Adventskalender 2021 – No one else III – Teil 12

Dort war der Esstisch auf die Seite geschoben worden und mein Schatz saß mit Tomaso auf dem Boden. Neben ihnen unzählige Kisten.

„Hallo ihr zwei, schon zurück?“

„Hallo Davide, du kommst gerade richtig! Hast du schon einmal Möbel zusammen gebaut?“

Ich konnte nicht anders und begann zu lachen. Placido war zwar Meister seines Faches und alles was sich damit Verband, aber heimwerkliche Tätigkeiten waren nicht so sehr sein Bereich. Für diese Fälle hatte er mich, oder wir riefen die Handwerker.

„Seid ihr fündig geworden?“

„Placido ist mit mir in den Ikea gefahren! Der Markt ist riesig und man bekommt dort einfach alles!“, sprudelte Tomaso fast über.

Im Gegensatz zu heute Morgen, verhielt er sich nun ganz anders. Er strahlte über das ganze Gesicht, seine Stimmung war eine andere, selbst seine Haltung schien mir etwas stolzer. Als saß da ein ganz anderer Junge, mit Tomasos Aussehen. Plötzlich sprang Tomaso auf, kam auf mich zu und fiel mir um den Hals.

„Danke, danke, danke!“, hörte ich ihn in meiner Halsneige sagen.

„Öhm… für was?“

„Ich hatte mit Tomaso auf der Fahrt zum Ikea eine ausführliche Unterhaltung…“, sagte Placido.

„ und…?“

Warum hatte ich plötzlich das merkwürdige Gefühl, das jetzt gleich etwas Ungewöhnliches geschah? Hatte er Tomaso von unseren Zukunftspläne erzählt?

„Placido hat gesagt, dass ich bei euch bleiben kann…“

Das habe ich auch schon vorgeschlagen, warum war seine Reaktion dort eine andere?

„… aber…“

Weiter kam ich nicht, Tomaso sprudelte völlig über.

„Placido hat schon gesagt, dass alles dauern kann. Erst müssen die vom Heim zustimmen und irgendein Amt…“

„Jugendamt“, sagte Placido.

„Ja, die vom Jugendamt müssen auch ihr grünes Licht dazu geben, aber die in ihren Büros, sind meist etwas langsam. Brauchen immer eine Weile!“

Ich saß auch oft im Büro. Mein Blick wanderte zu Placido, der mich fordernd anlächelte.

„Und Monsignore Viccario!“, sagte ich.

„Der mag euch sehr, der hat bestimmt nichts dagegen! Und Placido sagte, da ich nächstes Jahr achtzehn werde, es sicher von Vorteil ist, dass ich bei einer Pflegefamilie untergekommen bin!“

„Und das habt ihr alles auf der Fahrt zum Ikea ausgemacht?“

„Beim Möbel aussuchen und der Rückfahrt auch noch“, antwortete Placido.

„Und du bist dir ganz sicher, dass du das auch willst? Du kennst uns beide noch nicht richtig!“

Placido sah mich plötzlich fragend an. Aber ich konnte mir schon denken, was er wissen wollte. Warum ich plötzlich gegen steuerte?

„Ja, ganz sicher! Placido meinte, dass wir uns sicher in der nächsten Zeit besser kennen lernen, wenn ich hier wohne.“

Da hatte wohl Placido seinen kompletten Charme spielen lassen und Tomaso war wie viele ihm total erlegen. So wie ich auch.

„Und was habt ihr gekauft?“

Nun lächelte Placido wieder, da er wusste, dass ich nichts gegen die vorschnelle Inkenntnis Setzerei hatte. Ich ging zu ihm hin, beugte mich etwas vor und küsste ihn aufs Haar.

„Danke!“, kam es leise von Placido.

„Einen elektrischen Schreibtisch!“, sprach Tomaso und setzte sich wieder zu Placido.

„Elektrischen? Was ist denn das?“

Auch hier kam Tomasos Erklärung schneller.

„Es ist ein ganz normaler Schreibitich“, begann er mit seiner Erklärung, „an dem du sitzend kannst, willst du aber etwas im Stehen machen, zum Beispiel zeichnen, fährst du einfach die Tischplatte hoch.“

Einfach so, dachte ich für mich und lächelte.

„Und wo ist jetzt das Problem?“

„Die Montageanleitung!“, sagte Placido.

„Und alle Kartons gehören zum Schreibtisch? Wie groß ist der denn?“

„Nein, das ist noch ein Regal, das auch, das ist eine Kommode und die Bilder und Pflanzen stehen schon im Zimmer.“

„Pflanzen…“, blabberte ich Tomaso nach.

