„Danke. Aber wie eben zu meiner Mutter gesagt, zu viele Geheimnisse haben die beiden Familien fast zerstört und ich will nicht jener sein, der neu damit beginnt.“
Ich holte tief Luft.
„Ich bin schwul und Olivia behauptete ich hätte mich an Jayden vergangen!“
„Bitte?“, kam es entsetzt von Mason.
Seine Augenbraun wanderten nach oben, dadurch schienen seine Augen noch größer.
„Es tut mir leid Mason, aber wenn du mit Jack ebenso nicht klar kommst, solltest du jetzt gehen!“
Entgeistert schaute dieser Mann meine Mutter an.
„Halt… halt Charlotte, du verstehst das falsch. Ich habe selbst einen Sohn der schwul ist, ich bin nur so entsetzt über die Reaktion Olivias!“
Hoppla, damit hätte ich jetzt nicht gerechnet.
„Du hast einen Sohn?“
„Genaugenommen zwei…, Zwillinge und einer der beiden ist schwul!“
Umständlich griff er nach hinten und zog sein Portemonnaie hervor und zog etwas heraus.
„Das ist Stan und Niklas!“, meinte er und legte Mum eine Fotografie hin.
„Wo sind die beiden jetzt und wie alt sind sie?“
„Bei den Eltern meiner verstorbenen Frau. Sie sind gerade siebzehn geworden.“
Ich beugte mich vor, um auch etwas sehen zu können.
„Da wird sich Dema freuen, wenn sie hört, dass sie noch zwei Enkel hat. Aber für die Jungs tut es mir leid, dass sie ihre Mutter verloren haben.“
„Es geht, weil es voraussehbar war. Caren hatte Krebs… und die Behandlung zog sich sehr in die Länge. Die Jungs haben deswegen alles mitbekommen, den ganzen Kampf, den meine Frau dann doch schließlich verlor.“
„Und warum meldest du dich dann jetzt hier? Ich versteh nicht ganz!“
Mason ließ sich wieder in den Stuhl zurück fallen.
„Niklas hat arge Schwierigkeiten mit seinem Umfeld, weil er eben anders ist und nicht toleriert wird. Sein Bruder und auch die ganze Familie versucht ihn zu unterstützen, wo es nur geht, aber es hilft nichts, er zieht sich immer mehr zurück.“
Gar nicht gut!
„… und ich dachte… hier in England, ein neuer Anfang, würde ihm helfen…“
Mason seufzte laut.
„Und wie denkt Niklas darüber?“, rutschte mir heraus.
„Jack!“, kam es mahnend von Mum.
„Lass den Jungen, seine Frage ist berechtigt. Ich habe mich mit Stan und Niklas lange darüber unterhalten. Sie meinten beide, bis auf ihre Großeltern, hält sie da drüben nichts mehr.“
Traurig schaute ich zu Mum. Es war schade, dass es so laufen musste. Ein Klopfen an unserer Wohnungstür, unterbrach unser Gespräch.
„Wird Gregory sein“, meinte ich nur und verließ die Küche.
„Wer ist Gregory?“, hörte ich im hinausgehen.
Gegen meine Erwartung stand eine für mich fremde Person vor der Tür.
„Äh…, sie wünschen?“
„Wir haben gehört, sie sind die neuen Besitzer…, hier, das ist für sie…!“, meinte der Mann lächelnd und lief die Treppe wieder hinauf.
Verwundert schaute ich ihm hinterher. Was war das jetzt?
„Jack, wer ist da?“, hörte ich Mum rufen.
Immer noch verwirrt, schloss ich die Wohnungstür und starrte auf den Umschlag, auf dem mein Name stand.
„Was ist das?“, fragte Mum, als ich die Küche wieder betrat.
„Ich denke, dass war einer der Nachbarn, die hier im Haus wohnen, er ist nach oben gelaufen…“
„Und was ist das für ein Umschlag?“
Ohne zu antworten, reichte ich ihn ihr.
„Der ist an dich adressiert!“
Ich hob Schulter und Hände.
„Ja und?“
„Ich denke, dass ist an dich…, der neue Hausbesitzer?“
„Jack gehört das Haus?“, fragte Mason verwundert.
„Ja, das hat ihm Isaacs Vater vermacht, hatte wohl ein schlechtes Gewissen.“
„Mum!“
„Ja, ist schon gut!“, sagte sie und reichte mir den Umschlag zurück und wandte sich an Mason.
