Adventskalender 2021 – No one else III – Teil 17

„Nino sagst du, weißt du eventuell seinen Nachnamen?“, fragte Letizia weiter.

Wurde das jetzt ein Verhör?

„Nein, da müsstest du schon Tomaso selbst fragen! Aber warum willst du das wissen?“

„Moment…!“

Sie zog ihr Handy hervor.

„Siehst du und schon sammelt sie Beweise!“, kam es von Emilio.

„Das heißt Fakten!“, meinte Letizia, was bei Mama und Dana ein Kichern auslöste.

„Was willst du jetzt mit dem Handy?“, fragte ich.

„Eine Quelle anrufen!“

Ich zog verwundert meine Augenbrauen hoch.

„Ja hallo Paddy, entschuldige, wenn ich beim Mittagstisch störe…“

Was Paddy, ihre Assistentin sagte, konnte wir leider nicht hören.

„… du hast mir doch erzählt, dass Bernardi umgezogen ist…, ja genau bei dieser Bäckerei, wo es diesen himmlischen Panettone gibt, den er uns mitgebracht hat!“

Verwundert schaute ich in die Runde, aber aller Aufmerksamkeit lag auf Letizia.

„… ja genau. Weißt du vielleicht, wie sein Sohn heißt? Ja danke…, hast was gut bei mir, bis später!“

Sie drückte das Gespräch weg. Neugierig starrten wir sie alle an.

„Stellario Bernardi, ein Kollege von mir, der bei den Hauptnachrichten arbeitet, alleinerziehender Vater eines Jungen, namens Nino, der die Fondazione Conservatorio SS.ma Annunziata Empoli geht.“

„Woher weiß Paddy das alles?“

„Ach, sie schwärmt für diesen Typen!“

„Der Typ könnte ihr Vater sein!“

„Ähm, ihr zwei…, könnten wir auf das eigentliche Thema zurück kommen?“, fragte Placido.

„Du meinst Nino?“, fragte Letizia und mein Schatz nickte.

„Laut Paddy hat Bernardi, eben dieses Haus, gegenüber der Bäckerei gekauft, also scheint es sich um diesen Nino zu handeln.“

„Das kann auch Zufall sein“, sagte ich zweifelnd zu Letizia.

„Das werden wir gleich wissen!“, meinte sie und stand auf.

„Was hast du jetzt vor?“

„Tomaso fragen, wie du es vorgeschlagen hast!“

*-*-*

Wir konnten den Hof wieder befahren, denn das Tor befand sich bereits wieder an seiner Stelle. Als wir ankamen, räumten die Arbeiter gerade ihre Sachen in den Wagen. Die Elektronik sollte am nächsten Tag fertig montiert werden.

Dann stand da noch ein nagelneuer Fiat Quadrifoglio. In seinem leuchtenden Tiefrot stach er regelrecht heraus. Wem der gehörte, wusste ich nicht.

„Schönes Auto“, meinte Placido, der gerade den Wagen einparkte.

„Der ist schweineteuer!“, gab ich fasziniert von mir.

Als wir drei ausstiegen, ging die Tür zur Zeichenschule auf und Signore Galli trat heraus.

„Signore Romano, das ist aber eine Ehre, wir haben uns schon lange nicht mehr gesehen. Ich wusste nicht, dass sie wieder da sind“, meinte Galli und öffnete per Knopfdruck, eben diesen Wagen.

Nicht? Er musste ihn doch diese Tage bestimmt gesehen haben. Er schüttelte Placido die Hand und nickte Tomaso und mir zu.

„Ja, ich hielt es in New York nicht mehr aus, die Heimat ist doch am schönsten! Sie haben einen neuen Wagen?“

Galli nickte.

„Der alte hat den Geist aufgegeben, die Bremsen haben versagt, aber Gottseidank, hat es nur einen Blechschaden gegeben.“

„Ihnen ist wirklich nichts passiert?“, fragte mein Schatz mit übertriebener Besorgnis.

Verwundert schaute ich ihn an. Auch diese Tonlage passte so gar nicht zu Placido.

„Nein, ich hatte Glück, aber mein alter Fiat steht nun auf dem Schrottplatz!“

„Dann ist ja gut…, ich wünsche ihnen noch einen schönen Mittag, Signore Galli, entschuldigen sie, ich muss leider noch mit der Baufirma reden, bevor die abfahren!“

„Ja, es ist gut, dass das Tor endlich gemacht wird, da kann ja wer weiß was hier herein laufen.“

Ich schaute zu Placido, konnte aber seinen Blick nicht deuten.

