Abends rief ich Tanja an und sie kam dann auch später noch zum Kaffeetrinken vorbei. Während sie und Kay in der Küche beschäftigt waren, machte ich es mir mitsamt einer Decke auf der Couch gemütlich. Bis die beiden mit Tassen und Kaffee bewaffnet das Wohnzimmer betraten, war ich schon halb eingeschlafen und Tanja grinste sofort frech: „Sag bloß, du schwächelst schon, Kleiner.“
Kleiner? Das musste sie gerade sagen, ich überragte sie um mindestens einen Kopf! Ich verzichtete aber auf jeglichen Kommentar und grinste nur, während sie sich neben mir auf die Couch fallen ließ. Kay beanspruchte wieder seinen Hocker.
Doch Tanja wurde recht schnell wieder ernst und fragte mich: „Wie geht es dir, Bastian?“
Nach einem kurzen Überlegen stellte ich überrascht fest, dass es mir sogar ausgesprochen gut ging. Ich hatte kaum an Rolf denken müssen und die körperlichen Schmerzen waren zumindest erträglich, wenn auch nicht leicht. Was mir im Moment sehr zu schaffen machte, war meine Schwärmerei für Kay. Ganz so ausführlich antwortete ich natürlich nicht, sondern sagte nur, dass es mir sehr gut gehen würde und dass sich Kay wahnsinnig lieb um mich kümmern würde.
„Hab schon gehört, dass du hier zwei Wochen Urlaub machst“, lächelte Tanja wissend und löste dadurch einen sehr verlegenen Blick bei mir aus. Glücklicherweise ging sie aber nicht näher darauf ein, sondern begann ein unverfängliches Gespräch mit Kay. Ich wunderte mich zwar etwas darüber, denn ich sah ihr genau an, dass ihr noch etwas auf dem Herzen lag. Doch so wie ich Tanja kannte, würde sie früher oder später darauf zurückkommen.
Im Laufe des Abends wurde ich sogar wieder richtig wach und wir unterhielten uns ausgelassen zu dritt. Aber obwohl ich mich rege am Gespräch beteiligte, sah es in mir nicht so gut aus. Ich spürte eine zunehmende Verwirrung und in diese mischten sich auch einzelne Erinnerungen. Besonders um die letzte Nacht mit Rolf. Wie konnte es sein, dass ich mich nach diesem Erlebnis mehr oder weniger trotzdem gut fühlte? Über den Tag verteilt hatte ich nur ansatzweise daran denken müssen, geschweige denn an Rolf selbst. Insgesamt fühlte ich mich beinah so, als wäre das nie passiert, sah es fast als eine normale Trennung an. So wie es halt oft läuft auf dieser Welt. Man findet sich und alles ist super. Dann trennt man sich und was bleibt, ist ein sehr seltsames Gefühl. Das Gefühl wieder alleine zu sein, doch besonders tragisch nahm ich es nicht. Es war halt einfach so und nichts, worüber man sich ständig Gedanken machen müsste. War das eine typische Verdrängungstaktik? Meine Gedanken nahmen mich so sehr in Anspruch, dass ich von dem Gespräch der beiden kaum noch etwas mitbekam, was den beiden auch aufgefallen war.
„Bastian? Ist alles okay?“, wurde ich von Kay gefragt und auch Tanja wartete mit einem besorgten Blick auf meine Antwort.
Ich aber lächelte nur und nickte.
Schließlich rückte Tanja endlich damit raus und erzählte, was sie an diesem Tag beobachtet hatte. Ich hatte mich also doch nicht getäuscht, da war noch etwas gewesen.
