Eric Einarson – Der versprochene Mann – Tür 22

Der Sonntag war sehr ruhig verlaufen und wir konnten uns wirklich von den Strapazen letzter Wochen erholen. Dafür wurden wir am Montagmorgen von Anna gleich in den nächsten Fall eingewiesen.

Sie wollte wirklich diesen alten Fall mit diesem Mädchen wieder aufrollen, weil es neue Beweise gab. So saß ich am Computer und lass mich ein. Ich hätte nicht gedacht, dass die Entführung eines Mädchens so viel Staub aufgewirbelt hatte.

Aber als Tochter einer Persönlichkeit aus Island, blieb so etwas eben nicht ohne die Aufmerksamkeit der Presse. Sie war dann auch letztlich daran schuld, dass die Geldübergabe scheiterte.

Das Mädchen wurde leider nie gefunden, dafür die Freundin des Mädchen, welche die Presse einfach unterschlagen hatte. Nun sah ich auch, warum Anna diesen Fall bekam, denn die Freundinnen waren fest miteinander liiert.

Das Mädchen war regelrecht hingerichtet worden und mit sechs Schüssen getötet worden.

„Kommst du?“

Ich schaute auf und Kim stand neben mir. Er hatte meine Jacke von der Lehne gezogen und hielt sie mir entgegen.

„Ähm…wohin?“, fragte ich verwirrt.

„Zu Mohammed, er wird heute entlassen!“

„Heute schon?“

„Ja, es gibt keinen Grund mehr, ihn im Krankenhaus zu verstecken. Brigson hat sein Versprechen gehalten und der Rest der Familie hat eine neue Wohnung.“

„Okay…“, meinte ich und schloss den Bericht am Monitor.

„Heftig oder?“, meinte Kim und zeigte auf den nun leeren Bildschirm.

„Kann man so sagen, aber warum den Fall wieder aufrollen? Das reist doch nur wieder alte Wunden auf.“

„Das Recht der Verwandten, genau zu wissen, was mit ihren Töchtern passiert ist!“

Ich griff nach meiner Jacke und zog sie über.

„Gut, ich will nichts gesagt haben. Wollen wir Ari mitnehmen?“

Ich drehte mich zu ihm, aber Aris Platz war leer. Fragend schaute ich zu Kim,

„Ari ist überhaupt nicht da, der hat einen Arzttermin.“

„Das habe ich überhaupt nicht mit bekommen.“

„Gut, dann sage ich nur noch Anna Bescheid, dass wir weg sind.“

Ich ließ Kim stehen und lief an Annas Tür.

„Anna, wir sind kurz bei Mohammed, der wird heute entlassen.“

„Das weiß ich schon! Sag ein paar nette Worte von unserer Abteilung und liebe Grüße von mir!“

„Wieso ich?“

„Du bist meine Vertretung“, grinste mich Anna an.

*-*-*

Als wir das Krankenhaus betraten war fiel los. An der Anmeldung stand eine Schlange und auch so war die Eingangshalle recht gut gefüllt.

„Gibt es hier etwas umsonst?“, fragte ich verwundert.

„Hast du nicht den Banner vor dem Haus gesehen.“

„Ich habe nur Augen für dich, lieber Kim“, flüsterte ich zurück.

Seine Augenbrauen gingen nach oben und sein Mund verzog sich zu einem komischen Lächeln.

„Pass auf, dass du nicht auf deiner eigenen Schleimspur ausrutscht!“

Ein winziges Stück seiner Zunge kam zum Vorschein. Ich wollte etwas darauf serwidern, aber er sprach einfach weiter.

„Heute ist wieder mal Blutspendetag, deswegen ist hier so voll.“

„… und dann entlassen sie Mohammed, an so einem Tag?“

„Dann fällt er in dieser Masse schon nicht auf!“

Da war etwas dran. Ich folgte Kim einfach weiter und versuchte, mit niemandem zusammen zustoßen.

„Hallo Tinna“, hörte ich plötzlich Kim vor mir sagen und ich schaute an ihm vorbei.

Dort stand tatsächlich Tinna mit einer Schwester und diskutierte irgendetwas. Sie drehte ihren Kopf zu uns und begann zu lächeln.

„Endlich mal freundliche Gesichter“, hörte ich sie sagen, „…hallo Kim, wie geht es ihnen, alles gut verheilt?“

Hatte ich etwas verpasst? Bisher wurde ich immer zuerst begrüßt und Kim eher ignoriert.