„Also, ich meine, wegen unseren Schülern…ihre Sicherheit ist uns ja auch wichtig!“, lächelte Galli

Man schüttelte sich erneut die Hände, der Hochschuldozent speiste uns beide wieder ohne etwas zu sagen, nur mit einem Nicken ab und stieg in seinen Wagen. Zu dritt standen wir da und schauten ihm zu, wie er den Hof fahrender Weise verließ.

 „Der kostet locker knapp 100.000 Euro…, ich wusste gar nicht, dass man als Hochschuldozent, so viel verdient!“

Ich zog die Augenbrauen hoch und schaute nun verwundert meinem Schatz nach. Während er  noch mit dem Chef der Truppe redete, betraten Tomaso und ich bereits das Haus. Er hatte während der Heimfahrt nichts gesprochen.

„Warum wollte Letizia mich das gefragt?“, fragte der Junge plötzlich auf dem Weg nach oben.

„Ähm, ich habe erzählt, dass wir noch einen Jungen aus deiner Klasse vor der Bäckerei abgesetzt haben und sie meinte sie kenne das Haus, in das Nino gelaufen ist. Schlimm?“

Ich hatte die Wohnungstür aufgeschlossen und Tomaso lief zuerst in die Wohnung.

„Was?“

„Dass ich erzählt habe, dass wir Nino heim gebracht haben.“

Tomaso schüttelte den Kopf und lief Richtung seinen Zimmer, den Kopf gesenkt. Warum hatte ich plötzlich dieses komische Bauchgefühl, dass da irgendwie noch viel mehr war, als Tomaso bisher erzählte.

Ich hängte meine Sachen auf und ging ins Schlafzimmer. So schnell wie möglich wollte ich aus meinen Sachen heraus und etwas Bequemes anziehen.

„Was Essen wir heute Abend?“, hörte ich Placido aus dem Flur fragen.

„Hast du gerade nicht genug gegessen?“, frotzelte ich zurück.

„Sorry, es hat so gut geschmeckt…“

Placido war ins Schlafzimmer gekommen und trat neben mich.

„Was ist los?“, fragte er leise und drehte mich zu sich.

Ich schaute in seine herrlichen grünen Au8gen.

„Ich weiß es nicht, ich kann es dir nicht sagen… ich wollte erst mit Tomaso alleine reden…“

„Meldet sich da dein Bauch wieder?“, grinste mich Placido an.

„Ja, ich habe wieder so ein komisches Bauchgefühl… Schlimm, wenn ich es dir erst später erzähle, wenn ich mir gewiss bin?“

Placido nickte, sagte aber dann ein „Nein“ und grinste weiter.

„Ich ziehe mich jetzt um und gehe rüber in mein Atelier und du kannst in Ruhe mit Tomaso reden. Wenn dann etwas ist, können wir später immer noch darüber reden, du weißt wo du mich findest!“

„Danke!“, meinte ich und gab ihm einen Kuss.

Als ich etwas später Tomasos Zimmer betrat, saß er immer noch voll angezogen, auf seinem Bett. Ich schloss die Tür hinter mir und ließ mich neben ihm nieder. Ich griff nach seiner Hand, die ich ohne Gegenwehr bekam.

„Tomaso, ich will eins klar stellen. Egal was es ist, was du auf dem Herzen hast, sei es auch nur eine Frage…, du kannst jederzeit zu Placido, oder mir kommen! Das heißt aber nicht, dass du mir alles erzählen musst.“

Ich konnte ein leichtes Nicken wahrnehmen.

„Wenn du ein Geheimnis für dich behalten möchtest, bin ich dir sicher nicht böse deswegen, auch Placido nicht!“

Er wollte etwas sagen, aber ich stoppte ihn.

„Willst du hier weiter reden, oder im Wohnzimmer?“

„…hier“, antwortete Tomaso leise.

„Okay. Dann zieh du dir etwas Bequemeres an und ich hole für uns beide Tee…“

Vielleicht sollte ich so eine Art Zeremonie, wie er mit Monsignore Viccario zelebrierte, ebenso einführen. Eine Tasse Tee und ein Gespräch. Mit zwei Tassen Tee betrat ich etwas später wieder das Zimmer von Tomaso.

Er saß wieder auf dem Bett, dieses Mal aber richtig, an die Rückwand gelehnt. Das Kapuzenshirt hatte er immer noch an. Ich schloss die Tür und reichte Tomaso seinen Tasse.

„Mit zwei Würfel Zucker“, sagte ich lächelnd.

„Danke…!“

Ich ließ mich wieder neben ihm nieder und rührte in meinem Tee. Als er von sich aus nichts sagte, versuchte ich ihm Hilfestellung zu geben.

„Was bedrückt dich so sehr, dass du nicht darüber reden kannst.“

„… mein schlechtes Gewissen…“, antwortete Tomaso und starrte auf seine Tasse.

