Zoogeschichten II – Teil 92

Halbstarke

Vom Baulärm angelockt, kam Dennis aus dem Bärenhaus.

„Die fangen schon an?“, fragte er mich verwundert.

„Ja, Jürgen meinte doch, er will so schnell wie möglich damit anfangen.“

Dennis hatte den neuen Bären auf dem Arm, der sich anscheinend vor den Geräuschen der Motorsägen und des Baggers fürchtete.

„Setan… ganz ruhig, dir passiert nichts!“, hörte ich Dennis leise sprechen.

„Setan? Was ist das für ein Name?“

„Ich weiß es nicht, haben seine Pfleger ihm gegeben.“

„Goldig ist er aber alle mal.“

„Und schon ziemlich schwer“, meinte Dennis und fasste nach, damit der Kleine ihm nicht abrutschte.

„Was macht eigentlich Ferdinand?“

„Der ist mit den anderen draußen im Gehege, hat sich gut eingelebt.“

„Ich habe ihn schon eine Weile nicht mehr gesehen.“

„Dem geht es gut… ich werde aber wieder reingehen… der Kleine wird mir langsam zu unruhig.“

„Seh ich dich später?“, fragte ich.

„Klar!“, grinste er mir entgegen.

Verstohlen schaute ich nach beiden Seiten und gab dann Dennis einen Kuss.

„He, du weißt doch, nicht in aller Öffentlichkeit, hat Volker gesagt.“

„Was denn? Ich habe doch geguckt!“, grinste ich.

Phillip

Ich stand an dem Haus mit dem roten Kreuz. Heide hatte mich über das Handy erreicht und mich zu einem Doktor Reinhard beordert, der mich unbedingt kennen lernen wollte. Also stand ich nun hier vor verschlossenen Türen und wartete.

Stimmen ließen mich den Rolli drehen und ich sah, wie zwei Männer auf mich zukamen.

„Hallo, sie müssen Herr Keller sein!“, sagte der Mann mit der Tasche.

Er streckte mir die Hand entgegen, während ich nickte.

„Reinhard ist mein Name“, stellte er sich vor.

„Kolping… Jürgen Kolping“, sagte der andere.

Oha, der Chef höchstpersönlich.

„Herr Keller, um gleich zur Sache zu kommen. Ihre Frau hat uns so ungefähr erzählt, was sie früher in ihrem Beruf gemacht haben. Unser Plan ist jetzt, auch um hauptsächlich Kosten zu sparen, ein eigenes Labor einzurichten“, begann Kolping zu sprechen.

„Auch um schneller Zugriff bei laufenden Untersuchungen zu haben“, sagte Reinhard.

„Hätten sie Interesse?“, fragte nun Kolping.

„Es tut mir leid, meine Herren, es ist etwas schnell. Könnten sie mir mehr erzählen? Zudem – ich sitze im Rollstuhl…, das wäre wohl schon eine Hinderung…“

„Darüber machen sie sich mal keine Sorgen“, meinte Kolping, „aber ich werde sie jetzt Mal alleine lassen, ich habe noch ein paar Termine. Wenn sie beide zu Fachsimpeln beginnen, verstehe ich eh nichts mehr.“

Er verabschiedete sich von uns und war wieder verschwunden.

„Nie Zeit, der Gute“, meinte Reinhard und schloss die Tür auf.

Adrian

Die Stimmung war etwas gedrückt, als ich auf dem Friedhofsparkplatz ausrollte. Robert stieg aus und schubste die Tür zu. Ich stieg ebenso aus und holte die kleine Blumenschale von der Rückbank.

Ohne einen Ton zu sagen, betrat Robert den Friedhof. Ich folgte ihm einfach, ebenso wortlos. Ich sah viele neue Gräber. Ein Teil schien komplett neu angelegt worden zu sein. Robert blieb plötzlich vor einem Grab stehen.

„Da liegt Dieter… Nickis Vater…“

Ich sagte nichts und stellte mich einfach zu Robert. Er blickte mich kurz an und lief dann weiter. Die Steine und Kreuze wurden zusehends älter, auch der Bewuchs wurde dichter. Ich folgte Robert so lange, bis er erneut stehen blieb.

Ein kleines Foto zierte den Stein. Ein kleiner Spruch – die Jahreszahlen. Es waren Roberts Großeltern. Er kniete sich hin und zupfte etwas Unkraut heraus.

„Ich war viel zu lange weg“, hörte ich ihn leise sagen.

Ich stellte die Blumenschale an den Rand der Einfriedung ab und kniete mich zu Robert hinab.

„He… Robert… nicht!“

Er sah mich an und die Tränen kullerten bereits über seine Wangen. Ich nahm ihn in den Arm.

„Ich habe soviel verpasst, nicht mitbekommen…“

„Und du hättest mich nie kennen gelernt, wenn du hier geblieben wärst“, fiel ich ihm ins Wort.

Ein kleines Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab. Er lehnte sich an mich, nein, kuschelte sich regelrecht in meinen Arm, dass ich Mühe hatte, mein Gleichgewicht zu halten.

„Darüber bin ich auch froh… ich könnte es mir ohne dich gar nicht mehr vorstellen.“

Wieder kehrte Ruhe ein, wo wir beiden nichts redeten.

„Ob wir noch zusammen sind, wenn wir mal so alt sind?“, fragte er plötzlich, „sie sehen so glücklich aus.“

Er schien das Bild zu meinen, das seine Großeltern zeigte.