„Ich wollte vorhin nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen … aber … naja, als ich heute kurz in der Stadt war hab ich Rolf im Einkaufszentrum gesichtet.“ Sie bedachte mich erneut mit einem besorgten Blick, fuhr aber auf mein Nicken hin fort mit ihrer Erzählung: „Der Dreckskerl stand mit irgendeiner Tussi mitten im Laden und hat sie echt heftig befummelt… Ich dachte, ich sehe nicht richtig. Können die sich kein Puff für sowas suchen??“ Tanja redete sich richtig in Rage: „Naja, als der mich dann auch gesehen hatte, kam er mit seiner Tussi im Schlepptau zu mir und meinte ziemlich überheblich: ‚Der Kleine kommt schon wieder angekrochen.’ Kannst dir DAS vorstellen? Sowas arrogantes trifft man ja echt selten!“ Angewidert schüttelte Tanja den Kopf und nippte an ihrem Kaffee, bevor sie mich urplötzlich fragte: „Hast du vor, noch mal zurück zu gehen?“
Ich starrte sie erst nur entsetzt an, auf so eine Frage war ich nicht vorbereitet gewesen. Bisher hatte ich kein einziges Mal auch nur einen Gedanken an so eine Möglichkeit verschwendet. Mehr noch, diese Möglichkeit existierte für mich nicht einmal. Durch Kay hatte ich gesehen, wie schön es ist, wenn man sich in der Gegenwart eines anderen so wohl fühlen kann. Wenn man merkt, dass sich der andere für einen interessiert. Wenn man merkt, dass man sich so geben darf, wie man wirklich ist. Und auch wenn er nicht die gleichen Gefühle hatte wie ich, so wusste ich zumindest, dass ich ihm nicht egal war. Machte das nicht den Wert an Freundschaft aus? Den Wert des Miteinanders, egal auf welche Weise. Und wer weiß, dachte ich versonnen, träumen wird man ja wohl noch dürfen.
Ich konnte die Möglichkeit eines neuen Versuchs mit Rolf absolut glaubwürdig ausräumen, auch wenn ich meine Gedanken dazu nicht ganz so ausführlich offenbart hatte und so war auch Tanja beruhigt. Glücklicherweise vertieften wir das Thema auch nicht weiter, sondern redeten über Gott und die Welt, was mir doch um einiges lieber war. Ich wollte weder an Rolf noch an unsere letzte gemeinsame Nacht denken, sondern einfach nur ich sein. Jetzt im Moment wollte ich nicht daran denken, was war, oder was noch kommen könnte. Dazu fühlte ich mich viel zu wohl in der Gegenwart meiner Freundin und von Kay.
Die Zeit schritt sehr schnell voran und ich war sehr überrascht als die Uhr fast Mitternacht anzeigte. Und obwohl es ein so schöner Abend gewesen, war ich froh darüber gewesen, als sich Tanja wenig später verabschiedet hatte. Mein Körper sehnte sich nach Entspannung und auch gedanklich war ich schon nicht mehr ganz hellwach. Nachdem ich mich von Tanja mit einer Umarmung verabschiedet hatte, ließ ich sie mit Kay alleine im Wohnzimmer und verschwand sofort im Bad um noch einmal zu duschen.
Im Schlafzimmer fiel mir dann auf, dass Kay wohl noch unten sein musste und vermutete deshalb schon, dass Tanja doch noch ein wenig geblieben war. Also zog ich mich noch mal an und marschierte die Treppe hinab.
Im Wohnzimmer angekommen fand ich Kay jedoch alleine vor und war darüber etwas verwundert, hatte ich doch angenommen, dass auch er bald schlafen gehen wollte. Als ich vollends den Raum betrat, beachtete er mich nicht einmal und so blieb ich unschlüssig und auch verunsichert vor der Couch stehen.
„Tanja ist schon weg?“, fragte ich aus reiner Unsicherheit, denn was Besseres fiel mir irgendwie nicht ein.
Kay hob auch dementsprechend verwundert seinen Kopf, sah mich an und meinte: „Ja klar, du hast dich doch vorhin auch noch von ihr verabschiedet.“
„Ahm … ja schon, aber … weil…“, stotterte ich und versuchte Kays fragendem Blick standzuhalten, was mich aber nur noch nervöser machte. Deshalb brach ich meinen Satz einfach ab und fragte stattdessen, ob noch Kaffee da sei.
„Klar“, antwortete Kay knapp, erhob sich und verschwand fast fluchtartig aus dem Wohnzimmer. Ich blieb äußerst verwirrt stehen, wo ich war und schon nach einem kurzen Moment kam Kay zurück. Bewaffnet mit einer frischen, dampfenden Tasse Kaffee.
