Adventskalender – Spieglein, Spieglein an der Wand – Teil 11

„Ja!“, strahlte mich Angus an.

„Würdest du da gerne hingehen?“

„Klar!“, lachte Angus.

„Jetzt sofort?“

„Wie jetzt sofort?“

„Wenn wir beide, die Möglichkeit hätten, in dieses Land zu gehen, würdest du mich begleiten wollen?“

In Angus Kopf schien es mächtig zu rumoren, denn es schien, als schaute er durch mich hindurch. Ein Wimpernschlag und sein Blick änderte sich wieder.

„Du hast einen Zugang gefunden, stimmt es?“

„Ja…“

Seine Augen wurden erneut groß.

„Und du willst, mit mir dorthin gehen?“

„Ja…, unter einer Bedingung…!“

„Welche?“

„Das bleibt unter uns!“

„Versprochen!“, sprudelte es aus Angus heraus und legte seine Hand sogar auf sein Herz.

Ich musste lächeln und erhob mich. Nach seiner Hand greifend, zog ich ihn hoch.

„Dann komm!“

„Du meinst das also wirklich ernst…, willst mich nicht verschaukeln, … so als Rache, weil ich dich durch gekitzelt habe?“

Wieder ging ich mit meinem Gesicht, dicht an seins. Er wich etwas zurück.

„Habe ich dich je angeschwindelt?“

Zaghaft schüttelte er den Kopf.

„Dann komm!“

„… ähm, darf ich dich noch etwas fragen?“

„Angus, du darfst mich alles fragen!“

„Findest du mich nicht anziehend?“

Ich zog die Augenbrauen hoch und schaute ihn durchdringend an. Mit dieser Frage, hätte ich jetzt nicht gerechnet.

„Also ich me… meine“, fing er wieder an zu stottern, „ich ku… kuschle gerne mit dir, schl… schlafe nackt in deinen Armen, …wo… wolltest du nie mehr von mir?“

Ich konnte nicht anders und musste breit grinsen. Dann strich ich ihm erneut über seine Wange.

„Angus, ich weiß, dass du auf Frauen stehst und ja, ich finde dich absolut süß und begehrenswert! Aber…, für mich bist du wie ein kleiner Bruder, der ich wahnsinnig lieb habe.“

Um das Gesagte zu unterstreichen, nahm ich ihn in den Arm und küsste seine Stirn. Seine Arme schlangen sich fest um mich und ein leises „danke“ war zu hören.

*-*-*

Ich hatte vorsorglich den Fernseher ausgemacht und das Licht im Zimmer , bis auf ein kleines Lämpchen auf dem Fenstersims reduziert. Danach hatte ich Angus vor den Spiegel gezogen. Langsam schien mein kleiner Freund es doch mit der Angst zu tun, denn er drückte sich eng an mich und leichte Gegenwehr war zu spüren.

„Angus, wir müssen nicht, wenn du nicht willst.“

„Doch ich will…, aber es ist etwas unheimlich.“

„Keine Sorge, dir passiert nichts und ich verstehe dich, es ging mir beim ersten Mal nicht anders!“

„Du warst schon öfter dort?“

„Früher ja, aber das ist eine andere Geschichte.“

Angus sah an sich herunter.

„Soll ich mir nicht anderes anziehen?“

„Warum?“, lachte ich.

„Ich… bin doch unpassend gekleidet, oder?“

„Angus, ich habe fast dasselbe an wie du, glaub mir, das reicht völlig.“

„Aber ich geh schnell hoch und hol mir Schuhe!“

Dieses Mal nahm ich mit beiden Händen seinen Kopf und zog ich wieder dicht an mich heran.

„Du kannst so bleiben wie du bist, Kleiner! Keine Sorge, es ist alles in Ordnung.“

Ich richtete mich auf nahm seine Hand und schaute auf den Spiegel.

„Tano-Jano!“, sagte ich leise und spürte, wie sich der Druck von Angus Hand auf meine Finger verstärkte.

Wie beim letzten Mal, begann das Spiegelbild von uns beiden, dass ich übrigens recht lustig fand zu verschwimmen und wandelte sich in das gewohnte Bild der Wiese.

„Wow!“, hörte ich Angus neben mir flüstern.

„Bereit?“, fragte ich ihn und er nickte.

Ich hob die Hand, berührte den Spiegel mit der Fingerspitze, dessen Oberfläche sich darauf ringförmig nach außen bewegte.

„Darf ich auch?“, sagte Angus aufgeregt.

Ich nickte. Auch er hob nun seine Hand und tat mir es gleich. Wieder bewegte sich die Oberfläche, als hätte man einen Stein ins Wasser geworfen.

