Aschenbrödels Bruder – Teil 24

„Lucas…“

Drinnen waren die Stimmen verstummt. Außer unser Atmen war nichts zu hören.

„Lucas…, das… tut mir leid!“

Tränen rannen über seine Wangen. Er drehte sich von mir weg, schnappte seine Jacke und verließ rennend das Haus.

„Lucas…“, sagte ich leise, sank zu Boden und fing an zu weinen.

*-*-*

Ich hatte mir ebenfalls meine Jacke geschnappt und war den Spuren im frischen Schnee gefolgt. Das Rufen der anderen hatte ich einfach ignoriert. Tränen rannen über mein Gesicht. Der Hass auf meinen Vater wuchs ständig.
Es drehte sich alles um ihn, immer wieder er. Warum lässt er mich nicht in Ruhe! Lucas, wo bist du, ich brauche dich doch. Ich hielt inne, stütze mich an einer Laterne ab. Scharf atmete ich ein und aus.
Die kalte Luft tat mir im Hals weh und meine Rippen spürte ich auch. Es half nichts ich musste weiter, ich musste Lucas finden. Mein Lucas, mein ein und alles. Mir wurde so sehr bewusst, was Lucas für mich war und bedeutete.
Plötzlich stoppte ich abrupt, denn die Spur war weg, hier hatte jemand gekehrt. So schaute ich mich um und bemerkte, dass ich die Gegend kannte, hier wohnte doch Constanze, also auch Lucas.
Schnell war ich an dem Haus angelangt und klingelte bei Hammert und hoffte, dass er daheim war und mir auch öffnete. Der Summer ging und ich drückte die Tür auf. Ich rannte hoch bis in den dritten Stock, wo auch Constanze wohnte.
Total außer Atem nahm ich wahr, dass sich die gegenüberliegende Tür öffnete. Vor mir stand Lucas Mutter, ich konnte nicht anders und begann zu weinen.

„Es tut mir so leid…“, sagte ich mit weinerlicher Stimme.

Sie kam auf mich zu und umarmte mich.

„Ich weiß Bescheid…, deine Mutter hat angerufen.“

Auch ihr standen die Tränen in den Augen.

„… tut mir so sehr leid.“

„Benjamin, du bist nicht schuld…“

„… aber Lucas“, mein ganzer Körper zitterte, „er…, er muss mich doch… jetzt hassen…“

Ich hörte im Treppenhaus mehrere Türen gehen. Lucas Mutter schob mich in die Wohnung und schloss die Tür hinter uns.

„Aber wieso soll er dich denn jetzt hassen?“

„Mein… mein Vater hat doch…“, ich konnte nicht mehr, die Tränen erstickten meine Stimme.

Langsam sank ich in die Knie.

„Bitte…, bitte entschuldigen sie…“

Ich schluchzte, mein Körper erbebte bei jeder neuen Welle von Tränen.

„Lucas!“, hörte ich seine Mutter rufen.

Eine Tür ging auf und Lucas trat heraus, seine Augen waren gerötet vom Weinen.

„Lucas… bitte verzeih mir… es tut mir so… leid“, schluchzte ich laut, kroch fast auf alle vieren auf ihn zu.

Er blieb stehen und schaute mich nur an. Ich konnte nicht mehr und sank in mich zusammen. Neue Weinattacken ergriffen mich. Plötzlich spürte ich, wie sich zwei Arme um mich legten. Ich traute mich nicht aufzuschauen.
Warum tat dass so höllisch weh? Eine Hand streichelte mir sanft über den Rücken.

„… tut mir so leid, Lucas“, wimmerte ich.

„Psch…“, hörte ich und spürte, wie mir ein Kuss auf die Haare gegeben wurde.

„… es wird alles…, wieder gut…“, hörte ich den mir so bekannten Bariton, aber eine Spur weinerlicher als sonst.

„Entschuldige, wenn ich dich vorhin…, erschreckt habe…, das wollte ich nicht…, irgendwie ist mir eine Sicherung durchgebrannt.“

Schluchzend setzte ich mich auf und sah, dass Lucas direkt vor mir kniete. Ich fiel ihm um den Hals und klammerte mich an ihn.

„Bitte, lass mich nicht mehr los…“, wimmerte ich.

*-*-*

Später war mir das Ganze so peinlich. Wir saßen stumm am Küchentisch. Seine Mutter hat uns einen Tee zubereitet, bevor sie uns alleine ließ. Lucas griff nach meiner Hand und streichelte mit dem Daumen über meinen Handrücken.