Und wer goss diese Teile? Das würde bestimmt an mir hängen bleiben, wie auch der Rest der Pflanzen in der Wohnung.

„Aha… und das hat alles in deinen Wagen gepasst?“

„Nein! Wir haben uns einen kleinen Transporter ausgeliehen“, beantwortete Placido meine Frage.

„Und wo steht der? Im Hof steht nur mein Mini“, wollte ich wissen.

„Draußen auf der Straße. Die Einfahrt war vorhin blockiert, so parkte ich draußen. Da sollten wir etwas tun, dass das nicht mehr vorkommt.“

Bisher hatte ich nie Probleme, die Hofeinfahrt war immer frei.

„Die vom Cafe haben uns helfen hochtragen!“, kam es noch von Tomaso.

Auch noch das Personal zu Fremdarbeiten verdonnern. Wurde ja immer besser.

*-*-*

Ich saß den halben Mittag in meinem Büro, aber nicht um meinen Artikel zu schreiben, sondern die vom Löschwasser geschädigten Schulbücher zu besorgen. Leider war das nicht so einfach, denn im Kinderheim war keiner zugegen, der mir Auskunft geben konnte.

Denn bisher hatte das Kinderheim für das Lernmaterial gesorgt. Einen gewissen Grundstock an Büchern war vorhanden, denn es gingen ja mehrere Kids in verschiedene Jahrgänge, aber nun ruiniert und Tomaso konnte die nicht fürs neue Schuljahr nutzen.

Aber Placido hatte die Idee beim Mittagessen, dies zu übernehmen, um das Heim zu entlasten. So wurde ich dazu verdonnert, mich darum zu kümmern. Auch, eventuell eine etwas größere Anzahl zu bestellen und dies als Spende für das Heim zukommen zu lassen.

Meine Tür zum Flur stand offen, so konnte ich die beiden hören. Sie lachten viel und ab und wann drang auch ein Fluch herüber, wenn wahrscheinlich etwas nicht funktionierte, wie es sollte.

Ich hörte die Haustür und wenige Augenblicke später stand Jakob in meiner Tür.

„Was ist denn hier los?“, fragte er und zeigte in den Flur, wo sich einige der leeren Kartonagen angesammelt hatten.

„Placido war mit Tomaso Möbel kaufen!“, antwortete ich nur.

Jakob schaute kurz in den Flur, dann wieder zu mir.

„Aha und das Möbelhaus hat jetzt wahrscheinlich geschlossen.“

Verwundert schaute ich ihn an.

„Warum?“, fragte ich.

„So wie es hier aussieht, hat Placido es leergekauft!“

Beide fingen wir laut an zu lachen.

„Hast du heute Mittag Termine?“, fragte ich ihn, als ich mich wieder eingekriegt hatte.

„Eigentlich nicht, vielleicht mit Valentina treffen, warum fragst du.“

„Dein Liebesleben musst du für heute zurückstellen, du musst nämlich Placido ablösen, er muss noch den Transporter zurückbringen.“

„Transporter? Wie viel hat Placido denn gekauft, dass es nicht in seinen Wagen passt?

„Schau selbst, sie sind im Wohnbereich!“

„Und du?“

„Versuche die vom Löschwasser geschädigten Schulbücher zu ersetzten…“

„Was ist mit den Heften, alles was er geschrieben hat?“

„Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Aber das Schuljahr hat erst begonnen, da ist noch nichts vorhanden. Muss er aber auf alte Sachen zurückgreifen, wird es schwierig.“

„Mal sehen, ob wir da noch etwas bekommen und wir es eventuell einscannen können.“

„Gute Idee, darauf hätte ich auch kommen können!“

„Ich geh dann mal rüber!“

„Kannst ja Valentina anrufen, ob sie Lust hat, zu helfen.“

Jakob grinste mich breit an und verschwand wieder aus meinem Blickfeld. Da die Email von der Schule über den Bücherbedarf noch nicht angekommen war, griff ich nach dem Telefon. Ich wählte die Nummer von Emiliano und hatte ihn glücklicherweise Sekunden später am Apparat. Er war in der Zeichenschule.

„Hallo Davide.“

„Hallo Emiliano, ich hätte da noch kurz eine Frage.“

„Womit kann ich helfen.“

„Es geht um die Schulsachen von Tomaso. Konnte man da etwas retten?“

„Die Bücher sind hinüber, teilweise sogar verbrannt. Die Boxen der Kinder, in denen sich ihre Sachen befanden, leider vom Löschwasser dahin gerafft, ob da noch etwas brauchbar ist, weis ich nicht.“

„Hatte Tomaso eine Schultasche oder so etwas?“

„Weiß ich nicht, da musst du ihn schon selbst fragen!“

„Stimmt, werde ich auch gleich machen. Fährst du noch einmal zum Heim heute?“

„Nein, aber morgen.“

„Falls du Tomasos Kiste noch findest, könntest du die mitbringen?“

„Hm… da solltet du heute selbst hinfahren, morgen liegt sie vielleicht schon im Abfallcontainer.“

„Okay, werde ich machen, danke nochmal, du warst mir eine große Hilfe!“

„Kein Problem!“

„Ciao Emiliano!“

„Ciao Davide!“

Schon war das Gespräch beendet. Dafür kam Placido ins Zimmer gelaufen.

