Der nächste Morgen begann eher beschwerlich. Die Entführung steckte mir noch in den Knochen. Es tat irgendwie alles weh. Wie schon am Vortag war Hyun-Woo ausgeflogen, sprich bei der Arbeit.
Aber auch Juen konnte ich nicht sehen, als ich aus dem Schlafzimmer kam. Vielleicht war er ja in seinem Zimmer. Als ich an die Theke kam, stand auch wiederein gerichtetes Essen da. Hyun-Woo muss wohl früh aufgestanden sein, wenn er Zeit hatte mir ein Frühstück zu machen.
Eher lustlos stocherte ich in meinem Essen herum, denn ich war es einfach nicht gewohnt, alleine zu frühstücken. Hyun-Woo meinte gestern, ich solle selbst entscheiden, was ich heute vor hatte.
Das dieser Professor sich abgesetzt hatte, war klar, aber ob er wirklich ganz untergetaucht war, daran glaubten sie nicht. Er könnte mir ja immer noch nachstellen. Ich war da anderer Meinung.
Er würde sicherlich nicht seine Freiheit aufs Spiel setzten, um sich irgendwie an mir rächen zu wollen, weil sein lukratives Geschäft mit den Medikamenten, indirekt durch mich, aufgeflogen war.
Aber es gab eben nie Hundert Prozent Sicherheit, wie Onkel Min-Chul sagte. Ein Restrisiko würde immer bestehen, solange der Professor nicht hinter Schloss und Riegel sitzt. So wäre ein alleiniges Weggehen, immer noch nicht möglich.
Ich, alleine wo hingehen? Seit ich hier in Korea war, hatte ich stets jemand um mich herum gehabt. Ich konnte mir auch nicht vorstellen, alleine zu den Großeltern zu fahren. Da müsste ich mir schon ein Taxi holen, weil ich nicht wusste, wohin ich fahren sollte.
Trotzdem kam der Gedanke auf, was ich in nächster Zukunft machen wollte. Ich konnte nicht ständig bei Hyun-Woo in der Firma abhängen und den von der Arbeit abhalten. Mir kam Großvater in den Sinn, wie er jeden Tag in seinem Garten stand.
So gesehen stimmte es nicht, was ich erzählt hatte, dass ich keinen grünen Daumen hatte. Es fehlte bisher lediglich die Zeit, sich um so etwas zu kümmern, denn die Schule hatte bis zum Abschluss Priorität.
Aber das Interesse war da. Das hatte der Vater meines Vaters schon im Kindesalter geweckt, wenn er oft mit mir sparzieren war. Ich war immer fasziniert, wie er es fertig brachte, mich für irgendwelches Grünzeug am Wegesrand zu interessieren.
So wusste ich zwar, um was für Pflanzen es sich handelte, aber ich konnte mir nie all die Namen merken. Ich stand auf, ging zum Regal, wo ich gesehen hatte, dass Hyun-Woo mein Laptop abgestellt hatte.
Glücklich es gefunden zu haben, lief ich zum Teller zurück und öffnete es. Schnell war es hoch gefahren. Froh darüber, dass in Hyun-Woos Wohnung dasselbe Wlan wie oben bei So-Woi funktionierte, konnte ich auch hier ins Internet.
Als erstes rief ich meine Mails ab. Bis auf die vielen Werbungen, war eine Nachricht von Papa in der Mailbox. Er schrieb mir, dass ich doch wieder etwas von mir hören lassen sollte. Onkel Min-Chul schien in genau über die Vorkommnisse hier, zu unterrichten.
Er wusste über den Professor Bescheid, aber die Entführung stand dort nichts. So wurde wirklich Stillschweigen über die Sache verhängt. Ich wollte mir gar nicht ausmalen, wenn das publik geworden wäre.
Aber auch nur, weil wir so schnell frei gekommen waren. Wäre es länger gegangen, wäre es sicher aufgefallen. Ich schrieb ihm zurück, dass es mir so weit gut ginge und wir sicher uns bald wieder per Cam sehen würden. Ich schrieb noch einen Gruß an Mama und Mia hinzu und drückte auf Senden.
Danach öffnete ich das Internet und gab als Suchbegriff Pflanzen ein. Natürlich erschienen eine Vielzahl von Vorschlägen und so recht wusste ich nicht, wo und nach was ich genau schauen sollte.
Mir fiel ein Link zu einer in Seoul bestehenden Universität auf, wo man gut als Ausländer in Richtung Naturwissenschaftenstudieren konnte. Ich lächelte, denn als Ausländer würde ich nicht auffallen, da ich ja wie ein Asiate aussah.
Ein Geräusch ließ mich auf sehen. Juen kam aus seinem Zimmer und rubbelte sich die Haare trocken, also war er wohl duschen.