„Ja, danke, ich habe keine Probleme mehr.“

„Hallo Eric“, sagte sie und ich nickte ihr zu.

„Kann ich ihnen irgendwie helfen?“

„Wir wollen zu Mohammed“, meinte ich nur.

„Ja, der wird heute entlassen, ich freue mich für den Jungen. Begleiten kann ich sie leider nicht, sie sehen ja, volles Haus. Aber sie kennen sich ja schon aus.“

Tinna zeigte dabei Richtung Kinderstation.

„Kein Problem Tinna, vielleicht sieht man sich ja später“, sagte Kim und setzte sich in Bewegung.

Die Ärztin nickte mir zu und ließ mich stehen. Was war denn das jetzt? Ich hatte Mühe Kim zu folgen, aber erreichte ihn, als sich die Tür zur Kinderstation öffnete.

„Was war das grad eben?“, fragte ich ihn, als wir den Flur betraten und es ruhiger wurde.

„Was meinst du?“

„Tinna! Sie benimmt sich heute so anders.“

„Sie weiß, dass du vergeben bist“, grinste Kim.

„Deshalb ist sie dann gleich so kühl zu mir?“

„Tja…“

Mittlerweile hatten wir die Tür zu Mohammeds Zimmer erreicht. Die Wachen waren verschwunden, aber auch nicht mehr nötig. Kim klopfte und schob die Tür auf und ich sah, wie Magnus und Mohammed auseinanderfuhren.

„Hallo zusammen“, meinte Kim, während ich hinter ihm gerade die Tür schloss.

„Hallo Kriminalinspektor Jonson… Chief  Inspektor Einarson“, begrüßte uns Doc Magnus und schien etwas verlegen zu sein.

„Warum so förmlich?“, fragte Kim, „Kim ist mein Name!“

Die beiden schüttelten sich die Hand. Dann fiel Doc Magnus Blick auf mich. Ich streckte ihm die Hand entgegen.

„Eric…!“, meinte ich lächelnd.

„Magnus, aber das wissen sie ja schon.“

Kim wandte sich an Mohammed und ich hatte Magnus Hand noch nicht los gelassen, sondern zog ihn etwas zu mir.

„Etwas jung… oder?“

Magnus Augen wurden groß und ich löste meinen griff, er zog seine Hand zurück.

„Er wird nächsten Monat achtzehn!“

„Ich mein ja nur… passen sie auf sich auf!“

Darauf sagte Magnus nichts und nickte nur. Natürlich hatte ich mich im Vorfeld, bevor ich nach Island ging, über deren Gesetzgebung im Bezug auf Homosexualität informiert. Magnus tat nichts Rechtswidriges, das Schutzalter lag bei fünfzehn.

Die Gesetze zur Bestrafung widerrechtlicher sexueller Handlungen, wurden bereits 1940 abgeschafft. Ab 1996 konnten homosexuelle Paare sich legal registrieren lassen und zusammen leben.

Einer Adoption von Kindern für homosexuelle Paare wurde ab dem Jahr 2000 erlaubt und letztendlich 2008 legalisierten die Isländern die gleichgeschlechtliche Ehe mit allen Rechten und Pflichten.

„Hallo Mohammed“, hörte ich Kim sagen und schaute zu Mohammed, der noch auf dem Bett saß.

Ein schüchternes „Hallo“ kam zurück.

„Ich wollte dir eigentlich nur viel Glück wünschen und wenn etwas ist…“, Kim zauberte eine Visitenkarte hervor, „… kannst du dich jederzeit bei mir melden!“

„Danke…“, meinte Mohammed leise und nahm die Karte entgegen.

Kim sah zu mir.

„Ich schließe mich meinem Kollegen an“, meinte ich und nickte Mohammed zu.

„Wird er abgeholt?“, fragte Kim.

„Nein, ich werde ihn bringen“, antwortete Magnus.

„Das ist nett!“

„Reine Vorsichtsmaßnahme! Mohammed ist noch nicht wieder ganz hergestellt, sprich er soll sich nicht zu sehr anstrengen. Wenn ihn seine Eltern abholen, müsste er mit den öffentliche Verkehrsmitteln fahren und dies ist zu anstrengend.“

Stimmt, die Eltern, oder einer der Onkel hatte ja kein Auto. Während sich Kim noch weiter mit dem Jungen unterhielt, wandte ich mich wieder an Magnus.

„Wie geht es jetzt weiter?“

Magnus blickte kurz zu Mohammed.

