Das 7. Türchen – eine Adventsgeschichte

„Guten Morgen Sohnemann, endlich ausgeschlafen?”, fragte mich Dad, der mit einer Zeitung am Tisch saß, als ich die Küche betrat.

„Guten Morgen ist gut, wir haben fast zwölf Uhr”, meinte Mum nur, die am Herd stand.

„He, es ist Samstag”, verteidigte ich.

„Wir hatten früher noch jeden Samstag Schule.”

Den Satz nahm ich nur halb war, weil mir die Nacht noch nachhing. Carstens Eltern hatten ihren Sohn sofort ins Auto verfrachtet und waren abgefahren, während wir wie begossene Pudel noch im Regen gestanden hatten.

Dad und ich waren dann schweigend nach Hause gefahren und auch dort hatten wir mit keinem Wort darüber geredet. Lange hatte ich letzte Nacht noch wach gelegen und versucht, nachzudenken. Gelingen wollte mir das aber nicht, es war einfach alles zu viel auf einmal.

„Oma hat angerufen und gefragt, ob wir heute Mittag auf einen Kaffee vorbei schauen wollen”, erzählte Mum.

„Gute Idee, dann kommt Fabian vielleicht auf andere Gedanken.”

Erst als ich meinen Namen vernommen hatte, schreckte ich aus meinen Gedanken auf.

„Was… hä?

„Oma hat uns zum Kaffee eingeladen und dein Vater meinte, das wäre eine gute Idee.”

„Okay…”

„Huch… keine Einwände?”, fragte Mum verwundert.

„Nein, wieso?”

„Auch nicht, wenn ich sage, pack ein paar Sachen ein, wir übernachten vielleicht dort?”

„Nein, das ist schon Recht.”

Mum kam mit einem besorgten Blick näher und hielt ihre Hand an meine Stirn. „Hast du Fieber?”, fragte sie dabei.

Ich zog meinen Kopf zurück. „Nein, natürlich nicht. Aber mir gefällt der Gedanke, hier mal einen Tag wegzukommen und niemanden sonst zu sehen, der mir auf den Wecker fallen könnte.”

„Frau, unser Sohn will alleine fahren”, kam es von Dad und ich vernahm ein leises Kichern hinter der Zeitung.

Als Antwort zog ich Mum das Geschirrtuch aus der Hand und holte kurz damit aus. Die Spitze fetzte gegen die Zeitung und erzeugte einen lauten Knall. Aber nicht nur das, die Aktion hinterließ auch noch einen größeren Riss in der Zeitung.

„Oh, na warte Bürschchen!”, kam es sofort von Dad und sprang auf.

„Aaaaaaaaahhhhhhhh”, schrie ich und rannte aus der Küche.

„Jungs, seid doch vernünftig”, hörte ich Mum rufen.

Ich düste so schnell ich konnte die Treppe hinauf, versuchte noch meine Zimmertür zu schließen, aber Dad war dicht hinter mir. Schreiend ließ ich mich aufs Bett fallen, während Dad sich meine Arme schnappte und begann, mich durchzukitzeln.

„Daaaaaaaaaad nein… hör auf!”

„Mir in meine schöne Zeitung ein Loch zu machen… na warte.”

Und weitere Pieksattacken in meiner Rippengegend folgten.

*-*-*

Es war schon eine Weile her, dass ich mit bei Oma gewesen war. Hier hatte sich rein gar nichts verändert. Das kleine Dorf schien in einem Dornröschenschlaf zu liegen, die einzige Veränderung lag darin, dass hier etwas Schnee lag.

Ansonsten gab es hier so gut wie nichts, sogar die Straßen verdienten diese Bezeichnung kaum, da es sich überwiegend nur um Feldwege handelte.

Dad tuckerte langsam die einzige geteerte Straße, die Hauptstraße, hinauf Und nach einer Weile kam auch Omas Haus in Sicht. Dort angekommen steuerte Dad den Wagen in die Einfahrt.

„Es ist doch immer wieder schön, hier her zu kommen.”

Das konnte nur von Dad kommen. Nicht immer war es so toll gelaufen, weil er sich mit seinen Eltern oft zerstritten hatte. Das hatte sich angeblich erst geändert, als ich auf die Welt gekommen war und mein Dad sich total geändert hatte.

Er ließ den Wagen ausrollen und stellte den Motor ab.

„Bitte abschnallen und aussteigen.”

Während wir dies taten, ging auch schon die Haustür auf.

„Hallo Kinder”, hörte ich Oma rufen.

„Hallo Oma”, rief ich zurück und kam ihr entgegen.

Natürlich wie es so ist, wurde ich erstmal recht heftig in den Arm genommen. Hinter Oma konnte ich meinen grinsenden Opa erkennen.