„Also, ich hoffe, ich enttäusche dich nicht… ich habe darüber noch nicht nachgedacht… ich liebe dich, Robert… ich genieße das Hier und Jetzt. Es ist einfach alles noch so frisch und neu, als dass ich einen anderen Gedanken fassen könnte, als den, wie sehr ich dich liebe.“

Und das war mir bitter ernst. Ich liebte Robert und mochte keine Sekunde mehr ohne ihn sein.

„Ich liebe dich auch!“

Lucca

Die Klasse schien meinen Wandel einigermaßen gut aufgenommen zu haben. Auch die Lehrer waren sichtlich überrascht über meine Veränderung. Mit einem tollen Gefühl verließ ich die Schule und wollte direkt zum Zoo.

Kurz vor der Straßenbahnhaltestelle stand plötzlich Felix mit seinen Lakaien.

„Wohin so schnell, Genster?“

„In den Zoo… hast wohl doch mitbekommen, dass ich da mittags arbeite.“

„Ja und ich habe noch etwas gehört.“

Genervt schulterte ich meinen Rucksack.

„Was denn?“

„Dein Vater würde scheiße bauen!“

„Bitte was?“

„Dein Vater ist zu den anderen übergelaufen… ist doch jetzt so ein Warmduscher… ne schwule Drecksau.“

War ich jetzt im falschen Film? Was sollte der Scheiß?

„Und wenn? Ich wüsste nicht, was das dich angeht!“

„Einiges… ist doch klar, dass so was vererbbar ist und so ein schwules Dreckstück wie dich wollen wir nicht auf der Schule!“

Hatte der jetzt den totalen Knall, wo hatte er denn die Scheiße her?

„Wo hast du denn diesen Kackmist aufgeschnappt?“, fragte ich und fühlte mich immer unbehaglicher.

Ein Blick nach rechts und links zeigte mir, dass in der Nähe niemand war, der mir eventuell zur Hilfe kommen könnte.

„Felix…, machen wir ihn doch einfach fertig und schon haben wir Ruhe!“, hörte ich einen seiner Lakaien sagen.

So langsam bekam ich es mit der Angst zu tun. Mir blieb in dem Moment nur eins…, abhauen. Blitzartig drehte ich mich Richtung Schule um und begann zu rennen.

„Der will abhauen!“, hörte ich es hinter mir kreischen.

Das Nächste, was ich spürte, das irgendwas meinen Laufdrang hemmte. Ich schlug der Länge nach auf den Boden. Jemand hatte mir einen Stock nachgeschmissen, in dem ich mich verfangen hatte.

Ich stöhnte auf, denn es tat alles höllisch weh. Dann sah ich nur noch dunkel um mich man hatte mich eingekreist. Schon spürte ich den ersten Hieb an meiner Seite und ich jaulte auf. Trotz meiner Abwehrhaltung, spürte ich die Tritte und Schläge, wie sie immer mehr wurden.

Ich schrie wie am Spieß, dies schien aber niemanden zu stören, bis ich einen Tritt an den Kopf bekam und alles um mich schwarz wurde.

Volker

Gerade fällte Willi den zweiten Baum, als mein Handy klingelte. Die Nummer kannte ich nicht.

„Volker Kolping.“

„Volker?“, hörte ich eine weinerliche Stimme.

„Rolf?“, fragte ich.

„Ich bin … im Krankenhaus“, hörte ich Rolf schluchzen.

„Mein Gott Rolf, was ist denn passiert.“

„Lucca… Lucca wurde zusammengeschlagen…“

„Scheiße! Sag mir, wo du bist. Ich komme!“

Er sagte den Namen des Krankenhauses, das ich schon von Dennis’ Vater her kannte.

„Rolf, ich bin gleich bei dir.“

„Ich habe Angst… ich verlier ihn.“

„Ganz ruhig Rolf, dein Sohn ist ein Kämpfer… ich leg jetzt auf und bin gleich bei dir.“

Ich hörte nur Schluchzen auf der anderen Seite. Schweren Herzens drückte ich das Gespräch weg und wählte meinen Bruder an.

„Ja?“

„Hallo Jürgen… ich muss sofort ins Krankenhaus… der Sohn meines Freundes wurde zusammengeschlagen… Lucca…“

„Ach du scheiße, weiß man schon, warum und wie es ihm geht?“

„Ich weiß gar nichts, nur dass Rolf eben total aufgelöst am Telefon war… ich muss zu ihm.“

„Schon klar, ich kümmere mich hier um alles, geh du ruhig… pass auf dich auf, Volker… okay?“

„Ja schon gut, ich melde mich später.“

Ich gab den Arbeitern kurz Bescheid und rannte im Laufschritt zum Parkplatz. Ich wählte die Nummer von Sabine und schilderte ihr kurz, was sich zugetragen hatte und dass sie wohl nicht mit Lucca rechnen dürfte.

Geschockt wie ich, wünschte sie mir Glück und Genesungswünsche an Lucca. Ich hatte den Wagen erreicht und versuchte, ihn aufzuschließen. Viel zu nervös ließ ich den Schlüssel gleich zweimal fallen.

Ich hielt still und atmete tief durch. Jetzt nur nicht durchdrehen, dachte ich und bekam das Auto auf.

*-*-*

Ich schob die Tür zum Stockwerk der Intensivstation auf. Ich fand Rolf zusammengekrümmt auf einem Stuhl sitzen… Er weinte.

„Rolf?“, sagte ich leise.

Er schaute mich an, sprang auf und fiel mir um den Hals.

„Was ist mit Lucca?“, fragte ich unsicher.

„Er liegt im Koma…“, versuchte Rolf in ruhigerem Ton zu sagen.

„Und die Verletzungen…?“

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