„Also, du hättest ihn nicht extra holen müssen. Ich wollt ja nur wissen, ob noch welcher da ist, “ sagte ich mit einem Lächeln, doch Kay nickte nur schweigend, stellte die Tasse auf dem Tisch ab und setzte sich wieder. Dann schwieg er beharrlich weiter und ich begann mich sofort zu fragen, was ich falsch gemacht hatte.
In einem letzten Versuch fragte ich ihn: „Ist irgendwas mit dir? Du bist irgendwie so still?“
Kay schenkte mir zwar ein süßes Lächeln, doch es wirkte irgendwie nicht echt. Ganz im Gegenteil, es wirkte sogar äußerst traurig, als er leise antwortete: „Nein, alles in Ordnung Bastian. Ich bin nur etwas nachdenklich, das ist alles.“
Ich nickte und lächelte ihn unsicher an, bevor ich mich langsam auf der Couch nieder ließ. Fieberhaft überlegte ich, ob ich ihn noch einmal ansprechen sollte. Oder anderweitig versuchen sollte, ein Gespräch mit ihm zu beginnen.
„War Tanja noch lange hier?“, fragte ich deshalb.
„Hm? … ach so … ahm, nein. Zehn Minuten vielleicht.“
„Sie war ja auch schon sehr müde, denke ich…“
Kay reagierte auf diesen Satz kaum, sondern nickte nur still. Er schien wenig an einem Gespräch interessiert zu sein und ich fühlte mich irgendwie fehl am Platz. Andererseits traute ich mich auch nicht, einfach aufzustehen, aus Angst, das könnte falsch rüber kommen. Aber sich schweigend gegenüber zu sitzen machte es auch nicht unbedingt besser. Trotzdem blieb auch ich sitzen und beobachtete Kay heimlich. Er schaute kein einziges Mal zu mir auf und meine Gedanken fuhren Achterbahn. Ich musste doch irgendwas falsch gemacht haben, denn ganz bestimmt hatte ich Schuld an seiner Stimmung. Warum sonst sollte er nicht mit mir reden wollen?
Vielleicht nervte ihn auch meine ständige Gegenwart, er hatte ja eigentlich keine ruhige Minute mehr vor mir. Wie auch, wo sollte ich denn auch hin?
In meinen Grübeleien fand ich immer mehr Argumente, die für meine Schuld sprachen und jedes davon war schlimmer als das zuvor. Irgendwann konnte ich sein Schweigen einfach nicht mehr ertragen und leerte während ich aufstand zügig meine Tasse. Leise wünschte ich ihm eine gute Nacht, doch er nickte mir nur zu ohne mich dabei anzusehen. Ich wandte mich schnell ab, um meine Enttäuschung zu verbergen und verließ den Raum.
Im Schlafzimmer zog ich mich langsam bis auf die Shorts aus und lag dann noch lange mit offenen Augen im Bett. Insgeheim hatte ich gehofft, dass auch Kay noch nachkommen würde. Aber er kam nicht.
