„Mum…, Tante Abigail.“
„Oh, Vater, du bist auch hier?“, kam es überrascht von Tante Abigail.
„Ja, da drüben war es mir…, etwas zu laut.“
„Ach so…“
„Euch wohl auch, oder warum seid ihr hier?“
Sie und Mum schauten uns an, wir wiederum zu Grandpa. Es herrschte kurz eine Stille. Dann machte ich etwas, was später hoffentlich nicht bereute. Aber in diesem Augenblick empfand ich es als richtig.
Ich stand auf, ging zur Tür, schob die zwei Damen ins Zimmer und schloss die Tür.
„Was soll das?“
„Mum bitte…“
Ich zog den Stuhl vom Schreibtisch zu Grandpa.
„Tante Abigail setzt dich bitte und Taylor, machst du bitte Platz für meine Mutter.“
„Sicher doch“, meinte dieser und stand sofort auf.
„Jack, wenn es sich um die Sache von vorhin handelt, ich habe dir gesagt, vergiss das schnell wieder.“
„Du hast es wohl nicht vergessen, oder warum bist du sofort zu Abigail gelaufen und jetzt wieder hier?“
Mum sagte darauf nichts und setzte sich nun in den Sessel.
„Kinder, Kinder, ihr werdet doch jetzt nicht anfangen zu streiten, was ist denn los?“, fragte nun Grandpa.
Taylor hatte sich hinter Mums Sessel verzogen, während ich mich zu Mum auf die Lehne setzte.
„Wir haben gesagt, keine Geheimnisse mehr“, begann ich.
Ich schaute Tante Abigail und dann zu Mum.
„Was für Geheimnisse?“, fragte Grandpa.
Ich drehte mich wieder zu ihm.
„Grandpa, du sagtest vorhin, du verstehst nicht, warum ich zu Gregory bisher so wenig Kontakt hatte.“
Er nickte.
„Jack, bist du dir sicher, ob du das erzählen willst?“
„Sicher bin ich mir nicht, aber ich empfinde es als richtig. Und besteht nur ein Fünkchen Hoffnung, dass da etwas Wahres dran ist, muss ich was machen, ich kann nicht still da sitzen und gar nichts tun.
Grandpa sah mich immer noch fragend an.
„Wenn du meinst…, also ich weiß nicht recht.“
„Grandpa“, sprach ich einfach weiter, „Gregory war zu uns gekommen, um zu fragen, ob er bei uns mitfahren durfte. Mum und ich hatten dann die Vermutung, Sabrina hätte ihm etwas gesagt und deswegen kam er zu uns.“
„Das hat er nicht?“
„Nein! Wie ich dir schon sagte, lebt Gregory bei den O’ Sullivans. In einem kleinem Zimmer mit separaten Eingang, genau genommen. Sabrina hat uns erzählt, dass sie eigentlich ihn so gut wie nie zu Gesicht bekommt, außer eben in der Schule. Ich wusste zwar von einem Untermieter, aber nicht, dass es sich um Gregory handelt.“
„Bis dahin kann ich dir folgen, Junge. Aber wo liegt nun das Geheimnis, dass du mir sagen willst?“
„Gleich, lass mich bitte weiter erzählen.“
Grandpa nickte mir zu.
„Als etwas später Sabrina zu uns kam, habe ich sie natürlich mit Vorwürfen überschüttet, warum sie eine eigentlich für uns fremde Person sagt, sie könne bei uns Mitfahren.“
„Was sie nicht hat?“
„Nein, Gregory hat dies alles bei einer Unterhaltung zwischen Sabrina und ihren Eltern aufgeschnappt. Da kam ihm die Idee, bei uns mitfahren zu wollen, damit er zu Weihnachten seine Großeltern sieht.“
„Aber warum wohnt er bei den O‘ Sullivans und nicht bei seinen Eltern?“, fragte Grandpa.
„Grandpa, als Gregory geboren wurde, ließ seine Mutter ihn und seinen Vater kurz darauf sitzen.“
„Der arme Junge.“
„Dann hat ihn sein Vater alleine groß gezogen, ist aber später an Krebs erkrankt und gestorben.“
Grandpa schaute mich geschockt an.
