Adventskalender 2022 – Tür 9 – Suddenly royal

Er reichte mir auch noch die Tasche, ich scannte den Preis und packte dann die Hausschuhe in die Tasche. Anschließend nannte ich den Preis und er legte die Pfundscheine auf die Ablage.

„Kann ich ihnen helfen?“, hörte ich Mum sagen und ich schielte an dem alten Herrn vorbei.

Sie hatte wohl Jannah entdeckt. Ich reichte dem Mann die Tasche, bedanke mich und wünschte ihm noch einen schönen Tag. Freudenstrahlend verließ der alte Herr den Laden. Wieder jemanden glücklich gemacht.

Ich stellte die Sachen auf der Theke wieder gerade hin, obwohl es nicht nötig war, aber Mum liebte Ordnung in ihrem Laden.

„Entschuldigen sie, wenn ich frage“, hörte ich Mum sagen, obwohl ich die beiden gerade nicht sah, „sie tragen die gleiche Schuluniform wie mein Sohn, kennen sie ihn vielleicht?“

„Wir gehen in die gleiche Klasse…“

„Ach wirklich…?“

Auf ein Gespräch mit Jannah hatte ich keinen Bock, so war ich schon versucht mich davon zu stehlen.

„Ja… eigentlich bin ich hier, um etwas für Gregory abzugeben…, aber da habe ich dieses Paar Schuhe gesehen.“

„Welche Größe benötigen sie?“

„Sie können ruhig du sagen Mrs. Newbury… ich habe Schuhgröße fünf.“

„Einen Augenblick, die Größe habe ich hinten noch vorrätig.“

Und schon war Mum verschwunden. Jannah sah sich weiter um, bis das Unvermeintliche eintraf, unsere Blicke kreuzten sich.

„Hi, du hilfst deiner Mum im Laden?“

„Ab und zu, wenn ich Zeit habe. Du sagtest, du hast etwas für Gregory?“

„Ja, ich habe etwas von ihm für Mathe geliehen…“

„Moment“, meinte ich nur und nahm den Telefonhörer und wählte die Kurznummer von Gregory, der Hausanlage.

„Hallo Gregory! Jannah steht hier im Laden und wollte dir etwas zurückgeben…“

Ich sah, wie Jannah leicht ihren Kopf schüttelte, als wäre ihr das gar nicht recht.

„Entschuldigung, hat etwas länger gedauert“, hörte ich Mums Stimme, die kurz darauf an der Theke erschien.

„Du kannst sie gleich hier probieren“, meinte Mum und zeigte auf einen der Stühle, die der Theke gegenüberstanden.

Jannah stellte ihren Rucksack auf den Boden und setzte sich mir gegenüber. Mum reichte ihr die Schuhe. Hinter mir ging die Tür auf und Gregory erschien etwas außer Atem. Da war wohl jemand die Treppe herunter gerannt. Ich wies auf Jannah und machte dann eins auf geschäftig.

„Hallo Jannah“, kam es leise von Gregory.

„Oh Gregory… hallo… du bist schon hier? Einen Augenblick… Jacks Mum hat Schuhe, nach denen ich schon lange geliebäugelt habe.“

Gregory schaute zu mir und konnte nur grinsend mit den Schultern zucken. Frauen und Schuhe. Die Schuhe schienen zu passen, denn Mum kam mit zu mir. Mit einem Diener machte ich ihr lächelnd Platz und sie übernahm das kassieren.

„Bar oder Karte?“, fragte Mum.

„Karte“, antwortete Jannah und pfriemelte das Plastikteil hervor.

„Hat dir das Buch geholfen?“, fragte nun Gregory.

„Ja, sehr, aber eins habe ich nicht verstanden…“

Jannah unterbrach kurz ihr Gespräch und gab ihre Pin ein. Mum packte die Schuhe in den Karton und wollte ihn in eine Tüte tun.

„Der geht noch in meinen Rucksack…, danke.“

Als sie etwas Schwierigkeiten hatte, den Karton in den Rucksack zu bekommen, trat Gregory heran und half ihr. Mum schaute kurz zu mir und grinste wie ich.

„Was meintest du, was hast du nicht verstanden?“, fragte Gregory.

Mum tippte mich kurz an und zog mich dann von der Theke weg, zum einem der Regale.

„Was denn?“, flüsterte ich.

Mum legte ihren Finger auf den Mund.

„Die eine Aufgabe, ich weiß nicht, wie man auf das Ergebnis kommt.“

Man hörte die Blätter eines Buches, sie schien die Stelle zu suchen. Mum räumte derweil in dem Regal herum, stellte Schuhe wieder gerade hin, während ich versuchte, mehr durch die Lücken der ausgestellten Fußbekleidungen zu sehen.

