Bremen studieren wollen.“ „Man könnte auch etwas anders als jetzt geplant umbauen, dann würde es auch für zehn Leute gehen“, sag ich“, Platz wäre genug vorhanden.“

Ich geh zur Theke, zu Sergej und frag ihn nach einem Blatt Papier und einem Stift. Er holt aus einer Schublade einen Block und legt einen Stift dazu.“ Wenn du fertig bist, leg es einfach hier her, ich mach’s dann wieder weg“, sagt er und läuft mit einem vollen Tablett los.

Zurück am Tisch, begrüße ich Frank, der zwischenzeitlich herunter gekommen ist. Ich mache eine neue Grundrissskizze von der Fabrik mit einer anderen Einteilung. Die Zimmer und die Bäder sind jetzt etwas kleiner gehalten in der Breite, dafür in der Tiefe etwas größer.

Auf der einen Gebäudeseite bekommt jedes Zimmer ein vom Raum aus zugängliches Duschbad, auf der anderen Seite jeweils, wie schon vorher geplant, zwei Zimmer zusammen ein Bad mit Wanne.“ Den Zettel müsste ich jetzt dem Herrn Knauer faxen, damit auch davon ein Plan gemacht wird“, sag ich zu den Anderen.

„Gib mir das Blatt, schreib mir die Fax Nummer auf und schreib auf ein Blatt, was du haben willst“ sagt Frank sofort, “ ich suche dann oben Dr. Morbach und frag, ob man das schnell faxen kann.“ Ich schreibe alles auf, was ich möchte und gebe Frank dann die beiden Blätter.

Die Fax Nummer steht auf der Visitenkarte des Architekten, die Ole jetzt an Frank weitergibt. Der macht sich gleich auf die Suche nach Doktor Morbach. Ich bringe den Block und den Stift zurück und bestelle noch fünf Kaffee für unseren Tisch. Zu Sergej sag ich dann: „Wir fahren gleich mit Martin zu uns nach Hause, Ole und Frank können dann später mit Oles Mutter nach Hause fahren.“

Ich stehe dicht bei ihm und streiche kurz über seinen Rücken bis zum Po hinunter.“ Ihr könntet ja mal schon nach Bädern und so schauen im Internet“, sagt mein Schatz, “ ich freu mich auf Dich, wenn ich nach Hause komme.“ Ich küsse ihn kurz auf die Wange und gehe dann zurück zum Tisch. Seine Chefin wirft mir einen nicht gerade freundlichen Blick hinterher. Was hat die denn jetzt?

Kevin sagt zu mir: „Wenn Blicke töten könnten, wärst du vielleicht jetzt tot, so hat dir diese Frau hinter her geschaut. Hat die was gegen schwule Jungs? Das sah mal gerade so aus. Ich bin mal gespannt, ob sie was zu Sergej sagt.“

„Ich weiß es nicht, ob sie was gegen Schwule hat“, sag ich, „oder nur was gegen mich. Sie hat wohl Angst, Sergej zu verlieren, fühlt wohl, dass ich ihn ihr ganz wegnehmen will.“ „Willst du, dass er hier aufhört?“, fragt Ole.

„Er ist sieben Tage hintereinander von sechs Uhr dreißig morgens bis abends halb sieben, oder wenn er im Hilton die späte Schicht hat, von acht Uhr morgens bis elf Uhr abends unterwegs“, erkläre ich, „da er jetzt bei mir wohnt, müsste er das nicht mehr machen, da Miete und auch viele Lebenshaltungskosten für ihn weg gefallen sind.“

Martin meint: „Du musst ihm etwas Zeit lassen, er wird einsehen, dass er selber mehr Zeit mit dir verbringen möchte, wird die Arbeit hier reduzieren oder ganz aufgeben. Dräng ihn nicht, zeig ihm, das du ihn vermisst, er wird dich auch vermissen und es dann wohl auch einsehen. Du musst ein bisschen Geduld haben.“

Martin, mein Lebensberater, der kennt mich glaub ich noch besser, als ich mich selber kenne. Ich verdanke ihm so viel und bin froh, dass es ihn gibt und das er immer, wenn ich ihn brauche, für mich da ist. Ich denke, seine Einschätzung, was Sergej und mich betrifft, ist nochmal voll auf den Punkt gebracht. Martin hat auch sehr schnell gemerkt und erkannt, wie mein Schatz tickt.

