Adventskalender – Ein anderes Leben – 16. Türchen (16 Teil)

Großmutter freute sich wie immer über meinen Besuch. Sie nahm mich auch gleich in Beschlag. Wir saßen in der Küche an einem kleinen Tisch. Wo Juen war, konnte ich nur vermuten, denn plötzlich war er verschwunden.

„Was hast du die letzten Tage gemacht?“, fragte sie mich, während sie Karotten schälte.

„Nichts besonderes, ach ja, ich war auf einer Beerdigung…, ich weiß nicht, ob du davon gehört hast, dass sich da ein junger Musiker das Leben genommen hat.“

„Davon haben mir die Kinder erzählt. Ich war doch sehr betroffen, dass ein so junger Mensch, nicht mit seinem Leben zu Recht kam. Aber es bringen sich so viele um, wie man immer in den Nachrichten hört. Kanntest du den jungen Mann?“

„Nicht direkt…, ich kenne einen Sänger aus seiner Gruppe und wir hatten beschlossen, deswegen an der Beerdigung teil zu nehmen.“

„Schlimme Sache und dir geht es gut?

„Ja Großmutter“, log ich, „keine Sorge, vielleicht etwas müde.“

„Hong-Sik ist auch immer müde, aber das liegt wohl daran, dass er immer so lange bis tief in die Nacht lernt.“

Na. Ob er wirklich lernt, oder seine Zeit vor dem Computer verbringt? Aber das war egal und ging mich nichts an.

„Ich habe ein paar Pflanzen gekauft für Hyun-Woos Wohnung auf dem Großmarkt.“

„Du warst auf dem Großmarkt?“

„Ja, mit Juen. Großmutter, du hättest die vielen Farben sehen sollen und wie das alles duftete, einfach herrlich.“

„Du hättest aber auch deinen Großvater fragen können, ob er nicht einen Händler kennt, der Grünpflanzen verkauft.“

„Entschuldige, daran habe ich gar nicht gedacht. Großvater redete immer nur von Gemüse, Obst und Kräutern, nie hätte ich damit gerechnet, dass Großvater sich auch mit Zimmerpflanzen auskennt.“

„Mit war soll ich mich auskennen?“

Großvater betrat mit Juen die Küche. Juen trug einen großen Karton vor sich.

„Zimmerpflanzen“, sagten Großmutter und ich fast gleichzeitig.

„Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich in diesem Gebiet, nicht sehr gut auskenne, mich zieht es lieber nach draußen.“

„Hört. Hört!“, kam es von Großmutter, die darauf hin zu kichern begann.

Juen trat an mich heran.

„Ähm, Lucas, ich weiß du bist im Haus deiner Großeltern gut aufgehoben…, hättest du etwas dagegen, wenn ich dich etwas alleine lassen. Ich würde gerne zur Dienststelle fahren und gerne hören, wie es weiter geht.“

„Soll ich nicht lieber mitfahren?“, fragte ich leicht besorgt.

„Nein geht schon, also wenn es dir nichts ausmacht, verschwinde ich kurz.“

„Nein kein Problem und wenn etwas ist, dann melde dich, okay?“

„Ja, Großvater Sung-Min…, Großmutter Kil-Soon ich lasse ihren Enkel in ihren schützenden Händen“, meinte er und verneigte sich, bevor er uns verließ.

Mir war nicht entgangen, dass er leicht glasige Augen hatte.

„Netter Junge“, sagte Großvater.

„Stimmt“, pflichtete Großmutter ihm bei, „aber er sieht sehr traurig aus.“

Sie hatte es also auch gemerkt.

Ich setzte mich wieder.

„Das hat auch einen Grund…“, begann ich zu erzählen, „seine Mutter hatte einen schweren Unfall, sie wurde überfahren und lag lange im Krankenhaus. Der Typ, der sie angefahren hat, ist abgehauen und wurde nie gefasst.“

„Ach Gott, der arme Junge. Wie geht es seiner Mutter jetzt?“

„Körperlich ist sie genesen, aber geistig…, sie lebt noch in der Zeit bevor der Unfall passiert ist, also vor zehn Jahren. Ihr müsstet das Haus sehen, dort scheint die Zeit still zu stehen, alles ist dort, wie vor zehn Jahren…“

„Das muss hart sein für Juen“, sagte Großmutter nachdenklich.

