Fotostudio Plange – Teil 7 – Marvins Burzeltach

Marvins Burzeltach

Wie jemand von euch richtig geschrieben hat, es ging wieder bergauf mit Marvin. Dank Antibiotika ging es ihm körperlich schon bald wieder besser, seelisch wanderte er immer noch im Tal der Tränen. Er wirkte lethargisch, hatte zu nichts Lust, war zu nichts zu gebrauchen. Seine Geburtstagsfete sagte er ab, er wollte niemanden sehen. Alle Versuche, ihn aufzumuntern, scheiterten. Ich machte mir echt Sorgen.

Ausgerechnet für das kommende Wochenende hatte ich einen auswärtigen Termin angenommen. Ich sollte erst den Polterabend und dann die anschließende Hochzeit irgendeines Neureichen fotografisch betreuen. Ich rief Henrik van der Ispen, den Hochzeitsplaner, an, und fragte ihn, ob es möglich wäre, aus meinem gebuchten Einzel auf eigene Kosten ein Doppelzimmer zu machen, ich wollte Marvin einfach nicht alleine lassen. Was macht Henrik, diese Obertucke? Fragt mich, ob ich noch alle Tassen im Schrank hätte, die Hochzeit wäre eh im sechsstelligen Bereich, also würde es auf die paar Kröten zusätzlich nun wirklich nicht mehr ankommen. Ich würde halt mit Assistenten anreisen, so einfach! Wir fuhren also am Freitag auf den Petersberg bei Bonn. Das ehemalige Gästehaus der Bundesregierung ist heute ein ganz normales Hotel, allerdings eine Herberge der exklusiveren Art. Wir kamen spätnachmittags an. Während Marvin das Gepäck und die Ausrüstung ins Zimmer brachte, hatte ich mit Henrik eine Besprechung bezüglich meiner genauen Aufgaben an diesem Wochenende. Denn außer der Information, dass ich Aufnahmen für eine Art Hochzeitsalbum machen sollte, das später in gedruckter Form als Geschenk an die Gäste verschickt werden sollte, wusste ich nicht viel von den Plänen, die er hatte.

„Das Album soll also gedruckt werden? Die Portraits der Gäste und ein Spruch dazu? Das Bild des Brautpaares halbtransparent im Hintergrund?“

„Ja!“

Ich überlegte. „Mir kommt da gerade so eine Idee! Was hältst du davon, wenn man anstelle des Brautpaares Schnappschüsse von der jeweiligen Feier nimmt? Die Kosten für den Druck bleiben gleich, egal welchen Hintergrund man verwendet.“

Henrik kratzte sich am Kinn. „Stefan! Die Idee ist gut, sehr gut sogar! Sie hätte glatt von mir sein können. Aber wer macht die Schnappschüsse? Du etwa?“

„Nein, ich nicht! Das wird Marvin machen!“

„Dein Neffe?“

„Ja! Ich gebe ihm gleich eine Digitalkamera und den Auftrag, sich unter das Volk zu mischen und Aufnahmen aus allen möglichen und unmöglichen Position zu machen. Das wirkt natürlicher! Wenn ich das machen würde, nachdem ich die Herrschaften vorher offiziell abgeschossen habe, setzen sie sich extra in Positur, wenn sie mich sehen. Die denken dann, da kommt der offizielle Fotograf, ich muss ein gutes Bild abgeben!“

„Stimmt! Daran hatte ich gar nicht gedacht, du hast Recht! Dann sagt deinen Neffen, er kann sich an diesem Wochenende einen Tausender verdienen, wenn er gute Schnappschüsse macht!“

„Das werde ich ihm bestimmt nicht sagen! Ich will, dass er abgelenkt ist, nicht an seinen scheiß Ex denkt und das, was der ihm angetan hat. Er soll es als Spaß verstehen, nicht als Arbeit! Wenn er wüsste, es gibt Kohle dafür, würde er nicht unbefangen an die Sache herangehen. Aber das Honorar nehme ich gerne für ihn in Empfang!“ Kinder sind unheimlich teuer!