Sergej bringt den Kaffee, stellt alles auf den Tisch. Ich sehe ihm an, dass er gerade nicht so gut drauf ist. „Gibt es Probleme, Schatz?“, frag ich. Später“, sagt er und geht wieder zurück. Kevin, der mit dem Gesicht zur Theke sitzt, sagt: „Sie hat ihn jetzt keine Sekunde aus den Augen gelassen, als er hier am Tisch war.“

Ich drehe mich um und schaue zur Theke. Sergej geht gerade mit vollem Tablett in Richtung Tischreihe am Fenster. Die Blicke seiner Chefin treffen auf meine und ich kann ihren Ärger erkennen, er gilt wohl mir. Ich halte ihrem Blick stand, bis sie, offensichtlich genervt, wo anders hinschaut. Ich dreh mich wieder meinen Freunden zu und sehe Frank zurückkommen.

„So, das Fax ist weg“, sagt er und gibt mir meinen Zettel und einen Sendebericht. Zu Ole sagt er: „Morbach hat mir gesagt, das er sich heute Abend mit Johannes um zwanzig Uhr im Dreams trifft. Er ist ein bisschen aufgeregt und nervös. Er hat gefragt, ob ich wüsste, ob Jo einen Partner hat da auf dem Schiff. „Das weiß ich nicht und Ole bestimmt auch nicht“, habe ich zu ihm gesagt.

„Ich möchte wissen“, sagt Ole, „was früher zwischen den beiden gelaufen ist. Offensichtlich ist ja zu mindestens bei Morbach noch Interesse an Jo vorhanden. Ich werde Jo bei nächster Gelegenheit einfach mal fragen.“ Dann erklärt er mir kurz, was es mit seinem Onkel und dem Dr. Morbach auf sich hat, das sie sich wohl von früher kennen und auch schwul sind.

Der Kaffee ist getrunken und ich winke zu Sergej hinüber, dass wir zahlen wollen. Martin sagt grinsend: „Ich zahle, von dir nimmt er bestimmt kein Trinkgeld.“ Sergej will mir den Bon hinlegen, aber Martin streckt die Hand aus. Sergej wäre nicht Sergej, wenn er das Manöver nicht durchschauen würde.

Er verdreht kurz die Augen, nimmt den Zwanzig euroschein entgegen und quittiert Martins Bemerkung „Stimmt so“ mit einem „war mir klar“. Er steckt den Geldschein weg und sagt zu mir: „Bis später, mein Schatz“, winkt den anderen kurz zu und geht wieder. „Der fallen gleich noch die Augen raus, der Tusse“, sagt Kevin, als wir aufstehen.

Frank nimmt Ole an der Hand und wir gehen zum Wagen. Martin, fragt, ob ich fahren möchte aber ich habe gerade keine Lust. „Fahr du“, sag ich, „ich bin mit den Gedanken gerade woanders.“ Mir gehen die Blicke dieser Frau nicht aus dem Sinn. Sie hat richtig böse geguckt, obwohl wir ja eigentlich nichts Schlimmes getan haben.

Wenn ich nur wüsste, wie ich Sergej zum Aufhören in der Cafeteria überreden könnte. Martins Worte fallen mir wieder ein und ich beschließe, zunächst mal abzuwarten und Sergej zu zeigen, dass ich ihn den ganzen langen Tag vermisse. Ich nehm mein Handy raus und schreibe ihm eine SMS: „Hallo, mein Schatz, ich vermiss dich ganz Doll und würde dich jetzt gerne knuddeln und küssen“, und schick sie ab.

