Adventskalender 2021 – No one else III – Teil 8

Letizia hatte wieder meine Aufmerksamkeit.

„Ja?“

„Ich fahr zurück in die Redaktion. Da kommt sicher Freude auf, wenn das publik wird. Du kümmerst dich …“, sie unterbrach den Satz, als sich der Abgeordnete Moretti zu uns wandte.

„Davide de Luna?“, fragte er.

Woher kannte er meinen Namen? Ich nickte.

„Da wundert mich nichts mehr…“, meinte er und lief aus dem Büro.

Etwas fassungslos schaute ich Letizia an, deren Blick immer noch an der Tür hing. Was sollte jetzt diese Bemerkung?

„Wie der Vater so der Sohn…“, meinte sie und wandte sich wieder zu mir, „…egal, kümmer du dich um Tomaso, der braucht dich jetzt!“

„Okay, wie meine Chefin befiehlt!“

Ich musste grinsen und schon war die abfällige Bemerkung von eben wieder vergessen. Dann wandte ich mich zu Commissario Lombardo.

„Nochmal danke, dass sie Tomaso da heraus gehalten haben!“

„Nichts zu danken, ich hoffe trotzdem, dass der Junge deswegen keinen Ärger bekommt.“

*-*-*

Nachdem ich Tomaso im Nebenzimmer, in der Ecke auf dem Boden sitzend vorfand, hatte ich ihn schnell ins Auto verfrachtet und mich schnellstmöglich mit ihm auf den Heimweg gemacht.

Während der Fahrt sprach er kein Wort und auch am Haus angekommen, verschwand er sofort schweigend ins Gästezimmer. Sollte ich ihm folgen, oder ihn einfach in Ruhe lassen? Ratlos stand ich im Flur, hängte mehr automatisch meine Jacke auf.

Im Gedanken lief ich in den Wohnbereich und ließ mich auf einen der Hocker nieder. Ich erinnerte mich an meinen Kampf, mit meinem Schwulsein zu Recht zu kommen, wie musste es dann für ihn sein?

Ich zog mein Handy hervor und wählte die Nummer meiner Mutter.

„Hallo Ragazzo, schön dass du anrufst!“

„Hallo Mama, ich glaube, ich brauche deinen Rat.“

„Meinen Rat? Was hast du denn auf dem Herzen?“

„Tomaso…“

„Den Jungen…? Stimmt, warst du nicht mit ihm auf der Polizei? Wie ist es gelaufen?“

„Wie erwartet, du glaubst nicht, wie sich die Väter der Jungs aufgeführt haben…“

„Das kann ich mir gut vorstellen. Haben sie etwas Abfälliges zu Tomaso gesagt?“

„Nein! Sie haben ihn gar nicht zu Gesicht bekommen.“

„Wie das?“

„Commissario Lombardo hat ihn ins Nebenzimmer verfrachtet und den Herren die Beweise für die Schuld ihrer Söhne unterbreitet, ohne Tomaso als Zeugen zu nennen.“

„Das hat funktioniert?“

„Naja, unser lieber Stadtabgeordneter hat sofort die Vermutung losgelassen, dass es sich beim Zeugen und Tomaso handeln muss.“

„Hat das Tomaso irgendwie mitbekommen?“

„Ich weiß es nicht, aber du kennst Morettis lautes Organ!“

„Mittlerweile bereue ich es wirklich ihn gewählt zu haben, er hatte so schöne Versprechungen!“

„Von denen er wie immer keine einzige eingehalten hat!“

„Da hast du Recht! Aber was wolltest du mich jetzt fragen?“

„Was ich mit Tomaso machen soll? Seit der Polizei, hat er nicht ein Wort geredet.“

„Bring ihn mit!“

„Wie? Zu dir?“

„Ja, da kommt er auf andere Gedanken und wenn Valerio die zwei Mädchen vom Kindergarten abgeholt hat, wird er genug Ablenkung haben, denn die zwei Kleinen fragen andauernd nach ihm.“

„Papa? Holt die Mädchen ab?“

„Ja, du wirst es nicht für möglich halten, wie hinreisend euer Vater sein kann.“

Das zauberte mir wieder ein Lächeln ins Gesicht.

„Habt ihr schon gegessen?“

„Nein, ich wollte mich gerade ans Mittagessen machen!“

„Lass mal, für euch zwei wird das schon reichen. Pack Tomaso ins Auto und komm her.“

„Okay Mama, bis gleich!“

„Bis gleich Davide, ciao!“

Und schon war das Gespräch beendet. Bei dem ganzen Gerede, war mir nicht in den Sinn gekommen, ob Tomaso überhaupt mitwollte. So erhob ich mich und lief hinüber zum Gästezimmer.