Verwirrt sah ich Rolf und Kay beieinander stehen. Rolf hatte seine Hand auf Kay’s Schulter gelegt und sie unterhielten sich lachend miteinander. Konnte das wirklich sein? Ich hatte irgendwie angenommen, die beiden würden sich gar nicht kennen. Was es nur für Zufälle auf dieser Welt gab, dachte ich nachdenklich. Als die beiden mich bemerkt hatten, lachte mich Kay an. Aber es wirkte irgendwie anders. Sonst hatte er immer ein sanftes oder heiteres Lächeln für mich, doch diesmal sah er fast überheblich dabei aus, was mich stark verunsicherte. Warum unterhielt er sich eigentlich so angeregt mit Rolf? Sie hatten wirklich sehr vertraut nebeneinander gestanden. Kay hatte sich Rolf nun wieder zugewandt, ohne ein Wort zu mir zu sagen. Er hätte mich wenigstens begrüßen können, dachte ich noch, bevor mein Kopf total leer wurde. Es war, als würden meine Gedanken selbst den Atem anhalten… Rolf hatte Kay ganz nahe an sich heran gezogen und ihm einen leidenschaftlichen Kuss gegeben. Ich beobachtete fassungslos, wie sich vor meinen Augen eine wilde Knutscherei zwischen Rolf und Kay entwickelte. Hatte ich mich schon wieder so sehr in einem Menschen getäuscht? Spielten beide nur ein Spiel mit mir? Plötzlich drückte Kay Rolf von sich weg und kam auf mich zu. Er lächelte dabei sanft und bedachte mich mit einem liebevollen Blick. Was hatte er vor? Direkt vor mir blieb er stehen und zog mich sanft in seine Arme, streichelte dabei leicht über meinen Rücken und hauchte einen Kuss auf meine Haare. Plötzlich drückte er mich so fest an sich, dass ich kaum mehr Luft bekam und erschrocken auf Gegendruck ging. Doch ich kam nicht von ihm weg, er war einfach zu stark für mich. Da lachte Kay nur und fragte in einem so sanften Ton: „Dachtest du im Ernst, so ein Bürschchen wie du hätte Chancen bei mir?“ Ich hörte Rolf lachen, dann stand er plötzlich hinter mir und schlug hart mit der Hand auf meinen Po. „Ach komm Kay, so schlecht darfst du nicht denken. Der Kleine hat nen richtigen Knackarsch!“ Nun lachten beide und ich versuchte immer noch vergebens, mich von Kays Umarmung zu befreien. Doch er hielt mich scheinbar mühelos weiterhin fest an sich gedrückt. „Nun zappel doch nicht so“, meinte er lachend, doch ich begann zu wimmern, er solle mich los lassen. „Ach? Der Kleine hat’s mal wieder hart nötig!“ Wieder hörte ich Rolf lachen, bevor von hinten meine Hose öffnete. Ich versuchte immer verzweifelter, mich aus Kays Armen zu winden. Rolf trat einen Schritt zurück und riss mit einem Ruck meine Hose runter, er lachte immer gehässiger und ich hörte mich nur noch schreien…
Verwirrt öffnete ich meine Augen und starrte an die Decke. Meine Augenbrauen zogen sich fragend zusammen. Ich war total verschwitzt, wusste nicht, wo ich war und wie ich hierher gekommen war. Mein Puls raste noch immer. Nur langsam konnte ich mich orientieren…
Ich lag in Kays Bett. Natürlich, ich war vor ihm schlafen gegangen. War das denn nur ein Traum? Hatte Kay mich hinters Licht geführt? Steckte er mit Rolf unter einer Decke? Ich war so verwirrt, dass ich keinen vernünftigen Gedanken zustande brachte und setzte mich langsam aufrecht ins Bett. Mit einem Seufzen strich ich meine feuchten Haare aus der Stirn und verbarg mein Gesicht hinter meinen Händen. Langsam wurde alles wieder klarer. Natürlich, ich hatte nur schlecht geträumt. Rolf war gar nicht hier. Ebenso wenig wie Kay ihn geküsst hatte. Was für ein idiotischer Traum… Kay wollte doch auch gar nichts von Männern wissen.
Kay – wo war Kay eigentlich? Das Bett neben mir war noch immer leer. Mit zittrigen Beinen stieg ich aus dem Bett und schlüpfte in meine Hose. Dann schlich ich leise die Treppe hinab und schaute ins Wohnzimmer, doch von Kay war nichts zu sehen. Statt vorher lange zu suchen, ging ich diesmal gleich auf die Terrassentür zu, die tatsächlich einen Spalt offen stand und trat in die Nacht hinaus. Und dort fand ich auch Kay. Er saß auf einem der Stühle, hatte eine Tasse Kaffee vor sich stehen und eine Zigarette in der Hand. Er wirkte seltsam abwesend. Als ich jedoch noch einen Schritt nach draußen trat bemerkte er mich, denn er fragte: „Kannst du auch nicht einschlafen?“
Ich antwortete nicht. Was sollte ich auch sagen? Dass ich zwar geschlafen hatte, aber vor Angst aufgewacht war? Nein, ich schämte mich zu sehr.
Kay hob fragend seinen Kopf und als sich unsere Blicke trafen, machte sich ein erschrockener Ausdruck in seinen Augen breit. „Mein Gott Bastian, was ist denn los?“ Sofort war er aufgesprungen und an mich heran getreten. Ohne dass ich es wollte, wich ich erschrocken vor ihm zurück.