Drei Minuten später kommt die Antwort: „Ich liebe dich auch und das andere gibt es heute Abend.“ Ich lass das Handy in die Tasche gleiten, sehe Martin grinsen und höre ihn sagen: “ Gut so, und das drei bis viermal pro Schicht in der Cafeteria, ich denke das hilft irgendwann.“ Er hat mal wieder alles geblickt, mein Martin.

 

Sergej

Nach dem Jerome und die anderen weg sind, wird es etwas ruhiger in der Cafeteria. Ich räume noch schnell den Tisch ab und warte dann an der Theke auf neue Gäste oder Bestellungen. „Manchmal, vor allem aber, wenn dein Freund da ist“, höre ich meine Chefin sagen, die plötzlich bei mir steht, „habe ich den Eindruck, du hast keine Lust mehr auf den Job hier oder?“

„Was soll denn das jetzt, ich mache meine Arbeit hier so gut wie immer“, wehr ich mich gegen den Vorwurf. „Das gegenseitige Betatschen und begrabbeln hier während der Arbeit gefällt mir auch nicht und es gibt auch Gäste, denen das nicht gefällt“, kommt jetzt der nächste Knaller von ihr, „auch die dauernde Schichtentauscherei ist nicht in meinem Sinn und das am Samstag ist das letzte Mal“,

„Ich habe bis heute hier immer einen guten Job gemacht und war bis auf den Unfall neulich nicht einmal krank“, sag ich und ich muss mich echt bemühen, ruhig zu bleiben, “ und wenn ich mal die Schicht tausche, dann ist das eine Sache zwischen Vanessa und mir. Ich habe auch schon Schichten für sie übernommen.“

„In Zukunft wird nicht mehr getauscht ohne meine Genehmigung“, sagt sie, ziemlich erbost“, und das Rumgetatsche mit deinem Freund hier in der Cafeteria hört auch ab sofort auf. Am besten, du sagst ihm, er soll während deiner Schicht nicht mehr hier her kommen, dann hört das von selber auf.“

Ich denk gerade, ich höre nicht richtig. „An Tisch elf winkt jemand“, sagt sie und lässt mich stehen. Wie in Trance geh ich zu Tisch elf und muss mich sehr konzentrieren, um die Bestellung auf zu nehmen. Zurück an der Theke, sage ich was ich bekomme. Mein Blutdruck geht langsam wieder nach unten.

Ich bin mir nicht sicher, was hier gerade läuft, aber ich weiß, dass ich das nicht so hinnehmen werde. Die hat sie wohl nicht mehr alle, mich so voll zu labern. Immer hab ich hier einen guten Job gemacht und auch, wenn Jerome hier war, habe ich keinen Gast vernachlässigt. So läuft das nicht, aber mal gar nicht.

Sie stellt das Bestellte vor mich hin und ich belade mein Tablett. Dann gehe ich zügig zu Tisch elf und bediene die Leute. Da diese gleich bezahlen wollen, ich aber den Bon vorne ab der Theke abgelegt habe, geh ich zurück und hole den Bon und kassiere die Summe.

Zurück an der Theke, sagt sie zu mir. „Da siehst du es, seit du diesen Typen da kennst, hast du deine Gedanken immer woanders und vergisst die Hälfte.“ Ich atme ganz ruhig durch, ziehe die Schlaufe meines Vorbinders auf, lege den zusammen gefaltet auf den Tresen, den Geldbeutel oben drauf und schau sie an.

