6. Türchen – No one else II

Ich zuckte zusammen, als ich die Hand spürte, die mir sanft über meinen Kopf strich.

„Was soll ich mit dir nur machen?“, hörte ich Placidos Stimme neben mir.

Weiter fuhr seine Hand über mein Haar.

„Musste das sein? Hast du so wenig Vertrauen in mich…, in dich selbst?“

Ich entzog ihm meinen Kopf, wischte mir die Tränen aus den Augen, winkelte die Beine noch mehr an und umfasste sie mit meinen Armen. Nur ganz langsam hob ich das Kinn, bis ich in seine Augen schaute.

„… ich dachte…“, weiter kam ich aber nicht, denn Placido legte seine Hand auf den Mund und schüttelte den Kopf.

„Dass du immer so Kopflastig sein musst, Erklär mir bitte, warum soll ich mit dir nichts mehr zu tun haben wollen?“

Ich hatte eindeutig ein Black out. Hatte ich ihm das ins Gesicht gesagt? Wieder trieb es die Tränen hervor. Placido breitete seine Arme aus und zog mich zu sich.

„Du bist echt doof! Weißt du das?“

„… Emilio ist gekommen…, nicht du…“

„Oh Davide, ja Emilio hat dich geholt, das hat auch seinen Grund. Im Unterschied zu dir, mag Letizia auch viele Probleme haben, aber wenn sich eine Krisensituation einstellt, bewahrt sie einen kühlen Kopf!“

Fragend hob ich meinen Kopf und sah Placido an.

„Als du aus dem Zimmer ranntest, und ich dir folgen wollte, hielt mich Letizia zurück. Sie übernahm plötzlich die Führung. Sie bestimmte, dass ich mich um meine Tante und meinen Cousin kümmern sollte, während Dana sich deiner Mutter annahm. Letizia und Emilio machten sich auf, um dich zu suchen.“

„Du… du bist also nicht enttäuscht von mir…?“

„Davide, warum sollte ich? Was soll sich bitte schön ändern, wenn sich deine Herkunft ändern würde?“

Er hatte würde gesagt, das verstand ich nicht, es hat sich doch geändert. Verwirrt und meinen Kopfschmerzen ausgeliefert, sah ich ihn hilflos an. Mit den Daumen wischte er mir die Tränen von den Wangen, um gleich danach mit seinen Zeigefinger mir ein gefühltes Loch in den Kopf zu bohren.

„Würdest du nicht immer gleich das Schlimmste denken, hätten wir uns all das hier ersparen können!“

Ich verzog das Gesicht, weil es wirklich richtig weh tat.

Er ließ mich los und stand auf.

„Ich hole dir kurz Wasser und Schmerztabletten“, meinte er und verließ unser Schlafzimmer.

*-*-*

Mit Jogginganzug und dicken Socken, saß ich mit angewinkelten Beinen auf dem Sessel vor dem Kamin. Die Schmerzen waren leicht abgeklungen, aber immer noch spürbar. Die Tür um Wohnzimmer öffnete sich und Placido kam herein.

In der Hand trug er ein kleines Tablett mit einer Tasse Kaffee darauf und irgendetwas Essbarem.

„Besser?“, fragte er und stellte das Tablett auf dem Tischchen neben mir ab.

„Etwas…“

Er setzte sich in den Sessel neben mir und griff nach meiner Hand.

„Wie du hören konntest, steht das Telefon nicht still. Jeder ruft an und fragt, wie es dir geht? Besonders deine Mutter…“

Ich hob die Hand und unterbrach ihn. Zu viele Fragen waren noch offen, Dinge ungeklärt. Bevor ich irgendjemand anderes als Placido sehen wollte, musste einiges geklärt werden.

„Was ist noch passiert nachdem ich…, das Haus verlassen hatte?“

„Bevor ich Tante Valerie und Noah nach Hause brachte, nahm ich deine Mutter zur Seite und beteuerte mir, dass du der Sohn deines Vaters bist und nicht das Erzeugnis einer kurzen Liebschaft!“

Warum konnte ich das jetzt nicht richtig glauben? Was dachten nun Mrs. Coleman und Noah von mir. Plötzlich war alles so peinlich, so wahnsinnig unangenehm.

