Zoogeschichten III – Teil 103

Das Erbe

Volker

„Und, was ist darin?“, wollte ich wissen.

Mittlerweile hatten wir die Kassette geholt und waren in Jürgens Büro. Er zog irgendwelche Akten heraus und begann sie zu lesen. Sein Gesicht wurde dabei kreidebleich.

Dennis

„Mum, weißt du wo mein Impfpass ist? Dad meinte, ich soll gucken, wann ich das letzte Mal geimpft worden bin.“

„Im Dokumentenordner“, hörte ich sie aus der Küche rufen.

So ging ich an Dads Schrank und zog mir den Dokumentenordner raus. Haus… Heirat… Diplome… Doktorarbeit… Geburt… halt mal, Geburt? Ich öffnete den Umschlang und zog einen Stapel Papiere raus.

Adoption von Dennis Meisenberger. Adoptiveltern bla, bla, bla… Meisenberger… so war mein richtiger Name also. Ich blätterte die Unterlagen durch. Bis auf eine Anschrift im Bayrischen fand ich sonst nichts.

„Hast du ihn gefunden?“, fragte Mum, als sie in Dads Büro trat.

Erschrocken drehte ich mich um. Ein Blick auf den Schreibtisch und sie bekam einen traurigen Blick.

„Sorry Mum, ich habe das durch Zufall gefunden…“

„Musst dich nicht entschuldigen… ich hätte dir alles viel früher sagen müssen.“

„Leben meine leiblichen Eltern noch?“

Sie nahm die Papiere und sah sich alle nacheinander an.

„Ob dein Vater noch lebt, weiß ich nicht…, deine Mutter ist bei deiner Geburt gestorben…“

Sie hielt die Adresse in der Hand. Ich schaute sie an.

„Das… das ist die letzte Adresse deines Vaters… Er war, na ja, er war so alt wie du jetzt, müsste jetzt sechsunddreißig sein.“

„Er war erst achtzehn?“, fragte ich total erstaunt.

„Ja… und deine Mutter erst sechzehn. … sie hatten einen schweren Unfall und während die Ärzte dich holten… starb sie.“

„Erst sechzehn. … das ist nicht zu fassen.“

Sie drückte mir die Adresse in die Hand.

„Such ihn… vielleicht würde er sich ja freuen, dich kennen zu lernen…“, meinte Mum leise.

Aus einem anderen Umschlag zog sie meinen Impfpass, dann verließ sie Papas Büro wieder.

Volker

„Jürgen, ich glaube, wir sollten unseren Anwalt einschalten. Wenn das an die Öffentlichkeit kommt… sind wir geliefert.“

Jürgen hatte sich mittlerweile hingesetzt. Er war immer noch ganz weiß um die Nase.

„All die Arbeit umsonst“, stammelte er.

„Quatsch Volker. Rufe bitte Hendrik an, der soll sich die Papiere erst einmal anschauen.“

Er starrte mich an. Ich hob den Hörer ab und reichte ihm ihn.

Dennis

„Ja Micha, ich komme nachher zurück in den Zoo, ich musste nur noch etwas heraus suchen… klar, ich komm ganz bestimmt! … ja ich liebe dich auch… bis später… Tschüss!“

Was hatte er nur vorbereitet. Die Heimlichkeiten der letzten Tage waren schon nervend. Dann heute Morgen der Schock, als ich ins Krankenhaus musste. Ich sah auf die Adresse. Ich nahm den Hörer und wählte die Auskunft.

„Guten Tag. Telfree Auskunft, sie sprechen mit Melanie Hübner, wie kann ich ihnen helfen?“

„Kahlberg… guten Tag. Ich hätte gern die Nummer von Sven Meisenberger, wohnhaft in Hinterauental.“

„Moment…“

Mein Herz begann zu klopfen.

„Es tut mir leid, in Hinterauental finde ich nur einen Heinrich Meisenberg, haben sie vielleicht eine Adresse?“

„Äh… Schillerstr. 15.“

„Unter der Adresse ist auch Heinrich Meisenberger gemeldet. Soll ich ihnen diese Nummer ansagen lassen?“

„Äh … ja.“

„Gut. Einen schönen Tag noch, auf Wiederhören!“

Eine mechanische Stimme erklang.

„Die gesuchte Nummer lautet 5 – 6 – 2 …“

Eifrig schrieb ich mit, bevor ich dieses Gespräch unterbrach. Ich sah auf die Nummer und dann wieder auf das Telefon. Ich atmete tief durch. Mein Herz klopfte mir bis zum Kopf, mir war etwas übel.

Mit zitternden Händen tippte ich die Nummer ein, bevor ich den Hörer ans Ohr nahm. Es tutete.

„Heinrich Meisenberger“, hörte ich eine ältere Stimme am anderen Ende.

Mir blieb irgendwie die Luft weg.

„Hallo?“, hörte ich auf der anderen Seite.

Ich gab mir einen Ruck.

„Äh… hallo, Kahlberg hier, könnte ich Sven Meisenberger sprechen?“

„Oh, da glaube ich, sind sie falsch… mein Sohn wohnt nicht bei uns. Soll ich ihnen seine Nummer geben?“

„Das wäre sehr nett“, sagte ich zitternd.

Wieder bekam ich eine Nummer diktiert und schrieb mit. Ich verabschiedete mich höfflich, im Wissen, dass ich gerade mit meinem leiblichen Großvater gesprochen hatte.

Ich starrte auf die Nummer meines Vaters. Sollte ich das wirklich durchziehen? Total aufgeregt wählte ich nun diese Nummer. Wieder kam der Klingelton. Dann knackte es und eine Stimme begann zu sprechen.

