Eric Einarson – Der versprochene Mann – Tür 20

„Ja, so stand es im Testament meines Großvaters, mein Vater sollte leer ausgehen! Aber warum fragst du?“

„Ich dachte darüber nach, ob du dann nach Mosfellsbær ziehen wirst.“

„Nein, meine jetzige Wohnung gefällt mir so gut, die will ich nicht aufgeben.“

„Ja, das kannst nur du entscheiden!“, meinte Anna und ließ mich wieder alleine.

Diesen Punkt hatte ich bereits gestern entschieden, nachdem auch Kim gefragt hatte. Aber ich hatte meine eigenen Pläne, was das Haus betraf, aber das war jetzt noch nicht Spruchreif.

„… und deine Mutter hat nichts dagegen?“, hörte ich Lilja hinter mir fragen.

Ich schaute in ihre Richtung, sie unterhielt sich gerade mit Ari, der gerade etwas in sich zusammen sank.

„Dass … ist so ein Thema, dass noch nicht vom Tisch ist. Sie möchte, dass Alexander zu uns zieht.“

Mein Blick wanderte zu Alexander, der darauf nicht zu reagieren schien. Die Röte in seinem Gesicht sagte aber etwas anderes.

„In eure kleine Wohnung, wie soll das gehen?“, fragte nun Kathrin.

Die Geschwister schienen Ari wohl näher zu kennen, auch seine jetzige Wohnsituation.

„Ja, Dad findet es völlig in Ordnung, wenn ich ausziehen würde, aber meine Mum stellt sich quer.“

War der Schrei gestern Abend, Aris Reaktion als Alexander ihn fragte, ob sie zusammen ziehen sollten? Denn anders konnte ich mir nicht erklären, warum dieses Gespräch jetzt geführt wurde.

„He, du bist volljährig, verdienst dein eigenes Geld, da ist es doch normal, wenn man sich eine eigene Bleibe sucht!“, sagte nun Stefan.

„Du kennst seine Mutter nicht!“, meinte Lilja und verdrehte dabei ihre Augen.

„Ja, sie ist im Viertel bei allen gut bekannt!“, fügte Kathrin an.

Kim gesellte sich zu mir.

„Lilja und Kathrin wohnen noch bei ihrem Vater, im gleiche Viertel wie Ari“, erklärte er mir leise.

Das erklärte einiges.

„Oh das kenne ich nur zu gut“, sprach Stefan weiter, „meinte Schwiegermutter ist genauso. Sie mischt sich in alles ein und ist in deren Nachbarschaft nicht besonders beliebt.“

So war wirklich in jeder Familie der Wurm drin und jeder hatte sein Päckchen zu tragen. Was mir gefiel, war die Offenheit, mit der hier jeder sprach.

„Ein Grund mehr, dass du zu mir ziehst!“, grummelte Alexander hinter seinem Monitor.

Ich schaute zu Kim und begann breit zu grinsen. Anna, hinter ihm in ihrem Büro, schüttelte nur den Kopf.

*-*-*

Froh, dass endlich Wochenende war, konnte ich ohne schlechtes Gewissen die freien Tage begehen. Kim hatte den großen Wagen genommen, damit wir mit dem Gepäck seiner Mutter keine Probleme hatten.

Der Abschied war für Kim nicht leicht, aber er hatte sich gut im Griff. Nun saßen wir im Wagen und fuhren nach Mosfellsbær. Es herrschte Stille, aber das war mir gerade nicht recht, weil ich so schnell ins Grübeln verfiel.

„Wie feiert man in Japan eigentlich Weihnachten?“

Kim schaute etwas verwundert zu mir herüber.

„Wie kommst du da jetzt drauf?“

„Wir haben Ende November und es ist unser erstes gemeinsames Weihnachten.“

„Das stimmt, darüber habe ich noch gar nicht nach gedacht… ähm… Weihnachten ist in Japan ein normaler Arbeitstag. Paare oder junge Familien gehen am Abend zusammen Essen. An dem Tag sind fast alle Restaurants völlig ausgebucht.“

„Weihnachtsbaum und Geschenke?“

„Ist ein westlicher Brauch und gibt es nicht oft in Japan…, vielleicht in den Großstädten, aber auf dem Land wirst du keinen Weihnachtbaum finden. Du musst wissen, in Japan sind die Leute eher Shinto und dem Buddhismus verfallen. Christliche Anhänger gibt es dort nur wenige“

„Du?“

„Durch meinen Vater wurde ich christlich erzogen, kenne aber durch meine Mutter auch den Buddhismus.“

„Wie habt ihr dann Weihnachten gefeiert?“

„Wie es in Island so üblich ist. Abendessen mit der ganzen Familie, auch die Bescherung ist am Heiligabend. Du kannst dir sicher sein, dass du von deiner neuen Verwandtschaft an Heiligabend eigenladen wirst“, grinste mich Kim an.

