Regenbogenfamilie Teil 27 – Trauerrede

Ich war am Donnerstag, einen Tag vor der Beerdigung meines Vaters wieder sehr zeitig wach geworden, da Thomas und ich gestern für unsere Verhältnisse sehr früh zu Bett gegangen waren und gegen meine üblichen Gepflogenheiten bin ich auch sofort aufgestanden und nach unten in die Küche gegangen, um das Früh­stück für uns und unsere Gäste vorzubereiten.

Die Kaffeemaschine lief bereits zum zweiten Mal, den ersten Durchlauf hatte ich in eine Thermoskanne umgefüllt, der Früh­stückstisch war gedeckt und ich hatte eben die Brötchen in den Backofen geschoben als Jonas bei mir in der Küche auftauchte. Auf seine Frage, ob er mir bei den Vorbereitungen helfen könne, konnte ich nur noch verneinen, da ich bereits alles vorbereitet hatte.

Während wir die Brötchen beobachteten, wie sie langsam Bräune annahmen fragte ich ihn, ob er sich zutrauen würde mit mir zusammen in der Aussegnungshalle, den Part der letzten Trauerrede für Opa zu übernehmen.

Er überlegte einige Minuten bevor er mich fragte, wie ich auf diese ungewöhnliche und verrückte Idee gekommen sei. Ich erklärte ihm, dass ich dies gestern Abend mit Thomas so abgesprochen habe und der meinte, dass das eine gute Idee sei, seiner homophoben Mutter den Wind aus den Segeln zu nehmen, oder wie Thomas es ausgedrückt hatte, einen gelungenen Schachzug im Kampf gegen Jonas Mutter.

Wieder überlegte er längere Zeit, bevor er mir seine Zustimmung gab, mit mir gemeinsam die Trauerrede bei der Beerdigung zu halten. Die Idee, seiner Mutter damit zu zeigen, dass er auch nur ein normaler junger Mann sei und nicht das wofür sie ihn hielt, gefiele ihm plötzlich außerordentlich gut. Wir vereinbarten, dass wir uns beide später zusammensetzen und den Text für unsere Rede gemeinsam erarbeiten werden.

Marcus und Philipp wollten später sowieso zu Oma fahren und dort helfen, alles für den morgigen Leichenschmaus vorzubereiten. Sie könnten Tim mitnehmen, damit wir im Haus die nötige Ruhe hätten, uns auf die Vorbereitung der Ansprache zu konzentrieren. Ich denke Thomas wird mit unseren spanischen Freunden ebenfalls unterwegs sein.

Da für das Frühstück alles fertig ist, bat ich Jonas, nach oben zu gehen und alle aufzuwecken und zum Frühstück einzuladen.

Der Erste, der unten im Esszimmer auftauchte, war Philipp ohne seinen Marcus, der mir freudestrahlend berichtete, dass inzwischen alle wach seien und bereits ihre Betten verlassen hätten. Jonas habe zwar nur ihn, Tim und Marcus geweckt und gleichzeitig gebeten, ich solle doch den Rest aus ihren Betten holen, da er sich das nicht zutraut.

Marcus hat daraufhin gelacht und ihm erklärt, dass er am Anfang das gleiche Problem bei Peter und Thomas gehabt hätte, sie aufzuwecken. Ich habe dann zuerst noch Thomas aufgeweckt und danach unsere spanischen Gäste.

„Stimmt das“ wollte Philipp von mir wissen, „dass du mit Jonas zusammen eine Trauerrede bei Opas Beerdigung halten willst, zumindest hat Thomas vorher beim Wecken so etwas angedeutet?“

„Wenn ihr es schafft keinem etwas zu davon zu verraten, dann werden wir das machen, das Ganze soll bis morgen ein gut behütetes Geheimnis bleiben und eine Überraschung auf der Trauerfeier werden. Ich verlasse mich da voll auf dich. Es wäre nett, wenn du und Marcus Tim mit zu Oma nehmen würdet, damit Jonas und ich hier in aller Ruhe unsere Ansprache vorbereiten können“ bat ich ihn.

Philipp erklärte, dass es für ihn kein Problem sei Tim auf den Gutshof mitzunehmen und da er bei seinem Studium in Weihenstephan in die landwirt­schaftliche Richtung will, könnte er sich im Gutshof ein wenig umschauen und bereits sehen, was ihn und Jonas in ihrem zukünftigen Leben erwarten würde.

