Eric Einarson – Der versprochene Mann – Tür 19

„Hallo ich bin Mikael Armsgradson, ihr… ähm dein Cousin!“

Verblüfft schaute ich mein Gegenüber an, der wie verrückt meine Hand schüttelte. Ich wusste nichts von Verwandtschaft in Island.

„Ähm… Cousin?“

„Ja, mein Papa ist der Bruder deines Papas!“, strahlte mir Mikael entgegen.

Endlich ließ er meine Hand los. Da ich weder hier im Eingangsbereich noch mit ihm ins Büro wollte zu den anderen wollte, führte ich ihn in einer der Ermittlungsräume. Kim selbst, der mich zur Pforte begleitet hatte, lief zurück zu den anderen. Mikaels Kopf fuhr herum und er schaute sich alles genau an.

„Hier werden also die bösen Buben verhört und das ist bestimmt die berühmte Glasscheibe, hinter der sich die anderen verstecken“, ließ er vom Stapel, als ich mich gerade setzten wollte.

Drückte er gerade sein Gesicht an der Scheibe platt?

„Ähm ja…, aber da ist jetzt niemand! Du sagtest Bruder von meinem Vater… Es tut mir leid, aber ich weiß nichts über einen Onkel.“

Mikael grinste weiter vor sich hin.

„Das kann ich mir denken, denn die zwei waren spinnefeind miteinander.“

Endlich setzte sich mein Cousin zu mir an den Tisch. Mit wem hatte sich mein Vater noch alles angelegt? Warum meine Mutter mir nichts davon gesagt hatte, war mir allerdings ein Rätsel. So hatte wohl jede Familie irgendein dunkles Kapitel in den eigenen Reihen.

„Weißt du vielleicht den Grund?“

„Geld! Irgendetwas mit einer Erbschaft, soviel ich weiß, aber das soll Papa dir selbst erzählen.“

„Warum ist er dann nicht selbst hierhergekommen?“

Mikael beugte sich etwas zu mir vor.

„Er hat sich nicht getraut!“, flüsterte mir mein Cousin zu.

„Warum das denn?“

„Er wusste nicht, ob Onkel Einar dich nicht bearbeitet hat und du meinen Dad genauso hassen würdest, wie es dein Dad tat!“

Diese Frohnatur mir gegenüber schien über alles sehr gut informiert zu sein. Seine Direktheit aber, erinnerte mich aber stark an Kim.

„Da ich nichts von ihm wusste, kann ich ihn ja schlecht hassen!“

„Klingt logisch! Soll ich ihn anrufen, dass er her kommt?“

Schneller als mir lieb war, hatte er sein Handy hervorgezogen.

„Nein, nein, ist schon gut“, meinte ich und hob die Hände zum Beschwichtigen.

Schon verschwand das Handy wieder.

„… und warum bist du jetzt hier?“

„Tante Hanna hat ein Telegramm geschickt, dass du in der Stadt wärst und wir fragen sollen, ob du Hilfe brauchst.“

Meine Mutter? Also wusste sie über diesen Familienzweig Bescheid.

„Was für Hilfe?“, fragte ich verwundert.

„Wenn du nicht in dein Haus ziehen willst… eine Wohnung zu suchen, oder so…!“

Ich kam mir jetzt irgendwie blöd vor, weil Mikael von Dingen erzählte, von denen ich nichts wusste.

„Mein Haus?“

„Ja, dein Haus, oder weißt du darüber auch nichts?“

Ich schüttelte ungläubig den Kopf. Ich dachte immer, dass Haus in Árborg wäre unser gewesen, welches sie verkauften, als wir nach England zogen. Aber dass ich hier ein Haus besitzen soll, war unglaublich genug.

„Mikael…, wenn du nichts dagegen hast, komme ich euch besuchen, das geht mir gerade… alles etwas zu schnell.“

„Entschuldige, ich wollte dich nicht…“

„Du brauchst dich nicht entschuldigen, gib mir eure Adresse und Handynummer, ich rufe euch dann an, sobald ich Zeit habe, okay?“

„Kein Problem!“

*-*-*

Ich war froh, als er endlich gegangen war und erschrak etwas, als die Tür zum benachbarten Überwachungsraum auf ging. Nacheinander kamen sämtliche Kollegen heraus gelaufen, selbst Anna. Kim schaute mich etwas verlegen an.

„Könnt ihr mir mal sagen, was das soll?“, fragte ich und zeigte auf die Tür, aus der sie eben gekommen war.

„Gesunde Neugier?“, kam es von Anna.

