Adventskalender – Ein anderes Leben – 12. Türchen (16 Teil)

Ich saß neben Juen in einem Polizeiwagen. Onkel Min-Chul wollte uns auf der Station sehen. Warum ich ein ungutes Gefühl hatte, wusste ich nicht, die Stimme meines Onkels hörte sich ernst an.

Juen telefonierte währenddessen. Erst kurz mit Hyun-Woo, damit er Bescheid wusste, wo wir waren, dann rief er Jae-Joong, der uns später auf der Station abholen sollte. Mir kam der Weg zum Arbeitsplatz meines Onkels heute kürzer vor, denn wir befuhren bereits den Vorhof.

Der Fahrer geleitete uns noch ins Haus, wo schon ein anderer Police Officer auf uns wartete. Der brachte uns dann zu Onkel Min-Chul, der in einer Art Großraumbüro mit Kollegen saß.

„Hallo Lucas!“, rief mein Onkel mir entgegen, stand auf und umarmte mich. Die anderen Herren trugen wie Onkel Min-Chul privaten Klamotten, die gerade alle Juen begrüßten und ihm auf die Schulter klopften.

Juen ging fast in die Knie dabei. Ich konnte ihm nach fühlen, dass ihm alles weh tat.

„Hallo Onkel Min-Chul, warum sollte ich her kommen?“

„… kommst du bitte mit mir.“

Yuen von seinen Kollegen abgelenkt, bekam nicht mit, dass ich meinem Onkel folgte. Er brachte mich zu einem hinteren Raum und öffnete die Tür. Er gab meinen Blick frei und ich sah dort eine großen Schreibtisch stehen, an dem sein Chef saß.

„Senior Police Officer Kim“, sagte ich und streckte artig die Hand aus, ohne zu vergessen mich etwas zu verbeugen.

„Hallo Lucas, freut mich dass du kommen konntest“, sagte er lächelnd und schüttelte meine Hand, „setzt dich doch bitte.“

Onkel Min-Chul schloss hinter sich die Tür. War etwas Schlimmes geschehen, oder warum benahmen die beiden sich so komisch. Ich ließ mich auf den angebotenen Stuhl nieder und schaute zwischen den beiden hin und her.

Während Onkels Chef sich wieder nieder ließ, lehnte sich Onkel Min-Chul mir gegenüber an den Schreibtisch.

„Lukas, wir wissen, dass du noch immer nicht fit bist“, begann der Senior Police Officer an zu reden, „aber trotzdem haben wir dich hier her gebeten, weil wir deine Hilfe brauchen.“

Fragend schaute ich zu Onkel Min-Chul. Er griff in die Ablage seines Chefs und zog ein Blatt herunter.

„Als wir heute Morgen zum Haus des Professors gekommen sind, war dieser ausgeflogen“, erklärte mein Onkel, „seine Bediensteten sagten, er wäre mit dem Wagen voller Gepäck früh morgens aufgebrochen. Wohin konnten oder wollten sie uns nicht sagen.“

„Er ist abgehauen?“

Der Senior nickte.

„Und wie kann ich euch da jetzt helfen? Ich habe diesen Mann noch nie gesehen.“

„Es wird schon nach ihm gefahndet, dafür brauchen wir dich nicht… Wir haben das Haus auf den Kopf gestellt und dabei etwas gefunden.“

Onkel Min-Chul reichte mir das Blatt. Ich sah eine Fotografie mit vielen Autos darauf.

„Fällt dir etwas auf?“, fragte er mich.

Ich schaute noch einmal etwas verwundert auf das Bild. Die Wagen waren alle schwarz und wenn ich es recht erkennen konnte, waren es Mercedes. Der Bruder meiner Mutter reichte mir ein weiteres Blatt, darauf war ein sehr altes Modell abgebildet, dass vorne etwas verbeult war.

Onkel Min-Chul erhob sich, beugte sich zu einer Kommode hinüber und zog dort eine Tasche herunter, die er dann vor mich legte.

„Fällt dir dazu etwas ein?“

Jetzt hatte es mein Onkel geschafft mich total zu verwirren.

„Onkel Min-Chul, ich steh gerade absolut auf der Leitung. Ich weiß nicht, was du möchtest.“

Ich reichte ihm die zwei Blätter zurück.

„Juen hat dich doch sicher über seine Familienverhältnisse informiert.“

Juen? Jetzt verstand ich gar nichts mehr. Hatte er auch etwas angestellt?

„Ja hat er, als wir sein Gepäck abholten und auf seine Mutter trafen.“

Die beiden schauten sich kurz an.