Während des Frühstücks entschieden sich Thomas, Alejandro und Jorge, ebenfalls wie die drei Jungs zum Gutshof zu fahren. Thomas wollte mit Alejandro, Jorge und Tim beim Pächter um eine Führung durch den Gutshof bitten, während Philipp und Marcus meine Mutter unterstützen können

Bevor die Meute endlich das Haus verlassen konnte, räumten wir alle zusammen im Haus auf. So kurz vor halb elf Uhr war es dann so weit, Jonas und ich waren endlich allein im Haus und konnten mit den Vorbereitungen für unsere Trauer­ansprache beginnen.

Wir setzten uns ins Esszimmer, ich hatte mein Notebook aus dem Büro geholt, um den Text einzutippen und später auszudrucken. In den nächsten vier Stunden feilten wir an unserer Ansprache für die Trauergäste, wobei Jonas immer wieder der Meinung war, dass wir einige Punkte unserer Rede nicht so vortragen könnten. Einige Thesen, aber auch gewisse Anspielungen seien gerade für die ältere Generation vielleicht nicht so verständlich oder sogar zu radikal.

Ich versuchte ihn zu überzeugen, dass wir die uns angebotene Gelegenheit nutzen sollten, um möglichst viele der Anwesenden, davon zu überzeugen, dass Liebe zwischen zwei Männer oder zwei Frauen, keine schmutzige und unnatürliche Angelegenheit wäre. Selbst in der Antike habe es nachweislich bereits gleichge­schlechtliche Verbin­dungen gegeben.

In einigen Weltreligionen hat man diese Verbindungen später als unnatürlich erklärt, da dies mit ihrer Überzeugung und Meinung, nur eine Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau kann zu Nachwuchs führen, der somit dauerhaft den Fortbestand der Religionsge­meinschaft sichern würde.

Jonas konnte mich nur davon überzeugen, den Text an manchen Stellen etwas zu überarbeiten und abzuschwächen, damit nicht der Eindruck entsteht, dass wir mit einem Vor­schlag­­hammer die Trauergäste bekehren wollen und damit eben nicht wie die Religions­gemeinschaften, alles nur einseitig betrachten.

Am Ende hatten wir nach ge­mein­samen Bemühungen eine Ansprache entwickelt, die hoffentlich allen Anwesenden gefallen und akzeptiert werden kann. Wir druckten unsere fertige Ansprache aus und lasen sie noch mehrmals durch, um für morgen schon eine gewisse Grundsicherheit und Routine zu bekommen.

Ihr wundert euch jetzt sicher, warum ich euch nicht detailliert unsere Diskussionen und Textentwürfe geschildert habe. Ihr habt doch gehört, die Trauerrede soll bis zur Trauerfeier ein gut behütetes Geheimnis bleiben. Ihr müsst euch schon noch etwas gedulden, auch euch gegenüber wird dieses Geheimnis bis zur letzten Minute nicht preisgegeben.

So gegen halb vier rief ich Thomas am Handy an und wollte nur wissen, wie es ihnen ergehe. Genaugenommen wollte ich nur wissen, wann sie wieder zurückkommen würden, ob ich noch Kaffee kochen soll oder nur noch ein Abendessen, aber auch die Frage hatte sich schnell von selbst erledigt.

Er erzählte uns, dass die Vorbereitungen gut vorangehen würden und der Caterer gebeten hat, dass wir später als Testesser für den morgigen Leichenschmaus alle Gerichte verkosten sollten. Seine Leute würden derzeit rund zwölf bis fünfzehn Essensportionen vorbereiten. Dazu sollten wir spätestens gegen achtzehn Uhr im Saal im Gutshaus sein. So wie ich die Sache sah, hatte Thomas dem Caterer bereits zugesagt, so versprachen wir rechtzeitig bei ihnen im Gutshaus zu sein.

Ich rief noch kurz bei Benjamin Müller an und fragte vorsichtig nach, ob es von seiner Seite für die morgige Trauerfeier noch Probleme zu lösen gebe. Er meinte nur, alles in bester Ordnung, selbst das Wetter sei morgen gnädig ge­stimmt, da mit einem trockenen, aber nicht zu heißem Tag zu rechnen ist.

