Eric Einarson – Der versprochene Mann – Tür 7

Ich hätte mit vielem gerechnet, aber damit nicht. Als wir ankamen, brannten einige der Wohncontainer lichterloh. Die Feuerwehr und auch Krankenwagen waren bereits vor Ort, wie einige Kollegen aus einer anderen Dienststelle.

„Chief Björndottir, was führt sie hier her?“, fragte der Kollege und schaute am uns vorbei, zu den zwei Einheiten, die gerade dabei waren, die Einsatzwagen zu verlassen, „ist das nicht etwas übertrieben?“

Im Normalfall hätte er ja Recht.

„Leider haben sich da zwei Fälle überschnitten, ohne unser beider Wissen“, antwortete Anna, „wo sind die Einwohner dieser Container?“

„Sie sind nicht wegen dem Feuers hier?“

„Nein…!“

„Ähm, ein Teil der Einwohner sind in der Teeküche…“

„Ein Teil?“

„Ja, denn einige sind abgehauen und wir gehen mittlerweile davon aus, dass die selbst den Brand gelegt haben.“

Wollten sie damit die Leichen verschwinden lassen? Viel Hoffnung hatte ich nicht mehr, dass der Junge noch lebte.

„Gibt es Verletzte?“, fragte ich.

„Einen Toten und…“

„Einen jungen Mann?“, fiel ihm Anna ins Wort.

Ich konnte die Besorgnis in Annas Stimme hören.

„Nein ein Mann mittleren Alters, aber er starb nicht wegen der Feuer…, er hat eine Schusswunde am Kopf.“

„Entschuldigen sie bitte“, meinte Anna zum Kollegen und schaute kurz zu mir.

Dann lief sie zu unseren Kollegen.

„Stefan…, Alexander, die Einsatztruppe soll ausschwärmen, vielleicht finden sie eine Spur von den Flüchtigen. Katrin…, Lilja! Ihre kümmert euch um die Leiche, ich will wissen, wer das ist und Hekla, du forderst den Helikopter an, von oben sieht man mehr. Weit können die noch nicht gekommen sein!“

„Okay Chief“, hörte ich Alexander und alle schwärmten aus.

Mit was für einer Aufgabe wollte sie mich betrauen?

„Dürfte ich erfahren, um was es hier geht?“, zog der Kollege wieder unsere Aufmerksamkeit auf sich.

„Mord und Entführung! … und das Mordopfer stammt aus einer dieser Container“, antwortete Anna wahrheitsgemäß und zeigte auf einen der Container, wo sich bis vor kurzem die Familie noch aufgehalten hatte.

„Chief!“, hörte ich Hekla rufen und drehte mich zu ihr.

„Der Chef!“, sagte sie leise und hielt Anna ihr Handy hin.

Annas Augenbrauen gingen nach oben.

„Deputy Commissioner Magnusson?“

„Chief Björndottir, in was für ein Wespennest haben sie da gestochen?“

Anna hatte die Lauttaste gedrückt, so konnte jeder mithören. Die Stimmung des Chefs hörte sich überhaupt nicht gut an.

„Wir waren genauso überrascht wie sie, als wir hier ankamen, Sir.“

„Gibt es Tote?“

„Einen, Sir…“, war Annas kurze Antwort.

„… und drei verletzte Jugendliche, einer davon schwer, Sir“, fügte der Kollege hinzu, der immer noch bei uns stand.

Das hatte er bis jetzt verschwiegen.

„Chief Carlson?“

„Ja, Sir?“

„Chief Björndottir hat das Sagen und ich will später einen kompletten Bericht von ihnen beiden.

„Ja, Sir!“, sagten Anna und dieser Carlson gleichzeitig.

Ein Tuten in der Leitung zeigte das Ende des Gespräches. Wenigstens verabschieden hätte er sich können. Anna gab Hekla ihr Handy zurück und seufzte. Auch Carlson schien über diese Entwicklung nicht gerade glücklich zu sein. Meine Chefin trat näher an Carlson heran.

„Ben ich denke, bevor wir uns groß in die Quere kommen, sie kümmern sich weiter um das Feuer und wir um die Flüchtigen.“

Der Kollege nickte. Was er darüber dachte, konnte ich nicht sagen, sein Gesicht blieb ausdruckslos.

„Was ist mit dem Toten und den Jugendlichen?“, fragte er.

„Ich werde meinen Leuten sagen, alle Daten an sie weiterzugeben, welche sich über den Toten ergeben. Wo sind die drei Jugendlichen?“

„Danke…, die befinden sich in den zwei Krankenwagen.“

Anna gab mir einen Wink und ich ließ die beiden alleine. Verwundert zog ich los. Ich kannte die Hierarchie der Station noch nicht. Anna und Carlson hatten beide den gleichen Rang inne. Warum gerade Anna das Sagen hatte, wusste ich nicht. Ari zupfte an meinem Ärmel. Er war seit unserer Ankunft mir nicht von der Seite gewichen.