„Wie schon erzählt, hat Jack versucht, alles wieder gerade zu biegen und sein Großvater schien deswegen so dankbar und ließ ihm dieses Haus zu überschreiben. Nebenbei gab er mir die Möglichkeit gegeben, einen neuen Laden aufzumachen.“
„Aha…“
*-*-*
Mason war ins Hotel zurück gefahren. Ich saß immer noch am Küchentisch und hielt den Inhalt des Briefes in Händen. Meine erste Kündigung als Hausbesitzer. Dieser Mr. Smith aus dem dritten Stock, der die große Wohnung neben Gregory mit seiner Familie wohnte, wollte ausziehen.
Aus beruflichen Gründen, war dort zu lesen. Mum kam zurück, sie hatte ihre Klamotten in etwas Bequemes getauscht.
„Und der will zum nächsten ersten ausziehen?“, fragte sie und ließ sich wieder neben mir nieder.
„Ja, er scheint versetzt worden zu sein und deswegen steht ein Wohnungswechsel an.“
„Am besten du leitest das, an den Familienanwalt weiter, der wird sich schon darum kümmern.“
„Ich wüsste ja gar nicht, was ich machen sollte!“
Mum zog mir das Blatt aus der Hand.
„Bis zum ersten sind es noch vierzehn Tage, haben die keine Kündigungsfrist, so wie wir? Gut, man wollte uns aus der Wohnung haben, so ist das für uns entfallen. Aber ich glaube, das sind mindestens vier Wochen.“
„Ich kenne mich da leider nicht aus, vielleicht steht da etwas im Internet?“
„Egal, du schickst das, an den Anwalt, der soll das regeln.“
„Dann steht die Wohnung neben Gregory leer. Das heißt neue Mieter, müssen wir uns nicht darum kümmern?“
„Jetzt warten wir erst mal ab, okay? Du musst dich deswegen nicht verrückt machen.“
„Was denkst du wegen Mason?“
Beantworten konnte mir Mum diese Frage nicht, es klopfte erneut an der Wohnungstür.
„Noch eine Kündigung?“, fragte ich und Mum fing an zu lachen.
Erneut lief ich zur Wohnungstür, aber es war nur Gregory.
„Es ist nur Gregory“, rief ich Mum zu und mein Cousin lief verwundert an mir vorbei.
„Was heißt hier nur?“, fragte Gregory, während ich die Tür schloss.
„Vorhin war der Mieter neben deiner Wohnung da und hat eine Kündigung vorbei gebracht!“, antwortete ihm Mum, als wir die Küche betraten.
„Die haben gekündigt? Mir soll es recht sein, dann muss ich nicht ständig deren Streitereien mit anhören!“
„Die haben sich gestritten?“, fragte Mum, „warum hast du nicht gesagt?“
„Weil es mich nichts angeht!“
„Wenn es zu laut ist und dich es stört, geht es dich schon etwas an!“
„He, sie ziehen aus, Problem gelöst!“, sagte ich.
„Der Hausbesitzer hat gesprochen!“, grinste Mum.
„Ach so, willst du die größere Wohnung?“, fragte ich Gregory.
„Wieso ich? Mir reicht meine Wohnung und noch mal umziehen? Nein, das ist mir zu stressig!“
„Da soll sich der Anwalt drum kümmern!“, meinte Mum.
„Willst du etwas Besonderen vorbereiten, oder bestellen wir etwas?“, fragte ich, weil mir Mason wieder einfiel.
„Öhm bestellen?“, fragte Gregory.
„Ja, Mum hat noch einen Gast eingeladen!“
„Einen Gast, störe ich da nicht?“
„Quatsch, du störst nie Gregory, du weißt doch, wir sind Familie!“, grinste ich.
Mum schaute nachdenklich auf die Kündigung, die immer noch auf dem Tisch lag.
„Was ist?“
„Ich frage mich, ob ich nicht Henry anrufen soll, es ist schließlich sein Schwager, der da kommt?“
„Dieser Timothy?“, fragte Gregory entsetzt.
„Nein! Olivia hat noch einen älteren Bruder, der bisher in Amerika lebte“, erklärte ich ihm.
„Er… der kommt hier her? Warum?“
Klar war Gregory verwirrt. Mason gehörte nur indirekt zur Familie, war er doch Jaydens und Molly’s Onkel, nicht unserer. Mum erklärte ihm kurz die Situation.
„Das ist traurig…, irgendwie ist in jeder Familie der Wurm drin, oder?“
„Das kannst du so nicht sagen, Gregory“, meinte Mum, „es kommt immer auf die Umstände an.
„Und er will jetzt nach London ziehen?“
„Ach so, das wissen wir nicht!“, antwortete ich.
„Stimmt, er kann sein, dass er nach Schottland zu Dema und Gavin ziehen möchte“, erklärte Mum.
„Schade, dann hättet ihr doch schon einen Nachmieter!“, grinste Gregory.
