War ich froh, als Kim das Behandlungszimmer verließ und auf uns zu kam.
„Kriminalinspektor Kim, wie geht es ihnen, Eric sagte, sie haben Kopfschmerzen?“, fragte Tinna, als Kim an die Theke trat.
Die Frau war mir unheimlich, hatte sie alle unsere Dienstgrade auswendig gelernt?
„Hallo Tinna. Ihr Kollege hat mir eine Spritze gegeben, die bereits zu wirken beginnt…, ich habe mich wohl etwas überanstrengt.“
„Ja, mit einer Gehirnerschütterung ist nicht zu spaßen“, erwiderte Tinna.
„Bist du fertig? Können wir?“, fragte ich besorgt Kim.
„Ja…, aber willst du nicht diesen Jungen noch besuchen?“
„Du meinst Mohammed?“, fragte ich und Kim nickte sachte.
„Der liegt in Koma“, mischte sich nun Magnus in unser Gespräch.
Kim drehte seinen Kopf leicht zu ihm. Magnus streckte ihm seine Hand entgegen.
„Magnus Hilgerson, behandelter Arzt von Mohammed!“, stellte sich unser Gegenüber nun auch Kim vor.
Diese übermäßige Freundlichkeit fing mir an auf die Nerven zu gehen.
„Kim Jonson und Kollege von Eric“, erwiderte Kim und schüttelte ihm die Hand.
Vielleicht hätte er noch sagen sollen und Freund, um den Arzt etwas zu schocken. Warum ich keine Sympathie für diesen Arzt empfand, konnte ich nicht sagen.
„Hat ihre Verletzung, etwas mit dem Fall von Mohammed zu tun?“
„Nein, aber ich kann ihnen auch nichts über den Fall sagen, da ich, wie sie sehen im Krankenstand und nicht damit betraut bin“, antwortete Kim.
Ich musste über die Lüge von Kim mir ein Grinsen verbeißen.
„Entschuldigen sie meine Neugierde, ich habe mir nur Gedanken über den Jungen gemacht, wie es mit ihm weitergeht, wenn er dies alles übersteht.“
„Da müssten sie sich an meine Vorgesetzte Chief Superintendent Anna Björndottir wenden, die weiß vielleicht mehr“, sagte Kim und legte seinen Hand auf meinen Arm.
Natürlich sah ich, wie Magnus auf Kims Hand starrte.
„Kannst du mich heimfahren, ich möchte mich wieder hinlegen.“
„Aber sicher…, sie entschuldigen, sie sehen, meinem Kollegen geht es nicht gut…, danke noch mal für den Kaffee.“
Ohne auf eine Antwort zu warten, schob ich Kim Richtung Ausgang und nickte Tinna und Magnus noch einmal zu.
*-*-*
Von meinem Handy erfuhr ich, dass wohl jemand Verdächtiges, in der Nähe von Bjarkis Wohnung vorgefallen war. So hatte Anna Recht gehabt, dass die Flüchtigen ihr Werk wohl doch noch zu Ende führen wollten.
Kim saß neben mir und hatte die Augen geschlossen.
„Willst du mit ins Büro, oder soll ich dich nach Hause fahren?“
Er öffnete die Augen und schaute mich an.
„Würde es dir etwas ausmachen, mich zu mir nach Hause zu fahren?“
Nanu, wollte er nicht mehr zu mir? Unsicher und fragend schaute ich ihn an.
„Ich würde gerne ein paar Sachen zusammen packen, denn was du für mich geholt hast, war fürs Krankenhaus gut, aber nicht um ein paar Tage bei dir als Übergang bis zum Umzug zu reichen.“
Diese Erklärung schien mir logisch und mir fiel ein Stein vom Herzen.
„Aber sicher doch!“, antwortete ich nun lächelnd.
„Wenn es dich nicht stört, versuche ich noch ein wenig die Augen zu schließen, bis die Spritze richtig wirkt.“
„Hast du starke Schmerzen?“, fragte ich besorgt.
„Es geht, ich bin diese Art von Schmerzen nur nicht gewohnt.“
Kim schloss seine Augen und ich startete den Wagen. Während der Fahrt zu Kims Elternhaus herrschte somit Stille und ich konzentrierte mich auf den Verkehr. Eine Frage kam trotzdem auf.
Warum hatte dieser Magnus, Tinnas Kollege so eine Interesse an dem Jungen?
*-*-*
Kims Vater hatte sich nicht mal die Mühe gemacht, aus dem Sessel aufzustehen, als Kim ihn kurz begrüßte. Sofort zog mich Kim nach oben.
