Aschenbrödels Bruder – Teil 7

„Ich habe ihm meine Nummer nicht gegeben…“

„Was schreibt er?“

„Ob ich heute Abend Zeit habe und er kommen könnte.“

„Nichts da, du bist krank!“

„Ähm, ich hab mir zwar immer eine große fürsorgende Schwester gewünscht, aber keinen Feldwebel. Aber ich muss dir auch recht geben, ich bin total alle und dann noch die Schmerzen…“

„Noch nicht besser?

„So schnell wirken die Tabs nicht…“

„Dann lass ich dich mal alleine und du versuchst vielleicht etwas zu schlafen. Die Tür lasse ich aber offen, damit ich dich höre, falls etwas ist.“

Wow! Ich war das absolut nicht gewohnt, aber es gefiel mir.

Okay…“, meinte ich und kuschelte mich vorsichtig auf mein Kissen.

Sabine stand auf, lächelte und verschwand aus meinem Zimmer. Ob ich das alles nur träumte? Nein, der Schmerz in meiner Brust, sagte mir, das muss alles echt sein. Meine Lider wurden schwer und ich sank langsam in ein tiefes Traumloses Loch.

*-*-*

Als ich erwachte, konnte ich nicht einschätzen, wie lange ich geschlafen hatte. Ich konnte nur, auf dem Flur, leise Stimmen vernehmen.

„Lucas hat sich nur große Sorgen gemacht und mich angerufen, ob ich noch mal mit ihm herkomme.“

„Er schläft noch, aber ich will ihn wecken. Das Schmerzmittel soll alle vier Stunden eingenommen werden und jetzt haben wir schon kurz vor halb neun.“

Constanze, Sabine und anscheinend Lucas. So hatte ich also vier Stunden geschlafen und hatte ich auch nicht Lucas SMS beantwortet.

„Ich bin wach…“, sagte ich im normalen Ton, was die Drei anscheinend erschrecken ließ.

„Man, bin ich jetzt erschrocken.“

Das kam von Lucas, ich musste grinsen. Es dauerte nicht lange, da standen Constanze und Lucas an meinem Bett, während Sabine sich an den Tabletten zu schaffen machte.

„Mir tut nichts weh…“, frotzelte ich etwas.

„Du willst also wieder solche starken Schmerzen wie heute Mittag spüren?“

„Heute Mittag?“, fragte Constanze.

„Ja, mein kleiner Bruder hatte noch keine Schmerzmittel genommen und wunderte sich, dass es so heftig weh tat.“

„Typisch“, meinte Constanze nur und setzte sich ans Kopfende.

Lucas tat dasselbe.

„Und was verschafft mir die Ehre eures Besuches? Constanze ich dachte du gehst zu Frank.“

Sabine setzte sich ebenfalls neben mich und hielt mir wieder eine Tablette und Wasser entgegen.

„Erstens ist mir irgendwie nicht mehr nach feiern, wenn mein bester Freund krank im Bett liegt und zweitens hat sich dieser Herr hier nicht alleine her getraut…, es ist so dunkel draußen.“

Kurze Stille und Sabine und Constanze fingen an zu lachen. Lucas schaute bedrückt drein und ich konnte nicht verhindern, etwas zu grinsen. Das laute Grummeln meines Bauches, ließ das Lachen langsam verstummen.

„Hast du Hunger?“, fragte meine Schwester.

Klar hatte ich Hunger. Das Mittagessen hatte ich ausfallen lassen und das Frühstück war eher spärlich gewesen. Ich nickte.

„Habt ihr schon gegessen?“, fragte Sabine nun die beiden.

Lucas schüttelte den Kopf und Constanzeverneinte.

„Gut, dann werde ich mal hinunter gehen und schauen, was ich auftreiben kann…, ähm Constanze kommst du kurz mit…, ich möchte dich noch etwas fragen…“

Constanze schaute mich kurz verwundert an.

„Klar!“, antwortete sie.

Ich erinnerte mich an den Streit mit meinem Vater.

„Sind wir alleine?“

Sabine hielt inne.

„Wenn du Vater meinst…“, oh sie hatte Vater gesagt, nicht Papa, „der ist nicht wieder aufgetaucht und Mutter sitzt unten im Wohnzimmer.“

„Aha…“

„Stimmt irgendetwas nicht?“, fragte Constanze.

„Ich erklär dir es später, aber ich denke, erst ist Sabine dran“, grinste ich.

So verließen die beide mein Zimmer und ich war mit Lucas alleine. Ich versuchte mich etwas aufzurichten.

„Soll ich dir helfen?“, fragte Lucas besorgt und war aufgesprungen.

„Ähm…danke“, meinte ich verlegen.

Plötzlich spürte ich seine warme Hand auf meinem Rücken, wie er mich sanft nach vorne schob. Mir lief es kalt den Rücken herunter. Mit der anderen Hand zog er mich leicht am Arm.
Als ich aufrecht saß, schüttelte er mein Kopfkissen auf und stellte es senkrecht gegen die Wand. Ich ließ mich leicht nach hinten gleiten. Er setzte sich wieder ans Bettende. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf.

„Warum so weit weg?“, lächelte ich.

Hatte ich das gerade wirklich gesagt, ich der außer bei Constanze nie ein Wort heraus bekam. Nun lächelte er ebenfalls etwas und kam näher heran gerutscht. Ich atmete tief durch und sah ihn an.
Diese Augen, so Kristallklar, so tiefblau, dass ich darin ertrinken konnte. Halt! Stopp! Zusammenreisen!