„Echt jetzt?“

Kim nickte.

„… und was ist mit deinem Vater?“

„Da er keine Verwandten hat, war unser Weihnachten immer klein gehalten, aber es hat mich nie gestört. Mutter hat ein schönes Abendessen gemacht und das war es schon.“

„Ich kann mich an die Zeit als Kind hier nicht mehr viel erinnern…, gibt es einen Weihnachtsmann?“

Kim fing an zu kichern.

„Einen? Es sind dreizehn!“

„Dreizehn?“, fragte ich ungläubig und Kim fing an zu lachen

„Ja, aber es sind eher Weihnachtsgesellen, Jólasveinar genannt und du darfst dir keinen alten Mann mit Rauschebart vorstellen, der den Kindern Geschenke bringt. Es sind dunkle Gesellen, die in der Zeit vor Weihnachten die Menschen heimsuchen.“

„Okay…“, meinte ich verunsichert, so hat jedes Land seine eigenen Bräuche. Kriegen wir dann überhaupt hier einen Weihnachtsbaum?“

„Du wirst lachen, mittlerweile werden für diesen Zweck sogar extra hier eigene Bäume gezüchtet, aber der Großteil wird immer noch aus Schweden importiert.“

„… und der Schmuck, ist der auch traditionell?“

„Also wenn du einen typischen isländischen Baum möchtest, musst du häkeln lernen!“

„Häkeln?“, sagte ich entsetzt.

„Ja, die Kugeln sind umhäkelt, mit verschiedenen Mustern.“

„Stimmt, ich erinnere mich, dass meine Mutter auch solche Kugeln besaß, aber unser Weihnachtsbaum war immer mit normalen Kugeln geschmückt.“

„Dann haben wir ja noch einiges zu besorgen, wenn du einen Weihnachtsbaum möchtest.“

*-*-*

„Hier scheint es zu sein“, meinte Kim und setzte den Blinker.

„Eine Schreinerei?“, fragte ich, als ich das Firmenschild neben der Einfahrt gelesen hatte.

Wir befuhren einen Hof, an dem zwei Wohnhäuser und ein Firmengebäude grenzten. Einige Fahrzeuge standen da, aber sonst war niemand zu sehen. Kim suchte einen Parkplatz und stellte den Wagen ab.

„Groß!“, sagte Kim, als wir ausstiegen.

„Das stimmt allerdings und das alles hat mir mein Vater verschwiegen, auch das mein Onkel eine Schreinerei besitzt.“

„Was für einen Beruf hatte dein Vater?“

„Buchhalter… ein absoluter Büromensch, von handwerklichen Fähigkeiten, keine Spur.“

Wieder grinste mich Kim an.

„Kann ich ihnen helfen? Wir schließen bald!“

„Ich möchte zu Mr. Emilson, er weiß dass ich komme.“

Der junge Mann mir gegenüber, drehte seine Kopf zur Halle,

„Chef, dein Typ wird verlangt!“, rief er laut, nickte uns zu und stieg in einen der anderen Fahrzeuge.

Ein Mann trat aus der Halle und ich erschrak etwas. Erst dachte ich, es wäre mein Vater, aber bei genauerem Hinschauen, bemerkte ich, eine jüngere Version meines Erzeugers.

„Onkel Armsgard?“, fragte ich.

Plötzlich fing der Mann an zu lächeln.

„Eric?“

„Ja!“

Anstatt meine ausgestreckte Hand zu schütteln, wurde ich gleich in den Arm genommen und kräftig gedrückt, dass überraschte jetzt selbst mich.

„Das freut mich aber, du weißt gar nicht, wie lange ich diesen Tag herbei gesehnt habe.“

Als er sich etwas von mir entfernte, sah ich, dass er Tränen in den Augen hatte.

„Ich hoffe, du bist nicht allzu sehr enttäuscht, dass ich über euch nichts wusste.“

„Nein! Dafür kannst du nichts, aber lass dich mal ansehen!“

Er trat einen Schritt zurück und musterte mich.

„Mikael hat erzählt, du bist bei der Polizei?“

„Ja… Chief  Inspektor Eric Einarson!“

Kim hüstelte.

„… ja und dass ist mein Kollege und fester Freund Kriminalinspektor Kim Jonson.“

Erneut wurde ich überrascht über die Reaktion meines Onkels. Anstatt Kim irgendwie geschockt anzuschauen, grinste Onkel Armsgard über beide Wangen.