„Mach was du willst! Du bist der Experte in Sachen Kindererziehung!“

Auf unserem Zimmer angekommen, fand ich Marvin auf dem Bett liegend vor. Er war wieder einmal niedergeschlagen, zu keine Regung fähig, wie so oft in letzter Zeit. Ich fasste ihn an seiner Schulter, spürte seine Wärme, sein Zittern, seine Unsicherheit. „Marv, ich brauche am Wochenende deine Hilfe!“

„Wie kann ich dir denn eine Hilfe sein?“

Ich erklärte ihm, was er machen sollte, nämlich Schnappschüsse als Hintergrundaufnahmen für das Hochzeitsalbum, das Henrik plante. Er nickte, denn er konnte die psychologische Wirkung des Mannes hinter der Kamera nachvollziehen. „Alles klar! Das werde ich wohl noch hinkriegen!“

Um halb zwölf gab er mir die Kamera und zwei volle Speicherchips wieder. „Hier! Sind fast 300 Aufnahmen. Soll ich noch mehr, oder darf ich …“

„Was?“

„Mich mit Gero unterhalten? Er ist ein Neffe der Braut und auch Wasserballer!“ Er deutete auf einen stupsnasigen Typen, blond, ziemlich jung, Nickelbrille. Besagter Gero stand am Eingang des Saales, wirkte irgendwie verloren und starrte verunsichert in unsere Richtung.

„Kein Thema! Aber mach nicht mehr all zu lange ich, wir müssen um spätestens zehn im Standesamt sein und aufbauen. Die Trauung im Rathaus beginnt um elf! Während dann alle anderen beim Essen sind, richten wir uns hier in der Kapelle ein. Danach ist für uns erst Pause! Vorher leider nicht!“

„Alles klar! Stunde noch! Du Steff, …“

„Ja?“

„Danke für die Ablenkung! Hab dich lieb!“

„Ich dich auch!“

Ich ging auf unser Zimmer und überspielte den Inhalt der Chips auf meinen Laptop, die letzten 30 Bilder zeigten Gero in allen erdenklichen Lagen. Ich grinste und legte mich zufrieden ins Bett. Marvin hatte anscheinend (s)eine Ablehnung gefunden.

Um kurz vor sieben wurde ich durch Geräusche im Badezimmer wach. Ich rieb mir die Augen und sah Marvin, wie er nur in seiner Boxershort zurück ins Zimmer kam. Er blickte mich an. „Sorry, ich wollte dich nicht wecken.“

„Nicht schlimm, in einer Viertelstunde hätte sowieso der Wecker gerappelt. Aber warum bist du denn schon so aktiv am frühen morgen?“

„Gero und ich wollen vor dem Frühstück noch schwimmen gehen.“ Er grinste und trat an den Kleiderschrank.

„Solange es beim Schwimmen bleibt, wünsche ich dir viel Spaß.“

Erstaunt schaute er mich an. „Was du schon wieder hast! Außerdem bin ich ja wieder gesund. Beim Pinkeln hab ich keine Schmerzen mehr und auch der morgendliche Tropfen ist nicht mehr dar!“ Er kam auf mich zu und wie zum Beweis zog er seine Boxer runter und seine Vorhaut zurück. „Wenn du mal sehen willst!“

Ich nahm sein Teil in die Hand, tatsächlich waren keine äußerlichen Anzeichen mehr sichtbar! „Sieht ja zum Anbeißen aus, aber du weißt, was Doktor Borgmann gesagt hat: keine sexuellen Aktivitäten bis zum Abschluss der Behandlung und die endet erst am Mittwoch. Wenn er dir dann sein OK gibt, dann kannst du deinen Samen wieder überall verteilen, aber bis dahin musst du leider enthaltsam bleiben! Auch wenn man nichts mehr sieht, du kannst den Mist noch im Körper haben und andere anstecken. Aber wenn du das willst, …“

„Nein! Das will ich nicht. Aber wieso kannst du mich dann anpacken und anderen dürfen das nicht?“

„Weil ich diese lustigen Pillen ebenfalls schlucke, du hast doch das Kapitel über den Ping-Pong-Effekt gelesen, oder ist er dir wieder entfallen? Wir sind zwar kein Liebespaar, leben aber doch ziemlich eng zusammen.“

Er schaute ziemlich bedrückt drein. „Aber was soll ich machen, wenn er doch mehr will …“

„Standhaft bleiben! Im Moment geht das nicht anders, auch wenn das sehr, sehr schwer für dich ist. Aber hier und heute bringt das eh nicht viel, er ist zum Vergnügen hier, wir zum arbeiten! Wenn ihm was an dir liegt, wird er das verstehen! Lad ihn doch nächstes Wochenende ein! Zu deiner Fete!“

„Ich feier doch nicht! Und wie sieht das aus? Intime Feier zu Zweit zu meinem Geburtstag, Poppen inklusive! Ich bin doch kein lüsternes Sexmonster!“

„Deine Entscheidung! Aber von mir aus kann er gerne kommen, äh, erscheinen. Ob er kommen wird, überlass ich dann dir. Aber wenn er dich besucht, solltest du nicht ganz so offenherzig rumlaufen, mein Engel, sonst könnte er dich doch für ein Sexmonster halten!“

Er hatte die Hose immer noch in den Kniekehlen. Kann der Kleine hübsch rot werden.