„Und warum ist dieser Unfall jetzt so aktuell, hat man neue Spuren gefunden?“, fragte Großvater.

Ich schaute beide an.

„Das hat man wirklich. Wie ihr sicher mitbekommen habt, von Onkel Min-Chul, hat sich dieser Professor, mit dem ich Ärger habe, abgesetzt.“

„Was hat das mit Juen zu tun.“

„Dessen Haus wurde durchsucht und man fand eine Sammlung von Wagen…, darunter war versteckt unter einer Plane, der Unfallwagen, der Juens Mama angefahren hat. Man fand eine Handtasche, die Juens Mutter bei sich hatte und Blutspuren, die nachweislich von ihr stammten, an der verbeulten Stoßstange.“

„Das ist ja schrecklich!“, meinte Großmutter entsetzt.

„Dahat Juen ein schweres Päckchen zu tragen…“, sagte Großvater.

„Deshalb meine Frage, ob ich in begleiten sollte.“

Großmutter wischte ihre faltigen Hände ab und nahm mein Gesicht.

„Junge, du hast ein sehr großes Herz…, ich kann nur wiederholen, was dein Großvater sagte, bleib so wie du bist und lass dir nie von jemanden drein reden!“

Großvater nickte lächelnd.

*-*-*

 Es tat richtig gut, hier zu sein. Nach dem tollen Mittagessen, war ich mit Onkel Sung-Ja und Tante Min-Sun. Sie waren dabei, den Laden etwas Weihnachtlich zu schmücken. Mir fiel auf, dass die Deko komplett neu und noch verpackt war.

„Du wunderst dich sicher, dass der Weihnachtsschmuck komplett neu ist“, sagte Tante Min-Sun, als ich mit einer Packung Kugeln da stand.

Mir war auch aufgefallen, dass im Haus nichts auf das baldige Weihnachtsfest hindeutete. Ich nickte ihr zu.

„Es ist das erste Mal, seit meine Schwester damals verschwunden ist, dass wir wieder schmücken.“

„Warum?“, wollte ich wissen.

„Dein Großvater…, er wollte es nicht und so wurde alles an Schmuck entsorgt.“

„Das verstehe ich nicht.“

„Weihnachten ist das Fest der Liebe und Familie…“

„Und weil die Familie nicht komplett war, wollte er kein Weihnachten mehr feiern?“

„So ungefähr…, geblieben ist nur das Essen…“

Meine Tante schaute etwas traurig aus, während sie die glitzernde Girlande auspackte.

„Und jetzt, wo die Familie vereint ist, wird Weihnachten wieder gefeiert?“, fragte ich.

Ich stand neben Onkel Sung-Ja, der sich auf einer Leiter befand und rote Kugeln aufhängte, die ich ihm reichte.

„Ja, dir haben wir es zu verdanken, dass es so ist!“, meinte sie lächelnd.

Natürlich wurde ich verlegen.

„Wie soll es denn an Weihnachten eigentlich ablaufen? Ist da schon etwas geplant?“, versuchte ich vom Thema abzulenken.

„Also dein Vater meinte“, begann Onkel Sung-Ja, „sie werden am 23. Dezember ankommen.“

„Das wusste ich nicht, wir haben uns darüber noch nicht unterhalten.“

„Sonst ist noch nichts groß geplant…, wie habt ihr Weihnachten gefeiert?“, wollte Tante Min-Sun wissen.

„Also am 24ten, sind wir abends gemeinsam in die Kirche gegangen und hatten anschließend eine kleine Feier zu Hause. An den Feiertagen traf man sich dann mit der Familie meines Vaters, denn er hat ja noch zwei Geschwister und deren Familien.“

„Du hast noch mehr Onkel und Tanten?“

„Ja, mein Vater hat zwei Brüder, die aber nicht in derselben Stadt wohnen.“

„Und wie viele Kinder haben die?“

„Jeweils zwei Töchter…, aber wir sehen uns eigentlich nur zu den Geburtstagen und an Weinachten.“

„Das ist aber schade! „

„Ich weiß, hier bei euch ist alles sehr auf Familie, auch etwas, was ich erst später begriff, warum Mama an Weihnachten selten lächelte.“

Onkel und Tante schauten sich kurz an.

