Zu Hause
Robert
Adrian ließ den Wagen ausrollen und stoppte vor unserem Haus. Hier hatte sich wirklich nichts verändert. Als wäre ich gestern erst von hier weg. Langsam öffnete ich die Tür und stieg aus.
Auf der Strasse war niemand zu sehen. Ich ließ noch einmal den Blick über die Nachbarhäuser wandern. Die Vorgärten genauso gepflegt wie immer. Sogar die Straße war peinlich genau gefegt.
Es war immer noch alles beim Alten geblieben. Mittlerweile war Adrian auch ausgestiegen.
„Idyllisch!“, meinte er.
„Findest du?“, fragte ich.
„Sonst würde ich es nicht sagen.“
„Robert…, Adrian, ihr seid schon da.“
Unsere Köpfe flogen herum und sahen wie meine Mutter aus dem Haus kam. Ich breitete die Arme aus und ging auf sie zu. Sie nahm mich in ihren Arm und drückte mich fest an sich. Mir drückte es die Tränen hoch… ich konnte es nicht zurückhalten… ich wollte es auch nicht.
„Geht es dir gut?“, fragte sie besorgt und schaute auf das kleine Pflaster an meinem Kopf.
„Ja, alles in Ordnung. Ich muss nur etwas langsam machen.“
Erst jetzt schaute sie über meine Schulter zu Adrian.
„Hallo Adrian“, sagte sie und löste sich von mir.
Adrian war an uns herangetreten. Artig gab er Patschhand und nickte kurz mit dem Kopf.
„Es war wirklich eine gute Idee von ihnen, mit Robert hier her zufahren.“
Adrian machte einen unsicheren Gesichtsausdruck.
„Es macht ihnen wirklich nichts aus, wenn ich dabei bin.“
„Quatsch Adrian, das haben wir dir doch auch schon gesagt. Du bist der Freund unseres Sohnes, also auch bei uns willkommen. Und übrigens ich bin die Grete, du kannst du zu mir sagen.“
Nun kam wieder dieses berühmte breite Lächeln auf Adrians Gesicht, was mich weich werden ließ.
„Danke, sagte er nur.
„So und jetzt kommt erst mal rein, drinnen steht Kaffe und Kuchen.“
„Soll ich nicht erst unser Gepäck reintragen?“, fragte Adrian.
„Das hat Zeit bis später“, meinte meine Mutter, die, die ganze Zeit meinen Arm nicht losließ.
Das in den Nachbarhäusern die Vorhänge wackelten, war mir nicht verborgen geblieben. Im Augenblick war es mir egal. Ich hatte das Wort Kuchen gehört. Mutters Kuchen, scheiße, wie sehr hatte ich den vermisst.
Adrian schloss sein Auto ab und folgte uns ins Haus. Auch hier hatte sich nichts verändert. Alles sah so sauber aus wie immer, die gleichen Möbel und auch die gleichen Tapeten. Ich lief voraus, in die Küche, aber meine Mutter bremste mich ab.
„Nein, ich habe alles auf der Terrasse hergerichtet“, meinte sie.
Auf die Terrasse, welch Wunder, wo doch die Nachbarn alles mithören konnten. Grinsend folgte ich mit Adrian auf die Terrasse. Ein schön gedeckter Tisch erwartete uns und… mein Lieblingskuchen.
„Eierlikörkuchen…, dass weißt du noch?“, fragte ich erstaunt.
Meine Mutter strahlte und Adrian sah mich fragend an.
„Eierlikörkuchen ist mein absoluter Lieblingskuchen, da könnte ich mich reinknien.“
„Wenn das mal nicht deiner Figur schaden würde“, meinte Adrian grinsend.
„Setzt euch doch, Kinder“, meinte Mum, bevor ich etwas zu Adrian erwidern konnte.
Erst jetzt sah ich, dass fünf Gedecke auf dem Tisch standen.
„Erwartest du noch jemand?“, fragte ich verwundert.
„Dein Vater will heute extra früher von der Arbeit kommen“, erklärte meine Mutter.
„Ja, ja, schon klar, aber für wen ist das fünfte Gedeck?“
„Für Niklas.“
„Niklas?“
Adrian schaute mich kurz an.
„Ja, als er hörte du kommst heute, war er nicht davon abzubringen, gleich nach der Arbeit vorbei zu schauen. Ihr wart ja mal die besten Freunde…“
Nach diesem Satz wurde der Blick traurig, als würde sich ein Schatten über Mutter legen. Ja, er war es einmal… wäre es bestimmt immer noch, wenn… ich wollte jetzt nicht darüber nachdenken.
„Er wohnt immer noch hier? Er war doch derjenige, der immer weg wollte, sobald er die Möglichkeit hatte.“
„Ach ja, dass kannst du nicht wissen… ein Jahr nach dem du weg warst, ist sein Vater an einem Herzinfarkt gestorben.“
„Dieter?“
„Ja und da hat Niklas mit seiner Mutter zusammen den Betrieb übernommen.“
„Niklas ist jetzt Maurer?“
„Ja.“
Meine Mutter schenkte uns Kaffee ein und verteilte den Kuchen.
„Hallo?“, hörte ich es aus dem Haus rufen.
Mein Vater war nach Hause gekommen.
„Schatz, wir sind hier draußen“, antwortete meine Mutter.
Wenig später erschien mein Vater in der Terrassentür.
„Hallo Junge“, sagte er.
Ich stand auf. Wir schauten uns kurz an. Er hob die Arme und nahm mich in den Arm.