„Denke bitte nicht weiter darüber nach“, sagte Kim, der vor mir lief, „er wird sich nicht mehr ändern, schon gar nicht wegen mir.“
Kim lief auf seinem Flur auf eine Wand zu und öffnete zu meiner Überraschung eine Tür, die ich vorher nicht entdeckt hatte. Es schien sich um einen versteckten Schrank zu handeln, aus dem jetzt Kim einen kleinen Koffer heraus zog.
Ich griff nach dem Koffer und lächelte ihn an.
„Danke“, meinte Kim nur und lief dann in sein Zimmer.
„Weißt du ungefähr, was du mitnehmen möchtest?“, fragte ich.
Kim antwortete nicht, sondern ließ sich auf sein Bett fallen.
„Ist dir nicht gut?“
„Nein, dass ist es nicht…“
Er schaute auf und ich sah seine glasigen Augen. Ich ließ mich neben ihm nieder und nahm seine Hand.
„Bisher dachte ich, sein Benehmen würde mir nichts mehr ausmachen…“
Die Sache mit seinem Vater schien ihn mehr zu beschäftigen, als er zeigen wollte.
„… aber jetzt mit dir zusammen…, es tut einfach nur weh!“
„Ich… ich kann dich irgendwie verstehen…, auch wenn die Sache bei mir etwas anders gelagert ist.“
Kim atmete tief durch, schloss kurz die Augen, bevor er mich wieder ansah.
„Danke… ich sollte anfangen, die Sachen zusammen zu suchen, ich will nicht länger als nötig hier bleiben!“
Ich lächelte ihn an.
„Könntest du dort aus der Kommode“, er zeigte auf das Ding, wo ich seine Tasche gefunden hatte, „eine Tasche nehmen und die unterste Bücherserie dort aus dem Regal einpacken?“
Er zeigte auf das Regal, wo sich ausschließlich Animes befanden.
„Du ließt die Dinger ernsthaft? Ich dachte, die sind aus deiner Jugendzeit.“
„Du würdest dich wundern, wenn du ihren Inhalt kennen würdest“, grinste mich Kim an.
Es war sein erstes Lächeln heute.
„Klar, mach ich gerne!“, sagte ich und stand auf.
*-*-*
Kim war auf der Couch eingeschlafen und ich versuchte so leise wie möglich das Geschirr vom Mittagessen wegzuspülen. Naja, es war nur eine Suppe, denn so viele Sachen hatte ich nicht zu Hause, um ein großes Mittagessen zu kochen.
Zudem aß ich unter der Woche eh in der Kantine der Polizeistation, so war mein Vorrat an Lebensmittel nicht besonders groß. Dies würde ich ändern müssen, wenn Kim zu mir zog, auch generell würde ich Geschirr und solche Dinge aufstocken müssen, wenn ich nicht jeden Abend an der Spüle enden wollte.
Ich sollte mir bald möglichst Notizen machen, was ich alles noch benötigte, die Wohnung war zwar möbliert, aber recht karg, nur das nötigste und nicht gerade im Sinne meiner Vorstellung.
Dies alles wollte ich mit der Zeit ändern, wenn ich mich etwas eingelebt hatte. Aber mit Kims Einzug schmiss meinen Zeitplan durcheinander. Mein Kontostand war zwar nicht auf Null, aber durch den Umzug nach Island, doch etwas geschmälert geworden.
Lediglich auf mein Bett wollte ich nicht verzichten, dies war aber auch das einzige Möbelstück, was ich von England hatte einschiffen lassen und dies war schon recht teuer. So hoffte ich mit Hilfe von Kim, meine Wohnung etwas wohnlicher zu gestalten.
Ob es hier auf Island überhaupt ein Möbelhaus gab? Ich wusste es nicht, bisher war die Frage ja nicht aktuell. Generell musste ich die Stadt und Umgebung besser kennen lernen müssen. Ein Geräusch aus dem Wohnzimmer riss mich aus meiner Gedankenwelt.
„Eric?“, hörte ich Kim rufen.
Ich trocknete meine Hände ab und lief ins Wohnzimmer.
„Hättest du noch Tee?“, fragte Kim und hielt mir die Kanne entgegen.
„Ich mach dir sofort welchen“, lächelte ich ihn an und nahm das Plastikteil entgegen.
Sein Gesichtsausdruck war traurig, als er mich anschaute. Ich stellte die Kanne auf dem Tisch ab und setzte mich neben ihn.
„Bist du immer noch wegen deinem Vater traurig?“
„Nein, oder doch…, nein die ganze Situation…, es ist das erste Mal, dass ich mich… irgendwie hilflos fühle.“
„Aber du hast doch mich…“
„…entschuldige Eric“, fiel er mir ins Wort, „das alles hier ist so neu, so fremd…“
„… dir geht das alles zu schnell?“
Er griff nach meiner Hand.