Die Tür stand offen und kein Tomaso war zu sehen. Ich wollte gerade seinen Namen rufen, als ich die Spülung in der Toilette hörte. So lehnte ich mich an den Türrahmen und wartete, bis Tomaso zurück kam.

Als er die Tür öffnete und mich sah, stockte er kurz.

„Hast du Hunger?“

Er schüttelte den Kopf.

„Egal, zieh dich trotzdem an, wir haben eine Einladung!“

„Einladung? Wer will mich denn einladen?“

Da hatte einer ganz schlechte Laune.

*-*-*

„Siehst du, geht doch“, meinte Mama, als sie mit mir den Tisch abräumte.

Tomaso saß mit den Mädchen auf der Couch und lass ihnen vor.

„Ja, ein totaler Stimmungswechsel zu vorhin.“

Mittlerweile waren wir in der Küche.

„Wundert dich das? Wie würdest du dich fühlen, wenn du glaubst, alles ist gegen dich?“

Gequält lächelte ich meine Mutter an. Sie hielt kurz inne und schaute mich an.

„Entschuldige…, natürlich weißt du, wie sich das anfühlt.“

„Du brauchst dich nicht entschuldigen, das ist alles Vergangenheit! Und ja ich habe schon daran wie er sich fühlen muss, mit allem alleine klar zu kommen.“

„Du warst auch alleine…“

Ich stellte die Teller auf der Spüle ab.

„Du vergisst, ich bin zehn Jahre älter und ich habe Freunde! Das hat Tomaso nicht.“

„Und wie soll es jetzt weiter gehen. Kann er die Schule überhaupt noch besuchen?“

„Wieso sollte er nicht?“

„Meinst du, diese Zierde unseres Stadtviertels, werden es dabei beruhen lassen?“

Darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht. So gesehen wusste ich wirklich nicht viel über Tomaso. Weder, wie er sich mit dem Rest der Klasse verstand, noch wie seine schulischen Leistungen waren.

Die Zeit war einfach zu kurz, sich damit auseinander zusetzten.

„Darf ich an deiner Gedankenwelt teilhaben?“

Mama hatte begonnen, das Geschirr zu spülen. So griff ich nach dem Handtuch und begann abzutrocknen.

„Deswegen wollte ich mit dir reden… Placido hat vorgeschlagen, den Jungen bei uns aufzunehmen.“

„Wie meinst du das, das hast du doch schon!“

„Nein, richtig aufnehmen, dass er ständig bei uns wohnt. Tomaso ist jetzt siebzehn und wird bald seinen Platz im Heim verlieren…“

Wieder hielt Mama inne.

„Bist du dir…, seid ihr euch da sicher?“

Ich musste lächeln.

„Du kennst Placido! Für ihn wird das bereits beschlossene Sache sein.“

„Und du?“

Sie reichte mir den nächsten Teller.

„Das ist es ja gerade. Du hast mir gerade bewusst gemacht, dass ich Tomaso gar nicht kenne… eben nur das weiß, was ich in den letzten Tagen mitbekommen habe.“

„Du hast Angst…“

„Nein, ich würde es nicht als Angst bezeichnen…, ich fühle mich bei dem Gedanken nicht recht wohl. Er ist dann so etwas wie unser Pflegesohn… und da kommen so viele Fragen auf.“

„Ja, ich denke, das ist eine große und wichtige Entscheidung, aber wo ist für dich das Problem?“

„Ob ich dann alles richtig mache? Ich möchte Tomaso nicht irgendwie verletzten. Der Junge hat schon genug mitgemacht!“

Mama fing an zu lachen und ich sah sie fragend an.

„Tante Maria, können wir etwas von deinen tollen Keksen bekommen?“

Eines der Mädchen war ich die Küche gekommen. Jetzt grinste ich wieder. Das Tante Maria hörte sich einfach göttlich an.

„Natürlich könnt ihr… warte.“

„Auch für Tomaso, dem schmecken sie sicher auch.“

War das goldig, wie die Kleine in ihrem Kleidchen, hin und her wankte. Ich glaube, ich wäre schon verloren, wenn sie mich um Erlaubnis gefragt hätte. Mama ging an ihren Schrank, zog einen Teller heraus und befüllte ihn mit Kekse.

„Wenn ihr etwas trinken wollt, dann sagt Bescheid.“

„Danke Tante Maria!“, sagte die Kleine und verschwand wieder mit dem Teller in der Hand.