Mit Jonas fuhr ich gegen halb sechs zum Gutshof, wobei ich die Aufgabe übernahm, das Navigationsgerät zu ersetzen. Jonas parkte seine Wagen auf dem vom Pächter vorbereiteten Parkplatz neben unseren Autos, da die sonstigen Parkmöglichkeiten vorm Haus bereits vom gesamten Fuhrpark des Caterers zugestellt waren.

Zusammen gingen wir ins Gutshaus und fanden alle im ersten großen Raum, der wie zu Vaters Geburtstag mit großen runden Tischen und jeweils zehn Stühlen bestückt war. Zwei Tischen waren bereits vollständig eingedeckt für das kurzfristig angesetztes Testessen.

Im Raum dahinter standen noch einmal sechs runde Tische, ebenfalls mit zehn Stühlen, dazu hatten sie bereits den Tresen für den Ge­tränke­ausschank aufgebaut. Beim Blick durchs Fenster konnte ich ein größeres Zelt erkennen, in dem bereits die mobile Gastro­no­mieküche stand, in der morgen die vielen Essen zubereitet werden.

Jonas war bei den anderen geblieben und so stand ich einige Minuten allein im Raum und genoss die Stille. Plötzlich stand Thomas neben mir und fragte, wie es bei uns, beim Erarbeiten der Trauerrede ergangen sei.

Ich erklärte ihm, dass es keine leicht zu lösende Angelegenheit war, da Jonas mehrfach der festen Überzeugung gewesen sei, dass wir die Trauergemeinde nicht mit derartig aggressiven Sprüchen konfrontieren könnten.

Ich gebe zu, manche meiner Sätze haben sicher an unser gestriges Späßchen mit der Weltherrschaft der Schwulen erinnert. In ge­meinsamer Abstimmung haben wir die besonders harten Formu­lierungen etwas abge­schwächt und dem würdevollen Rahmen einer Beerdigung angepasst.

Inzwischen stand Mutter bei uns und berichtete, dass bisher alles zu ihrer vollsten Zufriedenheit abgelaufen sei. Bevor ich es vergaß, erklärte ich ihr, dass für Samstagnach­mittag der Familienrat einberu­fen wird, zu dem sie ebenfalls herzlichst eingeladen sei, da wir wichtige Dinge besprechen wollen, die auch sie betreffen würden.

Thomas versprach ihr, dass sie abgeholt und am Abend auch wieder nach Hause gebracht wird. Ich ergänzte noch, wenn du am Samstag bereits früher kommen willst und mit uns über deine dauerhafte Rückkehr nach Deutschland sprechen willst, sag uns einfach rechtzeitig bescheid. Ansonsten können wir diese Gespräche auch im Laufe der nächsten Woche noch führen, wenn es wieder etwas ruhiger geworden ist.

Ich fragte Mutter, ob sie jetzt kurz Zeit hätte, mit mir ein Gespräch unter vier Augen zu führen. Sie meinte, ja, ich habe immer für dich Zeit, wenn es wichtig ist. Ich erklärte ihr kurz die Situation um meinen Neffen Jonas und sein Freund Tim. Jonas Mutter hat angekündigt, ihn aus dem Haus zu werfen, sobald er seine Schule beendet hat. In wenigen Wochen, sozusagen mit Ferienbeginn, hat er sein Abitur in der Tasche und will Landwirtschaft oder Gemüseanbau in Weihenstephan studieren.

Deshalb hätte ich mir überlegt, dass die beiden Jungs, Anfang nächsten Jahres ins Verwalterhäuschen ziehen können, um auf dem Gutshof praktische Erfahrung in der Landwirtschaft sammeln zu können. Ich würde noch einmal mit dem Pächter sprechen, ob er als angestellter Mitarbeiter in den nächsten zwei bis drei Jahren den Jungs weiterhin unter die Arme greifen und ihnen zum theoretischen das praktische Wissen beibringen könnte. Langfristig können die zwei dann die Verwaltung des landwirtschaftlichen Bereichs des Gutshofes übernehmen und dort ihre Zukunftspläne verwirklichen.

