Zoogeschichten II – Teil 76

Familiäres

Rolf

„Und, wie hat es dir im Zoo gefallen?“, fragte ich.

„Die Leute sind echt nett…“, antwortete Lucca.

Da stand er, wie ein Häufchen Elend. Als würde er auf einen riesigen Anschiss warten. Aber ich hatte keine Lust, noch irgendetwas wegen seiner Wasseraktion zu sagen. Ich denke, er hatte seine Lektion gelernt. Mit dem positiven Nebeneffekt, dass ihm die Arbeit im Zoo zu gefallen schien.

„Willst du noch etwas essen?“

„Nein…, keinen Hunger, ich gehe dann auf mein Zimmer.“

Und weg war er. Klar, ein Tag Zoo würde uns noch nicht näher bringen, aber gehofft hatte ich es natürlich schon irgendwie. Er war fünfzehn, voll in der Pubertät. Ich sollte mir vielleicht nicht so viele Gedanken machen.

Oder sollte ich vielleicht mal mit Volker reden? Seine zwei Kinder waren immerhin schon zwanzig, die hatten es hinter sich. Volker…, was für ein Mann – ich musste schmunzeln. Verträumt hängte ich meine Jacke an die Gardarobe und stieg die Treppe hinauf zum Atelier.

Aus Luccas Zimmer kam laut Musik. Aber es störte mich nicht weiter und ich wollte ihn ja schließlich in Frieden lassen. Trotzdem juckte es mir in den Fingern, bei ihm reinzuschauen. Doch vor der Tür blieb ich stehen, die Hand kurz über der Klinke haltend.

Nein, Finger weg heute Abend – Sperrgebiet. Ich wollte mich gerade umdrehen, als die Tür sich öffnete. Lucca sah mir entgegen und erschrak sichtlich, denn er konnte ja nicht damit rechnen, dass ich vor der Tür stand.

„Ist was?“, fragte Lucca.

„Nein, ich war gerade auf dem Weg nach oben.“

Das erste Mal seit langem, sah ich Lucca in einem weißen Tshirt. Es machte ihn irgendwie freundlicher, als das Schwarz, das er sonst trug.

„Was?“, fragte er.

„Sorry…, ist das Tshirt neu?“

„Nein, das habe ich schon lange“, antwortete er und drückte sich an mir vorbei.

Als er im Bad verschwunden war, atmete ich tief durch. Ich ging in mein Zimmer und schälte mich aus den Klamotten. Nachdenklich zog ich meinen Jogginganzug über.

„Du magst Volker!“

Ich erschrak, denn ich hatte Lucca nicht bemerkt und drehte mich zu ihm um.

„Scheint offensichtlich“, meinte ich nickend.

„Volker ist in Ordnung.“

Hallo? Wie sollte ich diesen Satz jetzt interpretieren?

„Ja, das ist er!“

„Wird er dein Freund?“

Oha, da kam die Frage, vor der ich mich fürchtete, über das Thema, über welches wir seit zwei Jahren keinen Ton mehr gesprochen hatten.

„Ich weiß es nicht.“

„Ich denke, du magst ihn.“

„Lucca, es gehört schon etwas mehr dazu, als nur Jemanden zu mögen, oder?“

Er sagte nichts, schaute mich nur an.

„Falls… du etwas dagegen…“

„Nein Dad, das ist deine Kiste, geht mich nichts an“, unterbrach er mich.

Ich ging ein paar Schritte auf ihn zu.

„Lucca, du bist mein Sohn, klar geht es dich was an. Ich möchte nicht, dass du dich zu Hause unwohl fühlst, weil…“

„… du einen Freund hast?“, beendete er den Satz als Frage.

Ich nickte.

„Du hast seit zwei Jahren keinen Freund gehabt, … wieso? Wegen mir?“

Ich sah zu Boden und nickte wieder.

„Das verstehe ich nicht…“

„Ich wollte nur Rücksicht auf dich nehmen …“

Mit dieser Antwort konnte er anscheinend nichts anfangen. Ich legte meine Hand auf seine Schulter.

„Ich…, ich habe nie mit dir darüber geredet…, dass ich schwul bin…“

„Ja und?“

Phillip

„Schatz kommst du, Essen ist fertig“, hörte ich Heide rufen.

„Ja!“, antwortete ich und speicherte das Geschriebene auf der Festplatte ab.

Später würde ich den Artikel fertig schreiben, morgen musste ich ihn abgeben. Es war zwar nicht das Wahre, aber mit dem Geld dafür, konnte ich die Familie gerade so ernähren. Gut, es würde sich ja jetzt ändern, nachdem Heide, die Anstellung im Zoo bekommen hatte.

Ich fuhr den Pc herunter und rollte in die Küche.

„Papa, Mama hat Würstchen gemacht“, kam mir Flo entgegen und kletterte auf meinen Schoß.

„Und, wie viele schaffst du heute?“, fragte ich.

Er hob die Hand und zeigte alle Finger.

