Das 8. Türchen – eine Adventsgeschichte

Viel zu kurz war die Nacht gewesen und so musste ich mich mehr schlafend als wach ins Bad schleppen. Mechanisch wusch ich mein Gesicht und putzte mir die Zähne.

„Morgen Sohnemann”, hörte ich Dad schon vom Flur rufen.

Wie konnte man so früh am Morgen schon so gut gelaunt sein? Ich drehte nur meinen Kopf und nickte ihm müde zu.

„Ich gieß dir schon mal einen Kaffee ein, bis gleich.”

Wenige Minuten später, ich wusste nicht wie ich das geschafft hatte, saß ich am Frühstückstisch und hatte eine Tasse Kaffee in der Hand. Der Duft war wunderbar, aber konnte mich nicht wirklich aufwecken. Mein Blick wanderte zu Dad, der immer noch wie ein Honigkuchenpferd grinste.

„Hast du dir eigentlich schon mal Gedanken gemacht, wen du uns als Schwiegersohn vorstellen möchtest?”

Ich war froh, dass ich meine Tasse wieder abgestellt hatte, denn spätestens jetzt hätte ich sie fallen lassen.

„Bitte?”, fragte ich irritiert.

„Aha, du scheinst also doch etwas aufnahmefähig zu sein. War Spaß!”

„Dad, deine Späße waren auch schon besser.”

Mein Blick fiel auf meinen Kalender. Ein neues Türchen war fällig, also stand ich auf und öffnete es. Wie immer fand ich einen klugen Spruch vor.

Gott hat dir einen Mund geschenkt – küssen musst du alleine.

Hm… dazu bräuchte ich erst einmal das passende Gegenstück.

*-*-*

Ein paar Stunden später und nach einem sehr mühsamen Morgen in der Schule, ließ ich mich wieder auf mein Bett fallen, welches ich sehr vermisst hatte. Keiner hatte mich auf die Sache gestern angesprochen, auch sonst hatte sich alles aus meinem üblichen Umfeld ferngehalten.

Nun war mir etwas kalt und zog deshalb einfach die Decke über mich. Carsten war heute nicht in der Schule erschienen, was mich auch nicht sonderlich wunderte. Immer noch quälten mich die Worte, die er mir an den Kopf geschmissen hatte.

Ich wollte immer der Mittelpunkt sein, mich wichtig fühlen – Freund vernachlässigen.

Ich verstand einfach nicht, wie er auf sowas kommen konnte. Während ich von einem Gedanken in den nächsten schlitterte, raffte mich die Müdigkeit langsam dahin und gerade, als ich kurz davor gewesen war, endgültig einzuschlafen, schellte unten die Türklingel. Es schien mir wohl nicht vergönnt zu sein, zur Ruhe zu finden.

Mühsam kämpfte ich mich aus meinem Bett und lief schlaftrunken die Treppe hinunter. Als ich jedoch die Tür öffnete, war ich schlagartig hellwach – Marcel stand vor mir.

„Können wir reden, Fabian… ich halt das nicht mehr aus.”

Seufzend und wenig begeistert zog ich die Tür weiter auf.

„Danke”, kam es leise.

Marcel zog sich wie immer die Schuhe aus und hing seine Jacke auf die Garderobe. Dann stand er nervös da und schaute mich an. Ohne einen weiteren Ton zu sagen, schloss ich die Haustür und lief wieder in mein Zimmer.

Ein boshafter Gedanke brachte mich dazu, mich in meinem Zimmer meiner Hose und meines Pullovers zu entledigen. Nur mit Shirt und knapper Boxer ließ ich mich auf mein Bett fallen und deckte mich nur leicht zu.

Marcel kam mir zögernd in mein Zimmer nach und setzte sich unsicher auf meinen Bürostuhl. Nach kurzem Schweigen seufzte er und atmete tief durch.

„Das habe ich wohl verdient… oder?”

„Was meinst du?”, fragte ich scheinheilig.