„Es tut mir so leid, Placido. Aber als… Papa das gestern sagte, muss irgendwie eine Sicherung durch gebrannt sein, ich…“

„Davide, du brauchst dich doch dafür zu entschuldigen. Ich denke, jeder würde ausrasten, wenn man gesagt bekommt, man wäre kein leiblicher Sohn!“

„Du sagst würde… wäre…“

„Ja, weil du deines Vaters leiblicher Sohn bist!“

„… aber…, aber warum ist der dann so abwehrend und sagt so etwas?“

Placido atmete tief durch und lehnte sich zurück.

„Dein Vater ist unzufrieden mit sich und seinem Leben! Er fühlt sich ungebraucht und hadert mit dem Älter werden, wie so viele Männer in seinem Alter.“

Das beantwortete meine Frage auch nicht richtig.

„Aber warum muss er mir dann so weh tun?“

„So du mir, so ich dir!“

„Hä?“

„Du hast ihm weh getan und er rächt sich. Echt kindisch, ich weiß. Dass du, sein jüngster Sohn schwul bist, kratzt an seiner Ehre. Einem Valerio De Luca passiert so etwas nicht. Er kann das alles nur sehr schwer verarbeiten.“

„Aber warum kommt er dann gleich mit, ich bin nicht sein leiblicher Sohn?“

„Zum einem scheint dein Vater echt darauf aus zu sein, gleiches mit gleichen zurück zu zahlen. Deine Mutter hat ihm weh getan, so glaubt er wenigstens, also haut er in die Kerbe, die deiner Mutter am meisten weh tut, du und ihre angebliche Liebschaft. Zudem hat er deiner Mutter nie geglaubt, dass sie mit diesem Mann, nie etwas hatte.“

„Aber die Briefe…?“

„Die Briefe schickte dieser Emiliano noch eine Zeitlang, aber keiner dieser Brief hat deine Mutter je beantwortet.“

„Woher weißt du das alles?“

„Als ich meine Tante und Noah nach Hause gebracht habe, machte ich mir so viele Sorgen um dich, dass ich wieder zurück gefahren bin, wo ich dann nur noch Dana und deine Mutter vorfand. Als dann Letizia und Emilio, mit dir auf der Schulter zurück kamen, entschloss sich deine Mutter, uns alles zu erzählen. Du wurdest aufs Sofa verfrachtet, weil du eingeschlafen warst und sie erzählte uns, was sich damals zugetragen hatte.“

„Und was hat sich zugetragen?“, wollte ich wissen.

„Du solltest jetzt deinen Kaffee trinken, bevor er kalt wird! Und iss etwas, bevor deine Mutter kommt. Sie wird dir das alles selbst erzählen!“

„Mama kommt hier her?“

„Ja, Dana, Letizia bringt sie vorbei.“

„Oh Gott, das kann ich nicht…“

„Davide, ganz ruhig! Ihr müsst reden! Sonst hängt das Ganze, wie eine dunkle Wolke über euch!“

„Ich weiß nicht…“

Er griff wieder nach meiner Hand.

„Ich bin bei dir! Ich habe dir versprochen, dich nie wieder alleine zu lassen und gemeinsam meistern wir das!“

*-*-*

Unruhig starrte ich in das Feuer, wie es langsam vor sich hin knisterte. Placido war in sein Büro gegangen, da anscheinend Noah gekommen war und sie einiges zu regeln hatten. Meine Arme ruhten auf meinen Knien und darauf thronte mein Kopf, der gleich platzen zu schien.

Das Kopfweh war zwar weitgehend vergangen, aber ich bekam das langsam nicht mehr auf die Reihe. Zu viel passierte um mich herum und ich hatte nicht die Zeit, um alles verarbeiten zu können.

Alles schien mir langsam zu entgleiten, lediglich Placido war mein ganzer Halt. Wäre er nicht, wüsste ich nicht, was ich tun sollte. Ein leises Klopfen unterbrach meine Gedankenwelt.

„Ja?“

Jakob steckte den Kopf herein.

„Placido meinte, ich soll etwas nach dir schauen, weil er gerade mit wichtigen Unterlagen beschäftigt ist.“

Ich nickte und schaute wieder ins Feuer

„… es tut mir leid…, dass du dich ständig um mich kümmern musst…“

Jakob kam ins Zimmer gelaufen.

„Nicht doch, Davide. Das macht mir ehrlich nichts aus und jeder hat mal eine schlechte Zeit. Das ging mir nicht anders und ich war froh, dass jemand da war, mich auffing, so wie meine Großmutter und Placido. Wenn ich nur etwas helfen kann, damit es dir etwas besser geht, dann freut mich das schon!“

„… danke.“

„Nicht dafür!“, meinte er, klopfte mir dabei sanft auf den Rücken und verließ anschließend wie das Zimmer.