„Fünf? Das glaube ich nicht!“

Flo strahlte über das ganze Gesicht, drückte mir kurz einen Kuss auf die Wange, bevor er wieder von mir herunterkletterte.

„Willst du auch ein Glas Wein?“, fragte mich Heide.

Ich nickte und rollte an den Tisch. Flo stütze sich auf dem Tisch ab und hangelte sich ein Wienerchen aus dem Topf.

„Kannst du nicht abwarten, junger Mann?“, mahnte ihn seine Mutter.

„Die ist doch für Papa“, sagte er und ließ die Wurst auf meinen Teller gleiten.

Ich musste grinsen. Heide stellte mein Glas Wein ab und setzte sich zu uns. Beide schauten wir auf Flo, der sich ganz schnell auf seinen Platz setzte und die Hände faltete.

„Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne, was du uns bescheret hast… Amen.“

Kaum hatte er die letzte Silbe gesprochen, hing er schon wieder auf dem Tisch und holte sich ein Würstchen. Heide wollte etwas sagen, aber ich schüttelte leicht den Kopf.

„Morgen hast du deine Ruhe…, Flo geht dann das erste mal in den neuen Kinderhort“, meinte Heide.

„Soll ich ihn hinbringen?“, fragte ich.

„Brauchst du nicht…, ich nehme ihn gleich mit.“

Ich atmete tief durch. Heide sah mich an.

„Wenn du willst, kannst du ihn natürlich hinbringen…, ich wollte es dir nur abnehmen.“

„Geht schon…, keine Sorge.“

„Und dein Artikel?“

„Schreibe ich nachher noch fertig.“

„Du, sollte ich mal fragen, ob du nichts über den Zoo oder für den Zoo schreiben könntest?“

Ich schaute sie an und kaute auf meinem Würstchen.

„War nur so eine Idee.“

Ich nahm ihre Hand in die meine und strich ihr über den Handrücken.

„Ich weiß, dass du es nur gut meinst“, meinte ich mit einem gequälten Lächeln.

Sebastian

Ich lag auf meinem Bett. Das viele Wasser heute hatte mich doch recht alle gemacht. Dennis war mit mir in der Straßenbahn heimgefahren. Es war wohl dicke Luft zwischen ihm und Michael. Gefragt hatte ich ihn nicht.

Er schwieg die ganze Zeit in der Straßenbahn und auch zu Hause war er gleich in seinem Zimmer verschwunden. Es klopfte an meiner Tür und ich schaute auf.

„Hallo Sebastian, kann ich kurz reinkommen?“

Herr Kahlberg…, Harald stand in meiner Tür.

„Klar!“, meinte ich und setzte mich auf.

Er schloss die Tür hinter sich und setzte sich zu mir ans Bett.

„Maria hat mir eben erzählt, Dennis wär schweigsam heimgekommen und gleich in seinem Zimmer verschwunden. Weißt du… warum?“

„Dicke Luft“, sagte ich.

„Im Zoo?“

„Ja… mit Michael. Sabine hat mir erzählt… Michael hat ihm eine runtergehauen…“

„WAS?“

„Ich weiß auch nichts Näheres…, warum… er soll für Kevin Partei ergriffen haben, mit dem sich Michael geprügelt hat.“

„Michael ist ein Schläger?“

„Nein, ich weiß doch selbst nicht, was da alles passiert ist. Am Besten… du fragst Dennis selber.“

Harald schnaufte und erhob sich.

„Dann geh ich mal in die Höhle des Löwen“, sagte er und verschwand.

Adrian

„Und ihr wollt wirklich morgen fahren…, ich meine nur… Robert braucht Ruhe.“

Meine fürsorgliche Mutter!

„Mum, es war sein Wunsch, dass wir morgen fahren. Keine Sorge, ich pass schon auf ihn auf.“

„Du liebst ihn“, seufzte sie.

„Ja klar!“

„Pass auf ihn auf… sonst kriegst du Ärger mit mir…“

„Mum, was soll das?“

„Ich will nur, dass es Robert gut geht.“

„Das will ich doch auch.“

„Ich kenne aber auch deinen Dickkopf… immer mit dem Kopf durch die Wand!“

Ich streckte ihr die Zunge raus, wofür ich einen Knuffer in die Seite bekam.

„Brauchst du noch irgendetwas?“

„Nein, ich habe schon alles zusammen. Ich fahre jetzt noch zu Robert nach Hause und werde für ihn ein paar Sachen zusammen packen.“

„Übertreibst du jetzt nicht etwas mit deiner Fürsorge?“

„Du hast selber gesagt, ich soll ihn noch schonen!“

Nun bekam ich eine Zunge zu sehen – Mums Zunge.

Michael

Ich saß draußen auf der Terrasse.

„Junge, ich habe dir deine Wäsche hochgebracht.“

„Danke!“

„Ist irgendetwas?“

„Ich habe heute einen Fehler gemacht.“

„Dann rede mit ihm!“, meinte meine Mutter und ging grinsend davon.

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