„Dass du so freizügig deine Klunker zur Schau stellst…”

In meinem Kopf begann es zu rattern… Klunker… ähm Eier, sofort drückte ich meine Beine zusammen, als mir bewusst wurde, dass Marcel freie Sicht hatte. So boshaft war nicht mal ich.

„Entschuldige, keine Absicht.”

Während diesen Worten zog ich nun die ganze Decke über meine Beine, so dass nichts mehr zu sehen war.

„Ich weiß, dass ich mich wie ein Arschloch benommen habe…”

„Das kannst du laut sagen…”

Marcel schaute mich mit schmerzverzehrtem Gesicht an und senkte darauf seinen Blick.

„Es tut mir Leid, ich weiß, ich hätte dir beistehen sollen. Aber ich hatte solche Angst.”

„Angst vor was…?”

„Dass jeder meint… ich … ich würde mit dir ins Bett gehen.”

„Ja und? Und wenn es so wäre… das würde niemanden etwas angehen.”

„Du… du… du denkst, ich geh mit dir ins Bett?”

„Quatsch, red doch nicht so einen Scheißdreck!”

„Jetzt verstehe ich gar nichts mehr…”

„Wie… was verstehst du nicht?”

„Bin ich so eklig?”

„Wieso sollte ich dich eklig finden?”

„Du sagtest doch gerade, du willst nicht mit mir ins Bett.”

„Aaaaahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh”, schrie ich plötzlich so laut, dass Marcel zusammenfuhr und beinah vom Stuhl gefallen wäre.

Ich richtete mich auf und sah Marcel direkt in die Augen.

„Hör mir mal zu! Ja ich bin schwul. Ich liebe es, Jungs die mir gefallen, nach zuschauen. Einen Freund habe ich noch keinen und ich war auch noch nie mit einem Jungen im Bett. Du bist… oder warst bisher mein bester Freund und ich mag dich als Freund und nicht als einen Jungen, mit dem ich gerne in die Kiste steigen würde.”

„Wieso? Bin ich nicht dein Typ?”

Boah, der Kerl trieb mich in den Wahnsinn! Ich wurde etwas lauter und Marcel wich noch weiter zurück.

„Zum mitschreiben: du siehst verdammt gut aus und bist bisher wahnsinnig lieb gewesen. Der Gedanke, dich als Freund zu haben, im Sinne von einem Boyfriend, kam mir nicht. Und wenn ich auch auf alles neugierig bin, so lass ich mich nicht so tief sinken, und treib es durch die Betten.”

„Alles klar da oben?”, hörte ich Mum rufen, die mittlerweile heimgekommen war.

„Ja Mum, Marcel ist zu Besuch”, antwortete ich und schloss meine Zimmertür etwas.

„Ich… ich bin nicht… schwul”, sagte Marcel leise.

„Hä?”

„Ich bin nicht schwul!”, kam es jetzt etwas lauter.

„Das dachte ich mir schon.”

„… und du willst sicher nichts mehr mit mir zu tun haben, oder?”

„Wer sagt das?”

„Weil du so abweisend warst…”

„Marcel, wie würdest du dich fühlen, wenn dich dein bester Freund im Stich lässt… hä?”

Marcel senkte wieder den Kopf.

„Mir tut das alles so leid. Ich würde es gerne rückgängig machen, wenn es ginge.”

„Dazu ist es nun leider zu spät!”

Es klopfte an der Tür und jene wurde aufgeschoben.

„Hallo Marcel”, hörte ich Mum sagen, die Sekunden später in mein Blickfeld trat.

„Hallo”, sagte Marcel leise.

Mum schaute zwischen uns hin und her und zuckte dann mit den Schultern.

„Du hast dein Essen nicht angerührt”, meinte sie dann zu mir.

„Ich hab keinen Hunger, bin nur müde.”

„Das wundert mich nicht, nach der Nacht.”

Nun schaute Marcel uns verwirrt an.

„Ich geh dann mal wieder runter in die Küche. Wenn ihr Durst habt… ihr wisst ja wo alles steht”, sagte Mum und verschwand wieder.

Marcel schaute ihr kurz nach, bevor sein Blick wieder zu mir wanderte.

