Zoogeschichten II – Teil 82

Heimkehr

Volker

Ich nahm Herrn Keller das Lama ab. Ich legte es ebenfalls an die Leine und band Flos Hüpfschnur los.

„Danke…“, meinte ich und wunderte mich plötzlich, wie Herr Keller es geschafft hatte, dass Lama anzubinden, „wie haben sie das denn geschafft?“

„Ich kann etwas stehen und das Lama hat ruhig gehalten“, erzählte Herr Keller stolz.

„Etwas riskant, oder?“, fragte Sebastian.

Mein Handy ging. Es war Andre, der mir erzählte, dass der Rest der Herde sich wieder eingefunden hätte und schon im Stall war. Jürgen hätte veranlasst, dass der Baum gleich zersägt wurde, damit man den Zaun reparieren konnte.

Ich drückte das Gespräch wieder weg.

„Gute Nachricht, der Rest ist in ihren Boxen“, meinte ich zu Sebastian.

„Heißt das, ich könnte noch was essen gehen? Mir knurrt schon der Magen.“

„Klar, verschwinde. Ich bring die Tiere zurück“, antwortete ich und Sebastian strahlte über das ganze Gesicht.

„Darf ich helfen?“, fragte eine mir bekannte Stimme.

Ich drehte meinen Kopf und Rolf stand vor mir.

„Hi, was machst du denn hier?“

Na super, konnte man etwas Idiotischeres fragen?

„Fritz sagte mir, du wärst auf Lamafang und hat mir ungefähr beschrieben, wo du bist.“

Ich lächelte.

„Phillip, möchtest du vielleicht einen Kaffee?“, fragte Sebastian Herrn Keller, den ich nun ganz vergessen hatte.

„Gerne.“

„Wenn die Herren mich mal durchlassen würden, dann könnte ich mit Phillip Kaffe trinken gehen“, meinte Sebastian.

Rolf und ich machten jeweils einen Schritt auseinander.

„Ach so, danke Herr Keller für ihre Hilfe“, rief ich den beiden noch nach.

„Ich heiße Phillip“, rief Herr Keller zurück.

„Hilfe?“, fragte Rolf.

„Ja, er hat auch ein Lama eingefangen“, erklärte ich und drückte Rolf eine Leine in die Hand.

„Bewundernswert!“

„Finde ich auch…“

Wir lösten uns aus der Menschenmenge und liefen Richtung Lamagehege.

„Ähm… nett, dass du da bist…“, sagte ich leise.

„Ich habe es einfach zu Hause nicht mehr ausgehalten…, mir fiel die Decke auf den Kopf.“

„Stimmt ja, du arbeitest ja zu Hause…“, meinte ich etwas enttäuscht über seine Antwort.

„… und natürlich, weil ich dich wiedersehen wollte“, setzte er nun nach, was mich erröten ließ.

„Hier bin ich“, stammelte ich.

Konnte es sein, dass dieser Mann mein Sprachzentrum beeinflusste?

Dennis

Ich sah dem Taxi noch kurz nach, bis es um die nächste Ecke bog. Ich war wirklich nicht mehr sauer auf Michael…, aber so leicht wollte ich es ihm jetzt auch nicht machen.

Natürlich sehnte ich mich nach ihm. Ich wäre jetzt am Liebsten auch mit ihm gefahren, aber vielleicht war es besser so. Ich konnte schließlich heute Abend immer noch zu ihm fahren. Ich nickte Klaus am Kartenhäuschen zu und betrat den Zoo wieder.

Von weitem konnte ich Volker erkennen, mit drei Lamas im Schlepptau – und Rolf. Ich musste grinsen, dachte aber auch, wie schön ich es für Volker fände, wenn er und Rolf zusammenkommen würden.

„Läufst du Gassi? … hallo Rolf“, rief ich ihnen zu.

Rolf begann zu lachen und winkte mir zu. Volker dagegen streckte mir die Zunge raus. Ich lief wieder zurück zum Bärenhaus, wo Lucca und Sabine immer noch mit Aufräumen beschäftigt waren.