„Das ist ganz warm“, meinte Angus leise, ohne meine Hand loszulassen.

„Willkommen in meinem Reich“, hörte ich Tano-Janos Stimme in meinem Kopf.

Angus wich entsetzt zurück.

„Ha… hast du das auch gehö… hört?“

„Ja, das ist Tano-Jano… und nun komm!“

Ohne auf eine Reaktion von Angus zu warten, zog ich ihn einfach mit mir und wenige Sekunden später stand er mit mir auf der Wiese. Er hob die Hand und verdeckte seine Augen. Eben noch im dunklen Flur und jetzt in der Sonne, verständlich.

Langsam sank die Hand und er schaute auf seine immer noch nackten Füße. Seine Zehen spielten mit dem Gras.

„Das ist ganz warm und feucht…“, sagte er leise und fing an zu kichern.

„Komm, ich möchte dir jemanden vorstellen.“

„Die Frau mit den roten Locken?“

Seine Aufregung war wieder sichtbar und sein Gesicht wurde rot.

„Sie heißt Melanie, aber ich weiß nicht ob sie da ist! Ich will dir jemand anderes vorstellen.“

„… Melanie… schöner Name“, flüsterte er.

Ohne etwas zusagen, zog ich ihn Richtung Haus, das am Rand der Wiese stand.

„Da ist das Haus wieder und es sieht genauso aus, wie du gesagt hast“, meinte Angus neben mir.

Meine Hand ließ er nicht los. So umrundete ich das Haus und die man hatte freie Blick auf die Veranda. Lächelnd stellte ich fest, dass Granny wie gewohnt in ihrem Schaukelstuhl saß. Als sie uns bemerkte, begann sich zu lächeln.

„Hallo Finn, das ist aber schön, du hast jemanden mitgebracht!“

„Hallo Granny!“

Angus stoppte abrupt neben mir. Mit weit aufgerissenen Augen schaute er mich an.

„Das… das ist deine Granny?“

Ich nickte und zog ihn zu den Stufen.

„Granny, darf ich dir Angus vorstellen, er wohnt mit mir seit einer Woche in unserem Haus.“

„Hallo Angus“, strahlte Granny ihren zweiten Gast an.

Angus blickte mich ungläubig an.

„Ist das Oma Denna…, von der… Connor erzählt hat?“

„Er kennt Connor?“, fragte Granny.

„Ja, er kennt Connor, wir sind nach wie vor die besten Freunde. Connor hat mir geholfen, als wir Angus kennen lernten und es ihm nicht so gut ging.

Grannys Lächeln verschwand kurz.

„Ich weiß…“, meinte sie , lächelte dann aber wieder.

Ich sah sie fragend an, aber sie winkte ab.

„Deine Granny kennt Connor, war er denn auch hier?“, fragte Angus.

„Setzt euch doch Kinder, ihr braucht doch nicht zu stehen“, meinte Granny, bevor ich Angus Frage beantworten konnte.

Ich umarmte Granny kurz, gab ihr einen Kuss auf die Wange und setzte mich wieder auf die Bank neben sie. Angus ließ sich einfach neben mir fallen und schaute Granny ungläubig an.

„Connor und Finn waren als Kinder oft hier zum spielen“, beantwortete nun Granny Angus Frage.

Sein Blick löste sich von ihr und wanderte zu mir.

„Warum habt ihr mir das nicht früher erzählt?“

Die Frage klang nicht vorwurfsvoll. Es war reine Neugier.

„Weil ich das alles hier vergessen habe, Kleiner. Du erinnerst dich, Connor erzählte von Oma Dennas Geschichten?“

Angus nickte.

„Das ist alles wirklich passiert, das haben wir alles so erlebt, es aber leider vergessen, als wir erwachsen wurden. Es ist uns nur als Geschichten in Erinnerung geblieben.“

„Ein Kinderherz sieht mehr, als andere!“, hörte ich Granny neben mir sagen.

„Hat Angus deswegen die Wiese im Spiegel gesehen, weil er tief im Herzen noch ein Kind ist?“, fragte ich.

„Auch…“, nickte sie und ihr Lächeln verschwand wieder.

Sie beugte sich nach vorne und griff nach Angus Hand.

„Was meinst du damit, Granny?“, fragte ich verwundert.

„Da gibt es etwas, was Angus wissen sollte. Ihr zwei habt euch nicht ohne Grund kennen gelernt…“

Fragend schaute ich zu Granny, dann zu Angus.

„Angus, du weißt nicht, wer deine Eltern sind?“

Der Kleine neben mir schüttelte den Kopf. Granny schaute nun mich wieder an.