„Sag mal, hat der etwas genommen, oder ist der immer so aufgedreht?“, fragte Lilja.

Hilflos zuckte ich mit den Schultern und schüttelte den Kopf.

„Aber irgendwie goldig..“, schwärmte Kathrin.

„Du kennst die wirklich nicht?“, fragte Ari, der sich an Alexander lehnte.

„Nein, wirklich nicht! Weiß jemand, wo dieses…“, ich zog mein Handy hervor, „… Mosfellsbær liegt?“

„Ganz im Norden der Stadt“, meinte Stefan.

„Ich wäre dafür, wir kehren zu unserer Arbeit zurück, die Pause war lange genug!“, unterbrach Anna das Ganze.

Ohne murren, kehrte alles ins Büro zurück.

„Alles klar mit dir?“, fragte Anna, als ich neben ihr her lief.

„Gerade etwas viel Input!“, antwortete ich.

„Wie gesagt, wenn du den Rest des Tages frei haben willst, dann…“

„Ist lieb gemeint Anna, aber ich möchte hier bleiben.“

„Ich dachte nur…, wegen deinem Vater…“

„Anna, ich sagte dir schon, dieser Mann hat mich so sehr verletzt, dass ich nichts mehr mit ihm zu tun haben will. Vielleicht ist es ganz gut, wenn er nicht mehr da ist.“

„Er war sicher nicht immer so!“

„Diese ewigen Streitereien, weil er mit nichts zufrieden war, was ich anpackte…“

„… und was ist mit deiner Mutter?“

„Das ist ein völlig anderes Thema, mit dem ich mich erst später befassen möchte.“

„Wie du willst!“

Ich folgte Anna ins Büro und ließ mich auf meinem Platz nieder. Hekla kam vorbei und legte ein Blatt vor mich. Ich schaute darauf und konnte erkennen, dass da Daten über meine Verwandtschaft standen.

Hekla war wirklich schnell.

„Ähm… danke!“

„Nichts zu danken, wenn du aber mehr wissen willst, musst du aber ins Rathaus… zu dieser netten Dame, … du weißt schon“, grinste sie mich an.

„Sicherlich nicht!“

*-*-*

Die Daten, die mir Hekla zukommen ließ, brachten mich auch nicht weiter. Ich verstand auch nicht, dass mein Vater so sehr in seinen Hass verstrick war, dass er mir nie über seinen Bruder erzählt hat.

Was das mit dem Haus auf sich haben sollte, konnte ich mir auch nicht erklären und dass Mutter da hinter ihm stand, mir nie Hinweise gegeben hatte, verstand ich erst recht nicht. Es war eine Seite, Verwandtschaft, wegen irgendeines Streits zu meiden, aber sie einfach unter den Tisch fallen zu lassen?

Wieder etwas, mit dem mich mein Vater zur Weißglut brachte. Aber jetzt war er tot, hörten dann auch die Ärgernisse wegen ihm auf?

„Alles in Ordnung mit dir?“, hörte ich Kim fragen und schaute auf.

Ich rubbelte mir über den Hinterkopf und rieb mir über das Gesicht.

„Heute Morgen dachte ich noch, meine Welt wäre in Ordnung. Alles lief so schon in geordnete Bahnen, nichts, über das ich mir Sorgen machen musste.“

„Und jetzt?“

„Hat mein Vater, obwohl er tot ist, wieder alles durcheinander gebracht.“

Kim stellte seine Tasse ab und setzte sich zu mir.

„Liegt es vielleicht daran, weil du nie richtig damit abgeschlossen hast…, so gesehen ist alles noch frisch. Der Streit mit deinem Vater, die Probleme auf deiner alten Dienstelle, der Umzug nach Island.“

Während Kim das aufzählte, gingen mir diese Dinge durch den Kopf.

„Ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber für mich scheint es, dass du vor den Dingen weggerannt bist und dich nie richtig damit auseinander gesetzt hast.“

Da war sie wieder, die Direktheit, die ich so an Kim liebte.

„Du magst schon recht haben, aber gab es denn einen besseren Ausweg. Sich den Dingen stellen…, ich weiß nicht, nach dem was alles vorgefallen ist, ob mir das überhaupt gut getan hätte. Ich denke, es ist gut so, wie es jetzt ist.“

„Sicher?“

Ich nickte.

„Gut ich kann es soweit ändern, dass ich an die alten Probleme nicht mehr erinnert werden, wie zum Beispiel mich wieder mit meiner Mutter zu vertragen, oder die andere Seite meiner Familie kennen zu lernen.“

Kim lächelte.

