Adventskalender – Ein anderes Leben – 17. Türchen (16 Teil)

Hyun-Woo schaute mich etwas gequält an.

„Ich weiß es nicht so recht. Die vergangenen Jahre habe ich an Weihnachten immer gearbeitet.“

„Du hast Weihnachten nicht mit deiner Mutter und Großmutter verbracht?“

Er schüttelte den Kopf. Großmutter kam zurück und suchte etwas.

„Großmutter, hast du schon überlegt, wie wir Weihnachten dieses Jahr feiern?“

Sie hielt inne und drehte sich zu uns.

„Naja, bisher haben wir die letzten Jahre Weihnachten nie so richtig gefeiert…“

„Das kann man ja dieses Jahr ändern“, sagte ich fröhlich.

„Hast du dir da schon etwas überlegt?“

„Hm, wenn ich mir recht überlege, hätte ich da schon einen Vorschlag. An Heiligabend werde ich wohl den Abend mit meinen Eltern und Schwester verbringen, weil wir in Deutschland an diesem Abend immer feiern.“

„Das wusste ich nicht.“

„Ist auch nur bei uns in Deutschland so. Aber am nächsten Tag dachte ich, hier vielleicht mit der ganzen Familie und eventuell Freunden Weihnachten zusammen zu feiern.“

„Das wäre schön…“, sagte Großmutter.

War das wirklich ihre Meinung? Sie sah nicht gerade glücklich aus. Ich ging zu ihr hin und nahm ihre Hände.

„Was ist los Großmutter?“

„…seit dem Verschwinden meiner Tochter, deiner Mutter haben wir kein richtiges Weihnachtsfest gefeiert. Ich dachte, dass wir nie wieder das gemeinsam feiern werden.“

Tränen rannen über ihre Wangen, was mich nicht kalt ließ. Meine Augen wurden ebenso feucht.

„Großmutter, ich verspreche dir, dass wird das schönste Weihnachtsfest, dass du dir vorstellen kannst!“

„Danke mein Junge.“

Dann verschwand sie aus dem Raum. Ich wischte die Tränen weg und sah zu Hyun-Woo. Er kam zu mir und nahm mich in den Arm.

„Ich kann mich immer wieder nur wiederholen…, ich bin so stolz, dass ich dein Freund sein darf, ich liebe dich Lucas Dremmler!“

*-*-*

Die nächste Überraschung kam, als Hyun-Woo die Eingangstür zur Wohnung aufschob. Vor uns standen fein säuberlich verpackt, die Pflanzen, die ich am Morgen gekauft habe.

„Was ist das?“

„Für die Wohnung“, meinte ich, legte ab und schnappte mir die erste Pflanze. Langsam kam die Pflanze zum Vorschein, auch der blaue Übertopf, den ich dafür ausgesucht hatte. Das Papier ließ ich einfach fallen und stellte die Pflanze aufs Regal neben dem Fernseher.

„Das ist ein schönes Blau…“, sagte Hyun-Woo.

„Dir gefällt es?“

Er nickte und lächelte breit. Ich verteilte die restlichen Pflanzen und merkte schnell, ich hätte noch viel mehr kaufen können. Hyun-Woo stand in mitten des Raumes und drehte sich.

„Das ist sehr schön, Lucas! Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen.“

Ich nahm in den Arm und schaute mit ihm die neuen Bewohner in der Wohnung an.

„Vielleicht irgendwann, wenn es bei euch etwas ruhiger wird und du vielleicht mehr Zeit hast, darüber nach zu denken.“

„Du denkst, es wird irgendwann ruhiger?“

„Ist bei einer Neueröffnung nicht immer viel zu tun… Ich denke…, wenn ihr euch eingespielt habt, eure Leute eingearbeitet sind, dann wird es ruhiger und es kommt vielleicht auch ein bisschen Routine hinein.“

„Dein Wort in Gottes Gehörgang!“, meinte Hyun-Woo.

Ich zeigte ihm die Spitze meiner Zunge, worauf er durch meine Haare wuschelte.