Und was machte ich? Ich erfüllte gerade jedes Klischees eines Schwulen. An die Spüle gelehnt, das Handtuch an meine Brust gedrückt, schaute ich der Kleinen verklärt nach. Mama lachte wieder, las sie mich da so stehen sah.

„Bist du sicher, dass ihr nicht lieber ein Mädchen aufnehmen wollt?“

Entsetzt schüttelte ich den Kopf. Mama ließ das Spülwasser ab und wischte das Becken sauber.

„Glaubst du ich habe immer gewusst, ob ich das Richtige tu, wenn es um eure Erziehung ging? Ich weiß, ich habe euch viel alleine gelassen, aber wir brauchten das Geld.“

„Mama ich habe dir nie einen Vorwurf deswegen gemacht und ich hatte eine schöne Kindheit!“

„Aber es lag vielem in Argen…, alleine wenn ich an deine Großeltern denke…!“

„Wir haben alles gut überstanden und sag jetzt nicht, aus uns ist nichts Vernünftiges geworden!“

„Nein, tu ich nicht, aber wünscht sich nicht jede Mutter nur das Beste für ihr Kind?“

„Nicht jede…“, meinte ich leicht frustriert, als wir die Kids im Wohnzimmer lachen hörten.

*-*-*

Ich hatte mich entschlossen, erst einmal Rücksprache mit dem Klassenlehrer zu halten, wie seine Meinung über einen weiteren Besuch an der Schule dachte. Eine weitere Überraschung erwartete mich zu Hause, denn dort standen die Carabinieri und erwarteten mich schon.

„Daniele de Luna?“, fragte mich der eine Polizist.

„Ja“, antwortete ich, während auch Tomaso ausstieg.

„Uns liegt eine Anzeige vor, wegen sexuellen Handlungen mit Minderjährigen! Ich bitte sie mit uns auf die Polizeistation zu kommen!“

„Da komme ich gerade her! Und wenn sie es nicht glauben, rufen sie den Commissario Lombardo an!“, meinte ich ärgerlich.

Verwundert schaute mich der Polizist an.

„Die Anzeige stammt nicht zufällig von einem gewissen Stadtabgeordneten Matteo Moretti?“

Die zwei Carabinieri schauten sich kurz an, gaben mir aber keine Antwort. Ich zog mein Handy hervor und wählte die Nummer des Commissario. Ich hatte Glück, denn er ging sofort dran.

„Commissario Lambardo!“

„Hallo Commissario, hier spricht Davide de Luna. Hier stehen zwei Carabinieri, die mich wegen einer Anzeige von sexuellen Handlungen an Minderjährigen verhaften wollen!“

„Bitte? Einen Moment…“, es knackte in der Leitung und wenige Augenblicke später, war er wieder dran, „ geben sie mir bitte einer der Kollegen!“

Lächelnd reichte ich einen der beiden Polizisten mein Handy und dieser sagte außer des Öfteren „Ja“, nichts. Da gab er mir mein Handy zurück.

„Entschuldigen sie das Missverständnis, Signore de Luna“, meinte der eine Beamte nun, nickte kurz und stieg in seinem Wagen.

Tomaso und ich schauten dem Auto, das gerade den Hof verließ, hinter her.

„Ich hätte nichts sagen sollen“, meinte Tomaso und warf seine Tür zu.

Wütend lief er zum Haus.

„Stop!“, rief ich laut.

Abrupt blieb Tomaso stehen. Auch ich ließ die Tür ins Schloss fallen und verschloss den Mini.

„Es war richtig, dass du etwas gesagt hast, denn so eine Straftat, kann man denen nicht durchgehen lassen!“, sagte ich sauer.

„Aber jetzt hast du wegen mir auch Ärger!“, fuhr mich Tomaso an.

„Mit dem Ärger kann ich leben, Tomaso! Glaub mir, dass ist nicht das erste Mal. Und du vergisst eins…“

„Verwundert schaute mich der Junge an.

„Wir können uns wehren! Komm gehen wir hinein, mir wird kalt!“

*-*-*

Ich war die letzte Stunde am Telefon gesessen und hatte alle, die es wissen sollten, informiert. Jakob war auch nach Hause gekommen und war total entsetzt, als er Teile meines Telefongesprächs mitbekam.

Nach einem längeren Gespräch mit Letizia legte ich auf. Sie hatte versprochen mit ihrem Chef zu sprechen. Sie war der Meinung, dass der liebe Stadtabgeordnete Moretti in kürzester Zeit, das Fass zum überlaufen gebracht hatte.

„Spinnt der?“, war das einzige, was Jakob über die Lippen brachte.

