21. Türchen – Samtpfote und Engelshaar

Der Abend war schön ausgeklungen, doch Jonas hatte ich bis dahin nicht mehr gesehen. Man saß beieinander und tauschte Geschichtchen aus, die während des Jahres passierten. Der eine oder andere war aber auch schon gegangen.

Aufräumen wollte man am nächsten Tag. Kai hatte mich noch an mein Zimmer gebracht und sich verabschiedet. Irgendwann im Wirrwarr der vielen Gedanken war ich dann eingeschlafen.

*-*-*

Die aufgehende Sonne kitzelte meine Nase und ich wurde langsam wach. Ein schielender Blick auf den Wecker verriet mir, dass ich das Frühstück am Sonntagmorgen verschlafen hatte.

Aber irgendwie war mir das auch egal, ich hatte durch meinen Kochclub einen Schlüssel zur Küche und immer Zutritt. Ich streckte mich aus und hörte Mika maunzen, die ich anscheinend durch meine Bewegung vom Bett gefegt hatte.

„Sorry Mika, kommt nicht wieder vor.“

„Schon gut, ich verzeihe dir.“

In Sekundenschnelle saß ich im Bett und starrte Mika an.

„Jetzt hab dich doch nicht so, du weißt doch, dass ich reden kann.“

„Ähm… ja…“

„Jonas hat dir doch alles erzählt.“

Ja, Jonas. Jetzt kam mir wieder in Erinnerung und mein Kopf war wieder voll.

„Du redest auch mit Jonas…?“

„Klar, schon seit ich hier bin.“

Ich beugte mich aus dem Bett und holte Mika zu mir.

„Da… kann ich mit dir reden.“

„Solltest du aber niemandem sagen, man könnte dich für verrückt halten.“

Ich musste lächeln. Komisch war es schon. Allein der Gedanke, was ich Mika alles erzählt habe im letzten halben Jahr. Er könnte da Bände schreiben…, wenn er schreiben könnte. Es klopfte an der Tür.

Ich war es ja schon gewohnt, dass es ständig an meiner Tür klopfte, aber am Sonntagmorgen?

„Ja?“

Die Tür ging auf und ich wunderte mich, die war doch abgeschlossen. Ich zog die Augenbraun hoch, schaute zu Mika. Können Katzen grinsen? Mir kam es jedenfalls so vor, als würde er das tun.

„Da bist du… ich suche dich schon überall. Guten Morgen“, kam es von Kai, der hinter sich die Tür schloss.

Er sah mich an, lächelte und stellte seinen Kopf schräg.

„Willst du etwas provozieren?“, fragte Kai.

„Guten Morgen… ähm, ich weiß nicht was du meinst.“

Er grinste noch mehr und setzte sich neben mich aufs Bett.

„Was würdest du denken, wenn du in ein Zimmer kommst und da liegt der süßeste Kerl halb nackt vor dir im Bett?“

Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich fast aufgedeckt vor ihm lag. Meine Shorts wurden von dem Rest der Decke verdeckt, aber nach außen sah es aus, als hätte ich nichts an. Ich zog etwas die Decke zu Recht.

„Schade“, meinte Kai.

„Du hast mich gesucht?“, fragte ich um vom Thema abzulenken.

„Ja, du warst nicht beim Frühstück, so dachte ich, ich schau wo du bist.“

„Lieb von dir.“

Nun saßen wir uns gegenüber und starrten uns lächelnd an. Ich weiß nicht wie lange wir so verharrten. Auf alle Fälle wollte ich die Situation genießen, so legte ich dieses Mal meine Hand um seinen Nacken und zog ihn zu mir.

„Ich weiß nicht ob das so gut ist“, brummelte Kai.

„Warum?“

„Du, mit fasst nichts an…“

„Du vergisst…, im Duschraum…“

Kai lächelte verlegen.

„Kai…, darf ich dich etwas fragen?“

„Wenn ich es beantworten kann… ja.“

„Du hast…“, begann ich, „vor deinem Sturz Schwierigkeiten mit mir…, warum?

Kais Gesicht verfinsterte sich etwas, aber er zog sich nicht von mir zurück.

„Das… hat mit etwas Erlebten zu tun.“

„Würdest du es mir erzählen?“, fragte ich und legte zusätzlich noch ein Dackelblick auf.

Er lächelte.

„Jens Marek, du kannst ganz schön gemein sein.“

„Wieso?“, sagte ich und schaute nun extrem unschuldig.

Er beugte sich vor und gab mir einen kurzen Kuss. Dann setzte er sich wieder auf und starrte in den Raum.

„Ich… hatte schon mal… Du bist nicht mein erster Freund“, begann er plötzlich zu erzählen.

„Es war irgendwie Liebe auf den ersten Blick und am Anfang war auch alles toll und schön… bis er irgendwie in einen falschen Freundeskreis geriet.“

Ich spürte deutlich, wie schwer es ihm viel, dass zu erzählen. Seine Augen waren feucht.

„Er begann immer mehr zu trinken, nahm auch Drogen. Von da an, ging es mit unserer Freundschaft rapide bergab. Bis zu dem einen Abend, wo er seinen Geburtstag feierte.“

Es schüttelte ihn und er fing an zu weinen. Ich setzte mich auf und nahm ihn in den Arm.