„Der Kleine muss erst einmal voll genesen, aber wenn er dann will, kann er auf der Sozialstation helfen, wie er es vorher getan hat. Durch den Wegfall von Bjarki ist eine große Lücke entstanden…“

„Es ist besser so für alle, wer weiß, wie viele noch zu Tode gekommen wären.“

„Mir tut trotzdem Mohammed leid, für ihn schien Bjarki die Zukunft zu sein.“

Ich lächelte.

„Jetzt scheint er ja jemand anderen zu haben.“

Magnus wurde verlegen.

„Ich versuche mein Bestes, aber dazu muss ich erst sein komplettes Vertrauen erlangen!“

„Dann mal viel Glück! Kim kommst du?“

Wir verabschiedeten uns von den beiden und ließen sie alleine. Schnell waren wir wieder am Auto.

„Ich hoffe, er kommt darüber hinweg“, sagte Kim, bevor er die Wagentür öffnete.

„Er ist jung, er wird das schon schaffen.“

„Eben, weil er jung ist. Er wurde ausgenutzt und fast umgebracht…!“

Darauf wusste ich nicht zu sagen und stieg ebenso ein.

*-*-*

Als wir wieder im Büro eintrafen, war dies halb leer, selbst Anna war nicht anwesend. Nur Hekla und Stefan saßen an ihrem Monitor.

„Wo sind denn alle?“, fragte ich, während ich mich meiner Jacke entledigte.

„Der Befund über die Waffen ist raus“, antworte Hekla, „…mit einer der Waffen, die bei Jökullson gefunden wurden ist das Mädchen erschossen wurden. Anna und Alexander verhören ihn deswegen gerade, aber er schweigt.“

„Er wird wissen warum“, meinte ich und setzte mich.

„Lilja und Kathrin haben da mehr Glück“, sprach Stefan weiter, „sie verhören unseren jungen Kollegen.“

„Brigsons Neffe?“

„Ja und der hört gar nicht mehr auf zu erzählen.“

„Anna will den Fall wohl vollständig gelöst haben.“

„Ich sage nur Phillip…, es wusste ja niemand, was da alles mit dran hing!“

„Wenn es keiner direkt gesteht, oder irgendwelche Fingerabdrücke gefunden werden, wird wohl nie heraus kommen, wer auf Phillip geschossen hat. Zudem kann ich mir nicht vorstellen, dass Jökullson und die anderen beiden alleine gehandelt haben.

„Du denkst also auch, die Bande war größer?“, fragte Stefan.

Ich nickte ihm zu.

„Wir werden sehen, was uns Brigsons Neffe alles zu erzählen hat, vielleicht fallen noch mehr Namen.“

*-*-*

Wie befürchtet, brachte Annas Befragung überhaupt nichts. Jökullson schwieg. Dafür war die Ausführung von Brigsons Neffe so detailliert, dass es genug Ansätze gab, die wir überprüfen konnten.

Ab und wann beneidete ich Hekla, deren Finger über die Tastatur jagten, während ich um vieles langsamer war. So dauerte es natürlich auch länger, bis ich an Informationen kam.

„Macht mal Pause“, rief Anna, „und lüftet mal den Raum!“

Die Tür zum Flur war zu, ebenso die Fenster und bei acht Leuten im Raum, war die Luft natürlich schlecht. Ari, der bei Alexander saß, da er mit einer Hand am Computer nutzlos war, streckte sich, während Lilja aufstand und eines der großen Fenster öffnete.

„Will noch jemand Kaffee?“, fragte Stefan.

Eigentlich hatte ich schon genug getrunken. Trotzdem meldete ich mich. Kim begleitete Stefan und durch die offene Tür strömte kühlere Luft ins Büro.

„Schon etwas gefunden?“, fragte Anna, die plötzlich neben mir stand.

„Leider nicht! Der Fall ist zwar noch nicht so alt, aber trotzdem ist es schwer an irgendwelche neuen Informationen zu kommen. Da helfen auch die neuen Angaben unseres lieben Kollegen nichts.“

„Schade und die Leiche des Mädchens werden wir wohl auch nicht finden, wenn sich Doc Hilgersons Vater sich darum gekümmert hat. Wenn er sie irgendwo bei Nacht und Nebel bei den Docks verschwinden lassen hat, ist sie unauffindbar!“

Ich nickte.

„Eins finde ich allerdings komisch…“

„Das wäre…?“

„Die Umstände die zu Hilgers Trottans Tod führten, scheint mir mehr als ein Zufall zu sein. Er starb unmittelbar, nachdem das erschossene Mädchen gefunden wurde.“

„Du denkst, daran wurde nach geholfen?“

„Ich weiß nicht Recht, nach den Beschreibungen von Doc Magnus, schien mir sein Vater keiner zu sein, der jemand ermorden würde.“

„Hallo…“, kam es von der Tür.