„Das ergibt sich aus diesen zwei Ergebnissen…, du musste die Formel gleich dreimal anwenden…“

„Ach so“, hörte ich Jannah sagen, „danke.“

„Nichts zu danken, jederzeit wieder.“

Ich ärgerte mich nun, hinter diesem blöden Regal zu stehen und nicht deren Gesichter zu sehen.

„Du wohnst hier mit Jack zusammen?“

„Nein, ich habe meine eigene Wohnung.“

„Cool, ab und zu wäre ich froh, ich würde alleine wohnen. Neben meinen Eltern, wohnt auch meine Großmutter bei uns. Das kann nerven.“

Ich grinste Mum an und riss sogleich meine Augen weit auf, als sie vom Regal vorpreschte. Was hatte sie vor.

„Jannah, wenn du noch Zeit hast, geh ruhig mit den Jungs nach oben. Dann kannst du dir den Rest des Hauses ansehen, natürlich nur den Teil den wir bewohnen.“

Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Was sollte das jetzt?

„Hier wohnen noch mehr Leute im Haus?“

„Ja…, ein Ehepaar und eine vierköpfige Familie!“

Von denen ich bisher noch niemanden gesehen hatte. Sollte man sich beim neuen Besitzer des Hauses nicht vorstellen? Vielleicht wussten sie das auch nicht. Das Kindergetrampel und Geschrei hatte ich aber schon wahrgenommen.

„Ich will aber nicht weiter stören, sie haben doch sicher noch mehr Arbeit, bei der Jack helfen muss…“

„Du siehst, der Laden ist leer, so voll wie eben ist es nur selten.“

Etwas hilflos schaute uns Jannah an.

„Dann lassen wir dich mal alleine…“, meinte ich und lief Richtung Tür zum Hausflur.

„Bis später“, meinte Mum noch, da war ich aber bereits im Flur und zog meinen Schlüssel hervor, um die Tür direkt gegenüber aufzuschließen.

„So, dass ist das Reich meiner Mutter und mir“, meinte ich und ließ die beiden eintreten.

„Sieht schon richtig wohnlich aus“, meinte Gregory.

„Ihr seid erst eingezogen?“, fragte Jannah.

„Ja, am Wochenende und die ganze Familie hat geholfen“, antwortete ich.

Ich machte mit den beiden eine kleine Wohnungsführung, die dann wieder im Flur vor meinem Zimmer endete.

„Kommst du später noch zum Abendessen?“, fragte ich Gregory.

Er nickte und öffnete die Wohnungstür.

„Dann bis später… Tschüss Jannah, wir sehen uns ja morgen wieder.“

„Ja bis morgen, Tschüss!“, entgegnete sie und verließ mit Gregory die Wohnung.

Ich schob die Tür zu und atmete tief durch. Gerne wäre ich mit hochgegangen, aber ich war wohl fehl am Platz. Schließlich sollten die beiden sich besser kennen lernen. Ob daraus etwas wurde, stand auf einem anderen Blatt.

Etwas später am Abend saßen wir dann zu dritt am Küchentisch. Keine Rede vom Damenbesuch. Mum kündigte nur an, dass sie am kommenden Abend mit den zwei Damen, der Rentnerriege ausgehen würde.

Sonst blieb es beim normalen Smalltalk, über Schule und Geschäft, nur dass nun Gregory mit involviert war. Ich fand es sogar als angenehm, auch mal nur zu zuhören und nicht immer Antwort geben zu müssen.

Den Rest des Abends verbrachte ich alleine am Laptop, Gregory war wieder hoch gegangen. Ich schrieb etwas mit Taylor, bevor der, weil er früh aufstehen musste, zeitig ins Bett ging. So ähnlich verlief auch der Rest der Woche, mit gelegentlichen Besuchen von Opa und Oma.

Nur am Samstag, gingen wir noch einmal mit den Großeltern richtig essen. Gregory war mit von der Partie, gehörte er ja schließlich zur Familie. Am Sonntag wurden die Herrschaften an den Bahnhof gebracht und dort ausgiebig verabschiedet.

Ein Versprechen wurde mir abgerungen, dass ich doch bald möglichst auf Besuch kam, wenn es möglich wäre. Wir warteten noch, bis der Zug abgefahren war, dann verließen wir den Bahnsteig wieder.

„Habt ihr heute Abend noch etwas vor?“, fragte Onkel Henry.

„Nicht viel, der Tag war anstrengend genug“, antwortete Mum.

„Sollen wir irgendwo etwas essen gehen?“

„Können wir, aber auf Fastfood habe ich keine Lust!“

Mum schaute mich dabei an und grinste.

„Wir haben in der Nähe von uns einen Italiener gefunden, der macht herrliche Pizza…“, sagte Henry.