„… und warum hast du ein schlechtes Gewissen? Du hast nichts Schlimmes angestellt.“

Kurz schaute der Junge auf und schaute mich an. Ich konnte diesen Blick nicht richtig deuten. Angst, Verzweiflung und vielleicht auch Hilflosigkeit, ich konnte es nicht sagen.

„Weil…, weil ich gelogen habe…“

Eine einzelne Träne rann über seine Wange.

„Du hast gelogen…, warum?“

Ich versuchte nicht böse, oder vorwurfsvoll klingen. Eine einfache Frage. Seine Augen wanderten wieder Richtung Tasse.

„…etwas was mir wichtig war…, ich wollte es nicht verlieren.“

„Etwas, oder jemand?“

Darauf bekam ich keine Antwort.

„Du hast es nicht verloren?“

Tomaso schüttelte den Kopf.

„War die Lüge denn so schlimm, dass es dich so quält?“

Tomaso drehte sich plötzlich wieder zu mir.

„Hätte ich nicht gelogen, wäre das alles nicht passiert!“, fuhr Tomaso mich an, „es hätte nicht gebrannt, Jakob wäre nie entführt worden und Andrea’s Vater wäre jetzt nicht tot!“

Tränen rannen nun über sein Gesicht und er schaute mich zornig an. Ich nahm ihn seine Tasse aus der Hand, stellte beide ab und zog ihn zu mir.

„Hätte…, wäre…, das weißt du nicht!“

„Doch, hätte ich zu Andrea nicht gesagt, ich wäre in ihn verliebt, hätte er das Heim nicht angezündet!“

Die Tür ging vorsichtig auf und ich konnte Placido sehen.

„Du warst nicht in ihn verliebt…“

„Nicht … mehr…“, kam es fast flüsternd zurück.

Mein Gegenüber schüttelte resignierend seinen Kopf. Irgendetwas passte da jetzt nicht zusammen. Mir fehlten definitiv mehr Informationen.

„Warum hast du dann gesagt, du bist in ihn verliebt?“

„…. Er kam alleine zu mir und sagte, er weiß, dass ich mich mit einem anderen Jungen treffe…, da habe ich gesagt, das stimmt nicht, ich würde nur ihn lieben“, kam es tonlos von Tomaso.“

Etwas verwirrt schaute ich ihn an.

„Andrea wusste schon vorher, dass du schwul bist?“

„Ja…“

Irgendwie verstand ich gerade nicht den Zusammenhang.

„… warst du vorher mit Andrea zusammen?“

Diese Frage kam von Placido, der neben mich getreten war. Tomaso zuckte zusammen, er hatte Placido nicht bemerkt. Mein Schatz ließ sich neben uns auf dem Boden nieder.

„Irgendwie hat Andrea heraus gefunden, dass ich auf Jungs stehe und gestand mir, er hätte sich in mich verliebt“, begann Tomaso plötzlich zu erzählen.

Erstaunt schaute ich Placido an.

„Das hast du geglaubt?“

„Am Anfang nicht, aber er war dann immer so lieb zu mir, wenn wir alleine waren.“

„Was passierte dann?“, fragte mein Schatz.

„Wir trafen uns öfter, aber ich durfte niemand davon erzählen. Niemand durfte es wissen, sonst hätte er Ärger mit seinem Vater gekommen, wenn das heraus gekommen wäre. Wir haben auch nur ein bisschen herum geknutscht… nie mehr!“

„Was hat sich dann geändert?“

„… je länger wir zusammen waren, umso komischer wurde Andrea. Er war voll eifersüchtig, glaubte ich würde mich…, mich ständig mit anderen Kerlen treffen. Er tat mir dabei sogar immer öfter weh.“

„Was nicht stimmte.“

Der Junge schüttelte den Kopf, sah uns aber beide nicht an. Es machte klick bei mir und ich sah plötzlich den Zusammenhang in allem.

„Und dann hast du Nino kennen gelernt!“, sagte ich.

Erschrocken sah mich Tomaso plötzlich an.

„Wo…, woher weißt du?“

„Tomaso, ich habe Augen im Kopf und ich habe heute Morgen gesehen, wie ihr zwei euch angehimmelt habt.“

Sprachlos starrte mich der Junge an.

„… und dann hast du Andrea angelogen, damit er nichts von Nino erfährt!“, sagte Placido neben mir.

Tomaso nickte und senkte erneut seinen Blick.

„Nino ist so ganz anders, er ist voll lieb, bemüht sich um mich… nimmt Rücksicht auf mich.“ Ich weiß nicht, ob oder wie Andrea etwas mitbekommen hat?“

„Dann hat Andrea also das Heim aus Eifersucht angezündet, nicht weil er Schwule hasste‘“, sagte ich zu Placido.