„Es fällt mir etwas schwer, darüber zu sprechen…, weil es etwas mit meinem Sohn zu tun hat.“

„Welchen…?“, wollte ich wissen.

„… deinen Vater…“

Ein mulmiges Gefühl stieg in mir auf und begann mit dem Kopf zu schütteln.

„Es tut mir leid, dass du es so erfahren musst, Finn. Dein Vater war schon immer eine Enttäuschung für uns gewesen. Kaum warst du auf der Welt, ließ er deine Mutter, dich und deinen Bruder links liegen.“

Ungläubig schaute ich sie an. Ich hatte es früher damit abgetan, das ein Sohn sich mit seiner Mutter nicht verstand, wenn die beiden sich stritten, aber da steckte viel mehr dahinter. Erste Tränen lösten sich, weil ein Verdacht in mir aufkeimte.

„Dein Großvater und ich glaubten damals, dass mit der Heirat deiner Mutter und Vater, der Ärger mit ihm aufhört. Aber da haben wir uns grundlegend getäuscht.“

„Wollte Großvater deswegen nicht, dass Vater die Firma übernimmt?“, fragte ich traurig.

Granny nickte und ließ Angus Hand los.

„… ähm…, so… soll ich lieber gehen…, das… das ist etwas zwischen euch.“

Angus sah mich und Granny fragend an.

„Nein Angus, bleib… es betrifft auch dich.“

Was meinte Granny damit?

„Mich?“, fragte Angus verwundert.

Sie nickte. Dann sah sie wieder zu mir.

„Dein Vater suchte nur Abenteuer, war sich der Konsequenzen nie klar. Granny schaute wieder zu Angus. Entschuldige, wenn ich es so hart ausdrücke, aber Angus ist eines der Resultate deines Vaters.“

Geschockt schaute ich zwischen Granny und Angus hin und her.

„Angus ist dein Bruder…!“

Die Augen des Kleinen wurden groß und es sammelten sich Tränen darin.

„Ich hoffe das ändert nichts zwischen euch…“

Ich nahm Angus in den Arm, der zu wimmern begann. Mit leicht trüben Augen schaute ich zu Granny.

„Warum erfahre ich das erst jetzt?“, sagte ich angesäuert.

„Tut mir leid Finn, wenn du jetzt sauer auf mich bist, aber ich musste das jetzt erzählen. Es ist nur zu eurem Besten!“

„Granny, ich bin nicht auf dich sauer, sondern auf meinen Vater!“

„Angus…?“, kam Granny leise.

Dieser schaute auf.

„Es tut mir leid, dass du das auf diesen Weg erfahren musst. Bis wir mit bekommen haben, was passierte, war deine Mutter verschwunden und du weg. Wir hörten nur, dass du in einer netten Familie untergekommen seist.“

„Meine Mutter ist verstorben und nette Familie…?“

Angus lachte sarkastisch auf.

„Die haben mich doch nur genommen, wegen des Geldes. Richtig gekümmert haben sie sich nie um mich, und als das Geld ausblieb, saß ich auf der Straße.“

„Das tut mir sehr leid zu hören“, entschuldige sich Granny.

Ich fühlte mich auf einmal so mies. Hätte ich nur früher davon gewusst. Aber was hätte ich machen können? War ich nicht selbst in einer beschissenen Lage gewesen.

„Aber umso mehr“, sprach Granny weiter, „freut es mich, dass ihr beide euch endlich gefunden habt.“

Ich wischte mir durchs Gesicht, um die Tränen verschwinden zu lassen.

„Langsam verstehe ich, warum alles so passiert ist, wie es geschehen ist. Dann ging wohl alles von meinem Vater aus, die Sache mit dem Verkauf, warum dich niemand besuchte, als du krank wurdest“, meinte ich.

„Deswegen bestimmte Tano-Jano, dass ich zurück kehren sollte, damit ich nicht noch mehr leid erfahre…“

„Tano-Jano?“, fragte Angus.

„Er ist so etwas wie der Herrscher dieses Landes“, erklärte Granny, „und ich weiß, er meinte es nur gut mit mir, aber den Schmerz konnte selbst er nicht vertreiben.“

Es trat kurz eine Stille ein, jeder dachte darüber nach, was gerade gesagt wurde.

„Wie geht das jetzt weiter… ä… ändert das jetzt etwas zwischen uns?“, fing Angus wieder an zu stottern.

Ich nahm ihn in den Arm und lächelte ihn an.