„Willkommen zu Hause, Junge!“, sagte er leise.
Oh Shit, was war ich heute für eine Heulsuse. Ein Blick zu Adrian sagte mir, dass auch er gegen diesen Moment nicht gewappnet war. Auch er hatte feuchte Augen.
„Hallo Adrian“, meinte mein Vater dann und streckte ihm die Hand entgegen.
Adrian erhob sich mit einem >Hallo< und schüttelte seine Hand. „Jetzt setzt euch wieder, der Kaffee wird doch kalt“, kam es von meiner Mutter. So setzten wir uns wieder. Stumm saßen wir da, rührten im Kaffee oder saßen vom Kuchen. „Es hat…“ / „Wie war…?“ Mein Vater und ich hatten gemeinsam begonnen zu sprechen. Ich machte einen Handwink, damit er reden sollte. „Wie war eure Fahrt hier her?“, fragte er. „Gut, wir hatten fast keinen Verkehr“, antwortete Adrian. „Sind sie das erste Mal in dieser Gegend, Adrian?“ „Ja, eine schöne Gegend, gefällt mir. Aber ich denke, jedem aus der Stadt würde es hier auf dem Land gefallen.“ „Es verändert sich auch nichts“, meinte ich, „alles ist noch so wie… früher.“ „Nicht ganz. Am Ortsende ist jetzt ein kleines Neubaugebiet. Leute von außerhalb die hier hergezogen sind“, sagte Vater. „Habt ihr heute noch etwas vor?“, warf Mutter ein. „Ich denke nicht, die Fahrt hierher, merke ich doch etwas“, meinte ich. „Ist dir nicht gut?“, fragte Adrian und meine Mutter fast gleichzeitig. Beide lächelten sich an. „Nein, nur etwas müde.“ „Gut, denn ich wollte heute Abend grillen, wenn ihr nichts dagegen habt“, sagte meine Mutter. Ich schaute zu Adrian, der mit der Schulter zuckte. „Das Angebot nehmen wir gerne an“, antwortete er schneller, als ich. Der Türgong war zu hören und meine Mutter erhob sich. „Das wird sicher Niklas sein“, meinte sie und verschwand im Haus. Volker „Hast du heute Abend etwas vor?“, fragte mich Rolf. „Mein Bruder zieht in meine Einliegerwohnung ein.“ Rolf schaute mich fragend an. „Nicht Jürgen…, ich habe noch einen jüngeren Bruder, der studiert. Aber wieso fragst du?“ „Ach nicht so wichtig, dachte, wir könnten noch etwas weggehen…, gemeinsam.“ „Kein Problem…, auf Kisten schleppen habe ich eh keine Lust.“ Ein Strahlen breitete sich über Rolfs Gesicht aus. Hatte ich jetzt ein Date…? Mein erstes Date mit einem Mann? „Und an was dachtest du so?“, fragte ich Rolf. „Spielst du gerne Billard?“ „Meine Fresse, das habe ich schon lange nicht mehr gespielt.“ „Aber du kannst es?“ „Ja, so was verlernt man doch nicht, oder?“ Rolf schüttelte grinsend den Kopf. Unruhig wechselte ich von einem Fuß auf den Anderen. „Hast du noch viel zu tun?“ „Nein, ich kontrolliere noch kurz mit Fritz die Käfige, dann bin ich fertig.“ „Dann mal los!“, meinte ein immer noch grinsender Rolf. Sebastian Ich schloss meinen Spint ab und schaltete die Lichter aus. Heike war bereits gegangen, so schaute ich noch einmal kurz nach allem. In der Halle war alles ruhig, das Wasser lag glatt, keinerlei Bewegung war darauf zu sehen. Immer noch war ich sehr nachdenklich über das Gespräch mit Phillip am Mittag beim Kaffee. Phillip hatte Tierarzt gelernt, war aber in die Forschung gegangen. In einem großen Labor arbeitete er damals. Bis zu jenem Tag, als ein Präparat ausprobiert wurde, an dem er mit verantwortlich war. Die Tiere reagierten allergisch dagegen… Pferde… ein Aufbaupräparat. Sechs Pferde mussten eingeschläfert werden. Niemand konnte sich erklären, was schief gelaufen war. Die Testreihen liefen alle erfolgreich. Phillip hatte dies nicht verkraftet, zweifelte an seiner Berufung. Er hatte sich an diesen Abend voll laufen lassen und war dann ins Auto gestiegen. Sieben Monate lag er im Krankenhaus und nun saß er im Rollstuhl. Zwei Monate später kam Flo auf die Welt. Und nur Flo hatte ihn aus seinen trüben Gedanken herausgerissen, er war richtig vernarrt in den Kleinen. Ich schloss hinter mir die Tür zur Halle und machte mich auf den Weg zum Personalausgang. Phillip schrieb nun freiberuflich Artikel über Tiere, die gut bezahlt wurden. Als Arzt war er nie wieder tätig geworden. Ging ja auch nicht… mit dem Rollstuhl. „Hallo Sebastian, auch fertig?“ Ich schaute auf. Da kam Dennis mit Lucca. „Da hast aber heute lange ausgehalten“, meinte ich zu Lucca. Er nickte. „Und was steht noch an?“, fragte Dennis. „Nur noch nach Hause, bin müde“, antwortete ich. „Ich wollte noch vielleicht zu Michael…, aber ich wollte noch warten, bis Lucca abgeholt wird.“ „Dein Vater ist doch hier“, meinte ich verwundert.