16. Türchen – No one else II

Bewundernswert, dass die Carabinieri so schnell vor Ort waren. Auch die Spurensicherung war schon tätig. Ich wusste nicht, wen Placido alles angerufen hatte. Mittlerweile stand auch Jakob bei uns, der eben heim gekommen war.

Hinein getraut hatten wir uns nicht, sonst hätten wir durch dieses rote Zeugs laufen müssen. Irgendwer hatte sich bereits geäußert, dass es kein Menschenblut sei, was mich in keinster Weise beruhigte.

Placido war ans Auto gegangen und hatte eine Decke geholt, in die ich jetzt gehüllt war. Obwohl mir nicht kalt war, zitterte ich am ganzen Körper. Mein Blick wanderte über Hof, das nun voll mit Fahrzeugen stand.

Irgendwo her hörte ich jemand meinen Namen rufen. Ich schaute mich um und sah schließlich Letizia an der Hofeinfahrt stehen, die von zwei Carabinieri zurückgehalten wurde.

„Jakob, pass mir auf Davide auf“, meinte Placido, der wohl Letizia auch bemerkt hatte.

Jakob nickte und legte seinen Arm um mich. Ich schaute Placido hinterher, wie er mit den zwei Uniformierten sprach und schließlich mit Letizia zurück kehrte. Die beiden waren schwer am diskutieren, als sie bei mir ankamen.

„Es tut mir leid, Placido, dass ich so über deinen Kopf weg bestimmt habe, aber die Sicherheit Davides geht vor.“

„Du hast ja recht!“

Über was redeten die beiden?

„Hallo Davide!“, meinte sie und nahm mich in den Arm, nachdem mich Jakob wieder los gelassen hatte.

Hi Letizia, wer hätte gedacht, dass wir uns so schnell wieder sehen, du solltest hier her ziehen“, lächelte ich gequält, weil ich für Witze eigentlich gerade nicht aufgelegt war.

„Nein, meine Wohnung hergeben? Niemals!“, lächelte sie.

Sie schaute sich kurz um.

„Müsst ihr hier bleiben?“, fragte sie.

Ich schaute Placido an.

„Ich weiß es nicht…“

„Geht schon, ich bin ja auch noch da“, meinte Jakob und lächelte mich an, „wenn die etwas wollen, könne sie euch auch morgen noch fragen.“

„Danke“, meinte ich zu ihm und klopfte ihm auf die Schulter.

„Gerne doch.“

„So dann verfrachtest du deinen Davide ins Auto und draußen folgt ihr mir“, kam es von Letizia.

Placido nickte und schob mich bereits Richtung Auto.

„Danke“, flüsterte ich ihr zu.

*-*-*

„Schön hast du es hier!“, sagte Placido, als wir an der Garderobe ablegten.

„Und Davide meint, so eine Wohnung soll ich aufgeben!“

„Da gebe ich dir vollkommen Recht!“, meinte Placido.

Seit Jahren wohnte Letizia in diesem Viertel von Florenz und war durch Zufall an dieses kleine Schmuckstück, hoch oben über den Dächern der Medicistadt gelangt. Ein großes Wohnzimmer mit kleiner Küchennische, ein Schlafzimmer und Bad, für Letizia völlig ausreichend.

Was sie wohl gemacht hätte, wenn die mit Emilio zusammen geblieben wäre? Da war er wieder, der Gedanke, Emilio mein Bruder. Das Bild mit der blutverschmierten Staffel vor Placidos Familienhaus kam mir wieder in den Sinn.

Es schauderte mir leicht, aber bevor der Gedanke vollends Besitz von mir na, meldete sich Placido zu Wort.

„Was ist das für eine Tür?“

Das ist die Dachterrasse“, antwortete Letizia, lief an Placido vorbei und betätigte einen Schalter.

Sofort flammten auf der Terrasse viele kleine Lichter auf.

„Hast du noch die Weihnachtsbeleuchtung hängen?“, wollte Placido wissen.

„Nein…, das hängt das ganze Jahr über“, meinte ich lächelnd.

„Ja, irgendwann hatte ich keine Zeit, das ganze Zeugs abzuhängen und seit dem hängt es da draußen. Auch im Sommer kann das sehr romantisch wirken“, erklärte Letizia.