„Entschuldigung… ähm und danke!“

„Hä?“, kam es von Lucas.

„Entschuldige, dass ich dir nicht geantwortet habe… ich bin eingeschlafen…“

„Das ist doch nicht schlimm… und für was das Danke?“

„Öhm…, für dein Vertrauen?“

„Vertrauen? Na ja, Constanze hat das ja sozusagen so gedeichselt.“

„Du hättest ihr aber immer noch sagen können, dass du es nicht willst und das hast du ja wohl nicht getan.“

„Stimmt…, aber wäre mir bei Constanze etwas anders übrig geblieben?“

„Punkt für dich…stimmt!“

Ein Lächeln auf seinen Lippen fing an mich wieder in die Traumwelt zu entführen.

„Dann müsste ich auch danke sagen, gleich zweimal.“

„Zweimal?“

„Ja, einmal weil du dich in der Schule wirklich um mich gesorgt hast und weil du mir vertraust…“

Bevor ich etwas erwidern konnte, wurde es auf der Treppe wieder lauter. Die zwei Mädels waren zurück. Herein kamen sie mit zwei Tabletts, gefolgt von Alfred, der die Getränke trug.

„Wir hätten auch unten etwas essen können.“

„Du bleibst schön im Bett!“, kam es von Sabine und stellte ihre Platte auf meinen Schreibtisch.

Alfred tat es ihr gleich und mit einem kurzen Nicken verschwand er wieder. Dann wandte sich Sabine zu mir.

„… und wir sind unten nicht so erwünscht.“

„Ähm, wieso?

„Mutter…“

„Oh, wieso?“

„Du bist gut, denk mal an heute Mittag!“, meinte sie und verschwand kurz aus meinem Zimmer.

„Was war heute Mittag“, fragte Constanze.

„Das Übliche…“

Vier Augen schauten mich fragend an.

„Der übliche Streit mit meinem Vater…, was sonst!“

„Oje, so arg?“

„Meine Wange tat etwas weh…“

„Was? Er hat dich geschlagen?“, fragte Constanze entsetzt.

„Ja, aber ich habe mich gerächt…“

„Du hast zurück geschlagen“, kam es nun von Lucas.

„Nein! Bist du verrückt? Ich hab ihm zwar was an den Kopf geknallt, aber verbal.“

„Und was?“, wollte Constanze wissen.

„Er hat geschrien, er wäre schwul… Jungs küssen und so“, kam es nun von Sabine, die mit ihrem Bürostuhl zurück kam.

„Du hast was?“, fragte Constanze noch entsetzter.

„Mich vor meiner biologischen Fakultät geoutet.“

„Shit, wenn dann machst du keine halbe Sachen.“

„Na ja, ich war etwas sauer…“

„Etwas?“, fragte Sabine.

Ich sah draußen Alfred vorbei laufen, sonst nichts Außergewöhnliches, aber er hatte Koffer in der Hand.

„Öhm…, vereist wer?“, fragte ich Sabine.

Sabine schaute etwas bedrückt drein.

„Ich wollte dir das noch nicht sagen…, Vater zieht aus…“

„Was?“

Erschrocken schaute ich Sabine an.

„Mutter meinte ich solle dir noch nichts sagen, damit du dich nicht aufregst.“

„Ich mich aufregen…“

„Es ist besser so… und anscheinend hängt wohl der Haussegen zwischen unseren Eltern schon länger schief.“

„Das wundert mich nicht“, sagte ich leicht abwesend und schaute dann wieder zu Constanze, „könnte mir jemand einen Teller befüllen?“

„Ähm…“, stammelte Constanze.

„Was?“

„Du hast noch Hunger…?“

„Wenn du jetzt meinst, nur weil mein Vater uns verlässt, soll es mir den Hunger verschlagen… nein Constanze, sicher nicht. Mein… unser Vater hat sich nie besonders für unsere Belange interessiert, sein Interesse galt bisher immer dem lieben Geld und wie man es stets vermehren kann.“

Constanze und Sabine standen auf und füllten die Teller, während Lucas mir etwas zum Trinken reichte. Wieder sah ich in diese unbeschreiblich schönen Augen, nur dass sie dieses Mal glänzten, Tränen rannen über seine Wangen.

„Lucas, was ist?“

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3 Kommentare

  1. Hallo Pit,
    wie immer verfolge ich Deine Geschichte ab dem 1. Dezember, wie immer finde ich es toll, dass Du schreibst und wie Du schreibst. Dafür ein herzliches Dankeschön und auch von mir gute Besserung.

    Inzwischen habe ich wahrscheinlich alles gelesen, was Du hier veröffentlicht hast. Mir gefallen Deine Geschichten unwahrscheinlich gut, sie regen die Phantasie an und lassen, trotz toller Beschreibungen, genügend Platz fürs Kopfkino.
    Ich wünsche Dir und Deinen anderen Lesern eine schöne Adventszeit und schöne Feiertage.

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    1. Hallo Gerd,
      herzlichen Dank für dein liebes Feedback, so etwas tut immer sehr gut!!! Liebe Grüße Pit

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    • claus auf 7. Dezember 2015 bei 04:55
    • Antworten

    Hallo Pit,

    es ist wieder eine sehr interessante Geschichte die du da für uns hast…
    Ja, das Kopfkino funktioniert 🙂

    Dir noch eine schöne Weihnachtszeit.
    Viele Grüße
    Claus

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