„Bastian … was ist denn los? Ich tu dir doch nix.“
„Ich … es tut mir leid. Ich wollte nicht…“. Ich wusste gar nicht, was ich eigentlich sagen wollte und stammelte mehr sinnlos irgendwelche Worte hervor, während ich Kay anstarrte.
„Bastian, ganz ruhig. Setz dich erst mal, hm?“
Auf mein Nicken hin schob Kay für mich einen Stuhl heran, auf dem ich mich langsam nieder ließ. Auch er setzte sich wieder auf seinen Stuhl und blickte mich schweigend an. Nach ein paar Minuten fragte er schließlich: „Bastian, was war los, hm?“
„Ich … weiß nicht…“
„Irgendwie glaube ich dir das aber nicht. Du warst total aufgelöst … und … bist sogar vor mir zurück gewichen…“
„Das … das wollte ich nicht. Es tut mir leid…“, begann ich von neuem, doch Kay unterbrach mich sofort: „Bastian, es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest. Aber ich seh doch, dass etwas nicht stimmt.“
Sollte ich ihm wirklich davon erzählen? Irgendwie war mir das alles total peinlich und ich schämte mich, weil ich so ängstlich gewesen war. Schämte mich, weil ich auf so dumme Gedanken kam. Gut, ich konnte zwar schlecht beeinflussen, was ich träumte. Doch würde so ein Traum nicht auch darauf hindeuten, dass ich Angst vor Kay hatte? Ich hatte keine Angst vor ihm, im Gegenteil. In seiner Gegenwart fühlte ich mich so wohl wie schon lange nicht mehr. Doch warum hatte ich dann solche Träume?
Während ich so hin und her grübelte, bedachte mich Kay noch immer mit einem mehr als besorgten Blick, aber drängte nicht danach, dass ich zu reden anfing. „Ich … irgendwie ist mir das total peinlich.“
„Hey, das muss es doch nicht. Ganz ehrlich. Rück einfach raus damit, vielleicht kann ich dir dann auch helfen?“
„Ich … ahm … hab eigentlich nur schlecht geschlafen. Oder besser gesagt, schlecht geträumt…“ flüsterte ich verlegen.
„Hmm… sowas in der Richtung habe ich mir schon gedacht. Träume können einen wirklich fertig machen. Aber was hast du denn geträumt?“
Oh God … ich hatte befürchtet, dass Kay danach fragen würde und mein Gesicht nahm kräftig an dunkelroter Farbe zu. „Ahm… glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich es nicht mehr genau weiß?“, fragte ich leise in einem hoffenden Ton.
Kay lachte und meinte: „Bastian? Die Frage meinst du jetzt hoffentlich nicht ernst.“
„Naja, ich dachte, versuchen kann ichs ja mal.“
„Gut, hätte ja sein können, dass ich dir das abkaufen würde, gell?“, lachte Kay erneut. „Aber … dem ist nicht so. Ich glaub dir kein Wort.“
„Also … der Traum ist mir ziemlich peinlich. Und … und ich hab keine Ahnung, wieso ich so nen Mist überhaupt träume.“
„Bastian, noch mal: Es muss dir nichts peinlich sein und du musst dich für absolut gar nichts entschuldigen, okay? Das Unterbewusstsein hat ja bekanntlich ne eigene Methode, um mit verschiedenen Eindrücken fertig zu werden. Manchmal kann man diese Methoden auch gar nicht nachvollziehen.“
„Ich will nur nicht, dass du einen falschen Eindruck bekommst“, versuchte ich Zeit zu schinden.
„Werde ich bestimmt nicht. Also raus damit, hm?“, bekam ich als Antwort und Kay lächelte mich dabei so dermaßen aufmunternd an, dass ich gar nicht mehr wusste, warum ich nicht einfach davon erzählte. Und schon schlich sich das nächste Dilemma in meine Gedanken.