Ich schaute zur Tür und zuckte etwas zusammen. Ich wusste nicht, ob es Zufall war, denn dort stand  die Person, über die wir gerade geredet hatten.

„Ähm… hallo Magnus… haben wir im Krankenhaus etwas vergessen?“

Er schüttelte verlegen den Kopf.

„Können wir irgendwo ungestört reden?“

Ich schaute zu Anna.

„Das ist übrigens meine Chefin, Chief Superintendent Anna Björndottir.“

„Hallo“, meinte Magnus und die beiden schüttelten die Hände.

„Haben sie Mohammed gut nach Hause gebracht?“, wollte Anna wissen.

„Ja und danach bin ich kurz zuhause vorbei gefahren… und weil meine Mutter die neuen Informationen über die Entführung der Mädchen gesehen hat, hat sie mir das hier gegeben.“

Er zog ein verschlissenes Buch hervor.

„Was ist das?“, fragte ich.

„Eine Art… Tagebuch meines Vaters… meine Mutter hat mir das gegeben.“

*-*-*

„Ich weiß jetzt, dass er im Bezug auf mich nie Geld verwendet hat, dass er durch seine kriminellen Eigenschaften verschafft hat…“

Wir saßen in einen der Vernehmungsräume, um ungestört zu sein. Ich schaute Magnus mitleidig an, während Anna in dem Buch blätterte. Ich wusste wie sehr er darunter litt.

„Mir scheint, ihr Vater war ein sehr genauer Mann. Über sämtliche kriminellen Tätigkeiten wurde hier akkurat alles aufgeschrieben.“

„Warum hat er das gemacht?“, fragte Magnus, um einiges leiser.

Er hatte Tränen in den Augen.

„Das Mr. Hilgerson kann ich ihnen nicht sagen…, aber nachdem was ich gelesen habe, scheint ihr Vater nicht wie vermutet, nur mit Jökullson zusammen gearbeitet zu haben. Es tauchen auch andere Namen auf, von denen mir einige bekannt sind.“

„Das… heißt…?“, flüsterte Magnus fast.

„Dass er einfach alles Mögliche gemacht hat, um Geld dazu zu verdienen. Hier steht zum Beispiel, dass er einen Sack mit Kaffeebohnen am Zoll vorbei geschleust hat.“

Magnus atmete tief durch.

„… das beruhigt mich in keinster Weise. Ich möchte nur darum bitten, dass vielleicht meine Mutter aus allem heraus gehalten wird. Sie hat es am Herzen und solche Aufregungen tun ihr nicht gut.“

„Dies kann ich nicht versprechen, aber wir werden unser Best möglichstes tun!“, versprach Anna.

„Wenn sie mich nicht mehr brauchen, werde ich in die Klinik zurück fahren, vielleicht lenkt mich die Arbeit etwas ab.“

„Das ist eine gute Idee, Mr. Hilgerson. Wenn etwas ist, melden wir uns bei ihnen!“

Anna schüttelte ihm die Hand. Ich erhob mich ebenfalls und tat etwas, was ich noch nie getan hatte. Ich umarmte Magnus.

„Das wird schon!“, flüsterte ich ihm ins Ohr.

*-*-*

„Ich wusste gar nicht, dass du mit dem Doktor so vertraut bist“, sagte Anna.

„Bin ich auch nicht, ich dachte nur, er hat das jetzt nötig.“

Wir betraten gerade das Büro, als Anna  stehen blieb. Mein Blick fiel kurz auf Kim, der mich fragend anschaute.

„Du umarmst mir jetzt aber nicht jeden Mann, der es vielleicht nötig hat?“

Dass diese Frage nicht ganz ernst gemeint war, sah ich an ihrem Lächeln.

„Sicher nicht! Ich weiß zufällig, dass der Doktor und ich in derselben Liga spielen.“

„Oh, das überrascht mich. Sendet ihr irgendwelche Geheimsignale aus, dass ihr so etwas wisst?“, fragte Anna und schaute nun auch zu Kim.

Der sichtlich verwirrt erhob sich und kam zu uns.

„Ist irgendetwas?“, wollte Kim wissen.“

„Nein, oder doch vielleicht, du solltest besser auf deinen Freund achten“, antworte Anna und lief grinsend in ihr Büro.

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