„Was war das gerade eben?“, fragte er leise.

„Was meinst du?“, fragte ich genauso leise zurück, ohne ihn aber anzuschauen.

„Seit ich hier bin, habe ich noch nie erlebt, dass Anna das Sagen hat!“

Nun doch neugierig, hielt ich an und schaute meinen jungen Kollegen an.

„Gab es das schon einmal?“

„Ständig und wir hatten immer den anderen Chiefs zu folgen.“

Noch mehr verwundert, lief ich weiter. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, kamen wir an den Krankenwagen an. Ein Arzt verließ gerade den Wagen und ich zog meinen Dienstausweis heraus.

„Chief Inspektor Einarson, wie geht es den Jugendlichen?“

„Er“, der Arzt zeigte auf den Wagen, den er gerade verlassen hatte, „hat eine schwere Schussverletzung an der linken Schulter…, mehr Tod als lebendig, aber wir konnten ihn stabilisieren. Ein Helikopter ist bereits auf dem Weg hier her.“

Während Ari zur offenen Tür des Krankenwagens lief, wandte sich der Arzt zum anderen Wagen.

„Der andere Junge und das Mädchen sind nur leicht verletzt, scheinen aber verprügelt worden zu sein.“

„Okay danke.

„Eric!“, rief Ari plötzlich.

Ich schaute zu ihm und er zeigte aufs Wageninnere.

„Das ist Mohammet!“, sagte Ari und hielt mir sein Handy unter die Nase, wo ich ein Bild des Jungen sehen konnte.

„Bitte?“, fragte ich erstaunt und lief zu ihm.

Drinnen konnte ich einen jungen Mann erkennen, über den zwei Herren in Weiß hingen.

„Sie kennen den Jungen?“, fragte der Arzt verwundert.

„Ähm ja…, eigentlich ist er ein Mordopfer!“

*-*-*

Ich war froh, als wir wieder im warmen Büro ankamen.

„Der Junge lebt wirklich noch?“

Diese Frage stellte Kim, als wir eintraten.

„Ja und wir sind genauso verwundert, dass er noch lebt“, gab Lilja zur Antwort.

Sie und meine beiden anderen Kolleginnen ließen sich auf ihre Plätze nieder. Anna verzog sich gleich in ihr Büro und fing an zu telefonieren. Während ich meine Jacke und Schussweste aufhängte, verließ Stefan das Büro wieder.

„Alles klar mit dir?“, fragte ich leise Kim.

„Falls du auf die Schmerzen in Brusthöhe anspielst…, die sind noch zu ertragen, aber ich denke, ich muss bald wieder etwas einwerfen.“

„Soll ich dich nicht doch lieber heim bringen“, fragte ich.

Das hörte sich jetzt komisch an, so beugte ich mich etwas näher zu Kim.

„… also du weißt schon… Zu mir.“

Kim begann breit zu lächeln.

„Nein ich bleibe lieber hier.“

Ich richtete mich wieder auf und bemerkte, dass die drei Damen, alle über ihren Monitor zu uns schauten. Auch ihr Grinsen war nicht zu übersehen. Doch bevor irgendwer etwas sagen konnte, kam Stefan zurück.

„So, wer will einen heißen Kaffee“, sagte er und stellte ein Tablett voll mit Tassen auf seinem Schreibtisch ab. Anna trat aus ihrem Glaskasten heraus.

„Alexander hat angerufen. Mohammet liegt im Koma, ist aber soweit stabil, bei dem Mädchen handelt es sich um die Schwester des Jungen. Sie war es auch, die uns verständigt hat.“

„Und der andere Junge?“, fragte Hekla.

„Ist Bjarki Dagurson!“

„Dann hat sich ja alles zum guten gewendet“, meinte Stefan und trank einen Schluck aus seiner Tasse.

Lilja, die die anderen Tassen verteilte, hielt inne.

„Auch wenn der Mord, jetzt ein Mordversuch ist, haben wir immer noch einen Toten.“

Anna war mittlerweile zu uns getreten und hatte sich eine Tasse genommen.

„Alexander sagte, das Mädchen wäre gegenüber Ari sehr gesprächig geworden. Sie hat erzählt, dass es sich bei dem Toten, um den jüngsten Bruder ihres Vater handelte.“

„Jüngsten? Wie viele Brüder sind es denn?“, wollte ich wissen.

„Mit dem Toten insgesamt vier“, beantwortete Hekla meine Frage.