Der Rest des Tages war Arbeit pur. Das Standesamt war eine einfache Aufgabe, auch die offiziellen Hochzeitsbilder konnten, Dank des schönen Wetters, im Freien gemacht werden. Während sich die Hochzeitsgesellschaft nun zurückzog, um etwas Ruhe zu tanken, wollte ich mit Marvin eigentlich die Kapelle, die zum Hotel gehört, ausleuchten. Aber der Schlüssel war verschwunden und musste erst aufwendig gesucht werden. Wie sich hinterher herausstellte, hatten die Floristen, die für den Blumenschmuck in dem kleinen Gotteshaus verantwortlich zeichneten, ihn schlicht und ergreifend eingesteckt und vergessen, ihn beim Portier wieder abzugeben. Die Trauung startete daher mit einer viertelstündigen Verspätung. Auch das Gruppenbild nach der Zeremonie dauerte länger als ursprünglich geplant, die Damen und Herren wollten einfach nicht stillstehen. Eine Klasse von sechsjährigen Grundschulkindern ist einfacher zu bändigen als die anwesenden Mitglieder des Geldadels. Die Geladenen zogen zum Sektempfang in den Park der Hotelanlage, wir machten kurze Imbisspause, um dann den Einzug des Brautpaares in den Festsaal zu dokumentieren. Nach dem Essen machte ich dann die offiziellen Bilder der Anwesenden, während Marvin wieder auf Schnappschusstour ging. Während er keinerlei Probleme hatte, Bild um Bild in den Speicher zu kriegen, zog es sich bei mir wie Kaugummi. Aus den kalkulierten zwei Stunden wurden mehr als drei. Nur mit Mühe und Not schaffte ich es, die Kamera auf der Aussichtsplattform aufzubauen, denn um Mitternacht sollte das Feuerwerk für das junge Paar in die Luft gehen. Als wir nach der Feuerwerksmusik von Händel die Ausrüstung einpackten, war ich fertig wie 1000 Russen: Kreativität ist anstrengender, als man hinlänglich denkt. Henrik kam pünktlich, als alles verstaut war und lud uns noch zu einem Absacker ein. Obwohl ich eigentlich lieber schlafen wollte, stimmte ich zu, denn das gehört zum guten Ton.

„Na, Marvin, kommen sie noch mit uns Alten mit oder wollen sie sich unter das Jungvolk da drüben mischen?“ Er deutete auf eine Ansammlung jüngerer Gäste, unter ihnen erkannte ich Gero.

„Wenn ich darf, komm ich gerne mit!“

„Natürlich dürfen sie, sonst hätte ich ja nicht gefragt!“ Er drehte sich um und ging in Richtung Festsaal.

Ich wandte mich an den Kleinen. „Kein Chillen mit Gero?“

„Nein! Der Kerl quatscht anscheinend lieber mit der Blonden, die jetzt neben ihm steht! Der Arsch hat mich den ganzen Abend keines Blickes gewürdigt, der kann mich mal! Scheint auch ne totale Hete zu sein!“ Ich grinste und umarmte ihn. Gemeinsam folgten wir Henrik in Richtung Flüssigkeitsaufnahme. Es wurden noch zwei ziemlich lustige Stunden an der Bar.

Nach einem späten Frühstück fuhren wir gemütlich los. Es waren anscheinend doch ein oder zwei Bier zu viel, die der Kleine gestern konsumiert hatte. Er schlief auf dem Beifahrersitz ein, ehe wir die Autobahn erreicht hatten. Die Fahrt verschlief er fast komplett. Irgendwann wurde er wach. „Sind wir schon da?“ Der Standartsatz von kleinen Kindern beim AUtofahren, auch wenn sie fast 17 sind!