„Das meinte ich nicht. Seit Mutter weg ist, bin ich… ja ich bin auf mich selbst gestellt gewesen. Du musst wissen, meine Mutter ist eine sehr fürsorgliche Frau. Wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, stand das Essen fertig auf dem Tisch. Sie kümmerte sich um meine Wäsche und was sonst noch anfiel.“
„Das alles ist weggefallen, seit sie weg ist?“
Er nickte.
„Das war schon eine große Umstellung für mich und hat meinen Alltag sehr ins Wanken gebracht. Aber was ich damit sagen will… , ich weiß was zukünftig jetzt kommt, wird große Veränderungen bringen…“
„Die du nicht alleine durch stehen musst. So gesehen, sitzen wir im gleichen Boot, Kim. Der Umzug von England nach Island, eine neue Dienststelle, neue Kollegen… keiner versteht dich besser als ich.“
Kim drückte meine Hand fester.
„Danke“, hauchte er.
„Aber das bringt mich auf eine andere Frage. Du hast gesagt, du möchtest dein Zimmer mit hier her bringen, aber wie du siehst, ist der Rest der Wohnung recht spärlich eingerichtet…, nur das nötigste. Ich bräuchte also sowieso deine Hilfe, um mich besser einzurichten.“
Nun lächelte Kim wieder.
„Du weißt ich kenne mich hier absolut nicht aus… hat Island überhaupt ein Möbelhaus?“
Nun lachte Kim und richtete sich etwas auf.
„Du wirst dich wundern, was wir hier alles haben. Die Insel ist zwar klein, aber gut ausgestattet, aber auch recht teuer.“
„Das habe ich in dem kleinen Laden an der Ecke gemerkt.“
„Dann kaufen wir zukünftig im Supermarkt ein, der ist wesentlich billiger.“
„Fühlst du dich überhaupt fit genug, für das Wochenende?“
„Das wird sich zeigen, es sind ja noch vier Tage bis dort hin.“
*-*-*
Die Regelung, für den Rest der Woche, Vormittags im Büro zu sitzen und mittags mich um Kim zu kümmern, fand ich toll. Kims Wohl schien Anna wohl sehr am Herzen zu liegen. Leider brachte die Fahndung nach den Flüchtigen überhaupt nichts.
Auch wenn Island nicht sehr groß ist, die Insel ist wegen ihrer schroffen Landschaft recht unübersichtlich. Dass sich Mohammeds Eltern sich aber in der Gegend von Reykjavik noch aufhalten mussten, da war ich mir sicher.
Warum dieser Drang, den Jungen töten zu wollen, war mir zu hoch, dazu musste man aber vielleicht sich besser in der Kultur und Glauben auskennen. Die Überwachung, der markanten Punkte war verstärkt worden, aber bisher nichts mehr vorgefallen. Mussten wir jetzt wirklich warten, bis etwas passieren würde.
„Eric, hast du vielleicht noch eine Idee, was wir machen könnten?“, riss mich Anna aus meinen Gedanken.
Ich überlegte kurz und mir fiel wirklich etwas ein.
„Weiß man ob Mohammeds Familie, die einzigen Flüchtlinge aus Kroatien sind?“
Meine Frage war mehr an Hekla gerichtet, die in diesen Dingen immer gut unterrichtet zu sein schien.
„Da müsste ich nach schauen, aber warum fragst du?“
„Diese Familien sind für ihren Zusammenhalt bekannt und wenn sich noch mehr Kroaten in Lager befinden, hätten wir vielleicht jemand, der die Flüchtigen versorgt, denn bisher sind noch keine Diebstähle gemeldet worden!“, erklärte ich.
„Darauf hätte ich auch kommen können“, kam es von Anna und lächelte mich an.
„Es wäre ein leichtes für die, die Flüchtigen unbemerkt mit Essen zu versorgen“, sagte Alexander.
„… und falls es weitere Kroaten gibt, wurden sie nicht überwacht, sondern nur das Lager“, fügte Stefan hinzu.
„Zwei weitere Familien…“, ließ Hekla verlauten.
„Das übernehmen wir“, rief Katrin und zeigte auf Lilja, „wir bräuchten nur die Namen.“
Anna schaute erstaunt.
„Versucht aber so diskret wie möglich zu sein! Wenn wir Recht haben, verlieren wir deren Spur völlig“, sagte sie zu den beiden.
„Okay“, lächelte Lilja und erhob sich lächelnd.
Ari stellte eine Tasse Kaffee bei mir ab und schaute mich durch dringend an.
„Danke…!“
Er schaute mich immer noch an.
„Was?“, fragte ich etwas leiser.
Ari beugte sich etwas vor.
„Könnte es nicht sein, dass Bjarki über die Gewohnheiten der Familie von Mohammed Bescheid weiß und uns ein paar Tipps geben könnte?“
Da konnte etwas dran sein und ich drehte mich zu Anna.