Sie überlegte einen kurzen Moment, bevor sie mir antwortete: „Jetzt verstehe ich immer mehr, warum dein Vater der festen Überzeugung war, dir die Verantwortung für den gesamten restlichen Familienbesitz zu übertragen. Du siehst in dieser Aufgabe nicht nur deinen persönlichen Vorteil bei der Angelegenheit, sondern du denkst eher daran, wie es langfristig weitergehen soll, um den Familienbesitz zu erhalten. Hast du schon mit den beiden Jungs darüber gesprochen?“

„Nein“ antwortete ich ihr, „ich wollte zuerst mit dir darüber reden und mit dir alles in Ruhe abklären, mit meinem Neffen Jonas und seinen Freund Tim werde ich in einer ruhigen Minute über die Angelegenheit sprechen. Eine endgültige Entscheidung wie es langfristig mit dem Gutshof weitergehen wird, hoffe ich am Samstag bei unserem Zusammentreffen des Familienrats zu finden.“

„Meinen Segen dazu hast du, wie du das Umsetzen willst, überlasse ich dir. Du wirst schon das Richtige entscheiden im Sinne der Familie“ meinte sie noch. „Wir sollten langsam zu den anderen zurückkehren, nicht dass sie uns noch als vermisst melden“ ergänzte sie mit einem verschmitzten Lächeln.

Wir hatten uns kaum in Bewegung gesetzt, als Philipp im Türrahmen auftauchte und uns bat zum Essen zu kommen. Wir folgten ihm in den Nachbarraum, wo der Rest der Familie und unsere Gäste bereits an einem der Tische saß. Ein Teil der Mitarbeiter des Caterers hatte sich an den zweiten Tisch gesetzt, um mit uns das Essen zu verkosten.

Zuerst wurde allen die Fleischbrühe mit verschiedenen Einlagen serviert, wobei ich nicht vergessen darf, dass vorher alle mit den gewünschten Getränken versorgt wurden. Während alle ihre Suppe löffelten, blieb es mucksmäuschenstill.

Erst als die meisten mit ihrer Suppe fertig waren, begann die Diskussion darüber, wie es dem Einzelnen geschmeckt hat. Mein Fazit zur Vorspeise, die Rinderbrühe hatte einen hervorragenden Geschmack und die Suppeneinlagen waren genau richtig gewürzt. Sie hatte zumindest meinen Geschmack voll getroffen.

Nach einer angenehm dosierten Pause wurde uns nacheinander, jeweils in einer Miniportion eines der drei vorgesehenen Gerichte serviert. Der Fisch und die da­zugehörigen Beilagen waren gut aufeinander abgestimmt, ich war mir fast sicher, dass dies morgen mein Favorit sein wird.

Nach einer kürzeren Pause wurde uns der Schweinebraten mit einem klei­nen Kloß und Bayrisch Kraut und etwas Soße serviert. Danach fehlte nur noch das fleischlose Gericht, dass sich beim Servieren als Kaiser­schmarrn mit Zwetschgenkompott oder Apfelmus herausstellte. Das dritte Gericht hätte locker auch als Dessert serviert werden können.

Als Dessert wurde ein Kugel Eis mit verschieden Früchte serviert, die ebenfalls hervorragend schmeckten. Nach dem Essen setzte sich Herr Baumgartner, Chef des Catering-Unternehmens zu uns an den Tisch und bat uns, unsere Bewertung und Anmerkungen zu äußern, damit er gegebenenfalls morgen noch Änderungen oder Verbes­se­rungen mit seinen Leuten besprechen könne. Wie ich all den Infor­mationen für Herrn Baumgartner entnehmen könnte, sind alle angebotenen Speisen hervorragend angekommen.

Ich erklärte ihm kurz noch meine Überlegung, dass der Kaiserschmarrn auch als Nachspeise angeboten werden könnte. Herr Baumgartner erklärte uns, warum er sich für dieses Gericht als fleischloses Gericht entschieden habe. Es hat den Vorteil das es kurzfristig nach Bedarf in unserer Zeltküche zubereitet werden kann, je nachdem wie viele Portionen davon gewünscht werden. Er überlegt sich das noch mit meinem Vorschlag als alternative Nachspeise und klärt das mit seinem Küchenchef.