„Erinner mich beim nächsten Möbelkauf, es nicht wieder selbst zusammen bauen zu wollen!“

„Wieso Schatz?“, grinste ich ihn an.

„Das ist so kompliziert!“

Er beugte sich zu mir herunter und ich bekam einen Kuss.

„Jakob hilft Tomaso weiter und ich fahr den Transporter zurück.“

„Ich weiß, das war meine Idee.“

„Ach so…“

Aber du wirst nicht alleine fahren, ich werde dich begleiten!“

„Hast du hier nicht genug Arbeit?“

„Das ist es nicht. Wir müssten kurz beim Heim vorbei und schauen, ob etwas von Tomasos privaten Schulsachen noch zu retten ist, bevor alles in den Container wandert. Zudem kann ich mit dir zusammen sein und komme etwas an die frische Luft.“

„Okay, dann mal los“, lächelte Placido.

„Moment, ich muss Tomaso noch etwas fragen, dann können wir!“

Placido nickte.

*-*-*

„Das sieht wüst aus, das Beste wäre, alles einzureisen und neu aufzubauen!“, meinte Placido, als wir im Heim standen.

„Dazu reicht leider das Geld nicht“, meinte einer der Angestellten des Heims und schaute total verzweifelt.

„Die Schultasche von Tomaso soll wo sein?“, fragte ich, der zwischen den Müllhaufen stand.

„Eigentlich müsste sie hier sein, sie ist ein Geschenk von Monsignore Viccario gewesen, Tomaso war ganz stolz drauf“, antwortete der Mann.

„Wie geht es Monsignore Viccario eigentlich.“

„Besser, aber leider behalten sie ihn weiter im Krankenhaus zur Beobachtung. Die wollen ganz sicher sein, dass er keinen Schwächeanfall mehr bekommt.“

„Davor ist niemand sicher!“, meinte Placido.

„Ich kann hier nicht finden!“, mischte ich mich in das Gespräch.

„Schade, sie sah so edel aus, dunkel braunes Leder und sah aus, wie ein Schulranzen aus früherer Zeit. Da wird Tomaso sicher traurig sein!“

Da hatte der Angestellte Recht, aber da konnte man wohl nichts machen.

„Placido, wir nehmen die Box mit, sonst…“

Mein Schatz legte seinen Arm um mich, weil mich das Ganze so traurig stimmte.

„He, wir finden schon eine Lösung, okay?“

Ich nickte ihm zu.

*-*-*

Zur Abendessenszeit waren wir wieder zurück. Aus Tomasos Zimmer drang Gelächter, die Kartonagen aus dem Flur verschwunden. Auch hörte ich eine weibliche Stimme. Anscheinend hatte Jakob meinen Rat befolgt und Valentina angerufen.

Ich folgte Placido zum Zimmer, dessen Tür offen stand. Der Raum selbst, war fast nicht wieder zu erkennen. Das Bett und der Schrank, dass sich darin befand hatten ihren angestammten Platz geändert, die neuen Möbel dazu und auf dem Holzboden lagen zwei Teppiche, die ich  auch nicht kannte. Die Tierbilder und die Pflanzen rundeten das Ganze ab.

„Hallo ihr drei, das ist ja richtig toll geworden!“, meinte Placido vor mir, während ich Tomasos Box auf den Boden abstellte.

„Meine Box“, hörte ich Tomaso sagen, „und mein Schulranzen?“

„Konnten wir leider nicht finden“, sagte ich traurig.

Seine Augen wurden glasig.

„Tut mir leid Tomaso!“, meinte Placido und wuschelte ihm über den Kopf.

„He, dann besorgen wir eben eine Neue“, kam es von Jakob.

„Das ist eine ganz Besondere, die habe ich von Monsignore zu meinem fünfzehnten Geburtstag bekommen…“

„Dann fragen wir ihn, wo er sie her hat, okay? Es gibt immer einen Weg!“

Ob das Tomaso half, da war ich mir nicht ganz sicher. Sein trauriger Gesichtsausdruck änderte sich nicht.

„Hat jemand Hunger?“, fragte ich, um etwas vom Thema abzulenken.