„Morgen Lucas, wie geht es dir?“
„Guten Morgen…, bis auf etwas Muskelkater, geht es mir gut. Was macht dein Rücken.“
„Meldet sich ab und zu, ist aber ertragbar. Was machst du?“
„Ich surfe etwas im Internet.“
Ich speicherte die Seite mit der Universität ab.
„Hast du schon etwas gegessen?“
„Ja, heute früh, habe mit Hyun-Woo zusammen gefrühstückt. Er war so freundlich, mir etwas zu richten.“
„Du hast Hyun-Woo noch gesehen?“
„Ja, ich bin Frühaufsteher“, lächelte Juen.
Das konnte ich von mir nicht sagen. Wenn ich nicht aufstehen musste, konnte es gut und gerne fast Mittag werden, bis ich aufgestanden war. Hier wachte ich von alleine recht früh für mich auf.
„Hast du schon etwas geplant?“, fragte Juen.
„Was meinst du?“
„Hyun-Woo meinte, wir beide sollen irgendetwas unternehmen, wonach uns der Sinn steht, um etwas auf andere Gedanken zu kommen.“
Andere Gedanken waren gut. Jede Bewegung meines Körpers erinnert mich schmerzhaft daran, was geschehen war. Aber etwas tun, was mir gefallen würde, war eine gute Idee. Ich schloss die Seite der Universität und klappte mein Laptop zu.
„Weißt du zufällig, ob es in Seoul etwas wie einen Blumenmarkt gibt?“
„Ja leider…“
„Leider?“
„Ja meine Mutter hat mich früher immer mit dahin geschleppt. Sie liebt Pflanzen und Blumen.“
Ops, da hatte ich ihn unbeabsichtigt an seine Mutter erinnert.
„Warum fragst du?“
Ich schaute mich in den Raum um. Er war immer noch sehr karg eingerichtet. Es fehlte irgendwie Dekoration, wie ich es von zu Hause gewohnt war. Keine Bilder und vor allem, gab es keine Pflanzen.
Und irgendwie waren Pflanzen ein Muss, es machte eine Wohnung erst gemütlich. Ob das Hyun-Woo recht war, wusste ich nicht, aber ich dachte, dagegen konnte er sicher nicht haben.
„Ich wollte mich eventuell nach Grünpflanzen für die Wohnung umschauen.“
„Grünpflanzen?“
„Ja, schaue dich doch hier um, hier ist nichts Grünes.“
„Entschuldige, ich habe es nicht so mit Pflanzen, bei mir gehen die Dinger immer ein.“
Ich grinste ihn an.
„Hat Hyun-Woo etwas gesagt, ob oder wann Jae-Joong heute vorbei kommt?“
„Der hat heute keine Zeit…“
Das hieß ein teures Taxi nehmen, oder hier in der Wohnung versauern.
„… aber wir können den Fahrdienst vom Haus nehmen.“
„Hier gibt es einen Fahrdienst? Warum habe ich das nicht mitbekommen?“
„Vielleicht habt ihr noch keinen gebraucht.“
„Stimmt, bisher ist immer Jack, Hyun-Woo oder Jae-Joong gefahren.“
„Wann möchtest du los?“
„Hm…, ich muss mich noch umziehen…“
„Okay, dann bestelle ich den Wagen für in fünfzehn Minuten, reicht dir das?“
„Mir schon, aber du bist auch noch nicht fertig.“
„Lass mal das meine Sorge sein“, grinste er mich an und verschwand wieder in seinem Zimmer.
*-*-*
Dieser Markt war riesig. Soweit ich schauen konnte, waren Pflanzen und Blumen zusehen. Und der Geruch, der in der Luft lag, ein ganz besonderer Duft, der stark an den Frühling erinnerte.
Nur war bald Weihnachten und ich wollte es mit dem Ausgeben nicht so übertreiben, da ich ja auch noch an Weihnachtsgeschenke denken musste. So lief ich einfach in die Halle hinein, dicht gefolgt von Juen.
Der Fahrer hatte versprochen draußen auf dem Parkplatz auf uns zu warten. Ich wusste gar nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte, diese Farbenpracht übertraf alles. Es tat richtig gut, man konnte hier regelrecht auftanken.
Juen schien meine Euphorie nicht zu teilen, denn er schien sich hier eher zu langweilen. Hier und da entdeckte ich edle Kostbarkeiten, seltene Pflanzen, die irgendwo aus den Tropen stammen mussten.
An einem Stand mit verschiedenen Grünpflanzen war blieb ich hängen. Ich konnte vorzugsweise Zimmerpflanzen ausmachen, eigentlich genau dass, was ich suchte. Eine etwas größere Pflanze hatte es mir sofort angetan.
Die Blätter waren alle groß, dunkelgrün und mit hellgrünen Flecken überzogen. Mir fiel auch sofort ein, wo diese Pflanze gut hinpassen würde.
„Liefern sie auch?“, fragte ich die Frau, die da gerade die Pflanzen goss.