„Was soll das jetzt werden?“, fragt sie spitz. „Nach was sieht es denn aus?“, frag ich, „sie werden jetzt das Schürzchen noch mal selber umbinden müssen, werte Frau Schneider, weil ich jetzt zu dem Typen fahre und den ein bisschen begrabbel und betatsche. Das war meine letzte Schicht in ihrem Etablissement. Suchen sie sich jemand anderen, dem sie ihre Nettigkeiten sagen können, ich bin raus hier.“

Ihre Augen werden groß, wandern zwischen der Schürze und mir hin und her. „Das wagst du nicht“, sagt sie gepresst, „das kannst du so nicht machen, mich hier allein stehen lassen.“ „Das hätten sie sich vorher überlegen sollen“, sag ich, „bevor sie meinen Freund als Typen bezeichnen, meine Arbeit schlecht machen und mir lauter haltlose Vorwürfe machen. Jetzt ist auf gut deutsch für mich hier der Arsch ab.“

„Wohin sie den Rest meines Lohns überweisen müssen, wissen sie ja“, sag ich ganz ruhig, “ meine neue Adresse ist bei dem Typen, den ich ihrer Meinung immer betatsche und ansonsten geh ich jetzt meine Sachen holen und verschwinde. Übrigens an Tisch sieben, die wollen wohl bezahlen und bitte lächeln, sonst gibt’s kein Trinkgeld. Einen schönen Tag noch, Frau Schneider.“

Bevor ich mich ins Auto setze, laufe ich eine Runde durch den Park, ich muss jetzt erst mal wieder runterkommen, diese dumme Schnalle, die hat doch wohl den Schuss nicht gehört.

Im hinteren Teil auf einer Bank sitzt Doktor Morbach, allein, und er sieht nicht gerade glücklich aus. Als er mich sieht, huscht ein kurzes Lächeln über sein Gesicht. „Hallo, Sergej, hast du Pause oder schon Schluss für heute?“, fragt er.

Einer spontanen Eingebung folgend, setze ich mich zu ihm, erzähle im brühwarm, was mir soeben passiert ist. Er unterbricht mich mit keinem Wort, hört mir aufmerksam zu und als ich fertig bin, mit meiner Story, da schweigt er zunächst und wird ganz nachdenklich.

Dann fängt er an zu reden: “ Weißt du, Sergej, das wichtigste im Leben sollten immer die Menschen sein, die man liebt. Alles andere, Beruf, Karriere oder Job, Geld und Ansehen, Titel und sonstiges sollte man erst an die zweite oder dritte Stelle verbannen. Nur die Liebe macht auf Dauer glücklich, muss gehegt und gepflegt werden, damit sie gedeihen kann.“

Er wischt sich mit beiden Händen über das ganze Gesicht, schaut mich dann an und seine Augen sind feucht.“ Wollen sie drüber reden?“, frag ich leise. „Sag Joachim zu mir, Sergej, ich duze dich ja auch einfach“, sagt er, „es ist eine lange Geschichte und ob es jemals ein von mir ersehntes Happy End gibt, ist offen und ich habe ein bisschen Angst, dass es heute Abend schon zu Ende geht.“

„Ich habe Zeit“, sag ich, „man rechnet noch nicht mit mir zu Hause.“ Ich wundere mich, wie leicht mir das „zu Hause“ über die Lippen kommt, das ist jetzt da, wo mein Schatz ist. Er fängt an zu reden. „Ich weiß nicht, wie viel du darüber mitbekommen hast, das ich Oles Onkel Johannes von früher kenne.

Ich war neunzehn, Johannes zweiundzwanzig, als wir uns in Hamburg in einem Club kennengelernt haben. Ich war das erste Mal in einem Club, war noch Jungfrau und alles war neu für mich. Johannes traf ich schon gleich im Eingangsbereich und als wir uns angesehen haben, war klar, mit wem wir den Abend verbringen wollten.