„Nein, mein Engel, wir sind gerade von der Autobahn abgefahren. Zehn Minuten noch und du kannst im eigenen Bett schlafen!“

„Hab ich geschnarcht?“

„Nein! Nur die letzen Bäume in der Sahara gefällt. Mehr nicht!“

„Dann geht es ja!“ Anscheinend hatte er seinen Humor wieder gefunden.

„Aber nun sag mir mal, wie du es Samstag machen möchtest? Willst du nun feiern oder nicht?“

„Ich weiß es echt noch nicht! Wenn der Onkel Doktor Entwarnung gibt, dann vielleicht, aber dann wird es wahrscheinlich auch schon zu spät sein, um noch was Vernünftiges auf die Beine zu stellen. Wenn ich weiterhin die Tabletten nehmen muss, macht eine Fete keinen Sinn. Also feier ich nicht, ist zwar schade, aber nicht mehr zu ändern!“

„Das ist dein letztes Wort?“

„Ja!“ Kann die Jugend resolut sein!

„Gut! Aber als schwuler Onkel lasse ich es mir nicht nehmen, mit meinem schwulen Neffen doch an dessen Geburtstag was zu unternehmen! Dann gehen wir zwei Beide halt allein bei Costas essen, wird auch billiger! Keine Widerrede, das ist jetzt beschlossen!“ Auch ich kann energisch sein!

„Aber dann ziehst du dir das kleine Schwarze an!“ Woher konnte er so tuntig sein?

„Natürlich, was dachtest du denn? Aber du trägst dann das rosafarbene Paillettenkleid, my Darling!“ Wir lachten beide.

„Aber rumtucken müssen wir da nicht, oder?“

„Nein, außerdem krieg ich immer Halsschmerzen, wenn ich länger im Falsett sprechen muss. Aber was wünschst du dir eigentlich zum Geburtstag?“ Sein Geschenk hatte ich zwar schon längst organisiert, aber der Auftrag war so gut gelaufen, also konnte man ihm einen Sonderwunsch erfüllen, so er denn einen hätte.

„Eigentlich habe ich ja alles, was ich brauche! Aber da gibt es doch was, was ich gerne hätte und mir nicht selber kaufen kann!“

„Und was kannst du dir mir Geld nicht kaufen?“

„Was ich mir mal von dir ausgeborgt habe! Du weißt schon, was ich meine. Das Teil, das ich im Schreibtisch gefunden hatte!“

„Den Cockring?“

„Ja, genau!“

„Und wieso nicht? Rein in einen Shop und Geld auf den Tisch und mit Ware wieder raus.“

„Da darf ich doch noch nicht rein!“

„Äh, du warst noch nie in einem Sexshop? Wem willst du das denn erzählen? Du siehst doch nicht aus wie ein Milchbubi! Auch wenn du offiziell da noch nicht reindarfst, das ist zwar ein Grund, aber noch lange kein Hindernis! Hatte mich damals auch nicht abgehalten. Ich war mit 16 schon in der Bahnhofsbuchandlung hinter dem Vorhang, wo die einschlägige Literatur steht.“

„Ich ja auch schon!“ Erwischt!

„Und wer sich schon auf Klappen rumtreiben kann, der kann auch in einen Sexshop gehen, oder?“

Er wurde leicht verlegen. „Theoretisch ja, aber praktisch eher nicht!“

„Wie das?“

„Der Laden am Bahnhof ist mir zu schmuddelig. Der Alte, der da bedient, sah aus, als ob er gleich über mich herfallen wollte, als ich da mal drinnen war. Der schwule Shop in der Hamburger Straße hat so unmögliche Öffnungszeiten, dass das von der Zeit her nicht klappt. Bliebe ja noch die Kette in der Augustusstraße, aber da geht es auch nicht! Da arbeitet nämlich die Mutter von Florian und die kennt mich, seit ich sechs bin! Ist in unserem Städtchen ist das leider nicht möglich!“

„Wenn das so ist, dann hast du Recht! Aber was für einen hättest du denn gerne? Leder oder Metall? Schmal oder breit? Nur um den Schwanz oder soll der Sack gleich mit rein?“

„Gibt es denn soviel Auswahl?“

„Ja, für jeden Geschmack etwas! Ich würde sagen, wir schauen gleich mal im Internet nach, was dir am besten gefällt und die Größe müssen wir ja auch wissen! Der Ring soll ja passen und nicht schlackern und abfallen! Aber das eines klar ist! Der wird nicht zur Schule angelegt! Du sollst dich ja konzentrieren!“

Er zog einen Flunsch, wahrscheinlich würde er ihn doch ab und an tragen, aber solange seine Noten im grünen Bereich bleiben würden, sollte es mir egal sein. Er hätte sich auch ja auch was viel Schlimmeres wünschen können! Ob ich einem Piercing oder gar einem Tattoo zugestimmt hätte, weiß ich nicht. Ein Cockring ist doch im Vergleich dazu harmlos!