Placido öffnete die Tür und lief nach draußen.

„Alles klar mit dir?“

Ich wollte ja sagen, aber mein Kopf schüttelte sie irgendwie automatisch. Sie legte ihre Hand auf meinem Arm.

„Es tut mir so leid, Davide. Ich hätte nie und nimmer, dies bei Emilio erwartet.“

„Wer hat das schon?“, meinte ich kraftlos.

Niemals wäre ich auf den Gedanken  gekommen, dass das mit Emilio so ausartet. Keiner in der Familie hätte das. Wenn ich dran dachte, wie viele lustige Abende folgten, nach dem wir uns wieder zusammen gerauft hatten, fragte ich mich, was davon alles gespielt war und was echt.

Letizia lief zur ihrer Küchenische,  schaltete den Wasserkocher ein und holte Tassen aus dem Hängeregal.

„Du musst dich nicht entschuldigen Letizia, für meinen Bruder kann keiner was, es ist der alleinig Schuldige!“, meinte ich und folgte ihr.

Sie hielt in ihrer Bewegung inne und drehte ihren Kopf u mir.

„Irgendwie kann ich dir nach fühlen, wie du leidest, Davide. Ich habe zugelassen, dass ich mich in diesen Mann verliebe, meinen Gefühlen freien Lauf gelassen.“

Für sie musste es auch schrecklich sein, dachte ich für mich.

„Und das ist etwas, was ich schon wieder bereue“, sprach sie und befüllte jeden Becher mit einem Teebeutel.

„Bisher war ich immer gut damit gefahren, hier ein wenig Flirten, da etwas flirten, aber mich so richtig in jemand verlieben, das wollte ich nie.“

„Kann man so etwas überhaupt voraus bestimmen, in wen man sich verliebt?“, hörte ich es hinter mir Placido fragen.

Letizia zuckte mit den Schultern.

„Wenn du dich dagegen wehrst, dann hast du sie bereits zugelassen!“

Damit hatte Placido recht.

„Was hast du nur an diesem Typ gefunden?“

„Du redest von meinem Bruder…“, sagte ich.

Placido nickte.

„Um ehrlich zu sein, ich kann das nicht mal sagen, es ist einfach passiert. Vielleicht habe ich euch zu viel gesehen“, lächelte Letizia, „und wollte auch jemand zum kuscheln und schmusen.“

„Ach jetzt sind wir noch Schuld?“, fragte ich empört gespielt.

Das plötzlich wilde Geklopfe gegen die Wohnungstür, ließ mich zusammen fahren. Ängstlich schaute ich zu Placido, der mich  mit seinen Händen zur Ruhe zu beschwichtigen versuchte. Letizia rannte an mir vorbei, zu ihrer Wohnungstür.

„WER IST DA?“, schrie sie laut.

„Lass mich sofort hinein, ich weiß dass er bei dir ist!“

Das war eindeutig Emilios Stimme.

„Verschwinde, oder ich ruf die Carabinieri!“

„Ruf sie doch, die kann diesen Abschaum in deiner Wohnung, gleich mitnehmen!“

Das versetzte mir ein neuerlicher Stich ins Herz. Warum sagte mein eigener Bruder so etwas? Was hatte man ihm angetan, dass er so denken musste?

„Den einzigen Abschaum den ich kenne, der steht vor meiner Tür!“

„Ich, du bist doch wohl verrückt!“

Placido holte sein Handy heraus, tippte kurz eine Nummer und war wohl wenig später mit den Carabinieris verbunden. Er gab durch, dass der Verdächtige vor der Wohnungstüre wäre und wie wild gegen die Wohnungstür klopfte und kaum hatte dies Placido erzählt, wiederholte Emilio diese Aktion und ich wich noch mehr zurück.

Placido gab die Adresse durch, während man draußen Emilio wutentbrannt schreien hörte. Ob das die Wohnungstür lange aushielt? Letizia wehrte sich lautstark, er solle doch endlich verschwinden, dass sie nichts mehr von ihm wissen wolle und die Carabinieri bereits auf dem Weg wären.