„Ich war richtig froh, dass ich hier zwei Cousins habe, es ist doch etwas anderes, wenn man nicht nur von weiblichen Familienmitgliedern umgeben ist.“

„Und dann behandelt dich der Sohn von Min-Ri so schlecht!“, sagte Jung-Sa.

„Das ist alles Vergangenheit und Hong-Sik und ich verstehen uns ja jetzt prima!“

Die Ladentür ging und ich drehte mich um.

„Hyun-Woo…“, sagte ich erstaunt.

„Hallo Lucas“, kam er mir lächelnd entgegen, „Tante Min-Sun…, Onkel Sung-Ja!“

Er verneigte sich leicht, wie die beiden auch.

„Was tust du denn hier?“, fragte ich.

„Du freust dich nicht, mich zu sehen?“

„Doch, aber ich dachte, du bist mit Arbeit eingedeckt.“

„War ich auch, aber da kam ein Lieferant und brachte eine riesen Palme für mein Büro vorbei. Ich dachte schon, das wäre eine Fehllieferung und wurde des Besseren belehrt. So habe ich mir den Mittag frei genommen.“

Onkel Sung-Ja war von der Leiter herunter gestiegen und nahm mit den Karton mit den Kugeln ab. Weil nun wirkliche Kundschaft den Laden betrat, ging ich mit Hyun-Woo nach hinten.

„Hyun-Woo, hallo“, begrüßte ihn Großmutter.

„Hallo Großmutter Kil-Soon“, sagte Hyun-Woo, streckte die Hand aus und verbeugte sie leicht.

Meine Großmutter nahm seine Hand und tätschelte seine Wange.

„Gut siehst du aus, hast du etwas abgenommen?“

Mein Schatz schaute an sich herunter und schüttelte den Kopf.

„Nicht dass ich wüsste.“

„Isst du auch genug?“

„Jeden Tag meine drei Mahlzeiten!“, meinte er lächelnd.

„Du wolltest sicher Lucas abholen?“

„Nein, ich wollte einfach den Mittag mit ihm verbringen, egal wo.“

„Dann werde ich mal in die Küche gehen und etwas für den Mittagstee machen.“

„Bitte keine Umstände wegen mir.“

Ich weiß doch, wie sehr Lucas mein Gebäck liebt, das sind keine Umstände.“

Und schon war sie verschwunden. Ich lächelte und jetzt wo wir alleine waren, nahm ich ihn in den Arm und gab ihm einen Kuss.

„Nicht doch Lucas, wenn dein Großvater kommt.“

„Tut er nicht, oder siehst du ihn irgendwo. Außerdem wird er sich schon daran gewöhnen, weil mich gibt es nur mit meinem Schatz zusammen!“

Er lächelte wieder.

„Ich wollte mich noch einmal für die Palme bedanken, sie passt sehr gut in mein Büro.“

„Ah, wo du davon anfängst, Juen hat mir eure Firmenkarte gegeben…, ich fühle mich irgendwie unwohl Geld davon zu benutzten.“

„Das ist kein Firmengeld, das ist mein Konto in der Firma.“

„Ach so, dass wusste ich nicht, aber ist genauso komisch, weil es dein Geld ist. So gesehen hast du die Palme selbst bezahlt!“

„Ist doch egal Lucas. Ich habe jetzt genug Geld und es ist viel zu viel für mich alleine.“

Ich gab mich geschlagen, es brachte nichts, dagegen zu sein.

„Komm, setzten wir uns, mir ist da etwas eingefallen, wo ich dich darüber fragen wollte.“

„Was denn?“, wollte Hyun-Woo wissen.

„Weißt du schon, wie du Weihnachten verbringst?“

*-*-*

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