Er hat gesehen an meinem Verhalten, das ich neu war dort und hat den Abend und auch die Nacht mit mir verbracht. Er hat mich beschützt an diesem Abend, mit mir getanzt und später in der Nacht auch meiner Unerfahrenheit auf sexuellem Gebiet ein Ende bereitet. Er hat mich auch nicht vor dem Frühstück raus geschmissen und von diesem Tag an waren wir zusammen.

Es war nicht einfach für ihn, ich traute mich nicht, in der Öffentlichkeit zu ihm zu stehen, war ängstlich und oft unsicher, nicht geoutet zu Hause, verklemmt. Er hatte viel Geduld, nahm mir nach und nach meine Hemmungen und brachte mich dazu, zu meiner Liebe zu stehen.

Er hatte sechs Semester Betriebswirtschaft studiert und machte mittlerweile eine Ausbildung zum Hotelkaufmann und Manager. Ich studierte Medizin in Hamburg.

Mit vierundzwanzig war ich fertig, er schon früher und er arbeitete in einem renommierten Hotel. Immer wieder sagte er, dass er zur See, auf ein Kreuzfahrtschiff wolle und ich mich als Assistenzarzt ebenfalls auf diesem Schiff bewerben solle. Er wisse, das immer wieder junge Ärzte gesucht würden auf den großen Kreuzfahrern.

Ich wollte immer an einem großen, bekannten Krankenhaus arbeiten, Chirurg werden, Karriere machen und nicht Schnupfen oder Seekrankheiten behandeln. Als ich auf eine Bewerbung hin eine Vorstellung in München, Rechts der Isar hatte, belog ich ihn und sagte, ich wolle meine Eltern besuchen.

In München konnte ich wohl überzeugen und elf Tage später kam der Vertrag per Post. Ich brauchte nur noch zu unterschreiben, dann hatte ich den Job. Abends, als er vom Hotel nach Hause kam, sagte ich ihm, dass ich nicht auf ein Schiff möchte und bat ihn, mit nach München zu gehen und dort in einem Guten Hotel zu arbeiten.

Als er fragte, wie ich auf München käme, sagte ich, dass ich dort eine Stelle bekommen hätte. Dabei musste ich dann auch beichten, das ich meine Eltern nur vorgeschoben hatte, um mich in München vor zu stellen.

Daraufhin bat er mich, meine Sachen zu nehmen und seine Wohnung zu verlassen. Er ging und sagte, das er in drei Stunden wieder käme und das ich dann weg sein solle. Dann war er weg. Erst jetzt wurde mir klar, was ich gemacht hatte, ich hatte ihn belogen und hintergangen, gehofft, nein, sogar vorausgesetzt, das er mit mir gehen würde, weil er mich ja liebt.

Ich habe das Vertrauen und unsere Liebe zerstört und war seitdem nicht mehr glücklich. Ich ging und zog nach München, stürzte mich in die Arbeit, wurde Stationsarzt und dann hätte ich auch Oberarzt dort werden können, aber es hielt mich nicht in München, ich wollte zurück, wollte meinen Johannes wiederhaben. Hatte erkannt, dass ich mein Glück leichtsinnig verspielt habe.

Ich nahm zuerst eine Stelle in Hamburg an, dachte, das ich ihn dort am ehesten wieder sehen könnte. Dann brachte ich in Erfahrung, dass er auf der MS Europa fuhr, deren Anlauf und Heimathafen hier in Bremerhaven ist.

Seit zwei Jahren bin ich nun hier, seit einem Vierteljahr Oberarzt und habe mich erst jetzt getraut, Johannes zu kontaktieren und auch nur, weil ich ihn auf Oles Zimmer im Fernsehen gesehen habe. Da war auf einmal alles wieder da, die Gefühle, die Sehnsucht. Von Ole habe ich seine Nummer und es hat zwei Tage gedauert, bis er auf meine SMS geantwortet hat.

