20. Türchen – Samtpfote und Engelshaar

„Ich bin Jonas der Hausdiener, dass weißt du doch“, lächelte er mich an.

Plötzlich konnte ich mich auch wieder bewegen. Die anderen immer noch nicht. Ich lief zu Kai, der etwas unglücklich schaute.

„Das ist doch nicht normal…“, meinte ich.

„Stimmt, in deinen Augen nicht. Für mich ist es eine normale Arbeit.“

Ich schaute zwischen Kai und Jonas hin und her. Mir fiel das gemacht Bett wieder ein und auch andere Dinge, die mir sonderbar erschienen. Nun war die Küche wieder restlos sauber, nur noch Tilly saß am Boden.

Jonas nahm Kai noch die Schüssel ab und stellte sie auf die Arbeitsfläche.

„So fertig“, meinte er.

Ich wartete immer noch auf eine Erklärung. Joas wusch sich die Hände und wandte sich dann zu mir.

„Wie einige Schüler dass immer treffend sagen… ich bin so etwas wie euer Schutzengel.“

„Engel?“, fragte ich verwirrt.

„Ja, sehr praktisch muss ich sagen.“

„Aber… wie… was?“

„Ich weiß, für dich ist das jetzt auch ein Schock und ich weiß auch nicht, warum mein Belegzauber bei dir nicht funktioniert, aber das kann schon mal vorkommen.“

„Belegzauber… aha.“

Immer mehr Puzzlestücke fügten sich in meinem Kopf zusammen.

„… du wusstest wo Gerrit und ich waren… als wir uns verlaufen hatten…“

Jonas nickte. Mein Blick fiel auf Kai.

„Kai… Treppensturz…“

„Ja, da ist etwas schief gelaufen, dass muss ich zugeben…“

„Schiefgelaufen?“

„Na ja, wenn man es so nennen kann. Kai hatte innere Verletzungen und ich wusste nicht, ob er das überleben würde, bis ein Rettungswagen kam.“

„… innere… Verletzungen…“, stammelte ich.

„So machte ich von meiner Gabe der Heilung gebracht. Leider habe ich nicht nur die organischen Verletzungen geheilt, sondern auch die Seelischen.“

„Öhm, dass ist doch gut.“

„Schon, ja. Aber vielleicht erinnerst du dich an sein Auftreten, als ihr euch das nächste Mal gesehen habt.“

„Ja, er war voll nett.“

„Das meinte ich. Niemand konnte sich erklären, warum Kai plötzlich so nett war. Aber es ist ja noch einmal gut gegangen und ich muss sagen, ihr zwei passt wirklich gut zusammen…“

Ich wurde rot.

„Du weißt viel…“

„Ist mein Job.“

„Und wie geht es jetzt weiter?“

„In drei Stunden ist die Feier.“

„Es macht dir nichts aus, dass ich über dich Bescheid weiß?“

„Nein!“

„Und wenn ich…“

„Wirst du nicht Jens, du würdest mich nie verraten.“

„Aha… du bist dir sehr sicher.“

Jonas nickte.

„Bevor ich es vergesse, Mika hat dich wirklich angesprochen, du wirst nicht verrückt oder so.“

„Bitte?“

*-*-*

Ich fand mich wieder in meinem Zimmer, zog gerade andere Sachen an und wusste nicht, wie ich hier her gekommen war. Die Sache mit Jonas war passiert, das hatte ich nicht geträumt, auch hatte er Recht, wem konnte ich das schon erzählen.

Es klopfte an meiner Tür.

„Herein…“

Die Tür öffnete sich und Kai kam herein.

„Hallo…“, meinte er und schloss hinter sich die Tür.

„Hallo Kai… als klar mit dir?“

„Ja, warum sollte es mir nicht gut gehen. Der Abend steht, das Essen ist fertig gerichtet, alles ist am Laufen und eine glückliche fine rennt durch die Gänge.“

Ich lächelte.

„Und dann…“, er näherte sich mir, „ habe ich wohl den süßesten Boy kennen gelernt, den es auf Erden gibt.“

Ich spürte, wie meine Wangen rot wurden. Er beugte sich vor und gab mir einen Kuss. Ich legte die Arme um ihn, zog ihn noch näher heran und erwiderte den Kuss. Kai fing an zu brummen.

„Du bist wohl ein kleiner Bär“, meinte ich lächelnd.

Er nickte.

„Du Jens… ich muss dir noch etwas sagen…“

OH, was kam denn jetzt?

„Ja?“

„Ich war neugierig und habe etwas geschnüffelt.“

„Nach was?“

„Wo du her kommst du so.“

Ich ließ ihn verwundert los. Kai schaute verlegen zu Boden.

„Wieso dass denn?“

*-*-*

Mal schauen ob Jens da ist. Noch durch die Klappe… aber hoppla, was macht mein Herrchen denn da, hat einen Jungen im Arm und küsst ihn innig, da verziehe ich mich wohl besser. Aber wohin?

Erst mal hier raus, ich will ja keinen stören. Also wieder raus. Oh da ist Jonas.

 

~Hallo Jonas.~

 

„Hallo Mika, wieder auf Streifzügen?“

 

~Nein, mein Herrchen hat Besuch und da will ich nicht stören.~

 

„Ich glaube nicht dass du die beiden störst.“

 

~Man kann vor dir nichts verheimlichen, oder etwas Neues erzählen?~

 

Jonas lächelte mich an und streichelte mir über den Kopf.

 

„Ein Tipp an dich, geh mal in den zweiten Stock und dort zum Balkon.“

 

~Und was soll ich da?~

 

„Das wirst du dann sehen“, sagte Jonas und lief weiter.