„Bist du sehr sauer auf mich?”, fragte er nun.

„Nicht mehr… so arg.”

„Öhm…”

„Marcel, du bist mein bester Freund und auch wenn du mir mit deiner Aktion in der Dusche sehr weh getan hast… du bist es irgendwie immer noch.”

„Danke… wegen dem Duschen… ich fand es nicht… okay… was Carsten da abgezogen hat. Er war heut nicht in der Schule… weißt du vielleicht warum?”

Ich ließ mich etwas zu schnell nach hinten gleiten, was zur Folge hatte, dass ich mit dem Kopf an die Wand knallte. Während ich mir den Hinterkopf rieb, grinste Marcel leicht vor sich hin.

„Eigentlich müsste ich sagen, ich weiß nichts und was geht mich Carsten an. Aber ich denke, du hast nichts mitbekommen oder?”

„Was soll ich mitbekommen haben?”

„Dass mich Carsten beschuldigt hat… das war gestern… dass ich ihn belästigt haben soll und seine Eltern deswegen auf die Barrikaden gegangen sind.”

„Bitte was?”, fragte Marcel schockiert.

Unten läutete erneut die Haustür.

„Ich mach auf”, hörte ich meine Mum rufen.

Wenig später hörte ich Getrampel und Stimmen die Treppe herauf kommen. Marcel schaute wieder verwundert und plötzlich ging nach einem Klopfen meine Tür auf.

„Du?”, fragte Gabriella, als sie Marcel erblickte.

„Ich glaube, ich geh jetzt mal lieber”, kam es von Marcel.

„Sitzenbleiben und du…”, ich stockte einen Moment, als ich hinter meiner Freundin Thomas erblickte, „sucht euch einen Platz irgendwo.”

Wie geheißen traten die beiden ein und setzten sich.

„Hallo Fabian…, wow dein Zimmer ist aber geil”, kam es von Thomas.

„Jetzt wo du das sagst… stimmt, habe ich noch gar nicht bemerkt”, meinte Marcel und schaute sich um.

Gabriella dagegen starrte hasserfüllt auf Marcel.

„Hör auf Gabriella, er hat sich entschuldigt”, meinte ich.

„Und das reicht dir? Mir würde das nicht reichen, nach der Nummer…”, gab sie giftig zurück.

„Gabriella”, begann Marcel, „ es tut mir leid, ich bin irgendwie ausgetickt.”

„Leid tun? Toll, das bringt unserem Schnuggel aber nichts.”

„Schnuggel?”, fragte ich, „könntest du mir netterweise eine andere Bezeichnung geben?”

Wenige Sekunden später waren wir in eine heftige Diskussion verstrickt, an der sich Marcel und Thomas erst zögernd, dann aber richtig beteiligten. Natürlich musste ich ihnen von dem Vorfall mit Carsten detailgenau berichten.

Die Überraschung war bei allen dreien genauso groß wie bei mir, als sie hörten, warum Carsten diese Show abgezogen hatte. Irgendwann machte Marcel sich daran, sich zu verabschieden. Mein Blick auf die Uhr verriet mir, dass das Abendessen schon lang vorbei sein musste und ich wunderte mich, dass Mum noch nicht gerufen hatte. Wenig später stand ich bei meinen Eltern in der Küche, mein Besuch war komplett gegangen.

„Und? Wieder alles eingerenkt?”

„Ich weiß nicht genau, aber denke schon.”

„Das wird schon”, sagte Dad und klopfte mir auf die Schulter, „hast du Hunger?”

„Eigentlich nicht… wenn es euch nichts ausmacht, gehe ich jetzt schon ins Bett. Ich bin total müde.”

„Muss ich mir jetzt Sorgen machen?”, fragte Mum, „erst heute Mittag keinen Hunger, jetzt auch nichts und schon ins Bett?”

„Nein Mum, ich bin einfach nur alle.”

„Tzis, die Jugend von heute ist auch nichts mehr gewohnt”, kam es von Dad.

Als Antwort streckte ich ihm nur die Zunge heraus und verschwand. Was würde mich wohl morgen erwarten?

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