Am Mittwochmorgen folgte dann der Besuch bei Doktor Borgmann zwecks Kontrolle der Übeltäter. Rüdiger, so heißt der gute Arzt mit Vornamen, rief mich nachmittags im Laden an und gab – Gott sei Dank – die erhoffte Entwarnung. Ärzte arbeiten auch an Mittwochnachmittagen, jedenfalls für Privatpatienten. Mir kam eine Idee! Es wäre eigentlich eine gute Gelegenheit für eine Überraschungsparty für meinen Kleinen. Ihn würde ich über das Ergebnis zwar erst morgen informieren, aber das würde mir einen enormen Zeitvorteil verschaffen. Ich rief zur erst bei Familie Münster an und hatte Clemens am Apparat. „Stefan! Was macht die Kunst? Wie geht es Marvin?“

„Dem geht es wieder besser! Der Arzt hat gerade Entwarnung geben.“

„Jaja, so ein Magen-Darm-Virus kann tückisch sein!“ Das war die offizielle Version, die wir verbreitet hatten.

„Du sagst es, Clemens. Aber eigentlich wollte ich eher mit deinem Sohn sprechen.“

„Und was willst du denn von meinem Kleinen?“

„Benny soll mir helfen, eine Überraschungsparty für Marvin zu organisieren. Der wollte ja wegen der lästigen Angelegenheit keine Leute um sich haben, aber da er nun darf, …“

„Ich verstehe! Dann gib ich dich mal an Benjamin weiter!“

Mit dem Torwart der Wasserballmannschaft besprach ich die Einzelheiten. Er sollte Marvins Mannschaftskameraden über die doch stattfindende Feier informieren, allerdings unter dem Siegel der Verschwiegenheit, den Marvin würde ab morgen wieder am Training teilnehmen. Er versprach sein Bestes zu tun. Ebenso reagierte Florian, der für Schulfreunde verantwortlich zeichnete.

Als Marvin am Donnerstag aus der Schule kam, teilte ich ihm das Ergebnis des Arztes mit. Er war einerseits froh und erleichtert über das positive Resultat, aber auch andererseits etwas geknickt, würde seine Fete doch jetzt ins Wasser fallen. Wegen seiner Unpässlichkeit hätte er jedem gesagt, er würde nicht feiern. Ich versuchte, ihn zu trösten. Aber das größte Problem, das ich dabei hatte, war selbst dabei ernst zu bleiben und den Schein zu wahren.

Am Freitag gab mir Florian die Teilnehmer aus der Schule durch, insgesamt knapp 15 Leute. Die Musik würde ein Jan übernehmen, der würde seine eigene Anlage mitbringen. Treffpunkt wäre um viertel vor acht bei ihm, man wolle dann zu uns zu Fuß gehen. Benjamin besuchte mich im Laden, die gesamte Mannschaft samt Trainer würde kommen. Igor würde das Grillen übernehmen und ein gewisser Jonas, Sohn eines Bäckers, würde für das Stangenbrot sorgen. Ich bräuchte also nur noch einen Eimer Krautsalat und die Fete können steigen. Den Tisch bei Costas hatte ich um 19 Uhr bestellt, das Essen würde knapp anderthalb Stunden dauern. Die Jungs sollten sich um 8 Uhr bei uns treffen, ihre Fahrräder, so sie denn mit dem Drahtesel kommen würden, verstecken, und bei den Vorbereitungen helfen. Snacks und Knabbereien würden im Partykeller stehen, alles andere würde ich auf die zwei Kühlschränke verteilen. Indem ich ihm einen Schlüssel zur Haustür und zum Partykeller übergab, übertrug ich ihm die gesamte Verantwortung. Man merkte ihm den Stolz an, denn so einen Vertrauensbeweis hatte er wohl noch nicht erlebt.