„Ja, Davide hat die Idee bei der Pizzeria vorbei zu fahren“, sagte Placido.

„Kommt rüber in die Küche, bevor die Teile kalt werden!“

*-*-*

Alle waren gut gesättigt und die Kartons leer. Während Placido schon am Kaffeeautomaten stand, um ihn Espressos zu entlocken, räumte Valentina und Tomaso, den Tisch ab. Jakob hatte die Aufgabe übernommen, die Kartons zu entsorgen.

Ich war noch einmal in mein Büro gegangen, um die Emails abzurufen. Die erwartete Mail aus der Schule war da, so konnte ich mich morgen darum kümmern, die Bücher zu besorgen.

Als ich wieder zurück in den Wohnbereich kam, war Jakob auch zurück und alle saßen wieder am Tisch.

„Als das Hoflicht anging, sah ich jemanden aus dem Hof rennen“, erzählte Jakob gerade.

„Hast du nach der Zeichenschule geschaut?“, wollte Placido wissen.

„Aber die Schule ist doch durch eine Alarmanlage gesichert“, sagte ich und setzte mich zu ihnen.

„Habe trotzdem nach geschaut und bei den Autos auch, aber nichts gesehen, also keine Beschädigungen.“

„Es wird wohl Zeit, das Hoftor zur Straße reparieren zu lassen. Aber was ich nicht verstehe, warum ist dann nicht das Licht der Einfahrt angegangen, da sind doch auch Bewegungsmelder!“

„Das schaltet das Personal vom Cafe aus, damit sich keine Kundschaft später in den Hof verirrt“, beantwortete Jakob Placidos Frage.

„Ist mir bisher noch nicht aufgefallen“, meinte ich.

„Kunststück, bisher war es im Sommer auch immer hell und wir brauchten das Licht nicht!“, sagte Jakob.

„Glaubt ihr wirklich, jemand versucht hier einzubrechen?“, fragte Valentina leicht ängstlich.

„Es ist alles möglich, Valentina. Ich weiß nicht, wie viel dir Jakob erzählt hat, aber wir haben hier schon einiges erlebt.“

Fragend schaute sie Jakob an, nach dem das Placido gesagt hatte.

„Darum kümmern wir uns morgen, heute können wir eh nicht  mehr machen“, warf ich ein.

„Und du Jakob bringst Valentina nach Hause, ich möchte nicht, dass sie jetzt im Dunkeln noch alleine draußen umher läuft“, fügte Placido hinzu.

„Das hätte ich sowieso gemacht“, grinste Jakob.

„Kann ich in mein Zimmer gehen?“, gähnte Tomaso.

„Klar!“, sagte mein Schatz.

Tomaso erhob sich, verabschiedete und bedankte sich noch einmal bei Valentina und war dann schnell verschwunden.

„War wohl etwas fiel für ihn heute“, sagte Jakob.

„Es bekommt auch nicht jeder gesagt, dass ihn eine Pflegefamilie haben will!“, grinste ich Jakob an.

„Es hat sich eine Pflegefamilie gemeldet? Warum habt ihr nichts gesagt?“, fragte er mich.

„Weil wir diese Familie sind, du Eumel!“, lachte Placido.

„Echt, ihr wollt das wirklich tun?“

Placido griff nach meiner Hand und nickte lächelnd.

„Das find ich ja mal super cool! Darauf sollten wir anstoßen!“

„Erst wenn alles unter Dach und Fach ist! Wir müssen erst das Bürokratische bewältigen!“, sagte ich.

„Schade, aber wir holen das nach!“

„Ich finde das einen feinen Zug von euch!“, beteiligte sich nun auch Valentina am Gespräch, „und falls ihr wiedermal irgendwelche Hilfe braucht, ich helfe gerne.“

„Danke“, meinte Jakob und drückte ihr einen Schmatz auf die Wange.

„Darf ich euch zu Tomasos Zimmer noch etwas fragen?“

Ich schaute Valentina an, hatte sie noch eine Idee zur Raumverschönerung. Placido und ich nickten fast gleichzeitig.

„Wie sieht es mit Internet für den Jungen aus?“

„Einen Computer“, kam es von meinem Schatz, „darauf hätte ich auch kommen können. Natürlich braucht der Junge so etwas, schon für die Schule.“

„Also ich habe mehr an ein Laptop gedacht, dass ist praktischer und mobiler, als ein Computer.“

„Dann eben beides!“

„Placido! Übertreib es nicht!“, sagte ich nur und mein Schatz wusste ganz genau, was ich meinte.

„Über einen Computer können wir eventuell später reden!“, meinte ich ernst, dann wandte ich mich zu Valentina, „warum das plötzliche Interesse an einem Laptop?“

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