Zoogeschichten II – Teil 81

Freigang

„Elfriede schau mal, wie schön die Rehe sind.“

„Agnes das sind doch bestimmt keine Rehe.“

„Wieso denn nicht.“

„Rehe leben im Wald und nicht im Zoo.“

„Und … und wenn sie keinen Wald mehr haben?“

„Agnes, dann gehen sie in einen anderen Wald. Außerdem steht da, dass das Impalas sind.“

„Egal, ich find die Rehe trotzdem schön.“

Phillip

„Ich beschloss noch, Sebastian zu besuchen, bevor ich nach Hause wollte. Hier am Savannenhaus waren mir jetzt eh zu viele Leute. Also rollte ich langsam den Weg runter. Mittlerweile kannte ich mich schon ganz gut aus und musste nicht die ganzen Hauptwege abfahren.

Nach der nächsten Biegung stutze ich. An einem Busch stand ein Lama und graste. Ich schaute mich um, ob irgendwo ein Pfleger war, aber ich war Mutterseelen alleine. Was sollte ich jetzt machen?

Einen Pfleger suchen, oder selbst versuchen, das Tier irgendwie zum Gehege zurückzulocken? Wie war es überhaupt herausgekommen? Langsam rollte ich auf das Lama zu.

„Hallo … wer hat denn dich rausgelassen?“, sagte ich ganz leise.

Das Tier stellte die Ohren, aber schaute nicht mal in meine Richtung, sondern graste weiter. Es war für mich faszinierend, so nah wieder an einem Tier zu sein. Ich brauchte nur meine Hand auszustrecken und ich konnte das Lama streicheln.

Es zuckte nicht einmal zusammen. Sanft streichelte ich es über seinen Bauch. Es wunderte mich, dass hier im Augenblick Keiner vorbeikam, denn bei diesem guten Wetter war der Zoo normalerweise gut besucht.

An die Leine konnte ich das Lama auch nicht nehmen…, erst mal eine haben. Da fiel mir etwas ein. Ich verrenkte mich, um an den Unterbau des Rollis zu kommen. Da hatte vor kurzem Heide das Hüpfseil verstaut.

Ich wusste nicht, ob sie es schon heraus genommen hatte. Etwas schwerfällig griff ich in die Ablage und tatsächlich, das Hüpfseil war noch da. Langsam zog ich es heraus und wickelte es auseinander.

Problem Nummer zwei! Wie bekam ich das Seil um den Hals des Lamas, ohne aufstehen zu müssen. Gut, ich konnte meine Beine belasten und aufstehen, aber hier hatte ich keinen Halt und würde umfallen.

Ob das Lama stehen bleiben würde, da war ich mir nicht sicher. Ich streichelte es wieder sanft und es wich nach wie vor nicht von meiner Seite. Es weidete ruhig an seiner Stelle. Ich schaute mich um, ob immer noch niemand kam, der mir vielleicht helfen konnte.

Nein… niemand. Was bleib mir also übrig… ich konnte warten, bis jemand kam. Mit der Gefahr, dass das Lama weiterlief, oder ich versuchte mein Glück selbst. Ich atmete tief durch und stellte die Räder des Rollis fest, dass wenigstens er nicht wegrollen konnte.

Ich nahm die Leine in den Mund und stützte mich mit den Händen an der Lehne ab. Es war immer ein Kraftakt für mich, ohne Hilfe aufzustehen.

„Ganz ruhig“, meinte ich, denn das Lama hob den Kopf.

Als ich endlich stand, kam mir in den Sinn, wie leichtsinnig ich wieder war…, aber das liebte Heide so an mir, weil ich immer etwas riskierte… einmal zuviel… ich schüttelte den Kopf und wollte den Gedanken nicht weiterdenken.

Mit einer Hand hob ich mich an den Rückenhaaren des Lamas. Mit der anderen nahm ich das Seil und warf einen Teil davon über den Hals des Tieres. Nun kam der schwierigste Teil. Ich musste mich leicht vorbeugen, um den herunterhängenden Griff zu ergreifen.

Mit der nun freien Hand zog ich das eine Bein nach vorne, damit ich einen Schritt gehen konnte. Würde das Lama sich jetzt wegbewegen, würde ich fallen. Mein Vertrauen zu Tieren war schon immer groß.

Auch jetzt. Leicht bückte ich mich nach vorne und versuchte, das runde Stück Holz am Ende der Leine zu bekommen. Ich spürte, dass mich so langsam die Kraft in den Beinen verließ. Nur noch ein kleines Stückchen.

Mit den Fingerspitzen konnte ich das Holz schon spüren, aber auch, wie mein Gleichgewicht langsam in die Schräglage ging. Mit angehaltener Luft schnappte ich nach dem Griff und zog mich wieder noch oben.