Dann haben wir telefoniert, nicht sehr lang, aber wir haben uns für heute verabredet. Jetzt habe ich Angst, Angst, dass es nichts mehr werden kann mit uns, Angst vor seinem vorwurfsvollen Blick, vor einer Zurückweisung.“

Er ist zum Schluss immer leiser geworden, sitzt wie ein Häufchen Elend neben mir. Ich lege einfach einen Arm um ihn, drücke ihn leicht und tröste ihn: „Wenn es keine Chance mehr gäbe, hätte er nicht zurück geschrieben oder telefoniert“, sag ich zu ihm, „ihr seid beide heute viel reifer und wenn ihr erst mal die Scheu voreinander verloren habt, könnt ihr bestimmt auch vernünftig mit einander reden.“

Er schaut mich skeptisch an. „Sag ihm alles“, fahr ich fort, “ alles, was du mir erzählt hast, sag ihm, was du immer noch für ihn fühlst, aber setz ihn nicht unter Druck. Versuch nichts zu erzwingen, wenn er dir glauben will, dann wird er es tun und wenn er für dich noch was empfindet, dann kann alles wieder wachsen. Du kannst nur gewinnen, verloren hast du ihn damals schon.“

Er richtet sich auf, schaut mich an und sagt: „Danke, Sergej, du hast wohl in allen Dingen recht, ich hoffe, dass ich das hinkriege, hoffe, das er mir eine Chance gibt.“ „Aber das tut er ja schon, Joachim, sonst würde er doch gar nicht erst kommen“, sag ich zu ihm, „wenn er immer noch so böse wäre, wie damals, dann hätte er dir nicht geantwortet. Jetzt bist du dran, erklär dich, hab keine Angst.

Ich stehe auf, zieh ihn auf die Beine. „Geh, mach dich hübsch, guck das du gut riechst und dann trau dich, du kannst nur gewinnen“, sag ich. Und geh mit ihm Richtung Klinik zurück. Vor dem Eingang drücke ich ihn noch kurz, wünsch ihm alles Gute und suche dann den Parkplatz auf, Es ist immer noch früher, als ich sonst fahre, aber jetzt, nach dem Gespräch, jetzt brauch ich die Nähe meines Schatzes.

 

Ich steige ein und muss mich zwingen, die Verkehrsregeln, sprich die Geschwindigkeitsbegrenzungen ein zu halten. Nach fünfzehn Minuten fahre ich auf den Parkplatz neben dem Haus, wo der Skoda immer steht.

Halb fünf zeigt die Uhr, das Auto von Oles Mama ist noch da. Ich sperr die Haustüre auf und geh hinein. Lis, Jeromes Mama kommt mir entgegen, sie hat wohl das Auto bemerkt. „Hallo, Sergej“, sagt sie; „du bist schon da? Ist was passiert?“

„Ich habe den Job geschmissen“, sag ich, „bin einfach ab gehauen. Die Chefin war so frech zu mir, hat meine Arbeit schlecht gemacht, Jerome einen Typen genannt, der mich immer betatscht und noch andere Nettigkeiten. Ich habe ihr die Schürze und den Geldbeutel hingelegt und ihr gesagt, dass die Leute an Tisch sieben bezahlen wollen. Dann bin ich gegangen.“

Sie guckt ein bisschen amüsiert auf Grund meiner Schilderung und sagt dann: „Ich denke, Trauer über diesen Jobverlust wird sich im Hause Remmers wohl keine einstellen und wie ich meinen Erstgeborenen kenne, wird er sich die Freude auf dem Gesicht kaum verbeißen können. Sei ihm also nicht böse, wenn er sich freut, auch wenn das sehr egoistisch ist von ihm.“

Jetzt muss ich auch grinsen, weil sie das irgendwie lustig ausgedrückt hat. “ Die große Baukommission tagt oben und sucht Badewannen und sonstige Lustmöbel aus“, sagt sie, „der Frank und der Ole bleiben noch länger und auf Kevins Wunsch ist Martin noch den Kai holen, dessen Auto nicht angesprungen ist. Die Sauna wurde auch schon eingeschaltet und dürfte bald heiß genug sein.“

„Na Toll, das passt“, sag ich, „da geh ich doch gleich mal hoch.“ Ich nehme die Treppe, weil das schneller geht. Unterwegs kommt mir eine Idee, An der Türe angekommen, klopfe ich an, etwas, das Jerome nicht von mir erwarten würde.