„Tierpraxis Meisenberger, guten Tag. Mein Mann und ich sind gerade außer Haus. Hinterlassen sie nach dem Signalton bitte Name und Telefonnummer, wir werden sie bald möglichst zurückrufen.“

Ich legte den Hörer auf. Tierpraxis… verheiratet. Langsam sank ich in mir zusammen.

Robert

Ich freute mich, dass ich endlich wieder zu Hause war. Nichts gegen meine Eltern, aber hier fühlte ich mich doch am wohlsten. Adrian war nach Hause gefahren, während ich mein Gepäck verräumt hatte.

Auf dem Anrufbeantworter war eine Einladung von Michael gewesen. Dennis war heute achtzehn geworden und Michael gab für ihn heute Abend eine Party im Zoo. Lust hatte ich ja schon. Alleine schon wegen der Delfine, die ich eine Weile nicht gesehen hatte.

Doch jetzt lag ich auf dem Bett, war total alle. Kopfweh hatte ich auch etwas. Ich hörte das Schloss der Wohnungstür.

„Robert… ich bin wieder da“, hörte ich Adrian rufen.

Ich hatte ihm meine Schlüssel mitgegeben.

„Ich bin hier im Schlafzimmer“, rief ich.

Wenige Sekunden später tauchte Adrian im Schlafzimmer auf.

„Ist irgendwas, Robert? Alles klar mit dir?“, fragte Adrian besorgt.

„Ich bin nur etwas kaputt“, meinte ich, verschwieg aber die Kopfschmerzen.

Adrian legte sich zu mir aufs Bett.

„Sollen wir heute Abend lieber zu Hause bleiben?“

Ich schüttelte den Kopf.

Volker

„Und was meinst du Hendrik?“, fragte ich.

Unser Anwalt schaute sich die Papiere an, die ich gefunden hatte.

„Kein Zweifel, die Papiere scheinen echt zu sein. Aber nach dem Recht vor dem zweiten Weltkrieg, wie es sich zum heutigen verhält, das kann ich nicht sagen.“

„Das sind 100.000 Reichsmark…“, stammelte Jürgen.

Ich schaute zu Hendrik.

„Jürgen, ich kann dir jetzt noch gar nichts sagen. Wie du weißt, war die Reichsmark überbewertet zu der Zeit, also kennen wir den wirklichen Wert nicht“, sagte Henrik.

„Aber was ist mir der Grundstücksüberschreibung…, das ist ein Drittel vom Zoo“, kam es von Jürgen.

„Wie gesagt, ich muss mich erst mal schlau machen. Dann müssen wir noch nach lebenden Verwandten dieses Rudolf Merklinger suchen. Kann ich die Papiere mitnehmen?“

Ich nickte ihm zu. Hendrik verstaute die Papiere in seiner Tasche.

„Nun macht mal nicht die Pferde scheu. Ich überprüfe alles und dann sehen wir weiter. Und was die Grundstücksüberschreibung betrifft – wir kennen den realen Wert des Geldes nicht, somit auch nicht, ob die Überschreibung rechtskräftig war.“

„Danke, Hendrik“, meinte ich und schüttelte ihm die Hand.

Hendrik verließ Jürgens Büro.

„Was ist, wenn wir den Zoo jetzt verlieren?“, fragte Jürgen.

Dennis

Frisch geduscht und angezogen stand ich in meinem Zimmer. Sollte ich es noch einmal versuchen? Ich schaute auf die Nummer auf meinem Schreibtisch.

„Dennis? Bist du oben?“, hörte ich meine Mutter rufen.

„Ja“, antwortete ich.

„Kommst du bitte mal runter?“

Ich lief die Treppe hinunter und fand sie in der Küche.

„Du, dein Vater hat angerufen.“

Total schockiert schaute ich sie an. Wie konnte das gehen…, ich hatte doch nichts auf den AB gesprochen…

„Was?“, bekam ich nur heraus.

„Dein Dad hat aus dem Krankenhaus angerufen, dass es bei ihm etwas später wird, wir kommen also später in den Zoo.“

Erleichtert atmete ich durch. Ach so, Dad hatte angerufen.

„Ist irgendwas?“, fragte Mum.

„Nein nichts. Ich hatte etwas falsch verstanden. Und wann kommt ihr dann?“

Meine Mum schaute mich kurz merkwürdig an.

„Ich weiß es nicht.“

„Okay, was auch immer Michael im Zoo vorhat, es wird sicher noch da sein, wenn ihr kommt… hoffe ich. Ich geh noch schnell nach oben, was holen, dann bin ich weg, okay?“

„Gut, wir sehen uns dann.“

Mit schnellen Schritten lief ich wieder in mein Zimmer. Oben angekommen, fiel mein Blick wieder auf die Nummer. Ich nahm mein Telefon. Wieder begann ich zu zittern. Langsam gab ich die Nummer ein.

Es kam wieder der Klingelton. Ein Blick auf die Uhr sagte mir sieben Uhr, sie müssten dann eigentlich zu Hause sein.

„Tierpraxis Meisenberger, guten Abend, Sandra Meisenberger am Apparat.“

„Ähm… guten Abend, Kahlberg hier, könnte ich bitte Sven Meisenberger sprechen.“

„Augenblick bitte“, hörte ich die Stimme sagen, „Schatz für dich, ein Herr Kahlberg“, hörte ich im Hintergrund.

„Sven Meisenberger hier, sie wünschen?“

„Dennis Kahlberg… äh… Dennis… ihr Sohn…“

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