 

Also ging ich wie geraten in den zweiten Stock, tapste Richtung Balkon und sah da jemanden stehen. Cleo.

 

*-*-*

 

„Du darfst das nicht falsch verstehen Jens. Ich wollte… wegen den Weihnachtsferien… du fährst sicher heim… wollte schauen, ob du weit von mir wegwohnst.“

Jetzt verstand ich.

„Öhm, ich habe mich noch nicht entschieden, ob ich heimfahren möchte.“

„Wirklich? Und von was hängt das ab?“

Mittlerweile hatte er mich wieder in seinem Arm gezogen und wir standen mitten im Zimmer.

„Wer da bleibt, ich wollte mich umhören, ob jemand während der Ferien da bleiben würde.“

„Also ich würde da bleiben… wenn du möchtest.“

„Öhm… das hört sich gut an, aber ich möchte nicht, dass du wegen mir auf deine Familie verzichten musst. Weihnachten ist und bleibt immer ein Familienfest.“

„Das wäre nicht schlimm, da meine Eltern eh sehr selten zu Hause sind. Die besuchen mich eher hier, als dass sie zu Hause ein großes Fest planen.“

„Und? Wohnen wir weit von einander entfernt?

Kai nickte.

„Dir wäre es lieb, wenn ich da bleiben würde.“

Wieder nickte Kai.

„Weißt du, ob viele dableiben über Weihnachten.“

„Schon einige…“

„Okay, dann muss ich aber noch telefonieren…, bevor ich dir meine Entscheidung mitteile.“

Kai lächelte mich an.

„Danke.“

„Nichts zu danken!“

*-*-*

Eine halbe Stunde hatte ich mit meiner Mum telefoniert und so wie es aussah, konnte ich bleiben. Anfänglich hatte sie starke Bedenken, aber die konnte ihr Rainer im Hintergrund ausreden.

Er machte auch den Vorschlag, wenn  ich nicht da wäre, über Weihnachten etwas zu fahren, Mum war begeistert. Also stand die Entscheidung fest. Nun sollte ich mich aber dem heutigen Abend widmen. Es war schon fast sechs Uhr und ich sollte mich langsam in der Küche einfinden.

Ich löschte alle Lichter und verließ mein Zimmer. Aus Jonas Zimmer drang Musik und ich glaubte Angels von Robbie Williams zu hören. Ich musste lächeln und machte mich auf den Weg in die Küche.

Dort angekommen war ich echt überrascht, nichts deutete auf den Zwischenfall am Mittag hin und irgendwie war es bei allen gelöscht worden, keiner hatte auf alle Fälle eine Erinnerung daran.

Das mit dem Essen klappte hervorragend und alle waren voller Lob, was die leeren Schüsseln und Platten später bewiesen. Das Aufräumen ging recht zügig, denn alle halfen mit, so konnte sich jeder dem Programm widmen, das nun folgte.

Henning und Lars brachten natürlich ihre Lehrerparodie und auch wenn ich erst seit kurzer Zeit in diesem Internat war und vieles, was in dem Jahr gelaufen war, nicht mitbekommen hatte, so lachte ich genauso Tränen.

Die Mädels führten einen Tanz auf, der mich auf den Gedanken brachte, es vielleicht auch mal mit Tanzen zu probieren, man weiß ja nie, wofür man es mal brauchen konnte. Dann kam Christian dran.

Das Licht im Raum wurde schwächer und Christian setzte sich hinter den Flügel. Im Raum war es so ruhig, als würde niemand sich darin befinden. Keine Bemerkungen, kein Jubeln, nichts.

Und dann begann Christian zu spielen. Ich spürte Kais Hand auf meinem Rücken, wie mich sanft streichelte. Wir lauschten alle den Klängen des Klaviers und Christians Stimme. So leise wie es eben noch war, als Christian spielte, so laut brauste der Applaus auf, als er den letzten Akkord spielte.

Viele riefen Zugabe und der Applaus hörte nicht auf. Christian verbeugte sich mehrere Male und setzte sich dann noch einmal hin. Das Klavierspiel begann, das Lied kam mir bekannt vor.

Weißt Du wie die Dichter schreiben?
Hast Du je einen gesehn?
Dichter schreiben einsam

Und weißt Du wie die Maler malen?
Hast Du je einen gesehn?
Maler malen einsam

Und weißt Du wie die Engel fliegen?
Hast Du je einen gesehn?
Engel fliegen einsam

Und weißt Du wie ich mich jetzt fühle?
Hast Du je daran gedacht?
Du und ich gemeinsam

Refrain:

Engel fliegen einsam
Du und ich gemeinsam
Engel fliegen einsam
Niemals mehr allein sein

Und weißt Du wie die Träumer schlafen?
Hast Du je einen gesehn?
Träumer schlafen einsam

Und weißt Du wie die Feen verzaubern?
Hast Du je eine gesehn?
Feen verzaubern einsam

Und weißt Du wie die Engel fliegen?
Hast Du je einen gesehn?
Engel fliegen einsam

Ich weiss es geht Dir ganz genau so
Was hast Du mit mir gemacht?
Du und ich gemeinsam

Refrain:

Engel fliegen einsam
Du und ich gemeinsam
Engel fliegen einsam
Niemals mehr allein sein

Dann bin ich aufgewacht
und habe mich gefragt
bist du auch so allein
und muss das wirklich sein

Engel fliegen einsam
Niemals mehr allein sein

© Christiane Stürmer – Engel fliegen einsam

 

So schon wie beim ersten Lied, fingen wieder an zu grölen. Ich schaute mich um, ob ich irgendwo Jonas entdecken konnte, aber er war nicht zu sehen. Ob Jonas auch einsam war?

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