Die Frau nickte.
„Ich hätte gerne diese Pflanze“, und zeigte auf sie.
Sie nannte den Preis und ich fand sie recht günstig. Keine Ahnung, was sie sonst kostete.
„An welche Firma geht sie?“, fragte die Frau.
Woher wusste die Frau, dass ich sie zu Hyun-Woo schicken wollte? Juen tippte mir auf die Schulter und zeigte auf ein Schild. Langsam lass ich es und konnte es als „Keine Privatverkäufe“ entziffern.
Enttäuscht ließ ich meine Schultern hängen. Erneut hielt mir Juen eine Karte entgegen.
„Was ist das?“
„Das hat mir Hyun-Woo gegeben, falls du auf die Idee kommst, etwas Größeres zu kaufen.“
„Hyun-Woo?“
Er nickte. Ich nahm die Geldkarte entgegen und lass Firmenkarte drauf.
„Aber das geht doch nicht…“ Ich kann doch nicht einfach Geld von der Firma ausgeben.“
„Ich sage nur, was Hyun-Woo mir aufgetragen hat.“
Woher wusste Hyun-Woo, dass ich etwas kaufen wollte, ich hatte das doch gerade vorhin erst entschieden. Während ich der Frau die Geldkarte reichte, bekam sie von Juen eine weitere Karte gereicht.
„Was steht da drauf?“, wollte ich leise wissen.
„Das ist die Firmenkarte mit Anschrift, Logo und so. Wenn du gerne eine möchtest, ich habe noch mehr davon von So-Woi bekommen.“
Warum hatte ich keine bekommen? Da fiel mir ein, ich arbeitete ja offiziell gar nicht für So-Woi, vielleicht deswegen. Die Dame forderte mich auf zu unterschreiben, was ich dann auch tat.
Während ich mit Juen weiterlief und ihm die Kreditkarte zurück geben wollte, begann die Frau bereits die Pflanze einzupacken. Juen forderte mich auf, die Karte zu behalten. So steckte ich sie ein, obwohl mir nicht wohl bei der Sache war.
Weiter hinten in der Markthalle wurde ich erneut fündig. Dieses Mal überzeugte ich mich sofort, ob ich als Privatmensch dort einkaufen konnte. Sogar Juen fragte ich, ob ich hier normal Pflanzen besorgen durfte.
Als wir beide nichts fanden, begann ich in den Regalen zu stöbern und würde auch fündig. Nach einer halben Stunde hatte ich zehn Pflanzen zusammen. Ich zahlte artig, dieses Mal mit meiner Karte.
Was noch fehlte, dass ich auch Übertöpfe brauchte. Die Grundfarbe der Wohnung war weiß, also sollte es schon etwas Farbiges sein. Da fiel mir ein, dass Hyun-Woo blau mochte. Er hatte vieles in blau, sei es Klamotten, oder von seinen Möbeln.
„Kannst du hier irgendwo Übertöpfe sehen?“, fragte ich Juen.
„Ist mir bisher noch nicht aufgefallen, aber ich glaube am Ende der Markthalle gibt es so etwas.“
Wir hatten mit dem Mann ausgemacht, dass er sie zum Wagen hinausbrachte. Juen war so freundlich, den Fahrer davon in Kenntnis zu setzten. So machten wir uns auf die Suche nach blauen Übertöpfen.
*-*-*
Der Wagen war recht voll und Juen tat mir leid, die Rückbank mit Pflanzen teilen zu müssen.
Der Fahrer verlangsamte sein Tempo und Großvaters Laden kam in Sicht. Ich schaute zum Fahrer.
„Wäre es möglich, die Pflanzen zur Wohnung 3249, Cho Hyun-Woo zu bringen?“
Der Fahrer nickte.
„Vielen Dank!“
Der Wagen hielt und wir stiegen aus. Da hier genug Leute waren, die uns zurück fahren konnten, hatten wir uns entschlossen, den Fahrer zurück zu schicken. Ich bedankte mich fürs Fahren und verbeugte mich auch leicht.
Als der Wagen verschwunden war, trat Juen näher zu mir.
„Du musst dich nicht verbeugen“, flüsterte er leise, „dass sind Bedienstete.“
Ich schaute ihn mit großen Augen an.
„Juen, für mich ist das nicht selbstverständlich, dass er uns herum fährt und auch wartet, wenn wir etwas erledigen. Da ist es mir egal, ob mein Gegenüber gleichgestellt ist, oder eben „nur“ ein Bediensteter. Mein Dank kommt von Herzen, ich meine das Ernst!“
„Aha…“, meinte Juen verblüfft.
„Unser Lucas hat eben ein großes Herz!“
Ich fuhr herum und Großvater stand hinter uns.
„Hallo Großvater!“, sagte ich und umarmte ihn.
„Hallo mein Junge.“
Juen schüttelte er die Hand.
*-*-*