Ari hatte wohl schon eifrig seine Daten eingegeben, sonst würde Hekla das nicht wissen.

„Dann sind die Flüchtigen wohl die drei Brüder?“, kam es von Anna.

„Plus Ehefrau, Mutter der Geschwister“ sagte Hekla.

„Ein richtiges Familiendrama“, meinte Katrin.

„Schon eine Spur von den Flüchtigen?“, fragte Anna.

„Nein, es sind noch keine Meldungen eingegangen“, sagte Kim.

*-*-*

Kim lag auf meinem Bett und war eingeschlafen, als ich frisch geduscht vom Bad zurück kehrte. Ich schlüpfte leise in mein Jogging und ließ mich neben ihm nieder. Auch wenn die Entscheidung, ihn hier wohnen zu lassen recht schnell war, bereute ich es nicht. Es kam kein Zweifel auf, denn ich wollte es so haben.

„Kommst du ins Bett?“, brummte Kim plötzlich, ohne die Augen zu öffnen.

Ein breites Lächeln überzog mein Gesicht.

„Ich wollte es mir zwar drüben etwas bequem machen, aber wenn du wünschst, dass ich bei dir bleibe…“

„Ja, wünsche ich!“, kam es postwendend von Kim und als wollte er das Ganze noch unterstreichen, griff er nach meiner Hand und hielt sie fest.

„Darf ich wenigstens noch in der Wohnung alle Lichter ausmachen?“

Kims Mund verzog sich zu einem leichten Lächeln und nickte sanft.

„Wie sieht es mit den Schmerzen aus? Musst du noch einmal Tabletten nehmen?“

„In einer Stunde…“

„Gut dann stelle ich ein Glas und eine Flasche Wasser auf deine Seite. Wo sind die Tabs?“

„Noch in meiner Tasche… im Seitenfach.“

Sie stand noch neben der Tür, wo ich die Tasche abgestellt hatte. Groß ausräumen wollte ich sie noch nicht, da ich erst einmal Platz schaffen musste, für den Inhalt. Ohne Probleme konnte ich aufstehen.

Ich lief zur besagten Tasche, entnahm mehrere Medikamente und einen Zettel. Ich verglich die Namen der Schachteln, mit der Tabelle auf dem Papier und wusste nun, wann und wie viel Kim einnehmen musste.

Auf dem Weg in die Küche löschte ich das Licht im Wohnzimmer, holte dann die Wasserflasche und ein Glas. Als nun alle Lichter ausgeschaltet waren, trat ich wieder ins Schlafzimmer.

Ich lud meine vollen Hände ab, richtete die nächste Tablettenration, bevor ich auf die leere Seite des Bettes lief. Nur noch mit dem Licht auf meiner Seite, ließ ich mich neben Kim nieder.

Ob er nun eingeschlafen war, wusste ich nicht. Fragen brauchte ich aber nicht, denn das Problem löste sich von selbst, denn Kim strich sich über den Kopf und hielt am Verband zur Ruhe.

„Kopfschmerzen?“

„Nur leicht, ich sollte mir vielleicht nicht so viele Gedanken machen und lieber schlafen.“

Ich stützte mein Kopf auf die Hand.

„Über was machst du dir Gedanken…, den Fall?“

„Nein…, eher über zukünftige Dinge…, was da alles auf mich zu kommt.“

„He, du hast jetzt mich an deiner Seite, du musst nichts alleine machen!“

Sanft strich ich ihm über die Wange und auch wenn er nun lächelte, verließ eine einzelne Träne sein Auge.

„… nicht weinen“, meinte ich und rückte näher zu ihm, um ihn besser in den Arm nehmen zu können.

„Warum haben die das gemacht…, musste mir das passieren…?“

„Du weißt wie die drauf sind, vor allem, wenn Alkohol im Spiel ist! Nur weil du ein asiatisches Aussehen hast, bist du kein anderer Mensch. Das ist das gleiche mit unserem Schwulsein, uns darauf zu reduzieren, ist die gleiche untere Schublade!“

Darauf sagte Kim nichts, er schaute mich nur an. Ich näherte mich seinem Gesicht und gab ihm einen Kuss auf die Nase. Das ändern meiner Position, gab Kim die Möglichkeit, sich in meinen Arm zu kuscheln.

„… und du willst wirklich, dass ich bei dir einziehe?“

Dieser harte Themawechsel zwang mich zum Umdenken.