„Hab ich nicht vorhin gesagt, ich hab dich lieb wie einen kleinen Bruder? Jetzt bist du eben mein kleiner Bruder, auch in der Realität!“

„Aber…, aber wie machen wir das den anderen verständlich… können wir das denen überhaupt sagen?“

Granny lächelte mich an und nickte.

„Klar, warum nicht? Da wird uns schon irgendwie etwas einfallen“, sagte ich.

*-*-*

Angus lag in meinem Arm und schlief endlich. Es war einfach zu viel für ihn gewesen, als wir zurück kehrten und er sich in den Schlaf weinte. Ich dagegen lag mit offenen Augen da und starrte gegen die Decke.

Dieser Wirrwarr in meinem Kopf war mit dem Besuch bei Granny nicht besser geworden. Zu viele neue Fragen waren aufgekommen. David? Meine Familie? Wusste mein Bruder von der Sache?

War es eine gute Idee, Angus dort hinzubringen? Ich Nachhinein wurde mit bewusst, man hätte so viel anders machen können und es wäre nie so viel Leid entstanden. Aber der Zug war wohl abgefahren und man konnte nur versuchen, das Beste daraus zu machen.

Ich war froh, dass morgen Sonntag war und ich keinen Stress hatte, schlafen zu müssen. Wäre mir auch nicht gelungen. Angus brummelte irgendetwas und ich zog ihn etwas näher zu mir. Wer hätte gedacht, dass dieser süße kleine Kerl mein Bruder ist.

Ich dachte noch an die Worte, als wir uns von Granny verabschiedeten.

„Es passiert alles so wie es sich gehört, man weiß nie, für was es gut ist!“

Mit diesen Worten in meiner Erinnerung bin ich dann wohl doch eingeschlafen. Als ich meine Augen wieder öffnete, war es draußen schon ein wenig hell. Der Platz neben mir war leer. Ich setzt mich auf und rieb mir die Augen, als die Tür zum meinem Schlafzimmer sich öffnete.

Angus kam herein, nur noch mit Shorts bekleidet. Er krabbelte wieder ins Bett.

„Sorry, ich musste auf die Toilette“, lächelte er und kuschelte sich wieder in seine Decke.

„Kein Problem, da muss ich auch hin. Wann hast du dich denn umgezogen?“

„Heut Nacht irgendwann, als mir zu warm wurde. Aber jetzt bereue ich es fast. Draußen regnet es und im Flur draußen ist es kalt.“

„Es ist Winter, du solltest deine Anziehangewohnheiten vielleicht etwas ändern.“

„Wie, ich darf nicht mehr nackt neben dir schlafen?“, grinste mich Angus an.

Ich beugte mich zu ihm hinunter und küsste ihn leicht auf den Mund. Seine Augen wurden groß.

„Warum…, warum tust du das? Das hast du noch nie getan!“

„Weil mir einfach danach war.“

Ich schlug meine Decke zurück und stand auf.

„Halt das Bett warm, ich bin gleich wieder zurück!“

*-*-*

Wir wachten gegen späten Morgen auf und beschlossen zu Brunchen. Während Angus das Essen richtete, versuchte ich mich daran, den erloschen Ofen wieder zu entfachen. Nach einiger Mühe und auch mit Angus Hilfe, gelang mir das dann auch.

Ich sollte schon wissen, wie man mit diesem Ding umgeht. Freudig, das Holz in der Brennkammer knistern zu hören, ließ ich mich am Tisch nieder, wo mein neugewonnener Bruder, mit dem Essen auffuhr. Ich beobachtete ihn dabei.

„Hättest du keine Lust, in diesem Gebiet zu arbeiten?“

„Was meinst du?“

„Kochen und alles was dazu gehört.“

„Nein, Kochen ist ein Hobby von mir, ich bleib lieber in der Metallbranche.“

„Wie du meinst, war nur ein Vorschlag, denn das Zeug dazu hättest du alle mal.“

Er ließ sich neben mir nieder und griff sich den ersten Toast.

„Hast du schon eine Idee, wie wir das bewerkstelligen können, den anderen zu erklären, dass wir Brüder sind?“

„Hm…, so richtig nicht, dran gedacht habe ich aber.“

„Wie wäre es mit Blutspenden, dabei wurde entdeckt, dass wir Brüder sind?“

„Das setzt voraus, dass wir wirklich Blutspenden gehen, weil ich jetzt schon weiß, dass Blair dies auf schwarz auf weiß nachlesen will, dass wir wirklich Brüder sind, sonst gibt sie sich nicht zu frieden.“

„Aber so eine Blutuntersuchung dauert sicher lang…“

„Da fällt mir etwas ein… Moment.“

 

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