Am Freitagnachmittag kam auch ein Paket von einem gewissen Internethändler. Ich hatte – nur allein aus Kostengründen – noch einige andere Kleinigkeiten mitbestellt, um auf die Mindestbestellwert des Onlineversandhauses zu kommen.

Marvin, immer noch ahnungslos, war am Nachmittag zu seiner Oma Karin gefahren, die 65 Bahnkilometer entfernt wohnt (oder besser: residiert!), um sich deren Geschenke abzuholen. Ich holte ihn um kurz nach eins vom Bahnhof ab. Wieder daheim tranken wir ein Glas Sekt und ich überreichte ihm das erste Geschenk, seinen eigenen Cockring. Wie gewünscht aus Leder! Es war das gleiche Modell wie meiner, den er sich schon mal ausgeliehen hatte.

Beim gemeinsamen Frühstück lag ein zweites Päckchen auf seinem Teller. „Was ist denn das?“

„Pack es aus, dann wirst du es sehen!“

Er tat, wie ihm geheißen und machte ziemlich große Augen, denn in dem Karton befand sich ein ca. 12 cm langes und knapp 2 cm breites, sich am Ende wieder verjüngendes dunkelgrünes Weichgummiteil. Kein Wackel-Dackel in Kleinformat! „Was ist denn das?“

„Nachdem du schon was für die Stimulation vorne bekommen hast, dachte ich, dein Hinterteil sollte nicht zu kurz kommen. Das ist ein Plugg, eine Art Verschluss. Den steckst du dir hinten rein und du wirst, wenn du damit gehst, nur noch schweben!“ Der Kleine wurde rot. Wie süß!

Der Tag verging und wir fuhren zu unserem Griechen. Marvin brauchte im Bad einige Zeit länger als sonst üblich. Er hatte seine bisherigen Geschenke mit in den gekachelten Raum genommen. Also kann man sich ja denken, was er damit gemacht hatte.

Sein Platz im Restaurant war besonders geschmückt, ich hatte Costas vorher über seinen Geburtstag informiert. Nach dem Sekt auf das Haus erfolgte die Bestellung: einmal Rhodos-Platte für ihn, einmal Athen für mich. Wir saßen uns gegenüber. Nachdem wir vom Salat-Buffet wieder kamen, lag, wie von Geisterhand dahin gelegt, ein Umschlag auf seinem Platz platziert. „Was ist denn das?“

„Das, mein lieber Marvin, ist mein eigentliches Geschenk an dich!“

Er öffnete im Umschlag, nahm das Papier heraus und las. „Steff! Du bist verrückt!“

In dem Kuvert befand sich ein Hotelgutschein für ein Doppelzimmer in einem exklusiven Hotel am Brandenburger Tor und zwei Eintrittskarten für ein Konzert von Rosenstolz in Berlin.

„Zwei Karten für Rosenstolz!? Wie kommst du denn darauf? Woher weißt du, dass ich da immer schon hinwollte?“

„Sorry! Aber auf Rosenstolz brachte mich deine Mutter nach ihrer Inspektion deiner CD-Sammlung. Im letzten Jahr hat es ja leider nicht geklappt, aber in diesem Jahr wusste ich ja rechtzeitig Bescheid.“ Ich lachte. „Tja, und ich dachte, alleine nach Berlin macht keinen richtigen Spaß. Also daher die zweite Karten und das Doppelzimmer. Aber die Entwicklung mit Sebastian konnte ich ja nicht ahnen. Wenn du nicht alleine fahren willst, musst du dir einen neuen Reisebegleiter suchen, mein Engel! Ich kann aber auch noch umbuchen, wenn du willst!“

„Brauchst du nicht! Ich weiß schon, wen ich mitnehme!“

„Wer ist denn der Glückliche? Kenn ich ihn?“

Er nickte und erhob sich leicht und beugte sich über den Tisch. Vor den versammelten Gästen drückte er mir einen Kuss auf den Mund. „Ich nehme dich mit, du Hirsch! Wenn denn sonst?“

„Danke für die Ehre!“

„Kein Thema, denn dann hab ich ja auch einen Fahrer!“ Er grinste und wir beide fingen anzulachen. Es wurde ein tolles Essen und er machte schon Pläne, was er sich alles in der Hauptstadt sonst noch ansehen wollte. Über sein Programm würden wir noch reden müssen, denn es hätte für mindestens vier Tage gereicht.