Alle werden denken, dass es Kai ist, vor allem der Kleine. Ich weiß, dass jetzt ein bisschen fies ist, aber mir ist gerade da nach, mal nicht immer der Brave zu sein. Ich klopfe an reagiere aber nicht auf das herein. Es dauert gerade mal fünfzehn Sekunden, bis die Tür schwungvoll geöffnet wird. Kevin. Ich schnappe ihn und schließe ihn fest in meine Arme und heb ihn hoch, küss ihn auf die Wange.

Mit weit aufgerissenen Augen, zu keiner Bewegung fähig, lässt er meinen Angriff über sich ergehen. Dann setz ich ihn wieder runter, strubbel durch seine Haare und sage leise: „Sorry, der richtige kommt gleich“, und gebe im noch ein Küsschen auf die Stirn.

Mit großen Augen schaut er mich an, dann fragt er: „Wieso bist du nicht arbeiten, mit dir habe ich nicht gerechnet. Warum klopfst du an, hat sie dich raus geschmissen die Tussi?“ „Soviel Fragen auf einmal“, sag ich, “ Meine Arbeit ist beendet. Ich habe geklopft, weil ich weiß, das Kai gleich kommt und ich wissen wollte, ob du dich freust und nein, sie hat mich nicht raus geschmissen, ich bin einfach gegangen.“

Alle haben zu mir geschaut und mein Schatz eilt auf mich zu. Eine Umarmung und ein süßer Kuss folgen und dann kommt die Aufforderung, zu erzählen. Bevor ich los lege, kommen Martin und Kai, der kleine, natürlich, und Kevin fasst sich ein Herz und nimmt ihn tatsächlich in den Arm und sagt:“Schön, das du da bist“.

Süß, Kai strahlt wie eine tausend Watt Birne und streicht sanft dem Kleinen durch die Haare. Jetzt haben wir zwei tausend Watt Birnen. Ich setze mich zu Jerome auf die Couch, auch die anderen suchen sich einen Platz. Der Beamer wirft gerade eine weiße Eckbadewanne an die Wand, aber alle Augen ruhen jetzt auf mir.

Ausführlich schildere ich den Verlauf des Nachmittags, nach dem meine Freunde die Cafeteria verlassen haben, von meinem Treffen mit Morbach erzähle ich aber keine Einzelheiten, sondern nur, dass er mit Oles Onkel Jo früher zusammen war und sie sich heute treffen wollen.

Wie bereits von Lis prophezeit, kann Jerome seine Freude nicht gänzlich verhehlen und letztendlich gönne ich uns auch das mehr an Zeit, die sich für uns daraus ergibt. Alle finden meine Reaktion auf die Vorwürfe und ihr Verhalten gut und damit ist das Thema dann auch erledigt. Jerome erzählt mir und Kai, was sie bis jetzt geguckt haben und was denn so in die engere Auswahl kommt.

 

Jerome

Das ganze drum rum um den Umbau hat auch nette Seiten. So viele Leute hatte ich noch nie bei mir zu Hause wie in den letzten Tagen. Mein Leben hat sich in den letzten Monaten drastisch verändert, zuerst durch den Unfall zum schlechten und dann durch Sergej und jetzt noch durch viele neue und auch gute Freunde zum Positiven.