„Hallo Junge”, sagte er.

Mit meiner noch freien Hand winkte ich ihm zu.

„Gut siehst du aus, Fabian”, sprach Oma weiter, „ein richtig fescher, junger Mann!”

Konnte man eigentlich roter werden als eine Tomate? Oma ließ mich endlich los und begrüßte nun Mum und Dad, während ich Opas Hand schüttelte.

„In der Schule alles klar?”, fragte er.

„Öhm… ja”, antwortete er.

„Komm, gehen wir hinein, der Kaffee ist schon fertig”, rettete mich Oma aus der fast peinlichen Lage und verhinderte damit, dass ich jetzt etwas dazu erzählen musste.

Erst jetzt merkte ich, dass Dad mit all unseren Taschen beladen hinter uns stand.

„Komm, ich nehme dir was ab.”

„Dachte schon, du lässt deinen alten Herren alles alleine schuften.”

„So, so. Alter Herr, heute Morgen bist aber noch wie ein junger Hüpfer durch die Wohnung gerannt”, kam es lachend von Mum.

Nun war es Dad, der Mum die Zunge rausstreckte. Wenn man mal die Kamera braucht, hat man keine – Mist!

Als wir das Haus betraten wurde mir erst richtig bewusst, wie kalt es draußen doch war. Mollig warme Luft strömte mir entgegen, aber auch der Duft von frischem Kaffee und Kuchen.

„Lasst uns erst Kaffee trinken, bevor er kalt wird”, meinte Oma und zog Mum ins Esszimmer.

Als wir ebenfalls den Raum betraten, traute ich meinen Augen nicht. Da stand doch tatsächlich ein Nikolaus. Also keiner aus Schokolade zum essen, nein ein richtiger aus Fleisch und Blut.

„Ho, ho, ho.”

Ich konnte nicht anders und musste kichern.

„Soooo du musst Fabian sein. Dann komm mal her zu mir.”

Schon längst hatte ich gemerkt, dass da Onkel Chris dahinter stecken musste. Aber artig wie ich war, ließ ich mir nichts anmerken und lief zu ihm hin. Direkt vor ihm blieb ich mit einem kindlich schüchternen Blick stehen. Seine strahlenden Augen lächelten mir entgegen.

„Warst du auch brav?”

Ich nickte mit dem ehrlichsten Blick, den ich drauf hatte und versuchte dabei stetig, mein Grinsen zu verkneifen.

„Dann brauch ich ja meine Rute nicht und habe etwas für dich.”

Dad und Mum bekamen sich fast nicht mehr ein und bekamen als Belohnung eine Drohung mit der Rute. Chris zog dann aber ein kleines Päckchen aus seinem Sack und überreichte es mir.

Ich bedanke mich mit einem kleinen Diener und nahm das Päckchen entgegen. Eigentlich hatte ich ganz vergessen, dass heute der Nikolaus-Tag war, aber umso mehr freute ich mich über diese Überraschung.

Chris verschwand nach einem weiteren „Ho ho ho” zum Flur hinaus und wir setzten uns an den gedeckten Kaffeetisch.

„Willst du nicht auspacken?”, fragte Oma.

„Ja, klar!”

Ich zog die Schleife ab und riss das Papier weg. Zum Vorschein kam eine kleine Schachtel. Als ich den Deckel langsam herunter gezogen hatte, fand ich darunter einen Schlüsselanhänger, der an einem Regenbogenband befestigt war.

Unten drin lag noch ein Umschlag, den ich neugierig heraus nahm und auch gleich öffnete. Sofort fielen mir mehrere Karten entgegen, bei deren Anblick ich meinen Augen kaum traute. Es waren tatsächlich fünf Karten für das Konzert von Rosenstolz im Januar.

„Daaaanke” rief ich begeistert und fiel jedem um den Hals.

„Wow, ist das cool… aber…, aber warum fünf Karten?”

„Für deine Freunde dachten wir”, sagte Mum.

„Gabriella, Thomas und Marcel fallen mir da nur ein, wer denn noch?”

„Na, wer weiß, wer da noch mitgeht”, grinste Dad.

Aha, wusste da jemand mehr als ich?

*-*-*

Der Mittag und auch der Abend waren noch richtig schön geworden und irgendwie hatte ich auch alle meine Sorgen vergessen. Genauso gut schlief ich dann auch, wurde jedoch umso unsanfter am nächsten Morgen geweckt.

„He du Murmeltier, aufstehen, ich brauche deine Hilfe”, hörte ich weit entfernt die Stimme von meinem Dad.

„… waas isssennn?”, brummelte ich.

„Es hat heute Nacht ordentlich runter gemacht und du könntest mir beim Schnee schippen helfen.”