Um kurz nach halb verließen wir das Lokal und machten uns auf den Heimweg. Als ich um viertel vor die Haustür aufschloss, war alles so wie immer, es herrschte vollkommene Ruhe. In der Wohnung legten wir ab, ich ging in die Küche und öffnete in den Kühlschrank. „Mist!“

„Was ist denn?“

„Ich hab vergessen, noch einen Sekt kaltzustellen. Warm mag ich ihn nicht! Aber im Kühlschrank im Partykeller unten müsste noch eine Flasche liegen. Bist du so nett und holst ihn rauf. Ich kümmer mich derweil um die Gläser und die Knabbereien.“

„Du wirst alt, Onkelchen! Aber ich geh ja schon, du musst dich ja schonen für Berlin. Bin in drei Minuten wieder da!“ Pfeiffend verließ er die Wohnung und ging in den Keller. In sicherem Abstand folgte ich ihm. Er hatte gerade die Tür zum Partykeller geöffnet, als aus über 30 Kehlen erst das Wort „Überraschung!“ ertönte und dann das „Happy Birthday“ intoniert wurde, zwar reichlich schief, aber immerhin. Er starrte erst in den Raum, ich tippte ihm auf die Schulter, er drehte sich zu mir um. „Was ist das denn?“

„Das sind, glaube ich, deine Freunde, und die wollen dir wohl gratulieren!“

„Aber ich wollte doch nicht feiern!“

„Stimmt! Du wolltest nicht! Aber ich wollte und deine Freunde sind anscheinend wohl auch nicht abgeneigt! Meinst du wirklich, ich würde meinen Lieblingsneffen ohne eine richtige Feier in sein neues Lebensjahr gehen lassen? Für wen hältst du mich denn?“

„Für den besten Onkel der Welt! Danke!“ Er gab mir einen Kuss auf die Wange und stürzte sich dann ins Getümmel zu seinen Freunden.

Ben kam auf mich zu, gab mir mit einem breiten Grinsen ein Bier und meine Schlüssel wieder. „Alles klar! Ich hab den Leuten schon die Regeln hier mitgeteilt! Wir wollen ja mit unserem Ehrenmitglied keinen Ärger kriegen.“

Ich begrüßte diejenigen, die schon kannte und schüttelte einige Hände, deren Inhaber mir bisher unbekannt waren. Das müssten wohl die Leute aus der Schule sein. Man hatte den Weg zum Hof, der wieder als Grillplatz genutzt wurde, mit einer blauen Lichtschlange markiert. Ich folgte dem Pfad nach oben. Auf der Terrasse sah ich Igor, der mit zwei Elektrogrills gleichzeitig beschäftigt war. Er sah leicht gestresst aus.

„Na du! Schwer beschäftigt?“

Er blickte mich an und grinste. „Haha! 30 hungrige Mäuler wollen gleichzeitig ihre Würstchen! Da möchte ich dich mal sehen! Aber erst einmal einen wunderschönen Guten! Ist dir jemand gefolgt?“

Ich blickte mich um und sah niemanden. „Nein!“

„Na dann komm mal her!“

Ich ging auf ihn zu und wir küssten uns. Seine Zunge begehrte Einlass. Irgendjemand rief, am Keller Eingang stehend, nach Igor und den Würstchen. „Fünf Minuten noch!“

„Ist ja wirklich eine Menge zu tun! Ich danke dir erst mal, dass du Samstagsabends die Rolle des Grillmeisters übernommen hast.“

„Wo sollte ich auch anders sein?“ In seiner Stimme lag eine gewisse Resignation.

„Wenn du mich fragst, ich würde lieber bei meinem Liebsten in romantischer Zweisamkeit weilen, als hier 30 hungrige Mäuler zu stopfen.“ Ich grinste.

„Aber dazu bräuchte ich erst ein Liebsten!“

„Ah? Ist dein Freund denn schon in Amiland? Der wollte doch erst im nächsten Jahr rüber, wenn ich mich recht erinnere, oder?“

„Stimmt! Patrick ist zwar noch in Deutschland, aber nicht mehr bei mir!“

„Was ist denn passiert?“

„Werde ich dir gleich erzählen! Lass mich erst die Würstchen fertig machen und dann reinbringen. Ist ne längere Geschichte! Ich hoffe, du hast Zeit?“

„Für dich doch immer! Bringst du mir dann noch ein Bier mit?“

„Alles klar!“ Er nahm den Teller mit den Würsten und verschwand im Keller. Während ich wartete, genehmigte ich mir ein Lungenbrötchen. Es dauerte fast zehn Minuten, bis er wieder kam. Er reichte mir mein Bier, sich selber hatte er auch eins mitgebracht. Er legte das nächste Bratgut auf den Grill, ehe wir anstießen.