„Das stimmt, die sind voll lecker“, kam es nun von Jayden und rieb sich dabei den Bauch.

Mum und ich schauten uns an.

„Wir bräuchten uns nichts richten“, meine ich zu ihr.

„… und Gregory?“

An ihn hatte ich jetzt nicht gedacht, denn es war schon irgendwie zur Gewohnheit geworden, dass Gregory abends bei uns aß.

„Das ist kein Problem, ich ruf ihn kurz an und wir holen ihn dann ab, wenn wir zu Henry fahren.“

Mum wandte sich zu Henry.

„Dann probieren wir euren Italiener!“

„Gut, ich rufe gleich an und bestell einen Tisch“, merkte Henry an.

*-*-*

Onkel Henry hatte nicht zu viel versprochen, so eine gute Pizza hatte ich schon lange nicht mehr gegessen. Von der Offord Road in der Onkel Henry wohnte, zur Hoxton Street in der wir nun residierten, war es nicht weit, so war ich mir sicher, dass uns dieser Italiener nicht das letzte Mal gesehen hatte.

Der Rest des Sonntags, saß ich über meinen Schulsachen, während Mum irgendwo in der Wohnung herum räumte.

„Jack kommst du mal bitte?“, hörte ich Mum rufen.

„Ja, was ist denn?“

Ich fand sie an der Küche, wie sie fast am Fenster klebte.

„Da unten steht ein Mann vor dem Schaufenster…“

Ich trat neben sie und schaute nach unten.

„Der wird sich deine Auslage ansehen…“, meinte ich nur und wollte schon in mein Zimmer zurück..

„Über eine Stunde schon?“

Wieder schaute ich hinunter, um mehr erkennen zu können, aber leider stand der Mann zu dicht am Haus und ich konnte nur die Haare sehen, nicht das Gesicht. Ein komisches Gefühl machte sich in mir breit.

„Was machen wir jetzt?“, fragte ich.

„Ich weiß nicht…, Henry anrufen?“

„Warum Henry?“

„Ach ich weiß auch nicht! Seit eurer Gaunergeschichten, mache ich mir eben auch meine Gedanken!“

Da war wohl wirklich etwas, wegen unserer Besorgnis, bei ihr hängen geblieben.

„Komm!“, sagte ich.

„Halt, was hast du vor?“

„Wir gehen runter in den Laden, dann können wir sein Gesicht sehen!“

„Aber sieht er uns dann nicht auch?“

„Es ist nur das Schaufenster beleuchtet, der Rest des Ladens ist dunkel, der wird uns nicht mal bemerken.“

„So wohl ist mir trotzdem bei der Sache nicht!“

„Dann könne wir immer noch Henry anrufen!“

*-*-*

Wir warteten, bis das Licht im Flur wieder erlosch, dass von hinten keine Lichtquelle in das Geschäft fiel. Gemeinsam betraten wir den hinteren Raum des Ladens und tasteten uns zum Verkaufsraum nach vorne.

Es war gar nicht so einfach, so dunkel es hier war. Als wir den Raum endlich erreichten, lugten wir vorsichtig um die Ecke und sahen, dass wir dort wo wir standen, gar nicht von draußen gesehen werden konnten.

„Der erinnert mich irgendwie an…“, begann Mum.

Ja, er sah aus wie Timothy, aber auch wieder nicht.

„Der sieht aus wie der Bruder von Olivia, dieser Timothy?“

Mum nickte.

„Vielleicht solltest du wirklich Henry anrufen…, oder gleich die Polizei.“

Aber darauf reagierte Mum nicht und verließ unsere sichere Deckung.

„Mum, was soll das, der sieht dich doch!“, rief ich schockiert.

Nun verließ ich auch den Platz und wollte sie aufhalten, aber da war sie schon an der Tür und hatte plötzlich die volle Aufmerksamkeit von diesem Mann.

„Mason?“, hörte ich sie fragen.

Wer war Mason?

„Hallo Charlotte, ich wusste nicht, dass du hier auch wohnst?

„Was tust du hier Mason?“

Mittlerweile hatte ich die beiden erreicht und war neben die Mum getreten.

„Ist das dein Sohn? Er sieht ja aus, wie damals Issac!“

„Mum…, wer ist das?“

„Olivias älterer Bruder, Mason… Mason Finley!“

*-*-*

„Du glaubst gar nicht, wie überrascht ich war, als ich von Amerika herkam und am Telefon erfuhr, dass meine Eltern sich in London befinden.“

Wir hatten den Ort gewechselt und saßen nun in der Küche. Argwöhnisch beobachtete ich den Mann. Er sah zwar aus wie Timothy, aber ich stellte bei näheren Betrachten fest, dass er viel älter sein musste.