„Psch… du brauchst nicht weiter zu erzählen…“

„Doch ich will…“, schluchzte er, „will keine Geheimnisse vor dir haben.“

Jetzt tat es mir Leid, dass ich davon angefangen habe.

„Seine Freunde tranken immer mehr und… und irgendwie heizten sie sich… gegenseitig auf…, dann… dann sind sie über mich her… gefallen.“

Scheiße… oh Gott, was haben sie ihm nur angetan?

„… als sie fertig waren… habe ich… mich von dort weggeschlichen und… bin nach Hause.“

„Hat… denn niemand etwas gemerkt?“

Er richtete sich wieder aus, zog ein Tempo aus seiner Hosentasche und putze sich die Nase.

„Doch meine Eltern haben es gemerkt… ich habe erzählt… dass ich überfallen wurde…“

„Und was passierte dann?“

„Meine Eltern holten die Polizei… aber ich sagte aus, ich wisse nicht wer es war. Das ich im Dunkeln niemand erkannt hatte.“

Ich streichelte seine Hand.

„Der Ermittlungen brachten natürlich nichts… und ich vergrub mich immer mehr zu Hause. Den Rest kennst du“, sagte er und schaute mich an, „ich bin hier gelandet…“

„Wie lange bist du schon hier?“

„Drei Jahre…“

„Da warst du knapp fünfzehn“, meinte ich entsetzt.

Er nickte.

„Jens, es tut mir Leid, ich wollte dich nicht so… behandeln.“

„HE“, meinte ich, zog sein Kinn hoch, „das ist vergessen, okay? Jetzt weiß ich warum und ich bin sicher nicht mehr böse auf dich.“

„Danke…“

„Ich sollte danke sagen, weil du mir so vertraust und mir das alles erzählst.“

Ich fragte nun nicht, warum er seine Meinung plötzlich geändert hatte, wusste ich doch, dass Jonas seine Finger im Spiel hatte. Er legte seinen Kopf auf meine Schulter und seufzte.

*-*-*

Es dauerte eine Weile, aber knapp eine Stunde später, sah der Saal wieder aus, als wäre nie darin gefeiert worden. Irgendwann tauchte Direx Sönker auf.

„Ich wollte mich noch mal bei euch bedanken, für den tollen Abend gestern, das Essen, das Programm, auch deine Rede Kai, sehr gelungen. Ich wünsch euch noch einen schönen Sonntag, wir sehen uns wieder beim Unterricht.“

Und schon war er wieder verschwunden.

„Und was machen wir jetzt mit dem angebrochen Tag?“, wollte Tilly wissen.

„Ist noch etwas von diesem herrlichen Dessert da?“, fragte Nadine.

„Öhm. Ich glaube… ja.“

„Dafür ist immer Platz“, meinte Kai und lächelte mich an.

Fine stand zwischen uns und schaute jeden einzelnen von uns an.

„Kann es sein, dass ihr beide uns etwas… öhm verheimlicht?“

„Ich Geheimnisse vor dir?“, kam es gespielt entrüstet von mir.

Kai fing an zu lachen und Fine knuffte mich. Ich ging zu Kai und nahm ihn in den Arm.

„Was sollten wir denn verheimlichen?“, fragte ich und funkelte Kai an.

Tilly fing zu kichern an und bei Gerrit konnte ich einen enttäuschten Blick sehen.

„Ihr seid zusammen und sagt mir nichts!“, meinte Nadine empört und trommelte mit ihren Fäusten gegen meinen Magen.

„He… aua, wir wissen das selber noch nicht so lange.“

Gerrit stand auf und verließ den Saal. Ich schaute kurz zu Kai und er nickte mir zu.

„Was hat er denn?“, fragte Tilly.

„Oh, Tilly, sei doch einfach mal ruhig, wenn du es nicht blickst!“, kam es von Fine.

Ich lief Gerrit nach, während die anderen im Saal blieben. Gerrit lief zum Haupteingang hinaus.

„Gerrit warte doch…“, rief ich, aber er war schon draußen.

Ich blieb stehen und seufzte.

„Lass ihn…, er wird sein Glück schon finden.“

Ich erschrak und machte ein Schritt zur Seite. Da stand Jonas.

„Boah Jonas, schleich dich… oder wie du das immer auch machst… nur tauch nicht plötzlich neben mir auf.“

„Entschuldige.“

„Du meinst also, ich soll ihm nicht nachlaufen?“

„Nein, das wir jemand anders tun…“

„Du weißt wieder mehr, als du verrätst.“

Jonas zuckte mit den Schultern und grinste mich an.

„… ich soll wirklich nicht…“

Er schüttelte den Kopf.

„Okay, dann gehe ich wieder zu den anderen.“

„Ja tu das.“

Wie gesagt, ging ich zurück und fand die anderen immer noch am gleichen Platz sitzend vor.

„Oh, Tilly, bist du heute wohl schwer vom Begriff“, hörte ich Nadine sagen, „unser Schnuggel Jens ist ein heißbegehrter Typ und Kai hat das Rennen gemacht.“

„Öhm… ja?“, kam es von Tilly.

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