„Das freut mich aber, dass du schon Anschluss gefunden hast! Solange bist du doch noch gar nicht in Island.“

„Ich bin im Sommer hergezogen.“

„Mikael war ganz aus dem Häuschen, als er von dir erzählt…, du musst wissen, in der Familie meiner Frau gibt es nur Mädchen und ich selbst habe noch eine Tochter. Er hat sich so gefreut, dass es endlich noch einen männlichen Verwandten gibt.“

„Aber… es gibt doch dich“, meinte ich grinsend.

„Aber ich bin nicht in seinem Alter…“

Das mag wohl stimmen, aber er war trotzdem nicht der einzige männliche Vertreter. Ich sah im Hintergrund eine Frau aus dem Haus treten.

„Armsgard?“, hörte ich sie mit dünner Stimme rufen.

Mein Onkel drehte sich zu der Frau.

„Maria komm doch her, Eric ist da!“, rief er freudig zurück.

Langsam kam sie auf zu gelaufen und schaute zwischen uns hin und her.

„Er hat auch seinen Freund Kim mitgebracht“, fügte Onkel Armsgard noch hinzu.

Von ihr bekam ich nur die Hand geschüttelt, wie Kim auch. Ihr leichtes Lächeln war aufgesetzt, auch fielen mir die misstrauischen Blicke auf.

„Hättet ihr Lust auf einen Kaffee, Maria hat Stüffukaka gebacken.“

Mein Blick fiel auf Kim, der mich angrinste. Schon das zweite Mal diese Woche, so konnte ich aber vergleichen, wer das bessere Rezept hatte.

„Gerne… und ich habe auch noch ein paar Fragen…, Mikael hat etwas viel und durcheinander erzählt.“

Onkel Armsgard drückte mich einfach Richtung Haus. Meine Tante und Kim folgten uns.

„Ja, so ist der Junge, immer aufgedreht und neugierig.“

Das hatte ich gemerkt. Mein Blick fiel auf das Firmengebäude.

„… und das ist eure Schreinerei… habt ihr euch auf etwas spezialisiert?“

„Ähm ja…“, kam es etwas verhalten, „ … Hausbau und Renovierung und eine kleine Möbelabteilung.“

Seine Fröhlichkeit war plötzlich verschwunden. Verwundert folgte ich ihm ins Haus, das wie Annas und Phillips Haus auf die traditionelle Art gebaut worden war. Wir betraten eine Art Esszimmer.

„Setzt euch bitte!“, sagte Onkel Armsgard.

Ich tat wie geheißen, Kim ließ sich neben mir nieder. Unter dem Tisch griff er nach meiner Hand. Fühlte er sich unwohl?

„Hat dich dein Vater hergeschickt?“, sagte Tante Maria plötzlich.

Verwirrt schaute ich sie an und ich konnte mir auch nicht ihre bösen Blicke erklären.

„Maria!“

„Ähm… ich versteh nicht…, was du meinst!“, meinte ich.

Kims Druck auf meine Hand wurde stärker. Hier schien irgendetwas sehr schief zu laufen.

„Dein Vater hat dich doch her geschickt, um dein Erbe einzutreiben“, kam es im gehässigen Ton.

„Maria… bitte! Hör auf!“

„Was denn? Jahrelang lässt dein Bruder nicht von sich hören und dann taucht hier plötzlich sein Sohn auf!“

Kim strich mit seinem Daumen über meinen Handrücken, denn er wusste sicher, dass ich langsam wütend wurde.

„Ich bin weder plötzlich hier aufgetaucht, noch habe ich etwas von der Familie gewusst… und wenn es hier nur um die verdammte Erbschaft geht…“

„Eric!“, sagte Kim leise, denn ich war laut geworden.

„An dieser Geschichte habe ich absolut kein Interesse. Komm Kim, wir sind hier nicht erwünscht!“

Ich war aufgesprungen und hatte Kim gleicht mit hoch gezogen.

„Eric bitte, das ist alles nur ein Missverständnis!“, versuchte Onkel Armsgard.

„Missverständnis?“, fuhr ich ihn an, dann schaute ich zu meiner Tante, die ängstlich zurück wich.

„Ich bin nach Island gekommen, weil mir eine gute Freundin einen Job angeboten hat, weil ich in England an meiner alten Dienststelle wegen meines Schwulseins gemobbt und misshandelt wurde…!“, schrie ich sie an.

Kim griff nach meinem Arm und zog mich zurück. Die Augen meiner Tante waren groß und ängstlich, sie zitterte mich am ganzen Körper.