„Tja, du hast sie verpasst, sie sind heute Morgen mit meinen Eltern per Zug zurück gefahren.

Wussten deine Eltern nicht, dass du zurück kommst?“

„Nein, das sollte eine Überraschung sein. Ich habe zwar vor kurzen begonnen mit meiner Mutter wieder in Kontakt zu kommen, aber das ist mir nicht recht gelungen.“

„Das ist dir ordentlich misslungen, oder? Meine Mutter hat mir nichts darüber erzählt und Dema erzählt alles meiner Mutter!“

Dieser Mason sah erst mich an, dann schaute er wieder zu Mum.

„Warum werde ich das Gefühl nicht los, dass irgendetwas nicht stimmt?“

Mum atmete tief durch.

„Mason, was hast du in den letzten Jahren überhaupt mitbekommen? Wie lange warst du nicht mehr hier?“

„Was meinst du? Ich verstehe nicht!“

„Ich weiß, du bist damals nach dem großen Krach mit deinem Bruder und deiner Schwester nach Amerika ausgewandert und hast dich nicht mehr gemeldet.“

Das Gesicht des Mannes verfinstere sich.

„…, das ist bis vor kurzem auch so geblieben…!“

„Und warum plötzlich jetzt?“

Mum fragte das, was ich dachte. Warum jetzt? War es ein Zufall, dass wir so Ärger mit seinem Bruder und auch seiner Schwester hatten. Oder tat er nur so und wusste mehr. Er senkte den Kopf.

„… meine Frau ist verstorben…“

Er rieb sich über sein Gesicht und jetzt fiel mir auch der Ehering an seiner Hand auf.

„Das tut mir leid Mason!“

Er setzte sich wieder richtig auf seinen Stuhl.

„Es ist alles meine Schuld! Ich habe mich mit meinen Geschwistern überworfen und somit den Zorn meiner Eltern auf mich gezogen! Deswegen habe ich mich nicht gemeldet, weil ich nicht noch mehr böses Blut schüren wollte!“

„Dann weißt du also nicht, was in den letzten achtzehn Jahren passiert ist?“

Erstaunt schaute ich meine Mutter an.

„Jack, würdest du uns einen Tee machen?“

„Soll ich Onkel Henry anrufen?“

„Später vielleicht, Schatz, ich weiß nicht, ob das jetzt so eine gute Idee ist!“

Ohne weiter etwas zu sagen, stand ich auf und machte mich an den Tee.

„Wirklich verblüffend… diese Ähnlichkeit, wo ist Issac überhaupt?“

Polternd fiel mir eine Tasse auf die Arbeitsplatte, aber zerbrach nicht. Natürlich fuhr Mum zusammen. Er wusste also wirklich nichts, das war nicht gespielt.

„Mason…“, sie hatte wieder seine Aufmerksamkeit, „…ich sehe, du weißt wirklich nicht, was hier passiert ist. Was ich dir jetzt erzähle, wirst du wahrscheinlich nicht glauben, aber bitte unterbrich mich nicht, dass alles hier fällt mir schon schwer genug!“

Er sagte nichts dazu, nickte nur. Die nächste halbe Stunde erzählte Mum dann grob, was seit seinem Verschwinden geschehen war. Die Augen von Mason wurden immer größer. Tonlos stellte ich die Becher mit Tee auf den Tisch und ließ mich wieder neben Mum nieder.

„So, jetzt weißt du ungefähr, was passiert ist, während deiner Abwesenheit. Ich denke, deine Eltern wären dankbar gewesen, wenn du dich gemeldet hättest!“

Er schüttelte nur den Kopf. Sein Blick wanderte zu mir. Die Kleinigkeit, dass ich schwul war, hatte sie schlicht weg unter den Tisch fallen lassen, was den Streit mit Olivia überhaupt erst ausgelöst hatte.

„Es… es tut mir leid Jack…, ich wusste wirklich nichts. Du… musst unsere Familie jetzt doch hassen…?“

„Nein, tu ich nicht! Molly und Jayden sind auf meiner Schule, Jayden, sogar in meiner Klasse.“

Ich überlegte kurz, dann redete ich einfach weiter.

„Mum hat nicht erzählt, warum ihre Schwester so ausgetickt ist.“

„Jack… bitte“, flehte Mum.

„“Mum, ich weiß, du willst mich nur schützen, aber ich denke, jetzt wo Olivias Bruder alles erfahren hat, soll er auch das wissen! Wie schon so oft gesagt… keine Geheimnisse mehr!“

Sie nickte und ich richtete mein Augenmerk wieder zu Mason. Er hob die Hände.

„Junge, wenn es euch so schwer fällt, darüber zu reden, du musst nichts sagen… und da ich Jayden und Molly’s Onkel bin, kannst du ruhig du zu mir sagen.“

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