Wenige Minuten, nachdem er aufgestanden war, kam er mit dem Küchenchef zurück in den Saal. Er winkte mir, dass ich doch zu ihnen kommen solle. Ich stand auf und ging auf die Beiden zu. Sein Küchenchef ergriff als erster das Wort und meinte, dass mein Vorschlag umgesetzt werden kann, denn mit der Dessert-Variante besteht die Möglichkeit das vorbereitete Zwetschgen- und Apfelkompott noch zu verwenden und bräuchte dann nicht unbedingt weggeworfen werden.

Während die Serviceleute noch alles aufräumten, verabschiedeten wir uns von Mutter bis morgen und gingen zu unseren geparkten Wägen. Marcus und Philipp, Thomas mit Alejandro und Jorge fuhren mit einem der Autos zurück, unser zweites Auto ließen wir am Gutshof stehen, damit meine Mutter morgen früh kurz zum Einkaufen fahren konnte. Für uns war es kein Problem, mit nur zwei Autos nach Hause zu kommen und morgen zur Beerdigung wieder hierher zu kommen.

Da ich mit den beiden Jungs, also Jonas und Tim, noch allein reden wollte, nutzte ich die günstige Gelegenheit, mit den beiden zusammen zurückzufahren und sie von den mit meiner Mutter bereits besprochenen Ideen und Plänen, zumindest was die Beiden betrifft, in Kenntnis zu setzen.

Wir hatten kaum den Gutshof verlassen, als ich Jonas bat, etwas langsamer zu fahren, da ich mit ihnen ein ausführlicheres Gespräch führen möchte, bevor wir wieder zuhause angekommen seien. Ich wollte ihnen meine Überlegungen und Ideen darlegen, wie wir möglicherweise ihre Probleme lösen könnten. Vor allem hätten wir keine Zuhörer, die vielleicht nicht alles auf Anhieb verstehen würden.

Den Vorschlag, den ich ihnen jetzt unterbreiten werde, wird am Samstag auch Teil des Familienrats sein, den ich einberufen habe, wozu ihr auch eingeladen seid, wenn euch mein Vorschlag akzeptabel erscheint.

Ansonsten nimmt am Familienrat noch meine Tochter mit ihrem Mann und ihren Kindern und meine und Thomas Mutter teil. Alejandro und Jorge werden möglicherweise dabeisitzen und zuhören, aber ohne Stimmrecht. Ohne Stimmrecht seid ihr nur dann, wenn euch meine Pläne, die euch beide betreffen, nicht gefallen oder ihr sie grundsätzlich ablehnt.

Dies alles vorausgeschickt, fing ich an, den Jungs zu erzählen: „Ich weiß, ihr steckt derzeit in einer misslichen Lage und wir haben euch unsere Hilfe angeboten. Für mich sind in den letzten vierundzwanzig Stunden so einige Punkte durchsichtiger geworden, wie ich verschiedene Angelegenheiten, die sich in letzter Zeit angesammelt haben, lösen könnte.

Bei diesen Über­legungen hat mir euer Studien- und Berufswunsch etwas in die Karten gespielt. Bevor ich euch meine Ideen nahebringen will, erst einmal die Fakten, die zu der Entscheidung geführt haben.“

Tim hatte sich zu mir umgedreht und schaute mich ungläubig an, Jonas hatte den Wagen während meiner bisherigen Erklärung zum Halten gebracht und drehte sich ebenfalls zu mir um.

„Du willst uns wirklich helfen“ meinte er, „Immerhin bin ich der Sohn deiner Schwester, die von dir nichts mehr wissen will und die dich zu Hause nur als schwulen Hurensohn beschimpft.“

Ich antwortete ihm: „Du bist zwar der Sohn meiner homophoben Schwester, du bist aber auch mein Neffe, der Hilfe braucht. Ich habe inzwischen gelernt, mit der Ignoranz meiner Schwester zu leben, sie war schon immer etwas abgehobener und fühlte sich immer als etwas Besseres als ihre beiden Brüder. Da ihr beide zudem noch schwul seid, macht es noch mehr Spaß euch zu helfen und meiner Schwester an die Karre zu pissen.“

Der letzte Teil meines Satzes zauberte ein Lächeln in das Gesicht von Jonas, vermutlich stellte er sich meine Redewendung gerade bildlich vor. Ich forderte ihn auf weiterzufahren und erstmal meinen Vor­schlag abwarten.