Ich zuckte mit den Schultern.

„Hast du auch Placido informiert?“

Hatte ich nicht, denn ich wollte ihn mit der Sache belasten. So schüttelte den Kopf.

„Solltest du aber! Das ist wichtig und betrifft ihn genauso. Wo ist Tomaso?“

„In seinem Zimmer…“

„Okay, ich kümmere mich um ihn und du rufst Placido an!“

Mit seinem berühmten Lächeln verließ Jakob das Büro. Sollte ich Placido wirklich verständigen? Jakob hatte schon Recht, Placido war mein Lebenspartner und so musste ich ihn schon aus diesem Grund anrufen.

Schweren Herzens wählte ich Placidos Nummer. Mir war das irgendwie gar nicht Recht. Aber es machte sich Erleichterung breit, weil Placido nicht dran ging. Das änderte aber nichts daran, dass ich es ihm erzählen musste.

Ich erhob mich, schob das Handy in die Hosentasche und lief in den Wohnbereich hinüber. Aus dem Gästezimmer drang Gelächter. Wenigstens Tomaso war wieder besser drauf. Seufzend lief ich direkt zum Kaffeeautomaten und schaltete ihn ein.

Mein Handy machte sich bemerkbar. Das konnte wohl nur Placido sein. Ich atmete tief durch und nahm das Gespräch ohne aufs Display zu schauen entgegen.

„Davide hier.“

„Hallo Davide, hier ist Bruno!“

Bruno? Der Verleger meines Buches rief mich eigentlich sehr selten an, nur wenn es sehr dringend war. Sonst hatte ich lediglich mit seinen Angestellten zu schaffen.

„Hallo Bruno, das ist aber eine Überraschung, was kann ich für dich tun?“

„Die Frage ist, was kann ich für dich tun?“

„Wieso, was meinst du?“

„Ich habe hier eine Unterlassungsklage, gegen deinen Buchdruck vorliegen!“

Ich glaubte nicht, was ich da hörte. Da wurden volle Geschütze aufgefahren.

„Was … warum?“

„Moment, lass es mich ablesen… wegen Gewalt verherrlichten und jugendgefährdeten Schriften! Junge, wem hast du alles schon dein Buch zum Lesen gegeben?“

„Niemanden! Na ja außer Placido du Letizia, aber sonst keinem.“

„Aber irgendjemand muss ja dein Buch schon vorab gelesen haben, sonst läge nicht diese Unterlassungsklage vor.“

„Bruno, du kannst mir glauben, es hat niemand gelesen und was sollen die haltlosen Anschuldigungen, es ist ein Krimi und ich habe zu keiner Zeit irgendwelche Gewalt verherrlicht!“

„Das weiß ich doch Davide, sonst hätte ich der Veröffentlichung niemals zugestimmt.“

„Steht da zufälligerweise ein Name dabei?“

„Moment, Moment lass mich nachschauen…

„Eventuell ein Matteo Moretti?“

„Ähm… woher weißt du? Da steht noch Bruno Vitale, Victor Dalla und Pietro Cattaneo.“

„Also alle vier…“

Was wollten sie damit erreichen? Mich einschüchtern? Das war ihnen gelungen! Aber nicht, weil sie diese Klage eingereicht haben, sondern mit welcher Geschwindigkeit das alles ablief.

„Junge, in was bist du da hineingeraten?“

„In gar nichts! Ich bin lediglich einem Jungen behilflich gewesen, sein Recht durch zusetzten.“

Ich erzählte Bruno die ganze Geschichte.

„Dann wundert mich nichts mehr. Aber keine Sorge du kannst beruhigt sein, ich habe bereits unser Anwalt darauf angesetzt. Ich wollte mich nur mit dir kurz schließen, damit du Bescheid weißt.“

„Danke Bruno!“

„Halte die Ohren steif… man sieht sich! Ciao!“

„Ciao Bruno.“

Ich ließ gerade mein Handy auf die Theke sinken, als sich die Türglocke Beachtung verschaffte. Genervt stand ich auf und lief in den Flur, wo ich Jakob antraf.

„Ich mach auf…“, meinte er.

„Lass mal… ich geh selbst. Placido habe ich nicht erreicht und eben hat Bruno mein Verleger angerufen… es liegt eine Unterlassungsklage gegen den Druck meines Buches vor…“

Ohne weitere Worte ließ ich Jakob einfach stehen und lief die Treppe hinunter. Unten angekommen, öffnete ich die Tür und fand einen Mann vor.

„Guten Tag, Alfonso Monti vom Daily Florenza, ich hätte da ein paar Fragen an sie!“

 

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