Keiner sagte etwas oder fragte mich nach Michael, man ließ mich in Ruhe. War auch besser so. Im Augenblick war mir nicht nach Reden. Ich nahm meinen Eimer wieder, den ich vorhin fallen gelassen hatte und fegte weiter den Dreck zusammen.

Adrian

Ich war an einem Parkplatz herausgefahren. Da Robert fest eingeschlafen war, hatte ich niemand mehr, der mir die Richtung sagte, die ich fahren sollte. So holte ich mir leise die Karte aus dem Handschuhfach und stieg aus.

Dass ich die nächste Ausfahrt rausfahren musste, wusste ich. Wie es aber weiter ging, das hätte mir nur Robert sagen können. Aber ich wollte ihn nicht wecken, er schlief so schön. Also studierte ich die Karte.

Ganz vertieft hörte ich die Autotür gar nicht, und erschrak, als Robert neben mir stand.

„Bin wohl eingeschlafen“, meinte Robert und streckte sich.

Nur noch ein kleines Pflaster zierte seinen Hinterkopf, sonst sah man nichts mehr von seiner Verletzung.

„Ja, ich wollte dich nicht wecken.“

„Wo sind wir denn?“

„Noch eine Ausfahrt, dann sind wir fast da.“

„Worauf wartest du dann noch?“

Es war schön, Robert so gut gelaunt zu sehen. Seine Augen strahlten, auf seinem Mund machte sich ein freches Grinsen breit. Ich gab ihm einen Kuss und stieg wieder ins Auto. Robert folgte mir.

Ich startete den Wagen und fuhr wieder zügig auf die Autobahn. Ein kurzer Blick zu Robert zeigte mir, dass seine Laune doch nicht die Beste war. Er schaute nervös nach vorne, schien wegen Irgendwas zu grübeln.

„Alles klar bei dir?“

„Hä?“, fragte er, wohl weit weg mit den Gedanken.

„Ob alles klar ist bei dir?“, wiederholte ich meine Frage.

„Geht schon!“

„Willst du mir nicht erzählen, was dich beschäftigt.“

Robert schaute mich kurz an, bevor ich mein Augenmerk wieder auf die Straße richtete.

„Ich habe dir nie genau erzählt, warum es zu dem Zerwürfnis zwischen mir und meinen Eltern gekommen ist, also den Grund meine ich.“

„Du hast etwas von einer Wette erzählt, aber mehr nicht.“

„Ja die Wette…“

Robert schien wieder in die Erinnerung zu verfallen.

„Ich saß mit meiner Clique wie immer abends zusammen auf ein Bier. Irgendein Film lief im Kino, in dem sich Männer küssten und wir diskutierten eifrig darüber. Die Mädchen meinten, Jungs können eh nicht so gut küssen, da gäbe es nichts Romantisches.“

Fand ich nicht… Robert konnte herrlich küssen.

„Und je später der Abend, umso hitziger wurde die Diskussion, denn das Bier floss ja nach wie vor. Bis Nicki die Sache auf den Punkt brachte und meinte, er hätte keine Probleme, einen Jungen zu küssen und zwar genauso wie ein Mädchen.“

„Nicki?“, fragte ich dazwischen.

„Ja, eigentlich Niklas, aber wir sagten alle Nicki zu ihm. Und dann kam eben das, was mir zum Verhängnis wurde. Nicki stand auf, zog mich hoch, nahm mich sanft in den Arm und küsste mich.

Es war kein Kuss… kurz wie bei einer Begrüßung. Nein, er war so zärtlich, dass ich mich binnen Sekunden ihm völlig ergab. Die anderen grölten und feuerten uns an, bis es plötzlich abrupt still wurde.“

„Was war passiert?“

Ich hatte den Blinker gesetzt, denn wir hatten die Ausfahrt zu Roberts Heimatdorf erreicht.