„Da haben seine Großeltern, die hier in Newbury leben, die Erziehung übernommen und ihn später ermöglicht, in London zur Schule zu gehen. Da Gregorys Vater und die O‘ Sullivans befreundet waren, haben diese Gregory ermöglicht, bei ihnen in London zu wohnen.“
„Das ist wirklich ein armen Junge, was er alles durchmachen musste“, sagte Grandpa nachdenklich, schaute dann aber wieder zu mir.
„Aber warum ist das ein Geheimnis, das ist doch nicht schlimm?“
„Das ist es nicht, Grandpa. Natürlich haben Sabrina und ich ihn gefragt, ob er schon mal nach seiner Mutter geforscht hat.“
„Wann habt ihr das gemacht, davon habe ich gar nichts mitbekommen“, fragte Mum.
„Da warst du ihn der Tankstelle bezahlen.“
„Als du mit mir telefoniert hast?“, wollte nun Tante Abigail wissen.
Mum nickte.
„Ich wollte mich nur vorher absichern, ob ich jemand zum Tee einladen kann.“
„Wieso?“, fragte ich.
„Ich kann doch nicht einfach jemand Fremdes zu deinem Großvater einladen, ohne vorher zu fragen, zudem hat mich die Geschichte von Gregory mitgenommen und ich wollte ihn einfach etwas aufmuntern.“
Eine kurze Stille trat ein und ich suchte nach dem roten Faden, den ich jetzt verloren hatte.
„Ach so, er hat uns dann erzählt, dass seine Großeltern verboten haben, nach dieser Frau zu suchen, weil sie mit ihr nichts mehr zu tun haben wollen.“
„Verständlich“, sagte Großvater.
„Aber er hat in einer früheren Unterhaltung zwischen seinem Vater und seinen Großeltern mitbekommen, dass diese Frau wohl aus einer reichen Familie stammen musste, sonst wusste er nichts.“
„Ich gebe zu, das ist alles sehr geheimnisvoll, aber ich verstehe immer noch nicht, warum ihr mir das nicht gleich erzählt habt?“, sagte Grandpa.
Ich atmete tief durch und stand auf.
„Ich habe… vorhin Tante Sophia Geldbörse vor dem Haus gefunden und habe nachgeschaut, ob ich vom Besitzer in der Börse etwas finde. Da habe ich Tante Sophias Ausweis gefunden, wo draufstand, dass sie Sophia Hamilton Contess of Newbury heißt.“
„Hamilton?“, fragte Tante Abigail und wurde ganz weiß im Gesicht.
„Sophia ist verheiratet?“, fragte Grandpa Tante Abigail, die abwehrend ihre Hände hob.
„Davon weiß ich nichts, Vater!“
„… und Gregory…“, sprach ich einfach weiter, „heißt ebenso Hamilton mit Familienname…“
Grandpa schaute mich an, als hätte er von all dem, was ich gerade gesagt hatte, nichts verstanden.“
Stille kehrte ein und nur das Knistern des Feuers war zu hören. Grandpa senkte seinen Kopf.
„Ich weiß, das Sophia eine Lebefrau ist und kein Respekt vor Geld oder anderen hat. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sie zu so etwas im Stande wäre.“
Plötzlich fing Tante Abigail sarkastisch an zu lachen. Verwundert schauten wir sie an. Sie stand auf und lief zum Fenster.
„Deine ach so liebe Tochter! Obwohl sie schon so viel Mist gebaut hat, stehst du immer noch zu ihr, nimmst sie in Schutz, obwohl sie dich schon so viel Geld gekostet hat!“
So hatte ich Tante Abigail noch nie reden hören. Sie drehte sich um und wandte sich direkt an Grandpa.
„Du hast dich immer gewundert, dass ich nie geheiratet habe.“
„Was hat das mit Sophia zu tun?“, fragte Grandpa verwundert.
„Viel…, sehr viel sogar! Ich habe damals jemanden kennen gelernt, einen sehr sympathischen Mann. Er kam aus guten, aber bescheidenen Elternhaus, hatte aber eine tolle Position in einer Firma inne. Und da ich zu Hause nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen wollte, wandte ich mich an meine ältere Schwester und fragte sie nach Rat, wie ich dir vielleicht deinen zukünftigen Schwiegersohn vorstellen könnte.“
Grandpa sagte nichts, starrte sie nur an.
„Aber der Schuss ging nach hinten los, denn deine ach so liebe Tochter spannte mir den Mann aus. Wie sie das geschafft hat, weiß ich bis heute nicht.“
„Deswegen hast du nie geheiratet?“, rutschte mir heraus.