„… und dein lieber Schwager hatte nichts Besseres zu tun, als mich rauszuwerfen, weil ich ja die Schande der Familie bin.“

Im Raum war absolute Stille und mein schweres Atmen war zu hören. Erste Tränen liefen mir über Gesicht und alles was ich mir die letzten Tage zu Recht gelegt hatte, platze plötzlich in meinem Kopf wie eine Blase, löste sich in Wohlgefallen auf.

„Komm Kim!“, meinte ich nur und zog ihn an der Hand aus dem Zimmer.

Schnell war das Haus wieder verlassen.

„Eric… Eric bitte mach langsam, du tust mir weh!“, hörte ich Kim hinter mir sagen.

Erschrocken ließ ich seine Hand los und drehte mich zu ihm um. Ich fiel ihm um den Hals und fing an zu weinen.

„… Entschuldigung…“

„Ist gut…“, hörte ich seine Stimme und spürte seine Hand auf dem Rücken, wie sie mich streichelte.

„… jetzt ist er tot und mischt sich immer noch in mein Leben ein…“, schluchzte ich, „… hört das denn nie auf?“

Meine Beine fingen an zu zittern und der Boden fing stark an zu schwanken.

„Eric?“, rief Kim erschrocken und plötzlich wurde alles um mich herum schwarz.

*-*-*

„Was habe ich da nur angerichtet?“, hörte ich eine weinerliche Stimme.

„Mama, jetzt beruhige dich doch!“

Das hörte sich nach Mikael an, auch spürte ich, dass jemand meine Hand fest hielt. Langsam öffnete ich die Augen. Das erste was ich sah, war Kim.

„Hallo, da bist du ja wieder“, lächelte er mich an.

„Was…, was ist passiert?“

„Du hast schlapp gemacht, bist im Hof umgekippt.“

Verwirrt schaute ich Kim an.

„Das alles war vielleicht doch zu viel für dich!“

„… der Arzt kommt gleich“, hörte ich Onkel Armsgards Stimme.

Erst jetzt sah ich, dass ich in einem Wohnzimmer auf der Couch lag.

„Wieso Arzt?“, fragte ich und wollte mich aufrichten.

„Du bleibst schön liegen!“, meinte Kim und drückte mich zurück.

„Mir geht es wieder gut!“

„Ah ja?“

Neben Onkel Armsgard standen noch Tante Marta und Mikael. Der setzte sich in Bewegung und stand dann hinter Kim.

„Da hast du uns aber einen schönen Schrecken eingejagt!“, sprudelte es aus ihm heraus.

„War nicht meine Absicht“, erwiderte ich trotzig.

Sofort verstärke sich der Druck an meiner Hand und mein Blick fiel auf Kim, der die Augenbraun hochgezogen hatte und leicht böse schaute. Auch wenn die Situation jetzt nicht passte, begann ich zu grinsen, weil mir dieses Gesicht so unheimlich gut gefiel.

„Dir scheint es wirklich besser zu gehen! Aber du bleibst trotzdem liegen!“

Ich verliebte mich gerade noch mehr in Kim, weil er eins auf dominant machte. Ob mein Unschuldsblick wirkte, wusste ich nicht, aber er fing plötzlich an zu lächeln. Nun traten auch mein Onkel und Tante näher.

„Eric…, es tut mir leid…, mein Misstrauen….“

Ich hob die andere Hand und stoppte sie.

„Können wir das alles nicht einfach vergessen?“

Kim schüttelte den Kopf.

„Nein Eric, dass alles liegt wie ein Schatten über eurer Familie!“, meinte Kim und er hatte leider Recht.

*-*-*

Der Arzt meinte, ich wäre okay, ich solle nur etwas langsamer machen. Ich saß nun am Tisch bei den anderen, wo bisher Stillschweigen herrschte. Es saß auch ein junge Dame am dort, die sich als meine Cousine Freyja vorgestellt hatte.

„Es tut mir leid, wenn ich mich als Außenstehender einmische…“, begann KIim plötzlich zu reden.

„Du bist kein Außenstehender, du bist mein Freund…!“, fiel ich ihm ins Wort.

„Eric bitte“, unterbrach er mich nun.

Ich schwieg.

„Was hat es mit dieser Erbschaft auf sich, warum dieser ganze Streit?“

Stimmt, diese Frage brannte auch mir auf der Zunge. Onkel Armsgard atmete tief durch und Tante Maria wurde wieder nervöser.

„Es ist alles gut, mein Schatz“, sagte mein Onkel und griff nach ihrer Hand.

Dann wandte er sich zu mir und Kim.

„Dies alles hier hat dein Großvater geschaffen, die Firma und auch die beiden Wohnhäuser“, begann er zu erzählen.

„Als er im Sterben lag, ließ er einen Notar kommen und hat ein Testament aufsetzen lassen!“

 

 

 

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