„Du musst mich für furchtbar kindisch halten…“
„HALT! … Bastian…“, begann Kay und schwieg dann für einen Moment, als er sich von seinem Stuhl erhob und sich neben mich auf den Boden kniete. „Du bist weder kindisch, noch sonst irgendwie peinlich. Ich kann nur erahnen, was du die letzten Tage oder vielmehr Wochen und Monate durchgemacht hast. So ganz nachvollziehen kann man es wohl nie, wenn jemand solches wie du erlebt hat. Aber… du bist ganz sicher nicht kindisch. Es würde mich eher wundern, wenn dir das Erlebnis mit diesem Mistk… ahm … mit deinem Ex gar nichts ausgemacht hätte.“
Es war mir etwas unangenehm, dass Kay neben mir kniete und ich wusste nicht richtig, wo ich hinschauen sollte. Klar, seine Worte taten mir gut, sogar mehr als das. Aber dieses doofe Gefühl in mir konnten sie nicht verschwinden lassen. Aber zumindest hatte ich mich wieder beruhigen können und die Angst von vorhin war fast wieder vergessen.
Schließlich begann ich dann auch, Kay von meinem Traum zu erzählen und versuchte aber gleichzeitig mich zu verteidigen. „Ich … ich hab nicht wirklich Angst, dass sowas passieren könnte … ehrlich nicht … und ich weiß nicht, wie…“
„Schhhhh… Bastian. Ich weiß, dass du nicht so über mich denkst, mach dir da keine Sorgen. Aber … is nur ne Vermutung, okay? … Aber könnte es etwas damit zu haben, weil ich heute Abend sehr schweigsam war?“
Ich war zu kaum mehr als einem Nicken fähig und selbst da konnte ich Kay nicht in die Augen sehen. Wie würde er wohl darauf reagieren? „Ich … ich mein das nicht so, Kay. Nicht dass du irgendwie denkst, ich erwarte von dir, dass du mich ständig… ahm … naja…“
„Ich weiß schon was du meinst. Aber es tut mir trotzdem leid, dass du dir deswegen so viele Gedanken machen musstest. Und es tut mir auch leid, dass ich dich alleine gelassen habe…“
„Aber…“
„Ich war noch nicht fertig,“ unterbrach mich Kay ein weiteres Mal, diesmal mit einem Zwinkern.“ … „Ahm … aber du hast mich aus dem Konzept gebracht. Ich hab’s vergessen…“
Kay guckte bei diesen Worten so heftig belämmert, dass ich einfach lachen musste.
„Hey! Lach nich, sonst hol ich mein Brüd… ahm … ich bin ja Einzelkind. Hmm … naja, du weißt schon, was ich meine…“, kicherte nun auch Kay, dann meinte er: „Lass es uns noch mal versuchen. Vielleicht kannst du auch besser schlafen, wenn ich dabei bin.“
Ich war wahnsinnig froh darüber, dass er mir meine Gedanken nicht übel nahm und so nickte ich lächelnd. Müde war ich ja trotzdem die ganze Zeit gewesen. Und obwohl ich mir immer noch total kindisch vorkam war ich glücklich, dass ich mit Kay darüber geredet hatte.
Im Schlafzimmer angekommen verschwand Kay noch kurz im Bad, während ich mich schon mal ins Bett kuschelte und auf ihn wartete. Ich war plötzlich wieder extrem müde, aber auch sehr entspannt, auch weil Kay wieder mit mir redete. Dabei fiel mir auf, er hatte noch immer kein Wort darüber verloren, was ihn eigentlich so sehr beschäftigt hatte. Gerade als ich beschlossen hatte, ihn noch einmal darauf anzusprechen, erschien Kay im Schlafzimmer und lächelte mich an, bevor er das Licht ausschaltete. Im Dunkeln tapste er dann zu mir ins Bett und ich drehte mich sofort auf die Seite in seine Richtung.
„Du, Kay?“
„Ja du Bastian?“
Ich kicherte leise, doch wurde sofort wieder ernst. „Was war heute Abend mit dir los?“
„Ach, nichts tragisches. Darüber können wir uns ja ein anderes Mal unterhalten, ich bin echt schon müde.“
Wieso hatte ich eine Antwort in dieser Richtung schon erwartet?