„Du weißt also über Juens Mutter Bescheid, was ihr passiert ist?“

„… so ungefähr…, sie ist überfahren worden…, der Fahrer hat Fahrerflucht begangen.

Mein Onkel nickte.

„Mehr nicht?“

„Doch… sie wäre schwer verletzt worden, lag lange im Krankenhaus und lebt jetzt in ihrer eigenen Welt…, so hat es auf alle Fälle Juen ausgedrückt.“

„Das wissen wir.“

„Dass wusstest du? Und trotzdem hast du ihn auf mich angesetzt, also ich meine für meinen Schutz abgestellt? Wäre es nicht besser gewesen, ihn in seinem Elternhaus wohnen zu lassen, bei seiner Mutter?“

Ich hatte mich etwas in Rage geredet, weil ich mich ärgerte.

„Lucas, darum geht es jetzt nicht, darüber können wir noch später reden. Hat Juen noch etwas erzählt…, eventuell etwas über den Wagen?“

Konnte man jemand verwirrter angucken?

„… ähm stimmt… Juen hat etwas von einem schwarzen Merc…“

Ich brach ab, als Onkel Min-Chul erneut die Fotografien unter meine Nase hielt. Ein alter schwarzer Mercedes, der vorne am Kühler verbeult war. Wieder schaute ich zwischen den beiden hin und her.

„Aber… das ist… ist das der Fluchtwagen? Woher wisst ihr das?“

Onkel Min-Chul zeigte auf die Tasche.

„Mir wäre dieser Wagen nie aufgefallen, wenn die Erzählung über den Unfall von Juens Mutter nicht noch so frisch in meinen Gedanken gewesen wäre. Und dann ließ ich mir den Unfallbericht kommen.“

Interessiert hörte ich auf Onkel Min-Chuls Erklärung.

„Die Beschreibung der Augenzeugen passte. Aufmerksam wurden wir nur auf den Wagen, weil er als einziger abgedeckt war und wir Blutreste an der Stoßstange gefunden hatten. Und was in keinen der Berichte auftauchte, was wir nur wissen, dass am Unfallort sämtliche Sachen von Juens Mutter verschwunden waren…, unter anderem die Tasche seiner Mutter.“

Juen meinte doch, der Fahrer wäre mit hoher Geschwindigkeit davon gebraust, so hatten es Augenzeugen gesehen. Wie hätte er dann diese Sachen hätte klauen können. Aber ich verstand immer noch nicht, wobei ich hätte helfen können.

„Das ist toll, dass ihr den Schuldigen gefunden habt, aber ich verstehe immer noch nicht, was das alles mit mir zu tun hat?“

Onkel Min-Chul lehnte sich wieder an den Schreibtisch, aber dieses Mal viel dichter als vorher und er beugte sich ein wenig vor.

„Wie ich dich kenne Lucas, hast du dich mit Juen doch etwas angefreundet, oder?“

„Öhm, ja…, wir verstehen uns sehr gut.“

Er richtet sich auf.

„Wir werden Juen gleich herein bitten und ihm die Sachlage erklären und wir denken…“ er schaute kurz zu seinem Chef, „dass Juen, dies wohl nicht so gut verkraftet und es schön wäre, wenn er einen Freund an seiner Seite hätte.“

Ich sah die beide erneut verwundert an und zeigte auf mich.

„Mich?“

Die beiden nickten.

„Ich weiß, wir verlange viel von dir Lucas, aber wir brauchen für die Beweisführung die DNA von Juen und es wäre uns sehr hilfreich, wenn du uns unterstützen könntest.“

Dies hatte der Senior Police Officer gesagt und mich dabei sehr durchdringend angeschaut.

„Lucas“, kam es von meinem Onkel, „wenn du dich dem nicht gewachsen fühlst, verstehen wir dies natürlich, aber ich sagte zu meinem Chef, dass ich denke, dass wir mit dir rechnen können.“

Wieder blickte ich die beiden an. Das war wirklich viel verlangt. Ich war und bin ein Sensibelchen und das Ganze wird sicher nicht ohne Tränen ablaufen. Dies würde auf mein Gemüt schlagen.

Wenn Hyun-Woo wüsste, was hier gerade passierte, würde er auf die Barrikaden steigen. Andererseits mochte ich Juen, mittlerweile sehr und ich wollte ihn in so einer Situation nicht alleine lassen.

 „Einverstanden…“, meinte ich und nickte.

„Danke“, meinte Onkel Min-Chul stolz und ging zur Tür.

„Police Officer Jo Juen! Ins Büro!“

Ich hörte wie sich die Kollegen über ihn lustig machten und wenige Sekunden später erschien Juen in der Tür.