Jetzt hieß es erst mal wieder Luft holen. Mit letzter Kraft verknotete ich das Ende mit dem Seil und ließ mich dann einfach in den Rolli fallen. Ich kam zwar etwas unsanft auf, aber ich hatte es geschafft, das Lama hing an meiner Leine.

Freudestrahlend und nach Luft schnappend rückte ich meine Beine zurecht und löste die Sperren der Räder. Es war echt ein Wunder, dass das Lama die ganze Zeit still gehalten hatte.

„Gutes Tier!“, meinte ich und klopfte mit der Hand auf den Hals.

Sebastian

Diese Schwimmeinlagen im Wasser machten mich hungrig. Umso mehr war ich erfreut, dass endlich Mittagspause war. Nachdem ich mich umgezogen hatte, war ich bereits auf dem Weg zur Kantine.

Eine kleine Menschenansammlung machte mich jedoch neugierig. Ich lief zu der Menge und versuchte einen Blick von dem zu erhaschen, was diesen Auflauf verursachte. Ich traute meinen Augen nicht, da stand doch tatsächlich ein Lama auf der Wiese!

Ich zückte mein Handy und wählte Volkers Nummer.

„Volker hier.“

„Hallo Volker…Sebastian hier… ich weiß nicht, an wen ich mich wenden soll, aber hier läuft ein Lama frei herum.“

„Was?“

„Ja, ich bin gerade auf dem Weg zur Kantine und da steht ein Lama auf der Wiese.“

„Was habe ich nur getan, um so gestraft zu werden?“, hörte ich Volker grummeln.

„Bitte?“

„Ach nichts…, erst der Unfall von Micha und jetzt rennt ein Lama frei herum.“

„Michael hatte einen Unfall?“, fragte ich entsetzt?

Im Delfinarium bekam man ja überhaupt nichts mit.

„Ja, leider. Aber es geht ihm den Umständen entsprechend gut… bis auf die zwei gebrochenen Rippen, die er sich eingefangen hat“, erklärte Volker.

„Wie das denn?“

„Wo bist du Sebastian, wir kümmern uns erst um das Lama… ich bring Zaumzeug mit.“

„Okay. Ich bin Ecke Affenhaus und…“, ich drehte mich um, damit ich mich besser orientieren konnte, „Nähe Bärenhaus, an der großen Wiese.“

„Gut bleib bei dem Lama, ich bin gleich bei dir.“

Ohne sich zu verabschieden, beendete Volker das Gespräch und es tutete nur noch. Ich steckte das Handy weg.

„Entschuldigung, könnten sie mich mal bitte durchlassen“, rief ich, damit ich zum Lama konnte.

Erst wurde ich mit ein paar missgünstigen Blicken angeschaut, aber als sie meinen Zoodress sahen, wichen sie von alleine auf die Seite. Freier Gang! Langsam näherte ich mich dem Lama.

Michael

Dennis blieb während der ganzen Untersuchung in meiner Nähe. Gesagt hatte er aber nichts. Nur ab und zu meine Hand gehalten. Mittlerweile hatte man mir einen Stützverband angelegt, seit die Röntgenbilder zwei gebrochene Rippen zeigten.

Auch auf die Überredungsversuche des Arztes, wollte ich nicht ins Krankenhaus. Auch ein böser Blick von Dennis konnte mich nicht überzeugen. Es war ja schließlich nicht mein erster Rippenbruch und ich wusste, wie ich mich zu verhalten hatte.

Morgen im Krankenhaus erscheinen, war klar. Günther bestand aber darauf, dass ich nach Hause gefahren wurde. So blieb mir nichts anderes übrig, als ein Taxi rufen zu lassen, weil einen Krankenwagen ich jetzt arg übertrieben fand.

Der Notarzt war mittlerweile gegangen und Dennis lief mit mir zum Haupteingang, wo mich das Taxi abholen sollte.

„Du Dennis…“

„Ja?“

Er hatte seine Hände in den Hosentaschen und lief etwa einen halben Meter neben mir.

„Ich kann verstehen…, dass du sauer auf mich bist.“

„Wirklich?“

Ein kurzer Blick seinerseits verunsicherte mich noch mehr. Oh Gott, was hatte ich meinem Kleinen da nur angetan?

„Ich bin nicht sauer auf dich Michael…, es tut nur verdammt weh…, was du gemacht hast.“

„Und ich weiß nicht…, wie ich das wieder gutmachen kann.“

„Das weiß ich auch nicht.“

David

Mit den ersten Taschen und Tüten beladen, ging ich die Treppe hinunter zu Volkers Einliegerwohnung, die ich für die nächste Zeit bewohnen durfte. Mir war klar, dass ich nicht die ganze Zeit bei ihm schlafen konnte, so war diese Lösung, die Kellerwohnung, gerade recht.