Er machte weitere Schuldzuweisungen meiner Seite, dass ich nun auch seine große Liebe auf dem Gewissen hätte. Letizia schrie ihm entgegen, dass er doch gar nicht wüsste, was Liebe sei.

Von irgendwo her konnte man das Geheule der Polizeiwägen hören und auf einmal verstummte es vor der Tür.

„Ist er weg?“, fragte Placido.

„Weiß nicht“, antwortete ihm Letizia und ging dichter an die Wohnungstür heran, um zu lauschen.

Die Sirenen kamen tatsächlich näher und wurden immer lauter. Erst jetzt kam mir der Gedanke, dass sich Emilio nie ganz von Placidos Haus entfernt haben konnte, sonst wüsste er ja nicht, dass wir hier waren.

Ich lief hinaus und sah zur Straße hinunter, sah wie ein Schatten die Straße hinunter rannte, während von der anderen Seite, bereits der erste Wagen in die Straße bog. Mit quietschenden Reifen kam er vor unserem zum Stehen und zwei Uniformierte Männer sprangen heraus.

Ein weitere Wagen kam angeheizt Es klingelte an der Wohnungstür und Letizia drückte gerade den Öffner, als ich die Wohnung wieder betrat. Wenige Minuten später, betrat bereits der erste Carabinieri die Wohnung.

Aussagen wurden kurz aufgenommen und versichert, dass unten zwei Beamte bleiben würden, denn sonst konnte man nichts weiter machen, denn es war ja bereits Dunkel und man könne nicht mehr machen.

Deprimiert ließ ich mich auf einen Stuhl sinken, denn ich bekam das ganze Aufgebot nur noch am Rande mit. Wenige Augenblicke später war der Spuk schon wieder zu Ende.

„Was machen wir jetzt?“, fragte ich.

„Wieso, was willst du denn machen?“, kam es von Letizia, die das Wasser erneut aufheizen ließ.

Verzweifelt schaute ich Placido an, der darauf tief durchatmete.

„Letizia, schalte den Wasserkocher aus und pack ein paar Sachen zusammen, denn du bleibst mir hier nicht alleine.“

„Ehrlich gesagt, will ich das auch nicht“, meinte sie und folgte seinen Anweisungen.

Er kam zu mir und umarmte mich notdürftig auf dem Stuhl. Da plötzlich Placidos Handy Laut von sich gab, fuhr ich erneut zusammen. Placido zog meinen Kopf am Kinn hoch und gab mir einen Kuss.

Danach lächelte er aufmunternd und nahm das Gespräch entgegen. Letizia, die in Windeseile eine Tasche gepackt hatte kam zurück.

„Wer ist das?“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Ja, in Ordnung, wie sind in einer viertel Stunde bei euch!“, sagte Placido und drückte das Gespräch weg.

„Das war Jakob. Dana und Emiliano sitzen bei uns zu Hause und hätten etwas Wichtiges für uns“, meinte Placido und kam wieder zu mir.

Er zog mich vom Stuhl herunter und machte sich an meiner Kleidung zu schaffen.

„Schatz, ganz ruhig, wir schaffen das!“, meinte er im ruhigen Ton.

Dies bezog sich wohl auf mein unkontrolliertes Zittern.

*-*-*

Im Wohnzimmer war es ungewöhnlich laut, als ich meine Augen öffnete. Wie ich in unser Schlafzimmer gekommen war, dass wusste ich nicht. Mühsam richtete ich mich auf und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen.

Aber so richtig wollte das nicht gelingen. Nun stellte ich auch fest, dass ich meinen Jogginganzug anhatte. Ich schlüpfte in meine Schlappen und stand auf. Durch Zimmer schlurfend, wollte ich zu den anderen.

Ich zog die Tür auf und Emilio stand direkt vor mir. Ich schrie auf.

Plötzlich saß ich in meinem Bett und stellte fest, dass ich das anscheinend gerade geträumt hatte. Die Tür wurde aufgerissen und Placido kam herein gestürmt.

„Schatz was ist?“, rief er mir entgegen.

Aufgewühlt und schwer atmend, liefen mir die ersten Tränen über die Wangen.

„…schlecht geträumt“, brachte ich über die Lippen.