„Als ich euren Anwalt gehört hatte, sah ich die wildesten Bilder in meinem Kopf, was man mit meinem Vater angestellt hat. Ich kann mich nur bei dir entschuldigen, dass ich ausgetickt bin.“

Noch immer schluchzte ich und dabei bebte mein Körper leicht.

„Du musst mir glauben Lucas, …es tut mir wirklich leid!“

„Das weiß ich Benjamin, ich spür das…“

Mit glasigen Augen sah ich ihn an. Noch immer pochte mein Herz wie wild.

„Was dein Vater gemacht hat, dafür kannst du absolut nichts, das hat er ganz alleine zu verantworten…“

„Aber…, aber erinnere ich dich… jetzt nicht immer… daran.“

„Sicherlich nicht du, ich denke jeden Tag an meinen Vater, weil ich ihn so sehr vermisse. Und wie du schon selber gesagt hast, dass du den Menschen, der mal dein Vater war, nicht mehr kennst, wieso sollte ich dir da einen Vorwurf machen?“

Er stand auf, zog mich hoch und mach mich in seine Arme.

„Ich liebe dich!“

„Ich dich auch“, flüsterte ich heißer.

Und als wollte er es besiegeln, gab er mir einen langen, innigen Kuss.

*-*-*

Das aufwärmen war beendet, ich lief in die Umkleide. Es war irgendwie komisch vor der Stelle zu stehen, wo vor ein paar Tagen noch mein Vater lag. Es war alles gereinigt worden, man sah nichts mehr davon. Lucas tauchte neben mir auf und klopfte mir kräftig auf die Schulter.

„Komm zieh dein Fummel an, du musst noch in die Schminke!“

Ich lächelte kurz und nickte. Schnell hatte ich mich umgezogen und Lucas half mir in das lila Kleid. Ich spürte, wie er den Reisverschluss zuzog, dann bekam ich einen Klaps auf den Hintern.

„Knackig!“, grinste er.

„Danke“, meinte ich und gab ihm einen Kuss.

„Geh schon mal vor, ich komm gleich nach“, meinte er und nun küsste er mich kurz.

Lächelnd, den Rock hochhebend, lief ich zur Schminke, wo ich bereits erwartet wurde. Geschminkt war ich schnell, die Perücke mit den langen Haaren, ging dann doch etwas länger, schließlich durfte ich die während des Tanzens nicht verrutschen.
Danach wurde ich noch mal kurz abgepudert und erneut gekämmt und mit Haarlack eingesprüht. Ich musste leicht niesen, denn an den Geruch konnte ich mich nie gewöhnen. Neben mir hatte bereits Lucas Platz genommen.
In seinem engen Prinzenkostüm sah er einfach zum anbeißen aus.

„Könnte ich Aschenbrödel nicht einfach wegzaubern und ich bekomme dich?“, fragte ich grinsend Lucas.

„Wieso, du hast mich doch schon!“, meinte er und griff nach meiner Hand, „oder willst du  lieber doch deine Schwester loswerden.“

„Eigentlich nicht, sie hat sich sehr verändert und das gefällt mir.“

„Noch zehn Minuten!“, rief jemand durch den Flur.

Lucas und ich atmeten gleichzeitig tief durch.

„Dann mal Hals und Beinbruch!“, wünschte mir Lucas.

„Dir auch!“

Vorsichtig erhob ich mich, dass ich ja nirgends mit dem Kleid hängen blieb. Ich schob mich an Lucas vorbei und rauschte in den Flur. Aufgeregt waren wir alle, aber dennoch herrschte Disziplin, alle waren ruhig.
Lucas stand plötzlich neben mir, hielt sich an meiner Schulter fest und machte noch einmal ein paar Dehnungsübungen. Ein Gong ertönte und das Licht auf der Bühne veränderte sich. Die Musik fing an zu spielen und der Vorhang wurde aufgezogen.

„Jetzt gilt`s!“, meinte Lucas und tanzte mit zwei anderen Jungs auf die Bühne.

*-*-*

Ich weiß nicht wie viele Vorhänge es schon waren, aber es kam mir zu viel vor. Der große Strauß in meinem Arm wurde langsam schwer und auch die Füße taten weh. Immer noch stand das Publikum da und applaudierte kräftig. Erneut verbeugten wir uns, um dann endlich weiter nach hinten zu laufen, wo uns der fallende Vorhang dann verdeckte. Ich sah wie Lucas auf mich zukam und ließ lächelnd den Strauß sinken.