„Also, Igor, was ist los?“

„Tja, Patrick hat das Video auf meinem Rechner entdeckt.“

„ Welches Video?“ Ich wusste im Moment nicht, was er meinte.

„Das, wo ich bei dir in der Badewanne liege und …“

„Okay, das meinst du! Was soll so schlimm daran sein? Er weißt doch, dass du darauf stehst!“

„Er weiß es zwar, aber das ist es nicht! Er dachte erst, ich hätte es in einem Stativ aufgenommen, aber dann entdeckte er den Schwenk und wusste, dass ich bei der Aufnahme nicht alleine war!“

„Und?“ Ich suche gerade das Problem!

„Es geht nicht um das Video an sich, sondern darum, dass mich jemand Drittes dabei gefilmt hat. Darum, dass mich ein anderer dabei gesehen hat! Als ihm sagte, es ist während eines Shootings speziell für ihn und nur aus einer Laune heraus entstanden sei, hat ihn das nicht beruhigt. Er ist ausgeflippt!“

„Bitte?“

„Ich sage dir, Stefan, er ist regelrecht ausgerastet. Er meint tatsächlich, wenn ich mich vor jemand anderem ausziehe als vor ihm, würde ich ihn betrügen, jedenfalls aus seiner Sicht. Die Motivation hierzu sei unerheblich. Wenn ich mich vor einem international bekannten Fotographen nackt und in Posen zeige, könnte ich ebenso gut irgendwo als Gogo-Tänzer auftreten und mich gegen Geld begrabschen lassen!“

„Aber du strippst doch! Oder wie soll ich die Polizeiuniform jetzt verstehen?“

„Dass ich bei der Agentur bin, weiß er ja noch gar nicht. Das hab ich ja auch nur für ihn gemacht! Durch die Auftritte wollte ich eigentlich nur die Flüge zu ihm finanzieren, mehr nicht! Er wirft mir ja jetzt schon Betrug vor, wenn ich mich nur fotografieren lassen! Was wird er erst machen, wenn er erfährt, dass ich mich für ihn ausziehe? Mich umbringen?“

Ich nahm ihn in die Arme und streichelte über seinen Kopf. „Dein Patrick ist der größte Idiot auf Gottes Erden! Anstatt sich wirklich glücklich zu schätzen, dass ist dich gibt, stößt er sein Glück mit Füßen! Du willst ihm ja nur nahe sein! Nicht mehr und nicht weniger! Soll ich mal mit ihm reden? Vielleicht hilft das?“

„Lass es besser! Mittlerweile glaube ich auch, seine Eifersucht wird ihn eines Tages noch umbringen! Noch ein Bier?“

„Gerne! Mit dir immer!“

„Moment!“ Er nahm die nächste Ladung Würstchen und brachte sie zu den Feiernden. Mit leerem Teller und zwei Flachen Gerstenkaltschale kam er wieder zurück. „Stefan, mal kurz eine Frage! Was würde Marvin sagen, wenn du einen Logiergast heute Nacht hättest? Ich würde mir gerne mal die gesamte Scheiße von der Seele reden. Wenn ich dich dazu als seelische Müllhalde missbrauchen darf, wäre ich echt glücklich!“

War das ein Angebot? Ich überlegte, kratzte mich am Kinn. „Tja, Marvin …“

Aus dem Kellereingang drang eine Stimme zu uns. „Marvin sagt, wenn ihr etwas Ernsthaftes zu besprechen habt, dann macht das bitte oben und nicht hier unten, denn hier wird gefeiert. Hier ist kein Platz für Trauer und Trübsal. Wir schaffen das hier unten alleine, also ab mit euch!“ Marvin hatte gesprochen. Was hatte er mitbekommen?

Tja, lieber Leser, das war Marvins Geburtstag, jedenfalls den Teil, den ich mitbekommen hatte. Was würde passieren? Wie würde er auf (m)einen möglichen Gast reagieren? Aber das interessiert ja wohl keinen, oder irre ich mich da? *fg

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