Ich suchte nach dem Schlüssel im Blumentopf, wie es mir Volker gesagt hatte und fand ihn auch. Ich schloss auf und betrat die Wohnung. Volker schien hier gewesen zu sein, Es war gelüftet worden und auch die Heizung war an.

Ich war froh, dass hier möbliert war, denn aus meiner WG gehörte mir ja nichts. So stellte ich meine Sachen erst mal im Flur ab. Am Türrahmen zur Küche hing ein Zettel.

>>Hallo David, habe mir erlaubt, dir deinen Kühlschrank etwas zu füllen, sehn uns wahrscheinlich heute Abend. Dein Brüderchen.<< Ich ging zum Kühlschrank und öffnete ihn. Hatte Volker Angst, ich würde verhungern? Etwas gefüllt. Er war brechend voll mit Getränken und Essen. Ich schnappte mir eine Cola und schloss den Kühlschrank wieder. Dann öffnete ich die Hängeschränke, auf der Suche nach einem Glas. Ich hatte Glück. Im dritten Schrank fand ich eins. Ich füllte es und trank es in einem Zug leer. Wie gut das tat. Also ans Werk und meinen Wagen ausräumen, ich wollte heute Abend schließlich nicht noch immer räumen. Volker Zornig stampfte ich quer über die Wiese. Mir blieb heute wirklich nichts erspart. Auf dem Weg zu Sebastian fand ich ein weiteres Lama. Andre hatte angerufen, er hatte nach meinem Anruf das Lamagehege genauer angeschaut und festgestellt, dass einer der alten Bäume umgestürzt war und den Zaun zerstört hatte. Also ein Leichtes für unsere sieben Lamas, herauszuspazieren. Ich war sauer auf Jürgen, weil ich schon eine ganze Weile meinte, die Bäume dort müssten weg. Gut, dass ich gleich mehr Zaumzeuge mitgenommen hatte. Langsam lief ich an das Lama heran. Mein Glück, dass unsere Lamas alles eigene Aufzuchten waren und uns deswegen auch gewohnt waren. Ohne Mühe konnte ich dem Tier das Halfter anlegen. Mit dem Lama an der Strippe lief ich Richtung Sebastian. Eine kleine Menschenansammlung zeigte mir den weiteren Weg. Als Sebastian mich sah, machte er einen erleichterten Eindruck. Er hatte seinen Arm um den Hals des Lamas gelegt. Anscheinend dachte er, das Lama so am Wegrennen zu hindern. Er wäre überrascht gewesen, wer der Stärkere gewesen wäre. Willig folgte mir das andere Lama an der Seite. „Hallo Sebastian“, sagte ich nur, er grinste. „Ein Baum hat das Gehege beschädigt und alle sieben Lamas sind draußen“, erklärte ich ihm, während ich seinem Lama nun ebenfalls das Halfter anlegte. „Na toll, dann kann ich meine Mittagspause wohl vergessen und auf Lamafang gehen“, meinte Sebastian zerknirscht. „Tut mir leid. Fritz hat schon einen Rundruf gestartet, damit alle helfen.“ „Hallo, ist dort irgendwo ein Pfleger?“, hörte ich eine Stimme rufen. Durch die vielen Leute vor uns, konnte ich nicht recht auf den Weg schauen. Ich sah nur zwei Ohren eines Lamas. Ich drückte Sebastian das Seil meines Lamas in die Hand. „Hier, nimm mal bitte…, würden sie mich mal bitte durchlassen?“, verschaffte ich mir Platz. Ich konnte kaum glauben, was ich da sah. Da kam ein Rollstuhlfahrer mit einem Lama im Gefolge herangerollt. „Phillip?“, fragte Sebastian hinter mir. „Hallo Sebastian, schau mal was ich gefunden habe“, antwortete der Mann und zeigte auf das Lama. „Ich habe auch schon zwei.“ „Ihr kennt euch?“, fragte ich. „Ja, klar, das ist der Mann von Heide, der Papa von Flo“, antwortete Sebastian. „Herr Keller?“ „Ja!“, nickte der Mann und streckte mir seine freie Hand entgegen. „Volker Kolping.“ „Sie sind Volker? Nett, dass ich sie auch mal kennen lerne.“ Ich grinste verlegen. „Mit was hast du denn das Lama eingefangen“, unterbrach uns Sebastian. „Mit dem Hüpfseil von Flo.“ Sebastian fing an zu lachen.

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