„Jack!“, mahnte mich Mum.
„Ach lass ihn doch Charlotte, er hat Recht. Daraufhin waren alle Männer für mich Luft.“
„Alles… nur… wegen Sophia?“, stotterte Grandpa.
Seine Augen wurden traurig, sehr traurig.
„Ich traue das meiner Schwester sehr wohl zu und…“, auch Tante Abigail bekam glasige Augen, „ und… Logan, den einzigen Mann, in den ich mich je verliebt habe…, hieß auch Hamilton mit Nachname.“
„Oh Abigail“, meinte Mum und ging zu ihr hin.
Ich schaute zu Taylor, der bis jetzt den Mund gehalten hatte. Er beugte sich zu mir vor.
„Was haben wir da losgetreten?“, flüsterte mir Taylor zu.
„Davon wusste ich nichts Taylor.“
Mum hatte Tante Abigail in den Arm genommen, weil sie leise zu weinen begann.
„Habe ich in der Erziehung meiner Kinder so versagt? Warum ist alles schief gelaufen?“
Ich schaute zu Grandpa, der Richtung Feuer sah.
„Ich habe immer versucht, euch ein guter Vater zu sein, streng, aber gut. Ich dachte, nachdem eure Mutter davon gelaufen war, könnte ich das alles alleine schaffen…, da habe ich mich wohl geirrt.“
Er stand auf und verließ das Zimmer.
„Vater?“, rief Tante Abigail mit verweinter Stimme.
Kurz darauf, hörten wir die schwere Haustür ins Schloss fallen. Tante Abigail wollte ihm nachlaufen, aber Mum hielt sie zurück.
„Er ist nur leicht angezogen und wird sich da draußen den Tod holen.“
„Wo ist seine Jacke?“, fragte ich.
„Was hast du vor?“, fragte Taylor.
„Schatz, hol du unsere Jacken aus unserem Zimmer, ich hol die von Grandpa.“
„Okay“, meinte Taylor und verschwand ebenso aus dem Zimmer.
„Da kann man richtig neidisch werden“, sagte Tante Abigail.
„Du auch?“, kam es von Mum, beide lächelten.
„Hä…was?“
„So liebevoll du deinen Freund gerade Schatz genannt hast…“
Mit rotem Kopf und ohne etwas zu sagen, verließ ich die Bibliothek.
*-*-*
Es hatte aufgehört zu schneien, der Himmel aufgerissen und bitter kalt.
„Wo ist er nur hingelaufen?“, fragte Taylor und sah wie ich in alle Richtungen.
„Der Mond scheint und man kann sehen wo man hinläuft.“
„Toll, dann kann er überall hingelaufen sein. Du, da stehen noch die restliche Fackeln, nehmen wir die mit?“
„Gute Idee.“
Nach einer viertel Stunde, trafen wir uns wieder am Stall.
„Auch nichts?“
Taylor schüttelt den Kopf und ich überlegte, wo wir noch nach schauen konnten. Da fiel mir etwas ein.
„Komm, ich weiß wo er vielleicht sein könnte“, und lief los.
„Wo willst du hin?“
„Zum Bootshaus!“
„Wieso zum Bootshaus?“
„Weil da irgendwie alles seinen Anfang genommen hat.“
Es dauerte eine Weile, bis wir dort angekommen waren. Der Mond schien zwar, aber dennoch war schnell eine Wurzel oder Zweig übersehen.
„Du hattest Recht, da steht er“, flüsterte Taylor.
„Grandpa…?“, rief ich.
Er reagierte nicht und Taylor schob mich in seine Richtung.
„Grandpa?“, sagte ich nun etwas leiser, als ich nun direkt hinter ihm stand.
Ich umrundete ihn und sah im Schein des Mondes, dass ihm Tränen über die Wangen verliefen.
„Ich habe alles falsch gemacht, oder?“
„Quatsch!“, sagte ich und zog ihm etwas umständlich die dicke Jacke an.
Ich holte den dicken Schal aus meiner Jackentasche und band ihm ihn um den Hals.
„Was hättest du anders machen können?“
Er seufzte und wischte sich die Tränen aus den Augen.
„Ich habe deine Großmutter enttäuscht und sie in die Arme dieser Frau getrieben…, hätte ich deinem Vater mehr vertraut, würde er wahrscheinlich noch leben und die Geschichte wiederholt sich anscheinend immer wieder, sonst hätte Sophia nicht ihren Jungen im Stich gelassen, so wie es meine Frau mit ihren Kindern gemacht hat.“
Langsam wurde ich ärgerlich, warum suchte er nun die Schuld bei sich?