„Oh Schatz…!“

Placido setzte sich zu mir ans Bett und nahm mich in die Arme. Langsam beruhigte sich meine Atmung wieder.

„Schatz wie kann ich dir nur helfen…?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete ich und drückte ihn sanft von mir weg.

„Wie bin ich hier her gekommen?“, wollte ich wissen.

„Du bist im Auto, auf der Fahrt hier her einfach eingeschlafen und als ich dich, hier angekommen, nicht richtig wach bekam, habe ich dich hochgetragen.“

Ich grinste schief, weil dies ein Bild für Götter gewesen sein musste.

„Ich habe dir auch deine Klamotten ausgezogen und durch den Jogging ausgetauscht, denn du hast immer noch gezittert.“

Das tat ich jetzt noch, oder wieder.

„Willst du aufstehen und mit rüber kommen?“

Ich nickte.

„Komm, ich helf dir auf“, meinte Placido und zog mich wieder zärtlich zu sich.

Er hauchte mir ein Kuss auf die Stirn. Wenig später betrat ich mit ihm das Wohnzimmer. Letizia saß bei Mama und Dana, während Emiliano und Jakob an der Küchentheke standen und irgendetwas vorbereiteten. Was tat Mama hier?

„Hallo…“, meinte ich alle Köpfe drehte sich zu mir.

Placido führte mich zu meiner Mutter und ließ mich neben ihr niedersitzen.

„Wie geht es dir, mein Junge“, fragte sie.

„Warum bist du hier?“, stellte ich eine Gegenfrage.

„Ich bin mit Dana gekommen, nachdem sie mich unterrichtet hat, was alles geschehen ist.“

Dana nickte mir zu und Letizia daneben lächelte.

„Geht es dir nach dem Schlaf wenigstens etwas besser?“ fragte Letizia.

Da ich nicht wusste, wie das vorhin sich angefühlt hatte, wusste ich nicht, was ich antworten sollte.

„Ja“, log ich.

„Sorry, ich hab mir nur Sorgen gemacht, wie du da vorhin leicht weggetreten auf Placidos Arm lagst.“

Ich winkte ab. Placido kam zurück mit einer Tasse, wohlriechenden Tee und reichte sie mir.

„Trink, das wird dir gut tun.“

Unsicher lächelte ich ihn an und nahm den Tee entgegen.

„Wie lange habe ich denn geschlafen?“

Letizia schaute auf ihre Uhr.

„So etwa eine Stunde“, gab sie zur Antwort.

„Und ihr seid schon die ganze Zeit hier?“, fragte ich Mama.

„Ja, der Jakob war so freundlich und hat uns herein gelassen. Ein wirklich netter und freundlich junger Mann. Sein Italienisch ist vielleicht noch etwas Verbesserungswürdig!“

Ich lächelte und sah zu Placido hinüber, der bei den beiden Männern stand.

„Emiliano hat übrigens neue Mittelungen von den Staaten bekommen.

„Von Ethan?“

Sie nickte.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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3 Kommentare

    • Claus auf 16. Dezember 2017 bei 07:24
    • Antworten

    Hallo Pit,

    das ist diesmal ein richtiger Krimi…
    wie das mit Emilio endet?

    wunderbar geschrieben, bis auf diese Cliffhänger 😉

    Viele Grüße Claus

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    1. Hallo Claus
      Was steigert mehr die Spannung als ein Krimi? Um ehrlich zu sein, wie immer beim Schreiben, entwickeln die Akteure meiner Geschichte ihr Eigenleben und machen das was sie wollen. Was Anfangs von mir als schöne Liebesgeschichte in nachfolge von Weihnachten geplant war, entwickelte sich langsam zum… du ließt es ja selbst. Noch viel Spass beim lesen!!! gruß Pit
      Ps: Ich weiß selbst noch nicht, wie es ausgeht, das Ende ist noch nicht geschrieben!! 🙂 Ideen?

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        • Andi auf 16. Dezember 2017 bei 19:42
        • Antworten

        Da stimme ich dir zu Pit.
        Hm interessant, dass das Ende noch nicht geschrieben ist. Hauptsache, es ist ein schönes Ende.

        VlG Andi

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