„Es ist die einzige Kneipe im Dorf, also gehen auch alle hin. So war es auch nicht verwunderlich, dass dann plötzlich mein Vater in der Tür stand und alles gesehen hatte.“

„Shit – und was war mit Nicki?“

„Der war so voll, dass er nur lachte und sich zu den Anderen setzte. Mein Vater dagegen schaute mich zornig an und verließ die Kneipe wieder, recht laut… die Tür war zu.“

„Hat denn niemand gewusst, dass du schwul bist?“

„Wie denn? Ich habe es ja selbst nicht richtig gewusst. Gut, ich wunderte mich schon darüber, dass ich oft an Nicki dachte, von ihm träumte… Landei eben… da weiß man nichts von der großen weiten Welt.“

„Sorry, wo muss ich hin?“, fragte ich, als wir uns einer Ampel näherten.

„Rechts.“

„Danke… und wie ging es dann weiter?“

„Es kam zum großen Krach. Meine Eltern wendeten sich von mir ab…“

Ich schaute kurz zu Robert hinüber und sah, wie eine einzelne Träne sein Auge verließ und die Wange herunter rann. Zärtlich streichelte ich über seine Hand, die auf seinem Bein lag.

„Innerhalb einer Woche hatten sie es geschafft, mich überall schlecht zu machen. Das war dann der Grund, abzuhauen – weil mich jeder schnitt.“

Ob es wirklich so eine gute Idee war, seine Eltern zu besuchen. Man hörte ja immer wieder, dass man auf dem Land so erzkonservativ war. Halt. Roberts Eltern hatten doch erzählt, dass eine Woche nach dem Verschwinden seine Freunde ihn suchten.

„Jetzt bin ich halt gespannt… ich weiß auch nicht… hab ein mulmiges Gefühl im Bauch.“

„He, du hast mich dabei und wenn etwas passieren sollte, sind wir ruckzuck im Auto und weg – versprochen!“

Robert lächelte etwas gequält. So richtig überzeugend klang ich wohl nicht.

Tim

David hatte mir die Adresse aufgeschrieben. Er hatte auch gesagt, wann er ungefähr wieder da sein würde. Direkt von der Arbeit war ich mit dem Fahrrad zur Schillerstraße gefahren. Ich schaute nach der Hausnummer 46 und wurde auch fündig.

Davor stand ein alter Golf. Die Heckklappe geöffnet, aber niemand zu sehen. Ich fuhr auf den Bordstein und stieg ab. Sehen konnte ich immer noch niemand. Also stellte ich mein Fahrrad an den Zaun und schloss es ab. Hier wohnte also dieser Volker und David konnte nun bei ihm einziehen.

„Tim?“, hörte ich jemand rufen.

Ich schaute auf und sah David, wie er die Kellertreppe heraufkam.

„Hallo David“, rief ich zurück.

„He, du bist ja doch gekommen, das ist aber lieb von dir.“

„Du hast gesagt, du brauchst Hilfe beim Ausladen… und weil du…“, mir stockte der Atem, „weil du mir geholfen hast… wollte ich mich revanchieren.“

David grinste.

„He, war doch selbstverständlich, konnte dich doch so nicht rum laufen lassen… und – geht es wieder?“

„Ja, alles im grünen Bereich. Hast ja fast schon alles ausgeladen“, versuchte ich, das Thema zu wechseln.

„Nur den Kofferraum, vorne ist noch alles voll.“

Ich lief um das Auto herum und öffnete die Beifahrertür. Dort stand eine halbvertrocknete Juccapalme.

„Die hat aber auch schon mal bessere Tage gesehen“, meinte ich und zog sie vorsichtig heraus.

„Ja ich weiß. Ich liebe Pflanzen, aber irgendwie krieg ich es nicht hin, dass sie heil bleiben.“

„Also Yuccas sind doch wohl sehr pflegeleicht.“

„Du scheinst dich auszukennen.“

„Habt dir doch gesagt, ich lerne in einer Gärtnerei.“

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