„Das ist doch Bullshit, Grandpa!“
„Jack!“, hörte ich Taylors mahnende Stimme.
Ich war etwas lauter geworden, aber brachte fertig, dass Grandpa mir jetzt in die Augen sah.
„Deine Frau hat sich für jemand anders entschieden, hätte aber auch weiter hin zu dir halten können, dass war alleine ihre Entscheidung, so wie es auch Tante Sophias eigene Entscheidung war, Gregory im Stich zu lassen, um ihr ach so tolles Leben weiter zu führen.“
Grandpa entgegnete nichts.
„Papa ist nicht durch deine Schuld gestorben, daran war dieser Idiot Schuld, der ihm in die Karre gefahren ist und er wäre nie in Misskredit gekommen, wenn Onkel Henrys Frau nicht die Dokumente fälschen hätte lassen!“
Ich hatte mich in Rage geredet. Taylor trat neben mich und zupfte an meinem Jackenärmel.
„Was? Habe ich nicht Recht?“
„Ähm… du brauchst nicht so zu schreien…“
Ich schloss die Augen und atmete tief durch. Taylor hatte Recht, aber ich war wütend. Wo hatte das liebe viele Geld die Familie hingebracht?
„Entschuldige…“
„Du brauchst dich bei mir nicht entschuldigen…, aber vielleicht bei deinem Grandpa…?“
„Lass gut sein Taylor…, Jack hat Recht. Das liebe Geld macht nicht glücklich, es verdirbt die Menschen nur. Mich auch.“
Resigniert schaute er zu Boden.
„Das stimmt nicht… Grandpa“, sagte Taylor plötzlich, „… sie ermöglichen mir mit ihrem Geld, dass ich studieren darf… sie … du …ach Mensch! Du hast Jacks Mum geholfen, einen neues Geschäft zu finden, du finanzierst auch Jacks Studium! Was ist daran schlecht? Schlecht ist immer nur, wenn man sich für den falschen Weg entscheidet, nicht das Geld!“
„Taylor…!“, sagte ich verwundert und lächelte ihn an.
„Es tut mir weh, wenn ich deinen Grandpa sehe, wie er unter diesen Sachen leidet. Es ist nicht Recht! Ich war froh, als er mir damals die Möglichkeit gab, hier meine Lehre zum Pferdewirt zu beginnen. Nie habe ich mir Gedanken darum gemacht, wie viel Geld er wohl hat. Ich bin glücklich mit meiner Schwester und meinem Leben!“
Nun liefen auch bei Taylor die ersten Tränen.
„Ach Taylor“, meinte Grandpa und griff nach Taylors Hand.
Ich griff mir die andere.
„Joseph…?“
Ich zuckte zusammen, als ich Mums Stimme plötzlich hörte. Eine Taschenlampe flammte in unsere Nähe plötzlich auf und ich konnte Mum und Tante Abigails Umrisse erkennen.
„Mum, woher wisst ihr, wo wir sind?“
„Sagen wir mal, eine laute Stimme hat uns zu euch geführt.“
Taylor nahm die Fackeln, die er sich unter dem Arm geklemmt hatte und zündete sie an. Danach steckte er sie in den Boden, während die zwei Frauen an uns heran getreten waren.
„Joseph, ich habe nie dich persönlich für alles verantwortlich gemacht“, sprach Mum weiter, „Es war die Familie, die Traditionen, naja, vielleicht auch das Geld. Dich trifft keine Schuld, du hast das gemacht, was du für richtig hieltst.“
„… und es war leider das Falsche.“
„Vater, wie kann man wissen, ob es richtig ist, oder falsch?“, fragte Tante Abigail.
„Ich habe von meinem Enkel gelernt, das man öfter seinem Herz vertrauen soll, als auf seinen Verstand… stimmt doch, oder?“
Ich nickte lächelnd.
„Und man kann daran nichts ändern, es ist alles passiert!“
Grandpa nickte nun auch.
„Was ist jetzt aber mit Gregory?“, fragte Taylor.
1 Kommentar
Huhuu,
also der Kalender ist wieder sehr spannend geschrieben, macht viel Spaß beim Lesen. Bin sehr gespannt, wie es weitergeht.
LG Andi