„Sonst hätte ich dir das nicht angeboten. Sag mir ein Grund, was ich dagegen haben sollte.“

„Deine Freiheit alleine zu leben?“

„Wünscht sich nicht jeder, mit jemandem zusammen zu leben?“

„Mein Vater…“

„… dein Vater außer Acht gelassen! Kim, es war nur ein Vorschlag meinerseits. Gut ich gebe zu, da ist auch ein wenig Eigennutz dabei, aber wenn du nicht möchtest, ich bin dir sicher nicht böse!“

„Das ist es nicht, ich würde gerne bei dir einziehen…“

„… aber?“

Unsere Blicke trafen sich.

„Es ist ein großer Schritt für mich… es ist neu… und da bin ich vielleicht meinem Vater ähnlicher, als ich mir eingestehen will… Alles Neue ist mit viel Aufregung verbunden.“

Sollte ich jetzt versuchen es ihm schmackhaft zu machen? Auf keinen Fall wollte ich ihn irgendwie gegen seinen Willen zu überreden. Er sollte diese Entscheidungen aus freien Stücken treffen.

„Wir können dein Zimmer hier genauso einrichten, wie bei dir zu Hause, vielleicht fällt dir dann der Übergang leichter:“

„Du bestehst dich auf ein gemeinsames Schlafzimmer?“

„Kim nein, sicher nicht, wir lernen uns doch erst kennen. Es ist ja nicht so, dass es normal ist, nach drei Wochen kennen lernen, dass man schon zusammen zieht. Gut ich gebe zu, dass ich jetzt am Wochenende, unsere gemeinsame Abende schon vermisst habe.“

Darauf sagte Kim nichts, aber ich merkte, dass er weiter darüber nach dachte und er verzog sein Gesicht dabei.

„Hast du wieder Kopfschmerzen.“

Er nickte.

„Dann sollten wir versuchen etwas zu schlafen…“

„Aber es ist doch noch früh…“

„Der Schlaf tut mir genauso gut!“, lächelte ich hin an.

Er richtete sich kurz auf, nahm seine Tabletten, bevor er sich wieder an mich kuschelte.

„An dieses Kissen könnte ich mich aber gewöhnen“, hörte ich ihn leise sagen.

*-*-*

Im Büro war man doch etwas überrascht, als Kim offenbarte, das er bei mir einziehen würde. Selbst Anna gab zu, dass sie es etwas zu schnell fand. Die Lage beruhigte sich etwas, als Kim erzählte, dass er bei mir sein eigenes Zimmer haben würde, so in Richtung Wohngemeinschaft.

Natürlich waren alle bereit, dieses Wochenende tatkräftig bei dem Umzug mit zu helfen. Stefan rief sogar sofort seinen Bruder an, ob er dessen LKW ausleihen konnte. So erfuhr ich auch, dass Stefans Bruder Besitzer eines Lebensmittelmarktes war.

Ein Anruf brachte uns alle wieder in die Realität des Alltags zurück. Die Suche nach den Flüchtigen, war wegen dem schlechten Wetter abgebrochen worden.

„Was überlegst du?“, fragte ich Alexander, der ins Leere starrte.

Natürlich war mir gestern aufgefallen, als er mit Ari zurück kam, dass etwas vorgefallen sein musste. Ari war auffallend ruhig und schaute traurig, während Alexander seinen Bericht erstattete herunter rasselte, als wäre es eine Einkaufsliste.

Den anderen war das sicherlich auch aufgefallen und aus Annas Reaktion zu schließen, ihr auch. Sie lief Kopfschüttelnd in ihr Glaskasten.

„Ähm… nichts.“

Ich wollte mich gerade an meinen Platz setzten, als er einfach weiter redete.

„Oder doch…, sind die drei jetzt außer Gefahr?“

„Wie meinst du das?“, fragte Hekla, „der Junge ist zwar stabil, aber sicher noch nicht über dem Berg!“

„Nein, ich meine, besteht nicht die Gefahr, dass einer der Herren versucht, ihre Tat zu vollenden? Es ist ja nicht so, dass deren Problem mit dem Schwulsein des Juniors gelöst wäre.“

Ich schaute zu Anna, die immer noch in ihrem Türrahmen stand. Sie zog ihre Augenbrauen hoch.

„Hm, da ist etwas dran“, meinte sie.

„Ich lass zwei Kollegen ins Krankenhaus abkommandieren“, kam es von Stefan, der gleich nach seinem Hörer griff.

„Aber was machen wir mit dem Mädchen und diesem Bjarki?“, fragte Lilja.

„Wo befinden sich die beiden jetzt?“, wollte Anna wissen.

„Das Mädchen ist im Mutterhaus der Háteigskirkja Kirche untergebracht und der Junge mit den Eltern bei einem Onkel untergekommen, bis deren Wohnung gerichtet ist“, antwortete Alexander.

Dabei schaute er kurz zu Ari, der darauf eine Schnute zog.

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