„Ich denke, das wäre ein Anfang! Dinge die so im Argen sind, sollte man beseitigen, sie stören den Lebenfluss!“

Ich musste lächeln.

„Woher hast du die Weisheit?“

„Ob es eine Weisheit ist, weiß ich nicht, aber Japan ist bekannt für seine weisen Sprüche und meistens stimmen sie.“

„Danke!“, meinte ich, beugte mich vor und drückte ihm ein Kuss auf die Wange.

„Könnt ihr das nicht zu Hause machen?“, hörte ich es hinter mir.

Um ehrlich zu sein, ich hatte während des Gesprächs mit Kim völlig vergessen, dass ich im Büro saß, denn es war auch auffallend ruhig gewesen. Ich drehte mich zu Stefan.

„Du wirst doch nicht neidisch werden…“

„Doch, denn dann vermisse ich meine Frau!“, meinte Stefan und streckte mir Zunge heraus.

„… und das kommt von einem, der normalerweise für den guten Ton bekannt ist!“

*-*-*

„Hallo zusammen!“, hörte ich eine bekannte Stimme und schaute zum Eingang.

Phillip, Annas Bruder betrat unser Büro, bewaffnet, mit einem großen Korb.

Ein „hallo Phillip“ dröhnte durch das Büro, man stand auf und begrüßte Phillip richtig.

„Ich dachte mir, weil ihr so viel aufzuarbeiten habt, bringe ich euch eine kleine Stärkung mit!“

„Ist das dein berühmter Stüffukaka?“, fragte Lilja.

Phillip nickte grinsend. Den Kuchen kannte ich nicht, auch Mutter hatte ihn nicht gebacken und sie machte gerne Kuchen.

„Stüffukaka?“, fragte ich.

„Schokoladenkuchen mit Lakritze“, erklärte Kim.

„Lakritze? Sorry davon bin absolut kein Fan.“

„Probier ihn erst, bevor du dir ein Urteil bildest!“, meinte Stefan.

„Ich hole Teller“, meinte Ari.

„Du holst gar nichts und bleibst schön sitzen“, sagte Alexander.

Ari zog darauf eine Schnute und gab keinen Ton mehr von sich. Das mit den Tellern schien wohl Kathrin zu erledigen, denn sie verließ das Büro.

„Hallo Bruderherz und was führt dich wirklich her?“

Anna stand im Türrahmen ihres Büros.

„Es gibt zwar Leute, die meinen mich schonen zu müssen, aber auch andere, die mich immer über alles informieren! Ich bin nur gekommen, um zu sehen, wie die Sachen laufen.“

Oh, stand da jetzt ein kleiner Geschwistertwist an?

„Woher weißt du das nun wieder?“, fragte Anna.

„Nur weil ich nicht mehr hier arbeite, heißt das nicht, dass ich am laufenden bin, über alles, was hier passiert! Naja, über fast alles“, meinte Phillip und schaute zu Alexander und Ari.

Selbst Anna musste jetzt grinsen. Die zwei Turteltauben liefen rot an und Anna trat neben ihren Bruder.

„Tut mir leid, dass ich dir nichts gesagt habe.“

„Du brauchst dich nicht entschuldigen! Ich habe mit dem Ganzen abgeschlossen, es ist Vergangenheit!“

Ich schaute zu Kim, der mich anlächelte.

*-*-*

„Ich glaube, ich habe zu viel von Phillips Kuchen gegessen“, meinte ich und ließ mich auf die Couch fallen.

„… und das sagt einer, der Lakritze nicht mag!“

Ich räumte meine Hosentaschen leer und legte es vor mich auf den Tisch, dabei bleib mein Blick auf dem zweiten Brief meiner Mutter hängen.

„Willst du sie anrufen?“, fragte Kim und setzte sich neben mich.

„Ich weiß nicht, um ehrlich zu sein, denn was sie da alles geschrieben hat, ist heftig.“

„Du meinst das, mit der Beerdigung, wo du nicht erscheinen brauchst und dass sie deinen Vater einfach verbrennen möchte und dann die Asche irgendwo hinstreuen will?“

„Ja, ich finde das etwas makaber!“

„Nicht nur das, es ist auch Umweltverschmutzung!“

„Hää?“, entfleuchte es mir.

„Ich habe einen Bericht darüber gelesen, dass über siebzig Prozent der Briten sich einäschern lassen und da in England keine Friedhofspflicht besteht, kippen die das da hin wo sie wollen. Da die Asche aber schädliche Phosphate enthält, kann es zu Überdüngung des Boden kommen und Verunreinigungen des Grundwassers!“

„Das ist jetzt nicht dein Ernst?“

„Doch!“, grinste Kim.