Wieder auf der Straße erklärte ich den beiden: „Mein Vater hat mir kurz vor seinem Tod mitgeteilt, dass der bisherige Pächter der Ländereien um den Gutshof herum zum Jahresende gekündigt hat und mir den Auftrag erteilt, einen neuen Pächter zu suchen. Ich habe bereits mit dem bisherigen Pächter gesprochen, ob er den Pacht­vertrag verlängern will, was dieser jedoch kategorisch abgelehnt hat. Meine Frage, ob er als Verwalter noch ein oder zwei Jahre den Betrieb weiterführen könnte, hat er nicht abgelehnt, aber gemeint, dass er sich das eventuell überlegen könne.“

Nach einer kurzen Pause fuhr ich fort: „Jetzt kommt ihr beide ins Spiel, wenn der bisherige Pächter noch eine gewisse Zeit den Betrieb weiterführt, könntet ihr neben eurem Studium in Weihenstephan, am Gutshof direkt den praktischen Teil erlernen unter Anleitung des bisherigen Verwalters. Meine Mutter wird euch sicher auch noch den einen oder anderen Tipp geben, sie hat immerhin mit Vater zusammen den Gutshof jahr­zehntelang geführt.“

Wieder legte ich eine Pause ein, bevor ich weitersprach: „Wenn ihr euer Studium abgeschlossen habt, könntet ihr die Ländereien als Gemüsebauern oder weiterhin als vollwertigen landwirtschaftlichen Betrieb in Eigenverantwortung übernehmen. Wenn der derzeitige Pächter im Spätherbst aus dem Verwalterhaus auszieht, könntet ihr beide euch dort eure gemeinsame Wohnung einrichten.

Das Haus sollte für euch beide groß genug sein, um dort zu wohnen und wir könnten dort auch noch einige Büros für die Gutshofverwaltung unterbringen. Ich denke, da ihr sicher nicht so schnell eigenen Kinder haben wollt, sollte dafür auch noch Platz sein.“

„Ich habe bisher nur mit Thomas und meiner Mutter über meine Pläne ge­sprochen, ich bitte euch auf alle Fälle bis Samstag mit keinem darüber zu reden. Ich will von euch am Samstag, vor der Familienkonferenz nur wissen, wie ihr zu diesen Plänen steht. Für die Zeit, bis das Verwalterhaus zur Verfügung steht, findet sich sicher eine Lösung, wo ihr beide zwischenzeitlich woh­nen könnt, notfalls in unserem Gästezimmer mit Familienan­schluss.“

Die Beiden hatten sich meine Ausführungen ohne Unterbrechung angehört. Selbst jetzt blieben sie still. Kurz bevor wir zuhause ankamen, erklärte Jonas: „Wow, von diesem Vorschlag bin ich jetzt erst einmal vollständig geplättet, mit so etwas habe ich nicht im Entferntesten gerechnet.

Du bietest uns die Möglichkeit unsere beruf­lichen Träume zu verwirklichen und willst uns gleichzeitig in deine Familie mit aufnehmen. Ich glaube kaum, dass ich da nein sagen kann, aber vorher will ich mich mit Tim darüber abstimmen.“

Tim der bisher nur zugehört hatte, fand seine Sprache wieder und sagte: „Ich liebe Jonas und kenne seine Situation, wie schwer er es zuhause bei seinen Eltern hat, wegen seiner Mutter, sehr genau. Meine Eltern haben es völlig locker hingenommen, als ich ihnen erklärte, dass ich schwul bin und mich in Jonas verliebt habe.

Wenn das für uns der Weg sein kann, auf dem wir gemeinsam in die Zukunft gehen können, werden ihn wir gemeinsam beschreiten. Ich möchte jedoch gerne mit meinen Eltern über deinen Plan, für unsere gemeinsame Zukunft sprechen, wenn du mir das erlaubst.“

„Solange du bis Samstagabend nur mit deinen Eltern darüber redest, ist das für mich in Ordnung. Vielleicht kannst du sie ja überreden am kommenden Wochenende in den Süden zu kommen, falls ihr noch so lange hierbleiben wollt.

Sie könnten sich dann selbst ein Bild machen, worauf sich ihr Sohn einlässt. Wir besorgen ihnen entweder ein Hotelzimmer oder sie können auch bei uns im Gästezimmer übernachten, wenn ihr wieder bei Philipp und Marcus nächtigt in dieser Zeit“ erwiderte ich ihm.