Ja, Placido hatte mich aufgefangen, er hatte mir versprochen, immer für mich da zu sein, mich nie alleine zu lassen. Er hatte sein Versprechen gehalten und mich so gut unterstützt, wie er konnte.

Ich legte den Kopf schräg und spürte, wie Tränen sich langsam ihren Weg über mein Gesicht bahnten. Eigentlich sollte ich glücklich sein, dass ich so einen Mann gefunden hatte, oder er mich.

Die vielen glücklichen Momente, die ich mit Placido bis jetzt verleben durfte, zogen in meinen Gedanken vorbei. Ich begann zu träumen und merkte erst gar nicht, dass mir jemand durch die Haare streichelte.

Langsam schaute ich auf und schaute ins Gesicht meiner Mutter.

„Mama…?“

„Hallo mein Junge…“

Sie setzte sich auf die Lehne meines Sessels und zog mich in ihre Arme.

„Es tut mir leid, Davide, dass du es so erfahren musstest. Aber ich versichere dir hoch und heilig, was dein Vater gesagt hat, ist nicht war.“

Ich war keines Wortes fähig und nickte nur.

„Ich habe Emiliano damals kennen gelernt, als ich bei Onkel Pablo arbeitete. Er war ein netter junger Mann, der täglich kam und frisches Obst kaufte. Er ließ sich immer nur von mir bedienen und flirtete heftig.“

Ich hörte ihr einfach zu und sagte nichts.

„Irgendwie war es schön, denn ich hatte zu dieser Zeit eigentlich nichts zu lachen. Drei Kinder zu Hause und einen Mann, der mehr Zeit am Weinberg verbrachte, als sich um die Familie zu kümmern. Dann waren da noch deine Großeltern, die mir ständig in den Ohren lagen, doch mehr und schneller zu arbeiten.“

Das wusste ich nicht, von meinen Großeltern hatte ich nie viel mitbekommen, denn irgendwie mieden sie uns Kinder. Als sie starben, änderte sich für uns Kinder nichts, da wir sie eh sehr selten zu Gesicht bekamen.

„Da war Emiliano eine richtige Abwechslung. Doch schnell merkte ich, dass mir das eigentlich nicht gut tat. Denn ich fing plötzlich davon an zu träumen, was in meinem Leben hätte besser laufen können. Ich redete mit Onkel Pablo, ob er mich vielleicht für eine Weile woanders einsetzten könnte. So verschwand ich aus dem Laden und verräumte Obst und Gemüse ins Lager. Natürlich fragte Emiliano nach mir, aber Onkel Pablo blockte ihn für mich ab und ich habe ihn nicht wieder gesehen. Woher er meine Adresse hatte, das weiß ich bis heute nicht. Ich habe die Brief gelesen, aber nie beantwortet. Irgendwann hörte es auf und ich habe von Emiliano nie wieder etwas gehört, auch war er nicht mehr im Laden erschienen. Als nach neun Monaten du auf die Welt kamst, brachte plötzlich meine Schwiegermutter auf, dass dieses Kind, du, wohl nicht von deinem Vater sein kann.“

„War Schwiegermutter wirklich so schlimm?“

„Schlimmer! Sie mischte sich in alles und ließ mich deutlich spüren, dass sie mich nicht leiden konnte.“

„Also hat Großmutter, Vater gegen dich aufgehetzt.“

„So gesehen ja, aber es machte mir nichts aus, nur eins tat weh, dass dein Vater ihr mehr glaubte, als mir und das bis zum heutigen Tag.“

Ich schmiegte meinen Kopf mehr an sie.

„Lass dir nie einreden, dass du nicht zur Familie gehörst, dass sind Hirngespinste deines Vater, mehr nicht.“

Ich nickte. Die Tür ging auf und Jakob kam herein. Er brachte meiner Mutter einen Kaffee.

„Danke Jakob. Sag den anderen, sie können ruhig herein kommen und müssen nicht draußen vor der Tür stehen.“

Jakob lächelte und verließ uns. Seine Stimme war kurz zu hören und wenig später füllte sich unser Wohnraum. Dana und Letizia tauchten auf und ließen sich auf den anderen großen Couch nieder, während Placido sich mir gegenüber in den anderen Sessel setzte.

„Ist Emilio nicht mitgekommen?“, fragte ich.

„Nein, der ist bei Vater und versucht ihm ins Gewissen zu reden, aber ich denke das ist verlorene Liebesmüh“, antwortete Dana.