Jetzt, wo Sergej nicht mehr nebenbei arbeiten geht, haben wir mehr Zeit für uns und das freut mich. Er fragt jetzt, wann wir vorhaben runter in die Sauna zugehen. „Von mir aus können wir gleich gehen“, sag ich, „aber wir können auch noch nach Duschen gucken. Kai, Frank und Ole werden später von Martin nach Hause gebracht.“

„Um Acht gibt’s was zum essen, dann ist Papa auch zu Hause“, sag ich zu den anderen, “ Frau Jensen hat heute Nachmittag Nudelsalat gemacht und Mama macht Wiener dazu.“ Ole fängt an zu Lachen und sagt: „Torsten würde jetzt sagen, Oh warme Wiener heute, wann kommen denn die Jungs.“ „Hast du seine Handy Nummer da?“, frag ich Ole.

„Klar, die ist gespeichert bei mir“, sagt er. „Ruf in einfach mal an, frag, ob er Internet hat, ob wir mit im skypen können“, sag ich zu Ole. „Er ist ja heute erst da hin“, sagt Sergej, „da wird er noch kein Internet haben, aber ein Anruf wird ihn bestimmt freuen.“

Ole wählt und nach dem dritten Klingeln ist der Torsten schon dran. Ole hat auf laut gestellt und begrüßt nun den Torsten, wir rufen alle ebenfalls hallo. „Boah, wer ist denn alles da?“, will Torsten wissen. Ole zählt die Namen auf. „Schwuppenversammlung“, kommt es lachend von Torsten und dann, „den Witz mit der Heizung spar ich mir jetzt“. Wir grinsen, so kennen wir ihn.

„Wie ist es denn da oben an der Ostsee?“, will Sergej wissen. „Hier ist alles Viel“, sagt Torsten. „Viel Wasser, viel Sand und Viel alte Leute und wahrscheinlich viel Einsamkeit. Eine vernünftige Tussi hab ich noch keine gesehen. Das wird wohl eine sauöde Reha werden.

„Warte erst mal bis morgen, wenn du mal alles gesehen hast, dann weißt du, ob es wirklich so öde ist“, sagt Ole zu ihm. „Wir kommen Dich besuchen, am übernächsten Samstag und wir bleiben über Nacht“, sag ich, „Sergej und Kevin haben dann frei und Frank auch, so dass wir alle kommen können. Bis dahin haben wir auch das zweite Auto, so dass alle mit fahren können.“

„Ich freu mich drauf, sagt er und dann, „ich muss jetzt zum Begrüßungsvortrag, bis Morgen mal, ciao.

 

Wir rufen alle „Ciao“, dann ist er weg. „Wir gehen jetzt in die Sauna, sonst sind wir zum Essen nach her nicht fertig“, sag ich und mach den Beamer aus. Wir machen uns auf den Weg in den Keller, wo jeder wieder eine Badehose bekommt. Max und Moritz werden abgemacht und Sergej trägt mich zuerst unter die Dusche und dann in die Sauna.

Die Gespräche in Sauna und Whirlpool drehen sich um Sergejs Aktion heute Nachmittag, über Baustelle und WG und die geplante Tour zu Torsten an die Ostsee

Was dabei rauskommt, erfahren wir frühestens im nächsten Kapitel, das uns dann auch etwas mehr von Johannes und Joachim berichten wird.

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2 Kommentare

  1. Wieder sind das ganz tolle Fortsetzungen, hab jetzt die letzten drei in einem Rutsch durchgelesen.
    Nur über die Nummerierung bin ich jetzt etwas verwundert.
    Unter der Überschrift und auch der HP-Nummerierung ist die Kapitelnummer jeweils eines weiter. Fehlt uns jetzt ein Teil oder ist die Nummerierung nur etwas verrutscht.

    mit den besten Wünschen, weiterhin eine sich verbessernde Gesundheit (die ist wichtiger als alles andere) und Vorfreude auf die nächsten Teile
    Gerd

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    1. Hallo,

      in der Nummerierung ist etwas verrutscht, wird demnächst gefixt.

      gruß Basti

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