Tim strahlte mich an, mit dem Vorschlag seine Eltern einzuladen, hatte ich ihm wohl eine Riesenfreude bereitet. Jonas der den Wagen inzwischen vor der Haustüre geparkt hatte, drehte sich zu seinem Tim, nahm seinen Kopf in seine Hände und küsste ihn minutenlang. Ich war mir jetzt schon sicher, die beiden würden das Angebot annehmen und in wenigen Wochen hier ihre neue Heimat finden. Tim meinte, er wird sich schnellstmöglich mit seinen Eltern in Verbindung setzen und die Einladung übermitteln.

Wir stiegen aus dem Auto und gingen gemeinsam ins Haus. Philipp empfing uns mit den Worten „Wo bleibt ihr so lange, wir sind schon eine halbe Ewigkeit zu Hause. Haben Jonas und ihr euch etwa verfahren oder du ihm den falschen Weg gezeigt?“

Ich unterbrach ihn „Mit dem Wort verfahren liegst du grob gesagt fast richtig, aber nicht so wie du vielleicht denkst. Wir haben so etwas wie ein außerordentliches Vater-Sohn-Gespräch geführt, in dem es um seine verfahrene Situation in seinem Eltern­haus ging und ich den beiden ein Angebot für ihre private und berufliche Zukunft unterbreitet habe.

Auch wenn du jetzt neugierig bist, um was es dabei geht, von mir und den Jungs wirst du vorerst nichts erfahren, bis Jonas und Tim sich endgültig entschieden haben, über noch ungelegte Eier spricht man bekanntlich nicht in der Öffentlichkeit.

Spätestens am Samstagnachmittag, wenn der Familienrat zusammen­kommt, werden wir es euch allen erklären, sofern die beiden meinem Vorschlag zugestimmt haben.“

Auf dem Weg ins Wohnzimmer, wo Thomas mit unseren Gästen saß, meinte er noch ziemlich laut: „Du immer mit deinen Geheimnissen, von denen kein Mensch Kenntnis haben darf, bis du alles in trockenen Tüchern hast.“

Thomas der das mitbekommen hatte grinste ihn wissend an und Philipp legte noch einmal nach: „Ich sehe schon, ich bin wie immer der Letzte, der die wichtigsten Neuigkeiten erfährt.“

Thomas konterte frech zurück: „Und wie war das am fünfzigsten Geburtstag deines Vaters, wer waren da diejenigen, die als letztes von dem Geheimnis zwischen dir und deiner lieben Schwester unterrichtet wurden.

Aber nicht nur das, erst an diesem Tag hast du dein bestens gehütetes Geheimnis preisgegeben, dass du schwul und in Marcus verliebt bist. Ich denke du solltest dich erst einmal an deiner eigenen Nase fassen, bevor du solche Sprüche vom Stapel lässt.“

Marcus sah ihn an und lachte: „Philipp, merkst du etwas, sie haben dich wieder einmal mit deinen eigenen Waffen geschlagen, du musst noch viel dazulernen, um nicht ständig in ihr offenes Messer zu laufen, oder soll das noch ewig so weitergehen, bis du eines fernen Tages endlich kapiert hast, dass du erst denken und danach sprechen solltest.“ Er ging auf ihn zu und küsste ihn, vermutlich auch um ihn zum Schweigen zu bringen.

Ich sah zu Jonas und Tim, die verwundert den Schlagabtausch verfolgt hatten und erklärte ihnen: „An den Umgangston innerhalb der Familie solltet ihr euch schnellstens gewöhnen, das gehört bei uns zum Alltag und ist nie böse oder gar beleidigend gemeint. Außerdem ist Philipp bei uns bekannt dafür, dass er oft sehr provoziert und dann von uns entsprechend reagiert wird.“ Die beiden nickten verstehend.

Wir beschlossen nur noch in unsere Betten zu verschwinden. Morgen, mit der Trauerfeier, der Beerdigung und dem Leichenschmaus haben wir einen anstrengenden und sicher auch wieder sehr langen und ereignisreichen Tag vor uns.

Wie ereignisreich und turbulent der Freitag wirklich für alle Beteiligten wird, sollten wir erst in den nächsten vierundzwanzig Stunden feststellen.

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