„Gefällt mir immer besser…“

„Mein Haare?“

Er nickte.

„Die schwarzen kurzen Haare und die grünen Augen dazu…, da fällt mir nur magisch ein.“

„Du übertreibst!“

„Nein, das kommt aus der Tiefe meines Herzens.“

Für dieses Kompliment gab ich ihm einen Kuss auf die Nase.

„Möchtest du noch etwas essen, hast du Hunger?

„Eigentlich nicht. Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich gerne ins Bett gehen, aber wenn du noch etwas essen möchtest, leiste ich dir gerne Gesellschaft.“

„Ich habe ebenso kein Hunger und etwas früher zu Bett gehen, schadet mir auch nicht.“

Ich grinste ihn an. Eine Tonfolge ließ mich zur Wohnungstür gucken. Jemand gab den Code vom Schloss ein. Er knackte kurz und Juen betrat die Wohnung. Er sah nicht sonderlich gut aus.

„Hallo ihr beiden…“, meinte er und lief geradewegs zu seinem Zimmer.

„Hallo Juen, alles klar mit dir?“, fragte ich.

Er winkte ab und verschwand in seinem Zimmer. Ich schaute zu Hyun-Woo, der mit der Schulter zuckte. Mein Blick haftete nun auf der Zimmertür von Juen. Ich spürte Hyun-Woos Hand auf meinem Rücken, wie sie mich Richtung Tür schob.

„Jetzt geh schon, sonst hast du e keine Ruhe. Ich geh dann mal duschen.“

Ein kleiner Kuss auf die Wange und er verschwand im Schlafzimmer. Ich schaute wieder zur Tür, hinter der Juen verschwunden war. Ohne groß darüber nach zudenken, klopfte ich an.

„Ja?“, hörte ich es von drinnen.

„Ich bin es, Lukas, kann ich eintreten?“

Ich bekam keine Antwort. Sollte ich ihn in Ruhe lassen? Nein, ich hatte versprochen für ihn da zu sein. Ich drückte die Klinke hinunter und schob langsam die Tür auf. Juen saß auf seinem Bett und starrte zu Boden.

Seine Schuhe lagen im Zimmer verstreut und von seinem Hemd hatte er sich ebenso entledigt. Das hatte er einfach so über den Stuhl geworfen. Ich trat ein und schloss die Tür hinter mir. Dann setzte ich mich neben ihn.

„Ist nicht gut gelaufen…?“

„…das ist es nicht…“

„Was bedrückt dich sonst?

Er schaute auf und atmete tief durch, dann rieb er sich über das Gesicht. Danach wanderte sein Blick zu mir.

„Ich…, ich weiß einfach nicht was das Ganze soll. Es bringt nur den Schmerz zurück!“

Also ging es um seine Mutter.

„Lucas, mein Vater war auch zugegen und es sah aus, als würde er alles mit Fassung tragen. Seine Augen sagten aber etwas anderes, innerlich verriss es ihn fast. Ich möchte nicht noch einmal durchmachen, was wir gemeinsam, nach dem Unfall durch gemacht haben!“

Das verstand ich, aber hieß es nicht, dass Wahrheit einem die innere Ruhe wieder schenkt. Ich nahm ihn in den Arm, weil mir nichts einfiel, was ich dazu sagen konnte. Er vergrub sein Gesicht in meiner Schulter und weinte.

Ja, weine… dachte ich für mich, das tut dir gut! Er wirkte jetzt so zerbrechlich, obwohl er älter war als ich. Ich tätschelte ihm auf den Rücken.

„… es wird alles wieder gut!“, sagte ich leise.

Ich legte mein Kinn auf seinen Kopf und starrte in die Lampe, die den Raum erleuchtete. Ob, wirklich alles wieder gut werden würde. Seine Mutter war krank und würde wahrscheinlich in diesem Zustand bleiben.

Ich hätte mal Young-Sung, Papas Freund fragen sollen, ob so etwas nicht behandelbar ist, denn jetzt wusste ich keinen Rat. So saß ich nur da, nichts sagend und tröstete ihn.