Auf die Idee war ich gar nicht gekommen.
„Das kannst du ihn ja nachher fragen“, sagte Mum lächelnd.
„Wieso ich? Mir gehört das Haus nicht!“
„Aber es gibt dein Nachbar. Zudem hat er zwei Söhne, da könnte es wieder laut werden!“
„Zwei Söhne? Wieso… wie alt sind die denn?“
„So alt wie wir!“
*-*-*
Wir hatten uns entschlossen, Henry erst mal nicht anzurufen und Mason zu fragen, was er davon hielt. Nach einem Check up des Kühlschranks, wollten wir auch nichts bestellen, denn da waren noch so viele leckere Dinge von Caitlin drinnen.
Gregory war nervös, auch wenn er versuchte, dass zu überspielen.
„Hast du für die Mathearbeit gelernt?“, fragte Gregory und entriss mich so meiner Gedanken.
„Hat dein Cousin je für Mathematik lernen müssen?“, fragte Mum und stellte die Teller auf den Tisch, „wollen die Herren vielleicht mal helfen?“
Schuldbewusst stand Gregory sofort auf und half. Der bessere Sohn, schien wohl er zu sein, denn ich kam nur langsam in die Gänge.
„Kann ich etwas dafür, dass mir Mathe Spaß macht?“, grinste ich die beiden an.
Es klingelte.
„Ich mach auf!“, meinte ich und lief in den Flur.
Artig drückte ich auf den Knopf der Gegensprechanlage und der kleine Monitor flammte auf. Wie erwartet war Mason zu sehen und ich betätigte den Öffner. Er schien gleich zwei Stufen auf einmal zu nehmen, denn wenig später stand er schon vor mir.
„Guten Abend, Mason!“
„Hallo Jack, ich hoffe ich bin nicht zu spät?“
„Nein, wir decken gerade den Tisch, komm doch herein.“
„Wir?“, hörte ich Mum in der Küche sagen, „er hat sich galant davor gedrückt.“
Gregorys Lachen war zu hören. Mason entledigte sich seiner Jacke.
„Ich bin die Kälte nicht mehr gewohnt“, meinte er und rieb sich seine Hände.
„Wo in Amerika wohnt ihr?“
„In Texas…“
„Gibt es bei euch keinen richtigen Winter?“
„Selten, wenn dann aber richtig!“
Wir liefen gemeinsam in die Küche, wo der Tisch bereits gedeckt war.
„Darf ich dir Gregory, meinen Cousin vorstellen?“
Gregory hob seine Hand und Mason schüttelte sie.
„Sicher mit dem Cousin, ihr seht eher wie Zwillinge aus“, lächelte Mason.
„Das sagt jeder…, hallo Mason“, begrüßte ihn Mum, „setzt euch doch!“
„Du hast wirklich einen Glückgriff mit diesem Haus gemacht!“
Mum baute sich plötzlich bedrohlich vor Mason auf.
„Dieses Haus gehört Jack, nicht mir! Ich wollte bisher kein Geld und will es auch in Zukunft nicht! Dieses verdammte Geld hat nur Ärger gebracht!“
„Entschuldige Charlotte…, ich wollte dir nicht zu nahe treten!“
Mum atmete tief durch, wischte sich eine Träne weg und wandte sich der Küchenzeile zu.
„Mason…“, begann ich, „…wie Mum dir heute Mittag erzählt hat, dieses Geld… hat deine Schwester veranlasst, meine Vater in Misskredit zu bringen, Gregory gezwungen, bisher ein Leben als Waise zu führen und wir…“
Ich stoppte kurz, sah zu Mum.
„Gut, ich kann mich nicht beschweren, nichts über die Familie gewusst zu haben, denn ich habe nur schöne Erinnerungen mit Mum zusammen.“
„Jetzt nicht?“, wollte Masson wissen.
„Das habe ich nicht gesagt…, es hat mir zum Beispiel diesen wahnsinnig lieben Kerl als Cousin beschert“, antwortete ich und wuschelte Gregory durch die Haare.
„Eh…!“, beschwerte sich dieser.
Mum drehte sich wieder zu uns und lächelte.
„Es tut mir wirklich leid! Ich habe von all dem wirklich nichts gewusst!“
Mason schaute zu Mum.
„Schon gut, es ist ja auch nicht so, als würde man nach außen sehen, dass in der Familie vieles im Argen liegt.“
„Lag!“, verbesserte ich.
„Ja lag, dank Jack hat sich ja einiges geändert.“
Mason schaute nachdenklich auf den gedeckten Tisch.
„Ist es dann überhaupt Recht, wenn ich wieder hier her ziehe?“, fragte er plötzlich.