Gefallen dir die Rosen?“, fragte Lucas und nahm ich leicht in den Arm, soweit es mein Kleid erlaubte.

Ich hob den Strauß an.

„Klar gefällt mir der Strauß, Rosen sind einfach schön.“

„Dann kann ich dir ja sagen, dass die von mir sind!“

Mit großen Augen schaute ich ihn an.

„Von dir?“

„Ja! Eigentlich hätte nur Sabine einen Strauß bekommen…“

Er wurde unterbrochen.

„Kinder ihr müsst noch einmal hinaus, das Publikum will euch noch mal sehen.

Das Klatschen hatte abgenommen und war fast nicht mehr zu hören. Sabine kam zu uns und gesellte sich zwischen mich und Lucas. Madam Toufon neben mich. Der Vorhang ging erneut auf und wieder wurde der Applaus laut.
Artig verneigten wir uns nochmal, um dann endgültig hinter dem Vorhang zu verschwinden. Madam Toufon klatschte kurz in die Hände, wir wurden alle ruhig.

„Kinder, ich bin stolz auf euch, das war eine wunderschöne Vorstellung!“

Die meisten fingen an zu grölen. Madam Toufon wandte sich an mich.

„Benjamin, ich war heute Abend sehr überrascht, wie ausdrucksstark du die Stiefmutter herübergebracht hast und es auch geschafft hast, dem Publikum ein paar Lacher zu entlocken.“

“Das war eigentlich nicht meine Absicht gewesen, aber mit so einem Kleid, kann es ungewollt auch etwas tollpatschig aussehen.“

„Auf alle Fälle hast du bei der nächsten Aufführung an Ostern, eine tragende Rolle!“, meinte sie.

„Danke schön“, erwiderte ich und verbeugte mich leicht.

Sie ließ mich stehen und Sabine kam zu mir.

„Gratuliere Bruderherz, du hast es geschafft“, sagte sie und gab mir einen kleinen Kuss auf die Wange.

„Du warst auch super!“, gab ich zurück.

Ich schaute zu Lucas und lächelte noch mehr.

„Du auch!“, meinte ich zu ihm.

„Danke“, sagte er und kam dich zu mir.

„Ich liebe dich“, flüsterte ich.

„Ich dich auch!“, kam es leise zurück, bevor er mir einen herzlichen Kuss gab.

„HE Prinz, du küsst die falsche Braut!“, rief jemand auf der Bühne und alles fing an zu lachen.

*-*Ende*-*

So, nun ist das Ende dieses Adventskalenders 2015 auch erreicht. Ich hoffe ihr hattet wieder euren Spaß beim Lesen, auf alle Fälle herzlichen Dank für die Feedbacks, so etwas tut einfach gut. Mir bleibt nur noch eins übrig, euch ein besinnliches Weihnachten zu wünschen.

Ein letzter Dank geht noch an Basti, der mich in den letzten Monaten, wegen meiner Krankheit so oft vertreten hat. Ein riesiges Danke dafür!  DU weißt, wie viel mir das bedeutet!

In den nächsten Tagen, gibt es immer wieder neue Geschichten zu lesen. Schaut einfach rein und wie immer: Viel Spaß beim Lesen.

Liebe Grüße euer Pit

Isolated christmas tree

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4 Kommentare

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    • Andy auf 24. Dezember 2015 bei 07:12
    • Antworten

    Hi lieber Pit,

    sehr schönes Ende deines diesjährigem Adventskalender, hat Spaß gemacht zu lesen und war spannend.
    Ich wünsche dir, lieber Pit, und allen anderen ein schönes, besinnliches Weihnachtsfest.

    VlG Andy

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    1. Hallo Andy,
      herzlichen Dank für deine vielen Feedbacks, hoffe aber, auch mal wieder eine Geschichte von dir zu lesen 🙂 Gruß Pit

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    • joachim auf 24. Dezember 2015 bei 14:52
    • Antworten

    Danke Pit für den schönen, spannenden Adventskalender.
    Schade, dass es nur einmal im Jahr Advent gibt. 😉

    Ich wünsche Dir schöne Weihnachten mit Deinen Lieben.

    PS: ich freue mich schon auf den 1.Dezember 2016

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    • claus auf 27. Dezember 2015 bei 07:40
    • Antworten

    Hallo Pit,

    wieder eine gelungene Geschichte.
    Vielen Dank.

    Grüße Claus

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