„Okay, dann schlaf gut.“
„Du auch“, flüsterte Kay zurück und rutschte etwas näher zu mir. Still lächelnd kuschelte ich mich wieder unter seinem Arm an seine Brust und war auch bald eingeschlafen. Diesmal in einen tiefen und traumlosen Schlaf.
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Auch am nächsten Morgen stand die Sonne wieder hoch am Himmel und ich gähnte erst mal herzhaft, dabei versuchte ich mich einigermaßen schmerzfrei zu strecken. Auch wenn ich innerlich überwiegend ruhig war, so erinnerten mich die körperlichen Schmerzen schon sehr an das Erlebnis mit Rolf. Und noch immer fühlte ich mich sehr zweigeteilt. Hätte ich nicht eigentlich viel mehr Angst haben müssen? Warum musste ich so selten daran denken? Es waren seitdem doch gerade mal ein paar Tage vergangen. Aber selbst wenn ich darüber nachdachte, so schien es mir, als wäre alles nur ein Traum gewesen. Ein makaberer und grausamer zwar, aber trotzdem nur ein Traum. Wenn da mein schmerzender Körper nicht gewesen wäre…
Sah es so aus, wenn man etwas verdrängte?
Ich versuchte diese Gedanken abzuschütteln, wollte einfach nicht darüber nachdenken. Nicht jetzt. Ein Blick neben mich auf das Bett verriet mir, dass Kay schon auf den Beinen war und musste irgendwie grinsen. Wie konnte man mit nur so wenig Schlaf auskommen? Kay war doch auch erst mit mir schlafen gegangen und doch war der schon wieder fit. Noch etwas verschlafen schnappte ich meine Klamotten und verschwand damit im Bad, um mich tageslichttauglich zu machen.
Schon etwas wacher, aber noch weit davon entfernt wirklich wach zu sein, wanderte ich ins Erdgeschoss und als ich Kay dort nicht fand, weiter auf die Veranda. Dort saß er denn auch schon am Tisch und hatte vor sich eine Tasse Kaffee sowie eine Zeitung liegen. Ich blieb kurz an der Tür stehen und beobachtete ihn beim Lesen. Er schien sehr konzentriert zu sein und doch umspielte seine Lippen ein leichtes Lächeln. Hin und wieder hob er seine Hand, um nachdenklich am Kinn entlang zu streicheln oder um nach dem Kaffee zu greifen. Dabei sah er keine Sekunde lang von der Zeitung auf. Ich musste grinsen, als ich sah, wie er ohne die Zeitung aus den Augen zu lassen die Kaffeetasse an den Mund führte. Er machte das so überaus langsam, als hätte er Angst, den Mund zu verfehlen. Aber deswegen von der Zeitung weggucken? Weit gefehlt.
Mit einem fröhlichen Lachen trat ich dann vollends aus dem Haus und begrüßte Kay.
„Oh, hey Bastian. Hast gut geschlafen? Bist ja schon früh wach heut.“
„Immerhin hab ich länger geschlafen als du“, erwiderte ich lächelnd und er nickte. Dann legte er tatsächlich seine Zeitung zur Seite, um für Kaffee für mich zu sorgen.
„Musst du eigentlich heute zur Arbeit?“
„Nein … ahm … ich hab mir für den Rest der Woche frei genommen.“
Verblüfft schaute ich ihn an: „Etwa wegen mir?“
„Nein, wie kommst du da drauf? Ich wollte nur Tammo nicht so lange mit dir alleine lassen.“
Im ersten Moment setzte ich schon an, mich zu verteidigen. Ich könne sehr wohl auf einen Hund aufpassen. Doch noch während ich diesen Satz aussprach, fiel mir sein breites Grinsen auf und wie er mir zu zwinkerte, als er an seinem Kaffee nippte. Ich schüttelte nur empört lachend den Kopf.
„Möchtest du heute etwas unternehmen? Wir könnten mit Tam in die Stadt gehen oder ein bisschen an der Donau spazieren.“
„Klar, aber warum nicht beides nacheinander?“, meinte ich lächelnd und er nickte ebenfalls mit einem Lächeln.
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In der Innenstadt konnten wir uns leider nicht alle Geschäfte anschauen, weil in vielen davon ein Hundeverbot herrschte, doch auch die Schaufenster waren teilweise sehr interessant. Außerdem war es so schön warm und sonnig, dass wir ohnehin mehr den Tag genossen, als dass wir nach irgendetwas Ausschau gehalten hätten.