„Was hat das eine mit dem anderen zu tun?“, fragte Mum und setzte sich auch endlich hin.
„Ich meine…, unsere Familie hat schon genug Ärger verursacht…“
„Halt!“, sagte ich laut, dass sogar Gregory zusammen zuckte, „den Ärger hat ganz alleine Olivia zu verantworten und sonst niemand! Naja am Schluss dein Bruder…“
„Ich möchte einfach nicht die Jungs neuem Ärger aussetzten, den hatten sie in der Vergangenheit genug!“
„Verstehe ich!“, meinte Mum.
„Zieht ihr dann nach Schottland zu deinen Eltern?“, fragte ich.
„Eigentlich… hatte ich vor, mir hier in London, oder dem Umfeld zu suchen, denn ich werde hier zum Hauptsitz der Firma, für die tätig bin versetzt.“
Ich grinste Gregory an.
„Dann suchst du also auch eine Wohnung hier?“, fragte ich scheinheilig.
„Ja, warum fragst du?“
„Weil ich zufällig, als Besitzer dieses Hauses, über eine bald leer werdende Wohnung „verfüge.
Nun grinste auch Mum breit.
„Da hör dir meinen Herrn Sohn an, kaum steigt er in die Welt der Reichen und Schönen auf, wird er zum Angeber!“
Entsetzt fiel meine Kinnlade zu Boden und Gregory und auch Mum fingen laut an zu lachen.
Auch Mason stimmte mit ein.
„Was denn, ich wollte doch nur behilflich sein!“
„Schon gut, Jack, das war nur ein Spaß! Die Idee, Mason die Wohnung geben zu wollen, finde ich aber gut, wenn er sie überhaupt haben will.“
Masons Blick wanderte durch die Runde.
„Die Wohnung ist sicher geschnitten wie diese…“, sagte Mason.
„Nein sie ist größer. Gregorys Wohnung daneben ist nur eine Einzimmerwohnung, so hat die Wohnung über uns vier Zimmer, Küche und Bad!“, erklärte Mum.
Woher wusste sie das? Wir waren nie in den anderen Wohnungen gewesen.
„Das hört sich gut an, aber ich möchte mir die Wohnung vorher doch ansehen.“
Mum schaute nun zu mir.
„Was?“
„Du bist der Hausbesitzer!“, grinste sie.
„Boah Mum. Ich bin siebzehn, woher soll ich wissen, was man da macht. Hast du nicht gesagt, dass macht alles Grandpas Anwalt?“
Zu spät merkte ich, dass ich ihr erneut auf dem Leim gegangen war.
„Mason, ich werde morgen mit dem Anwalt telefonieren, damit er alles in die Wege leiten kann.“
„Danke Charlotte!“
*-*-*
Ich wusste nicht warum, aber an diesem Morgen, fühlte ich mich beobachtet, als Gregory und ich zu Buslinie liefen. Ständig drehte ich meinen Kopf und nach hinten zu sehen.
„Was ist?“, fragte Gregory.
„Ach ich weiß auch nicht…, dass mit diesem Timothy macht mich nervös. Was ist, wenn er doch etwas im Schilde führt?“
„Ich kann nur das wiederholen, was deine Mutter sagte, wir sind nicht direkt davon betroffen, wir gehören nicht zu Olivias Familie.“
„Sie ist aber unsere Tante… und überhaupt, warum kannst du so ruhig sein?“
Gregory blieb stehen.
„Ich bin alles andere als ruhig, ich habe aber mehr Schiss vor dieser Matheprüfung, als vor diesem Typen!“
Eigentlich war dies alles zu ernst, um zu grinsen, aber ich tat es dennoch.
„Komm, lass uns weiter gehen, sonst verpassen wir noch den Bus!“
Den Rest des Weges schwiegen wir. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt. In der Schule war es schon irgendwie zur Gewohnheit geworden, uns lautstark zu begrüßen. Was sehnte ich mich zurück an die ruhigen Tage, als mich niemand wahrnahm, oder wenigstens so tat.
Aber dran ändern konnte ich nichts mehr und gleich kam wieder der Spruch auf, dieses halbe Jahr schaffst du auch noch. Gleich in der ersten Stunde hatten wir die Prüfung in Mathematik.
Gerne hätte ich Gregory geholfen, denn ich spürte deutlich seine Nervosität, sein Körper zitterte regelrecht.
Ohne größeres Prozedere wurden gleich die Blätter ausgeteilt und Stille kehrte im Raum ein. Ich tauchte in mein Lieblingsfach ein und vergaß alles um mich herum. Erst der Schulgong riss mich wieder aus meiner Gedankenwelt und es hieß abgeben.