„Okay…, darf ich mich noch schnell anziehen…?”

„Du, so fast nackt, das wäre eine Augenweide für die Nachbarschaft. Aber ich weiß nicht ob Oma begeistert wäre, wenn alle deinen blanken Hintern sehen würden.”

Entsetzt riss ich die Augen auf und schaute an mir hinunter. Die Decke war fast runtergestrampelt und meine Shorts auch. Schnell riss ich die Decke hoch und Dad begann zu lachen.

„Da ist nichts, was ich nicht schon gesehen hätte!”

Etliche Kilo Schnee, mehrere Schneeballschlachten und einige Schnee-Einseifversuche seitens meines Dads später waren die Einfahrt, der Gehweg sowie unser Auto schneefrei. Etwas durchgefroren stampften wir wieder ins Haus, wo Oma schon mit einer heißen Schokolade auf uns wartete.

„Danke, das war sehr lieb von euch.”

„Nichts zu danken”, meinte ich und schälte mich aus meiner nassen Winterjacke.

Dad hatte, wie die ganze Zeit schon, ein Grinsen auf den Lippen und entledigte sich ebenso seiner nassen Kleidung. Ich ging zu ihm hin und drückte mich fest an ihn.

„Huch, was ist jetzt kaputt?”

„Ich hatte einfach das Bedürfnis, dich ganz arg zu drücken und wollt dir noch mal danke sagen, dass du für mich da bist.”

Sah ich einen leichten Anfall von Röte im Gesicht meines Vaters?

„Nichts zu danken. Ich weiß selber wie wichtig es ist, Eltern zu haben, die hinter einem stehen.”

„Das kannst du laut sagen”, pflichtete ihm Oma bei, die gerade die heiße Schokolade auf dem Tisch abstellte.

„Gibt es da etwas, was ich noch nicht weiß?”, fragte ich neugierig.

„Eigentlich nicht, wenn du deines Vaters wilde Eskapaden ausklammerst, wo dein Opa und ich regelmäßig Ärger mit den Nachbarn und auch manchmal mit der Polizei hatten.”

Erstaunt sah ich zu Dad, der aber scheinbar keinen Kommentar dazu abgeben wollte.

„Weißt du Fabian, gerade deswegen wurde deinem Vater oft nie geglaubt, wenn er mal nicht beteiligt war. Klar hatten wir oft Krach wegen den Schwierigkeiten die er uns bereitete, aber wir haben immer zu ihm gehalten und es ist ja auch etwas Anständiges aus ihm geworden.”

„Ja, ist gut, wir wollen jetzt ja keine alten Kamellen aufwärmen.”

Oma wuschelte Dad durchs Haar und lächelte mich an.

„Trinkt euren Kakao, bevor er kalt wird!”, meinte sie noch und verschwand wieder in der Küche.

Mum dagegen setzte sich zu uns an den Tisch.

„Oma hat ganz Recht, es ist wichtig, dass wir immer hinter dir stehen und versuchen, dir zu helfen wo wir können”, sagte sie plötzlich.

„Das ist auch furchtbar lieb von euch. Ich wüsste nicht, was ich die letzten Tage ohne euch gemacht hätte.”

Danach wurde es still am Tisch und jeder dachte über das Gehörte nach.

*-*-*

Es war schon spät, als wir wieder zu Hause eintrafen. Durch den neuen Schneefall waren viele Straßen schlecht befahrbar gewesen und so war ich schon sehr müde, als ich unsere Taschen ins Haus trug.

„Endlich zu Hause!”, meinte Mum erleichtert und zog ihren Mantel aus.

„Jemand Lust auf einen Glühwein?”, fragte Dad, der gerade die Haustür hinter sich schloss.

„Ja, klar!”, kam es wie im Chor von Mum und mir.

„Gut, dann packt ihr aus und ich mach Glühwein.”

Eine viertel Stunde später saßen wir wieder vereint in der Küche und schlürften am Glühwein.

„Du hast ja deinen Adventskalender für heute noch gar nicht geöffnet”, meinte Mum lächelnd und veranlasste mich damit, einen Blick auf die Uhr zu werfen. Es war noch eine Weile bis Mitternacht, beziehungsweise bis zum nächsten Tag, also lief ich meinen gewohnten Gang zum Kalender und suchte die Sieben. Erfolgreich gefunden nestelte ich das kleine Türchen auf und der Zettel kam mir gleich entgegen geflogen.

Die Liebe ist ein Stoff,

der die Natur gewebt

und die Phantasie bestückt hat.

Nur müsste man auch jemanden haben, den man liebt und da war gerade niemand in Sicht. Dass mir ausgerechnet jetzt Carsten in den Sinn kam, beunruhigte und verunsicherte mich.

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