*-*-*

Juen war natürlich nach dieser Mitteilung regelrecht zusammen geklappt. Er saß auf dem Boden und weinte. Während Onkel und sein Chef anstandshalber das Büro verließen, hatte ich mich neben Juen gekniet und ihn in den Arm genommen.

Es dauerte eine Weile, bis er sich etwas beruhigte. Er stand auf und lief zum Fenster.

„Und was soll mir das jetzt bringen“, meinte er verärgert, „das ändert den Zustand meiner Mutter auch nicht.“

„Aber du und dein Vater wisst, wer es war und das er zur Rechenschaft gezogen wird! Ist das keine Genugtuung für euch?“

Er drehte sich zu mir und schaute mich vorwurfsvoll an.

„Du hast nicht die letzten zehn Jahre mit ihr zusammen gelebt. Du wurdest nicht wegen ihr in der Schule gemobbt, von wegen durch geknallte Mutter und so. Du hast keine zehn Jahre ohne richtige Freunde verbracht!“

Er war laut geworden und plötzlich stand Onkel Min-Chul in der Tür. Ich hob die Hand und bremste ihn aus, bevor er etwas sagen konnte. Er nickte kurz und zog dann wieder die Tür zu. Ich ging zu Juen und nahm ihn in den Arm. Anfangs wehrte er sich noch, aber das ließ sehr schnell nach. Hatte ihn die Kraft verlassen, oder hatte er Scherzen?

„Juen, was die letzten zehn Jahre passiert ist, kann man nicht ändern…, du kannst nur versuchen, irgendwie damit zu leben…“

Mir wurde bewusst, dass dies so ein 08/15 Spruch war und Juen jetzt sicher nicht helfen würde.

„Aber wie soll ich das schaffen…?“, heulte er mir in den Pullover, „ich will nicht mehr zurück… ich ertrage das nicht mehr.“

Ich streichelte ihn sanft über den Rücken.

„Wer sagt denn, dass du zurück musst?“, wollte ich wissen.

Er hob seinen Kopf und sah mich mit seinen verheulten Augen an.

„Das ist doch von Anfang an klar gewesen. Wenn die Sache mit dem Professor gelaufen ist, dann muss ich wieder zurück. Ich kann doch nicht ewig bei euch wohnen bleiben…“

Daran hatte ich natürlich nicht gedacht. Er hatte Recht. War die Gruppe mit dem Medikamentenschwindel erst mal aufgeflogen, brauchte ich sicher keinen Schutz mehr. Ich überlegte kurz und sah ihn dann wieder an.

„Vertraust du mir?“

Er nickte, während ihn dicke Tränen über Wangen liefen.

„Wir finden irgendwie eine Lösung! Okay?“

Wieder nickte er.

„Und jetzt gehen wir zu meinem Onkel und machen das, was er verlangt. Ich bleibe die ganze Zeit an deiner Seite.“

„…danke!“

*-*-*

Ich war froh, als ich bei Jae-Joong im Wagen saß. Juen lag zusammen gekauert auf der Rückbank und wimmerte. Mein guter Freund Jae-Joong hielt zu meiner Überraschung dieses Mal seine Klappe.

Er schaute nur ab und zu mir herüber und auch zu Juen. Jae-Joong wusste genauso wie ich über die Sache Bescheid und so waren nur wenige Worte nötig ihm den Grund zu erklären. So war es im Wagen die ganze Fahrt über sehr ruhig, abgesehen von Juens Gewimmer.

Als wir das Grundstück der Firma befuhren, parkte dort ein großer schwarzer Van. Fragend schaute ich zu Jae-Joong. Der zuckte aber nur mit den Schultern. Er parkte unseren Wagen neben diesem Ungetüm.

An der Tür wurden wir von Jack begrüßt, der mich verwirrt anschaute, als ich einen heulenden Juen im Arm hatte. Ich winkte ab und lief an ihm vorbei. Trotz meines Unbehagens gegen den Fahrstuhl, bestiegen wir drei den Aufzug und fuhren nach oben.

Hyun-Woos Büro war leer. So führte ich Juen zur Couch.

„Du legst dich jetzt dahin und ruhst dich etwas aus. Ich suche schnell Hyun-Woo und bin gleich wieder da.“

„Mach dir wegen mir bitte keine Umstände“, sagte Juen traurig.

„He, versprochen ist versprochen!“

Er lächelte mich gequält an.

„Also, bin gleich wieder da!“

Er nickte.

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1 Kommentar

    • Andi auf 12. Dezember 2018 bei 08:08
    • Antworten

    Wow, immer Spannung pur in jeder Folge, find ich wirklich toll.

    VlG Andi

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