In einem der Schaufenster entdeckte ich dann einen kleinen Schmuckanhänger, den ich wahnsinnig schön fand. Es war eine kleine silberne Sonne, die in der Mitte eine goldene Pyramide trug, „Solarplexus Manipura“ stand in schnörkeliger Schrift darüber. Eigentlich war ich nie so richtig ein Schmuckträger gewesen, aber DIESEN Anhänger hätte ich ganz bestimmt getragen. Allerdings war der Preis für das Teil nicht mehr ganz so schön anzusehen und eine Kette müsste man auch noch dazu kaufen. Kay bemerkte, dass ich irgendwas in dem Schaufenster anstarrte und fragte in frechem Ton: „Was guckst du?“
Ich zeigte nur lachend auf den Anhänger und Kay fragte weiter: „Willst ihn dir holen?“
Im Hinblick auf das Datum schüttelte ich aber den Kopf und meinte: „Zum nächsten Ersten vielleicht.“
Er nickte wortlos und ich fragte: „Wollen wir weiter?“
Kay überlegte kurz, blickte mich dann ziemlich erschrocken an und meinte: „Hältst du mal kurz Tammo? Ich hab meinen Geldbeutel im Auto liegenlassen. Ich beeil mich“
Bevor ich antworten konnte, hatte er mir schon die Leine in die Hand gedrückt und rannte in die Richtung, aus der wir gekommen waren. Ich blickte fragend auf den Hund, er starrte zurück und ich zuckte nur mit den Schultern, während ich leise meinte: „Tam, dein Herrchen ist halt auch nicht mehr der Jüngste.“ Als ob er eine Antwort geben wollte, winselte Tammo kurz und ich musste mir ein Lachen verkneifen.
Erst stand ich noch etwas unschlüssig in der Gegend herum, dann begann ich die Gegend um mich zu betrachten, während ich Tams Kopf kraulte. Es waren sehr viele Leute unterwegs, was mich aber nicht sehr wunderte. Es war nämlich wirklich ein sehr schöner, sonniger Tag und gleichzeitig nicht zu heiß. Also ein perfekter Tag, um sich draußen zu beschäftigen. Während ich so die Menschen beobachtete, wurde ich immer nachdenklicher. Einige von ihnen schienen genervt zu sein und schoben sich hektisch an den anderen vorbei. Ich sah eine kleine Gruppe junger Mädchen, die sich untereinander eingehakt hatten und über irgendetwas kicherten. Dann sah ich ein Pärchen, das glücklich lächelnd auf ihren Kinderwagen blickte und wie sich die beiden immer wieder verliebte Blicke zuwarfen. So viele Menschen und keiner von ihnen war allein. Entweder eindeutig Pärchen oder Freunde, teilweise auch größere Gruppen. Und alle schienen das Glück für sich gepachtet zu haben. Die wenigen, die genervt wirkten, gingen in der lachenden und fröhlichen Menge ziemlich unter und ich merkte, wie mich die Einsamkeit wieder einzuholen versuchte. Ich sehnte mich mehr denn je nach einem Menschen, dem ich meine Liebe schenken durfte. Und der diese Liebe auch annehmen und erwidern konnte. In diesem Moment wurde mir erst richtig klar, wie einsam ich während der Beziehung mit Rolf gewesen war und das versetzte mir einen schmerzhaften Stich in der Brustgegend. Wie hatte ich mich nur so lange selbst vergessen können? War ich denn nicht selbst schuld daran, wie alles gelaufen war? Ich hätte mich doch nur einmal wirklich wehren müssen… Einmal nur stark bleiben, mich nicht weich kochen lassen. Mich nicht von ihm einschüchtern lassen.
Völlig in meinen Gedanken versunken betrachtete ich weiterhin die einzelnen Gesichter der fremden Menschen, bis ich an einem davon hängen blieb…
Ich holte erschrocken tief Luft und starrte das Gesicht entsetzt an. Mein Puls beschleunigte sich, meine Knie wurden weich und ich fing an unkontrolliert zu zittern…