„Ich glaube nicht, dass er wusste, wer Nino war, sonst hätte er ihm als erstes etwas getan!“

Ich wusste nicht, ob Placidos Behauptung gut war. Er legte seine Hand vorsichtig Tomasos Knie.

„Ich bin mir sicher, Andrea hätte früher oder später, so etwas Verrücktes wie das Heim anzustecken gemacht. Das ist krank, Tomaso. Daran bist du nicht schuld!“

„Aber…“

„Nichts aber, Tomaso. Andrea gehört nicht in ein Gefängnis, sondern in eine ‚Anstalt, dass man ihm helfen kann. Ich kann mir so ungefähr vorstellen, wie das bei Andrea zu Hause abgelaufen ist.“

Fragend schaute ihn Tomaso an.

„Wenn dein Vater Schwule hasst, dir das immer wieder eintrichtert, aber du selbst weißt, dass du auf Jungs stehst, das kann nicht gut gehen!“

„Dann… dann hat mich Andrea wirklich geliebt?“

„Vielleicht, wenn ja… auf die falsche Art und Weise. Der Hass seines Vaters hat in ihm wahrscheinlich eine Verlustangst geschürt, die sich dir gegenüber als Eifersucht zeigte. Je mehr sein Vater ihn in diese Richtung schubste, desto schlimmer wurde es für dich!“

„Und… und was mache ich jetzt?“

„Gar nichts!“

Verblüfft schauten wir nun beide Placido an.

„Tomaso, es ändert nichts daran, wenn du noch irgendetwas tust. Die Dinge, die geschehen sind, kann man nicht mehr rückgängig machen. Ich weiß, mein Rat ist vielleicht etwas unpassend, aber du solltest nur an Nino denken…“

„Das was passiert ist… vergessen?“, fragte Tomaso schockiert.

„Nein, das kannst du gar nicht, das kann wohl niemand.“

„Kann ich Nino anrufen? Er macht sich schon die ganze Zeit sorgen. Heute in der Schule, ist er nicht von meiner Seite gewichen.“

„Meinst du, das ist gut? Du hast ihn praktisch vor uns geoutet…, weiß nicht, ob er das toll findet“, sagte ich besorgt.

„Er weiß über euch Bescheid und sein Vater weiß es auch…“

„Was weiß er?“, fragte ich etwas entsetzt.

„Das sein Sohn schwul ist, wir zusammen sind und ich bei euch lebe…“

„Aha…“, sagten Placido und ich fast gleichzeitig.

*-*-*

Ich saß am Tisch und faltete die Servietten. Was hatte mich geritten, dass ich Nino und seinen Vater zum Abendessen eingeladen hatte. Eine Hand wuschelte durch mein Haar und holte mich wieder in die Realität zurück.

„Was ist los?“, hörte ich die Stimme meines Schatzes sagen.

Ich drehte mich zu ihm.

„Ob es richtig ist, dass ich Ninos Vater auch gleich eingeladen habe?“

„Sich dafür jetzt den Kopf zu zerbrechen, ist es etwas spät. Aber ich denke, es ist gut. Dann ist alles geregelt und die Jungs müssen uns gegenüber, sich nicht verstellen!“

Von dem Gesichtspunkt, hatte ich das noch gar nicht betrachtet. Wenn wir den beiden zeigten, dass wir Hundert prozentig hinter ihnen stünden, wäre das eine große Hilfe für sie.

„Brauchst du noch Hilfe in der Küche?“

„Nein, Tomaso hat mir etwas geholfen.“

„Was gibt es?“

„Einfache Pasta, mit Mamas berühmter Tomatensoße und Salat, im Augenblick Tomasos absolutes Lieblingsgericht!“

Placido grinste breit.

„Wo ist er überhaupt?“

„Ich denke, in seinem Zimmer, sich zu recht machen.“

Mein Schatz kicherte.

„… ist das nicht Klischeedenken? Er ist zwar schwul, wird sich aber bestimmt nicht gleich aufdonnern, wie ein Mädel!“

„Er mag zwar ein Junge sein, aus dem Heim, aber ich denke, ihm ist sein Aussehen genauso wichtig, wie anderen siebzehn jährigen, pubertierenden Jungen!“

Der Hausgong machte sich bemerkbar.

„Ich mach auf!“, hörten wir es vom Flur.

Und schon wurde die Wohnungstür aufgerissen.

„Ich geh wohl lieber mit hinunter, schließlich habe ich die beiden eingeladen“, sagte ich zu Placido, gab ihm einen Kuss und folgte Tomaso.

Als ich die Treppe herunter kam, standen Nino und sein Vater, bereits im Haus und die Haustür zum Hof war verschlossen.

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