Ich griff nach meinem Handy.

„Was hast du vor?“

„Meine Mutter vor einer Umweltsünde bewahren.“

*-*-*

Auf die Handyrechnung war ich gespannt diesen Monat, denn ich hatte sehr lange mit meiner Mutter telefoniert. Ich war zwar in vielen Dingen jetzt schlauer, aber es warf auch neue Fragen auf.

Kim hatte sich in die Küche zurück gezogen und in der Zwischenzeit etwas gekocht. Etwas hungrig und durstig kam ich in die Küche.

„Das riecht gut“, meinte ich und trat neben ihn.

„Setz dich, es ist auch schon fertig.“

„Danke!“

„Für was?“

„Einfach, dass du da bist! Ich weiß nicht, wie es wäre, wenn ich dich nicht hätte.“

Darauf sagte Kim nichts, sondern drückte mir nur einen Kuss auf die Wange. Ich setzte mich und beobachtete Kim, wie er das Essen auftrug. Plötzlich hörte ich ein Schrei, der aus der Wohnung unter uns zu kommen schien. Kim und ich schauten uns an.

„Das hat sich nach Ari angehört!“

„Der Gedanke kam mir auch“, meinte ich.

„Sollen wir hinunter gehen?“

Ich schaute aufs Essen und dann zu Kim.

Es wäre schade um das Essen und wenn etwas sein sollte, werden die beiden sich sicher melden.“

„Das befürchte ich auch!“, grinste mein Gegenüber.

Kim setzte sich und ich begann mir meine Schüssel zu füllen. Mein Freund bestand darauf, dass ich sein Essen mit Stäbchen aß. Nach anfänglichen Schwierigkeiten, gelang mir das auch.

„Etwas anders Kim…, ich hätte eine große Bitte an dich.“

„Die da wäre?“

„Würdest du mich zu meiner… ähm neuen Familie begleiten?“

Kim hielt in seiner Bewegung inne.

„Ähm, bist du dir da sicher? Willst du gleich mit der Tür ins Haus fallen und sagen hallo ich bin schwul und dass ist mein Freund?“

„Warum nicht, du weißt ich bin gegen Geheimnisse und ich werde sicher nicht damit anfangen, neue zu schaffen. Entweder sie nehmen mich so wie ich bin, oder nicht.“

„Klare Worte!“

*-*-*

Es war am Abend ruhig geblieben und wir bekamen keinen Besuch. Nur viel mir auf, dass Ari an diesem Morgen mehr strahlte, als sonst. Der pathologische Bericht von Bjarki war da. Meine Kugel die ihn erwischt hatte, hätte nicht zu seinem Tod geführt.

Das hatte er durch seinen Sturz selbst verursacht. Das Rohr, das ihn durchbohrt hatte, wurde dann auch als Todesursache angegeben. Interessanter war jedoch der Bericht, über die vielen Waffen, die in der Wohnung der Familie Jökullson gefunden wurden.

Es gab drei oder vier Waffen, die mit ungelösten Fällen zu tun hatten. Dies bedeutete, dass es einige Arbeit gab, denn die Ermittlungen sollten wieder aufgenommen werden. Ich schaute zu Anna hinüber, die ebenso wie ich vor dem Monitor saß und sich gerade die Haare raufte. Unsere Blicke trafen sich und sie stand auf.

„Ich gehe mal davon aus, dass du die neuen Berichte auch gerade gelesen hast.“

Ich nickte.

„Einer dieser Fälle ist unserer. Es geht um ein Mädchen, dass erschossen wurde. Alles Beweise führten ins Leere.“

„Der Fall wurde nie gelöst?“

Anna schüttelte den Kopf.

„Aber wir fangen nicht jetzt damit an, oder?“

Sie fing an zu grinsen.

„Nein, ich möchte mal wieder ein Wochenende für mich haben… nächste Woche reicht auch noch.“

Das kam mir gerade recht, denn ich hatte am Freitag ein Treffen mit dem Bruder meines Vaters ausgemacht, nachdem wir Kims Mutter an den Flughafen gebracht hatten.

„Sonst alles klar bei dir?“, fragte Anna, die immer noch bei mir stand und mich aus den Gedanken riss.

„Ja…, danke. Habe gestern mit meiner Mutter telefoniert.“

„… habt ihr euch wieder vertragen?“

Ich nickte.

„Das Haus… ist wirklich deins?“

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