„Stimmt, was ich die letzten Jahre nicht fertig gebracht habe, wird er nicht an einem Mittag schaffen“, fügte Mama hinzu.

„Du hast also nie wieder etwas von Emiliano gehört?“, fragte Dana, Mama.

Sie schienen sich also im Vorfeld ebenso unterhalten zu haben.

„Doch, jemand trug mir zu, dass er angeblich nach Amerika ausgewandert sei, aber dies war hören sagen und es interessierte mich schlichtweg nicht.“

„Und warum hast du dann die Briefe aufgehoben?“, wollte ich nun wissen.

„Sehnsucht…, Träumereien…, Sentimentalität, such dir etwas aus. Ich hatte die Briefe schon lange vergessen.“

„Was würdest du machen, wenn er heute vor dir stehen würde?“, fragte Placido neugierig.

Mama grinste.

„Ich würde zumindest mit ihm ausgehen, aber mehr eh nicht, ich bin einfach zu alt für solche Sachen.“

Ein Grinsen ging durch die Runde. Die Tür ging auf und Jakob trat erneut ein. Dieses Mal servierte er Dana, Letizia und Placido einen Kaffee.

„Hoffentlich macht bald das Café unten auf, dann braucht ich nicht mehr so viel hin und her zu laufen.“

Lächelnd schaute ich ihn an.

„Habt ihr eigentlich schon jemand, der unten bedienen soll?“, fragte Letizia.

„Placido denkt, es wäre besser erst sich jemand bewerben zu lassen, wenn die Räumlichkeiten unten fertig sind“, antwortete ich.

„Ja“, kam es von Placido, „die sollen ruhig sehen, was für eine Arbeit auf sie zu kommt, denn ich denke, das Café wird nicht leer bleiben.“

„Und woher bezieht ihr eure Kuchen und das Gebäck?“

„Davide hat in der Nähe eine kleine Bäckerei entdeckt, ein Familienbetrieb. Der Vater wollte den Laden schon aufgeben, weil sein Sohn zu einer Großbäckerei am Rande der Stadt wechseln wollte, aber mit so einem Auftrag wie von uns, entschloss sich der Sohn zu bleiben.“

Ich schaute auf die Uhr.

„Ihr habt sogar Glück, Davide hat ausgemacht, dass ein paar Proben heute Mittag vorbei gebracht werden.“

Wie auf Kommando ging die Tür auf und Jakob kam herein.

„Der Bäcker war da und hat diesen Karton da gelassen.“

„Danke Jakob. Hol dir doch einen Kaffee und setz dich zu uns“, meinte Placido und stand auf, „und bring ein paar Teller und kleine Gabeln mit. Mal sehen, was er uns Leckeres geschickt hat…“

Er zog vorsichtig den Deckel herunter und sofort machte sich ein unwiderstehlicher süßer Geruch im Zimmer breit. Verschiedene Kuchenstücke und Gebäck konnte ich entdecken. Placido zog eine kleine Schüssel Tiramisu heraus.

„Ist das eine Cassata?“, wollte Letizia wissen.

Jakob kam zurück mit einer Tasse Kaffee und einen kleinen Stapel Teller.

„Boah, hier riecht es wie in einem Café, richtig lecker“, merkte er an und lief zu Placido, „und was ist das alles?“

Letizia nahm ihm die Teller ab.

„Also ich möchte bitte von der Cassata probieren…, meine absolute Lieblingstorte.“

„Was ist da drin?“, fragte Jakob.

„Biskuitteig, eine Mischung aus Ricotta und Zuckersirup sowie kandierte Früchte und Sahne, eine richtige Kalorienbombe“, meinte Mama.

„Egal“, sagte Letizia und schob ein Stück auf den Teller.

„Maria, was möchtest du haben?“, wollte Placido wissen.

„Etwas von dem Mandelgebäck…“

Ich setzte mich nun auf die Lehne und zog Mama in den Sessel.

„Danke“, meinte sie und lächelte mich an.

„Boah, dafür könnte ich töten“, kam es von Letizia und schob sich einen weiteren Löffel von der Torte hinein.“

Dana neben ihr lachte.

„Hallo, wo seid ihr denn alle?“, hörte man eine Stimme im Flur draußen rufen.

 

 

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2 Kommentare

  1. Überraschende Auflösung
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    • Lissi auf 6. Dezember 2017 bei 16:23
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    Hallo pit. Herzlichen Dank für die tolle Geschichte zum Advent. Jeden Tag etwas auf das man sich freuen kann. Gruß lissi

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