„Ari meint, dieser Bjarki, der Freund von Mohammed könnte vielleicht mehr über die Gepflogenheiten der Familie wissen und uns weiter helfen.“
Sie schien kurz zu überlegen und begann zu nicken.
„Ari du schnappst dir Alexander und fährst zu diesem Bjarki.“
„Wieso ich?“, kam es von Alexander.
„Weil du mit unserem Wirbelwind bisher am Besten klar gekommen bist!“, grinste Anna, wie die anderen auch.
Aris Blick konnte ich nicht recht deuten. War er jetzt Hasserfüllt, oder eher verzweifelt? Als er sich von mir wegdrehen wollte, griff ich nach seiner Hand.
„Vielleicht solltest du mit ihm reden?“, flüsterte ich.
„Bist du wahnsinnig?“, kam es im Flüsterton zurück.
„Ist nur ein Rat!“
Er lief zu seinem Platz und schnappte sich seine Jacke. Beide verließen mit dem Schwestern das Büro.
„Habe ich irgendetwas verpasst?“, fragte Anna hinter mir.
„Sag nicht, darüber weißt du nicht Bescheid?“, fragte ein grinsender Stefan.
„Du weißt…?“, rutschte mir es heraus.
„Ich bin ein guter Beobachter!“
„Könntet ihr mal sagen, über was ihr da redet?“, fragte Hekla.
„Das würde ich auch gerne wissen“, gab Anna ihren Senf dazu.
„Ich weiß nicht, ob ich darüber sprechen kann“, meinte ich.
„Kannst du, sei beruhigt! Wenn es um Ari geht, denke ich, sollten wir alle Hilfestellungen geben, die uns möglich sind. Es ist nicht gut, wenn der Junge das mit sich herum schleppt“, sagte Stefan.
„Da magst du Recht haben, aber geht das nicht zu weit? Es ist doch seine Privatsache!“
„Könnte die Herren der Schöpfung uns mal bitte in eure Konversation mit einbeziehen?“, sagte Anna ärgerlich.
Ich atmete tief durch.
„Wenn Alexander einen Fanclub hätte…, wäre Ari wohl sein erster Fan!“
Anna schaute mich fassungslos an und Hekla fing an zu kichern.
„Die Schwärmerei eines Jungen…“, sinnierte Stefan hinter seinem Computer.
„Keine Schwärmerei, er hat sich in Alexander verguckt“, berichtigte ich Stefan.
„Aber Ari steht doch auf Mädchen!“, sagte Hekla.
Anna starrte mich immer noch an. Ich schüttelte den Kopf.
„Davon habe ich nichts gewusst“, meinte Anna plötzlich.
„Noch einer von der Sorte?“, meinte Stefan belustigt, muss ich jetzt Angst haben?“
Schützend hielt er seine Hände vor sein Heiligtum.
„Keine Sorge Stefan, ich bin versorgt und unser Kleiner meinte über dich, du bist verheiratet und absolut deiner Frau verfallen.“
Nun fing auch Anna an zu lachen.
„… und was machen wir jetzt?“, wollte Hekla wissen.
„Weiter arbeiten!“, meinte Anna.
„… na ja und Ari die besten Hilfestellungen geben, die wir kennen, denn mit Alexander hat er sich den dicksten Brocken heraus gesucht!“
Anna lief grinsend in ihren Glaskasten zurück.
*-*-*
„Wie weit kennst du Alexander?“, fragte ich Kim, als ich mich neben ihn setzte.
Ich hatte ihn auf der Couch vorgefunden, als ich nach Hause kam. Nachdem ich die Essen von der Kantine in der Küche abgestellt und mich anschließend umgezogen hatte, war ich zu ihm ins Wohnzimmer gegangen.
„Hi du“, begrüßte mich Kim und drückte mir einen Kuss auf die Wange.
Ich umarmte ihn kurz und lächelte ihn an.
„Wie kommst du auf Alexander, hat er wieder etwas angestellt?“
„Nein aus einem anderen Grund…“
„Ich weiß, dass in seiner Kindheit etwas Schreckliches vorgefallen sein muss und es anscheinend mit seinem Vater zu tun hat…., er lebt alleine…, treibt Sport, genauer genommen, Alexander ist in einem Verein und wenn es ihm die Zeit erlaubt, spielt er Handball.“
Da brauchte ich mich über Alexanders muskulösen Körper nicht zu wundern.
„Also keine Freundin, oder so?“
„Nein, aber warum dieses plötzlich Interesse?“
„Ach es geht um Ari, er hat sich komisch benommen, als Anna ihn mit Alexander wegen einer Befragung wegschickte. Als die beiden weg waren, fragte sie, ob sie irgendetwas verpasst hatte. Da meinte Stefan, dass Ari für Alexander schwärmen würde.“
„Unser Ari?“