*-*-*

Als ich das Schlafzimmer betrat, lag Hyun-Woo bereits im Bett und hatte er irgendwelche Papiere in der Hand. Er schaute auf.

„Wie geht es Juen?“, wollte er wissen.

„Er ist eingeschlafen. Ich entledigte mich meiner Klamotten und lief nur in Shorts ins Bad. Wenig später, als ich zurück kam, hatte Hyun-Woo die Papiere zur Seite gelegt und schaute zu mir.

„Das alles nimmt Juen sehr mit. Dass die den Fall wieder aufrollen, bringt auch Erinnerungen zurück. Das schmerzt Juen sehr, auch seine Vater wieder so zu sehen.“

„Sein Vater?“

„Der muss wohl auch bei Onkel Min-Chul gewesen sein.“

„Den habe ich noch nicht kennen gelernt.“

„Ich auch nicht. Als Jae-Joong und ich zusammen Juens Sachen abholten, da war nur seine Mutter anwesend. Von seinem Vater hat er fast nichts erzählt.

„Ich verstehe, dass solche Erinnerungen schmerzhaft sein müssen und das heißt nur, Juen hat sie wahrscheinlich für sich noch nicht richtig verarbeitet.“

„Kann man so etwas überhaupt?“, fragte ich.

Ich krabbelte ins Bett neben Hyun-Woo und stückte meinen Kopf auf der Hand auf.

„Ich weiß noch, als mein Vater starb. Die Zeit für mich war schwer, denn ich wusste nicht, wie es ohne meinen Vater weiter gehen sollte. Ich habe auch das Bild noch im Kopf, wie sehr meine Mutter und auch Großmutter damals geweint haben.“

Als meine Großeltern starben, war ich noch zu klein und Mama meinte, die beiden sind jetzt im Himmel. Natürlich kann man bei einem Erwachsenen so etwas nicht mehr sagen. Aber man versucht auf andere Art zu trösten.

„Es ist immer noch präsent, aber es tut nicht mehr so weh wie früher. Ich weiß nicht wie lange es dauert, dass solche Gedanken einen schmerzen.“

„Bei Juen schon zehn Jahre.“

Hyun-Woo starrte zur Decke und nickte, danach drehte er den Kopf wieder zu mir.

„Großmutter war mir zu der Zeit eine große Hilfe. Sie hat viel mit mir geredet, obwohl sie ihren Sohn verloren hatte  Aber diese Gespräche gaben mir die Möglichkeit, das Ganze anders zu verstehen“

„Aber dein Vater fehlt dir dennoch?“

„Klar fehlt er mir, aber wie gesagt, es tut nicht mehr so weh wie früher“, antwortete mir Hyun-Woo und lächelte.

Ich ließ mich nach hinten fallen.

„Komisch, seit ich hier bin, merke ich immer wieder, wie behütet ich bei meinen Eltern aufgewachsen bin. Erst hier ist so viel im Argen…“

„Ich hoffe, dass nimmt dich nicht zu sehr mit.“

„Es rührt mich natürlich und regt zum denken an. Aber irgendwie hat jeder ein Päckchen zu tragen, oder?“

Hyun-Woo beantwortete meine Frage mit einem Nicken.

„Wir sollten schlafen, damit du morgen fit bist!“

„Fit für was?“

„Ich weiß nicht, was für Ideen du morgen hast. Die Pflanzen auf alle Fälle gefallen mir gut!“

Hyun-Woo löschte sein Licht. Ich krabbelte unter meine Decke und machte ebenso meine Lampe aus und kuschelte mich an Hyun-Woo.

*-*-*

Am Morgen, gut ausgeschlafen, wachte ich früh auf. So hatte ich die Möglichkeit mit Hyun-Woo zu frühstücken. Es war eben doch etwas anderes, als später mit Juen zusammen zu sitzen.

Als er aufbrach, nahm ich ihn noch einmal in den Arm und küsste ihn innig. Das Schloss der Tür schnappte ein und es kehrte wieder Ruhe ein. Ich überlegte, was ich machen sollte.

*-*-*

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